Kapitel 5

Kevin

Kevin trank einen durstigen Schluck von dem Edelwasser, das sicher 10 Euro kostete. Aber es war ihm heute egal.

Mary warf sein sauer verdientes Geld mit beiden Händen aus dem Fenster, weigerte sich strikt, einen Job zu suchen, weil sie ja als Hausfrau und Mutter voll ausgefüllt war, eine Aussage, die ihn immer wieder zu ironischen Kommentaren animierte.
Würde er halt noch ein paar Stunden mehr malochen, war eh schon egal!

Sein Blick schweifte über die anderen Gäste. Ein paar verliebte Pärchen in den Nischen, eines auf der Tanzfläche vergaß gerade die Welt um sich.

Von Neid geplagt sah er ihnen eine Weile zu, wie sie sich zu den leisen Tönen drehten, sich immer wieder zärtlich berührten, sich vorsichtig küssten, sich anhimmelten.
Das würde es für ihn nie geben, so sehr er sich auch nach einer solchen Nähe zu einer Frau sehnte.

Seine Augen gingen weiter auf die Wanderschaft, blieben an der Gruppe gegenüber am Tresen hängen.

Zwei gutaussehende Männer, elegant gekleidet, zwischen ihnen eine junge Frau in einem heißen, schwarzen Kleid.

Eine schöne Frau!
Eine wunderschöne Frau!

Sie unterhielt sich mit den beiden Typen wohl sehr gut, die drei lachten immer wieder leise. Aber sie schien zu keinem der beiden zu gehören.
Der Barkeeper brachte ihm noch ein Wasser, verschlang ihn mit Blicken.

Nein!
Nicht das schon wieder!
Wieso baggerten ihn eigentlich immer die Schwulen an?

Er war - im Gegensatz zu seiner Sippe - nicht im Geringsten homophob, aber er war genauso wenig interessiert!
Er drehte sich ein wenig, um seine Desinteresse zu signalisieren, hörte das Seufzen des Barmannes, der wohl verstanden hatte.

Immer wieder musste er zu der Dreiergruppe hinübersehen.
Die langen blonden Haare, das süße Gesicht zogen ihn magisch an.

Manchmal trafen sich ihre Blicke, doch sie hielt seinem nicht stand.
Hatte sie dunkle Augen?
Zu so hellblondem Haar?
Hoffentlich waren das nicht nur erweiterte Pupillen, weil sie zugedröhnt war!
Aber sie wirkte nicht so.

Der eine Mann sagte etwas, sie lächelte wieder verunsichert, antwortete ihm.
Sie sah immer wieder zu ihm.
Nervten sie seine offensichtlich interessierten Blicke?

Interessierte Blicke? fragte die Stimme der Vernunft in sich. Interessiert woran?
An einem Date?
Einem One-Night-Stand?
Einer Beziehung?

Beinahe hätte er laut aufgelacht!
Er! Ja! Genau!
Er mit seiner ganzen Altlast - und diese schöne Frau!
Ganz bestimmt würde das was werden!

Und plötzlich packte ihn eine grenzenlose Wut.
Warum eigentlich nicht?
Warum sollte es nicht einen Zipfel vom Glück für ihn geben?

Heute!
Heute Nacht!
Warum sollte er nicht eine Nacht lang glücklich sein dürfen?
Philip schlief mit der Tablette sicher durch.

Sie war interessiert, er sah es an ihren Blicken, die sich immer wieder zu ihm verirrten.
Viele Frauen waren interessiert an ihm, aber er hatte dieses Interesse nie geteilt.
Er konnte bei Gott nicht noch mehr Probleme in seinem Leben brauchen!

Wieder sah er zu ihr, wieder trafen ihre Augen sich.
Ja! Heute würde er sein Glück versuchen.
Mit dieser wunderschönen Frau!
Er war kein Bodensatz, wie seine Umwelt es ihm immer wieder einreden wollte.
Vor allem Mary!

Und auch er selbst!
Er hatte ein 1,2-Abitur gemacht, hatte einen Studienplatz für Medizin gehabt, bevor er sein Leben in einer Nacht zerstört hatte.

Aber auch heute lag er niemandem auf der Tasche, malochte wie ein Tier, um seine Familie zu ernähren.
Er trug keine Markenklamotten, wie die Typen neben ihr, aber er hatte etwas in der Birne.

Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, hob sein Glas, lächelte sie an, sandte eindeutige Signale.
Sie senkte den Blick, doch die Männer hatten verstanden, was er angedeutet hatte. Sie zahlten, flüsterten mit ihr und gingen.

Er nahm sein Glas und tat die paar wichtigen Schritte um den halben Tresen herum.


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