Kapitel 56
Philip kam ihnen entgegen. „Ich war ganz brav!" rief er und ließ sich vom Papa durch die Luft wirbeln. Dann sah er den Vater und Kathi verwundert an. „Was habt ihr denn geholt?"
Kevin drehte die Augen zum Himmel. Hatte er wieder einmal die Intelligenz seines Sohnes unterschätzt!
Philip grinste Kathi an. „Wahrscheinlich habt ihr wieder die ganze Zeit geküsst und gelacht! Dann habt ihr vergessen, was ihr holen wolltet!" Er sah Jean verschwörerisch an. „Das passiert dem Papa schon mal! Er küsst Kathi, und dann sagt er: Was wollte ich schnell wieder?"
Nach der gemeinsam mit dem Jungen verbrachten Zeit wusste Jerome so sicher wie nie zuvor, dass sie ein Kind haben würden, haben mussten!
So einen Jungen wie diesen Philip, dessen Vater 20 gewesen war, als sein Sohn geboren wurde. Der alle seine Träume zurückgestellt hatte, um für sein Kind da zu sein!
Solche Väter würden sie auch werden!
Gemeinsam gingen die fünf schließlich zum Hotel zurück, tauschten ihre Nummern aus, versprachen sich, sich wieder zu sehen.
Die Franzosen flogen am nächsten Tag nach Hause.
Und Kathi machte etwas, das sie nie für möglich gehalten hatte, dass sie es je tun würde.
Sie rief im Krankenhaus an und meldete sich krank. Sie wollte die gemeinsame Zeit hier am Meer mit der Liebe ihres Lebens und dem kleinen Jungen, der so sehr in ihrem Herzen wohnte, nicht schon zu Ende gehen lassen.
Sie erzählte eine Geschichte von einer Lebensmittelvergiftung, die sie so stark geschwächt hatte, dass sie unmöglich einen Heimflug überstehen konnte.
Ihr Chef zerfloss vor Mitleid, doch sie glaubte, ein Lächeln in seiner Stimme zu hören.
„Natürlich, Frau Dr. von Arnfeld! Wir schaffen das auch ohne Sie! Wenn auch schwerlich! Kurieren Sie sich gründlich aus!" erklärte er.
Kevin hörte ihr verwundert zu. Die Süße konnte vielleicht lügen! Aber er hob beinahe ab vor Glück! Eine ganze Woche würden sie hier das Leben noch genießen können!
Sie buchten die Flüge um, zogen im Hotel in eine Suite, in der Philip ein eigenes Zimmer hatte.
Die Tage waren ein einziger Traum – eine Zeit, die sie nie vergessen würden! Umso mehr, da die Gefahr, sich verloren zu haben, so real gewesen war.
Sie mieteten sich einen Leihwagen, machten Ausflüge in die Umgebung, verbrachten aber auch viel Zeit in stillen Buchten am Meer.
Alle drei kamen zur Ruhe.
An einem Tag am Meer, während Philip Steine sammelte, sie nach Größe und Farbe ordnete und vollkommen in sein Spiel versunken war, erzählte Kathi Kevin Details von Josie und ihrem Schicksal.
In der ersten Nacht hatte sie es so aussehen lassen, als hätte sie das Mädchen zufällig getroffen.
„Ich hab dich ein wenig angeschwindelt, was Josie betrifft!" begann sie. „Also, nicht bewusst! Aber ich habe nicht die ganze Wahrheit erzählt!"
Kevin sah sie verwundert an. Warum kam sie an einem so perfekten Tag auf dieses Biest zu sprechen, an das er am liebsten keinen Gedanken mehr verschwenden würde?
„Also! Wenn es sein muss! Sprich, Geliebte!" antwortete er gottergeben.
Als sie aber dann von Josies Auftauchen vor ihrem Haus zu erzählen begann, von ihrem Zusammenbruch, wurde er sehr aufmerksam.
Er unterbrach sie nicht, hing gebannt an ihren Lippen, vernahm fassungslos die Geschichte von Josies Missbrauch durch seine Brüder und Marys Drogendealen.
Dann fiel ihm als erstes das Kind ein, von dem er vier Jahre lang gedacht hatte, es sei seine Tochter.
„Und Selina? Was wird aus ihr?"
Kathi hatte kurz vor ihrem Abflug erfahren, dass Josie ausgesagt hatte, dass Mary in Untersuchungshaft gekommen war. Sie hatte sich mit Paula Bronner in Verbindung gesetzt, die ihr berichtet hatte, dass die Kleine in eine Pflegefamilie gekommen war, die sehr erfahren mit schwierigen Kindern war.
Erleichtert atmete Kevin auf, als er davon erfuhr. Er hatte das Mädchen zwar nicht lieben können, aber es war ein Kind, das nichts für seine Herkunft konnte.
Ein Kind, wie er es gewesen war.
Vielleicht fügte sich für die Kleine doch noch alles zum Guten.
Schwer zu kauen hatte er an Josies Schicksal, an dem er sich auch mitschuldig fühlte.
Wenn er ihr mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht hätte?
Wäre es dann nicht so weit gekommen?
„Du warst ein Teenager, mit mehr Problemen, als man normalerweise in diesem Alter verkraften kann!" versuchte Kathi ihn zu beruhigen.
Gut! Da musste er ihr Recht geben. Er hatte mit 16, 17 mehr als genug mit sich und seiner Sippe zu tun gehabt!
Er war gar nicht in der Lage gewesen, Josies Probleme zu erkennen, geschweige denn zu lösen.
In seinem Viertel wäre er auch gar nicht fertig geworden, wenn er sich um andere hätte annehmen wollen!
Er durfte nicht zulassen, dass seine Gedanken sich zu sehr in der Vergangenheit festhakten.
Dann begann er zu lächeln. „Und Josie und Max sind jetzt ein Paar?" Das war fürwahr eine sehr seltsame Konstellation!
„Zumindest sind sie auf dem Weg dahin!" Sie wusste, was er darüber dachte, aber er hatte die Josie, die heulend auf ihrem Sofa gelegen war, nicht kennengelernt.
Dann kam das, wovor sie sich am meisten gefürchtet hatte. „Dann hat also Mary das Geld, das ich ihr gebracht habe, als Anfangskapital für eine Dealer-Karriere genommen! So war das natürlich nicht geplant gewesen!" Er fuhr sich über sein Gesicht. „Hoffentlich zieht sie mich nicht da mit rein!"
Kathi wurde blass. Daran hatte sie gar nicht gedacht! Wenn Mary aussagte, dass Kevin ihr Dustins Geld gebracht hatte, konnte das dumm ausgehen!
Aber, nein! Sie und Angelika wussten ja Bescheid! Da stünden dann ihre Worte gegen das einer Dealerin! Außerdem wäre es schön blöd von der Verrückten, wenn sie erzählen würde, wie sie in den Job ihres Geliebten hatte einsteigen können!
Aber sie war eben auch nicht sonderlich schlau!
Zum Glück kam Philip angelaufen, sie mussten sein Kunstwerk bestaunen. Danach verdrängten sie das Problem Mary erst einmal. Doch als sie zurück im Hotel waren, fiel Kevin alles wieder ein, er sorgte sich schon ziemlich.
Nicht, dass das Weib ein zweites Mal seine Zukunft kaputt schlug.
Er beschloss, Max anzurufen, hielt sich nicht mit langen Vorreden auf, kam gleich zum Punkt. Er berichtete von seinem Coup, als er Dustins Geld Mary brachte, für die Kleine.
„Meinst du, sie sagt was, dass das Geld von mir gekommen ist?"
Max schwieg etwas zu lange. „Also!" begann er schließlich. „Sie haben Josie schon gefragt, ob da was dran sein könnte, was Mary erzählt hat! Also, dass du da mit drin steckst! Aber Josie hat supergut reagiert! Hat bloß gelacht! Kennen Sie Kevin? hat sie gefragt. Der trinkt nicht einmal ein Bier! Der hat sicher nichts mit Drogen am Hut - und schon gar nicht mit dealen! Da hat einer der Beamten sich an dich und Philip erinnert, hat beide Hände für dich ins Feuer gelegt, hat Josie erzählt. Damit war das Thema durch."
Kevin atmete auf. „Da bin ich ihr ja direkt etwas schuldig! Sag ihr, dass ich mich bedanke!"
Max schwieg wieder eine Weile, dann klang seine Stimme etwas belegt. „Ich ... ich glaube, sie möchte keinen Dank. Das einzige, was sie sich von ganzem Herzen wünscht, ist, dass du ihr verzeihen kannst!"
Kevin dachte keine Sekunde lang nach, bevor er antwortete. „Du, Max! Kathi hat ihr verziehen und mir auch! Ich habe ja jetzt erst erfahren, was sie alles mitgemacht hat! Also! Da soll sie sich keine Sorgen machen! Wir fangen einfach nochmal von vorne an, zu viert, wie ich vernommen habe!"
Max fielen einige Steine vom Herzen. Josie war sehr niedergeschlagen wegen der Sache mit Kevin und Kathi. Seit sie sich in Max hatte verlieben können noch mehr als vorher.
„Kannst du ihr das selber sagen?" bat er den Kumpel.
„Klar!" versicherte Kevin. Dann meldete sich Josie piepsend leise.
„Mach dir keinen Kopf, Mädel!" begann Kevin - und jedes seiner Worte fühlte sich richtig an.
„Wir haben beide viel hinter uns, aber wir haben es auch beide geschafft, und wir werden noch viel mehr schaffen, okay? Zwei aus dem Viertel sind ausgebrochen, das werden wir nie vergessen! Aber ansonsten ist die Vergangenheit eben vergangen!"
Josie brachte vor lauter Heulen kein Wort heraus, gab Max, der sie fest im Arm hielt, den Hörer. Doch sehr redselig war der auch nicht mehr. „Danke! Bis bald!" murmelte er nur.
Kevin hatte auf Lautsprecher gestellt, Kathi hatte alles mitbekommen. Fragend sah er sie an. „Stehst du auch hinter meinen Worten?" fragte er vorsichtig. Gut, er konnte Kathi schlecht eine Freundschaft mit Josie aufs Auge drücken, nach allem was geschehen war.
Doch sie lächelte ihn natürlich an. „Und ob, mein Kluger!" flüsterte sie.
Dann küssten sie sich erst einmal die Anspannung von der Seele, bis Philip hereingestürmt kam.
„Mit wem hast du telefoniert?" fragte er neugierig.
„Mit Max. Den kennst du nicht!" antwortete Kevin.
„Ist das ein Kommilitone?" wollte der Junge wissen.
Der Vater schüttelte den Kopf. Woher hatte er dieses Wort schon wieder? Wahrscheinlich hatte sein blonder Engel ihm das beigebracht!
Sie waren beide gleich gut für seinen Sohn.
Kurz dachte er an Philips leibliche Mutter.
Hoffentlich erfuhr der Junge nicht alles aus ihrem Leben.
Hoffentlich verschwand sie aus dem Leben des Kleinen.
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