Kapitel 49

Kathi

Die vierte Karte kam an.
Padres? Waren sie in einem Kloster? Was machten sie da? In Spanien?
Und eine Celine tauchte auf! Philip hatte sie geärgert?
Hätte Kevin sie gerne kennengelernt? Die Eifersucht fraß sich wieder einmal durch ihre Seele.
Wie viele Frauen, wie viele Celines hatte er schon getroffen?

Am nächsten Tag berichtete Philip wieder von Celine, aber das beruhigte sie dieses Mal.
Papa hat etwa sehr böses zu ihr gesagt, aber er verrät mir nicht, was.
Dann ist sie weggegangen.

Valentina ist sehr schlau.
Ich habe ganz viele Karten auf einmal gekauft.
Papa darf ja nicht wissen, dass ich sie dir schicke. las sie einen Tag später.

Valentina! Wer war das schon wieder?
Die nächste?
Sie drehte noch durch!

Und wieder schrieb der Kleine von einem Kloster, dieses Mal aber mit Nonnen.
Und von einer Kirche, wo sie Kerzen anzündeten.

Also waren sie nicht an einem Ort, sie wanderten tatsächlich!
Aber warum wanderte ein Mann mit einem Sechsjährigen in der Sommerhitze durch Spanien?
Sie fieberte mittlerweile den Karten des Kleinen entgegen.
Las von Hitze, von langen Pausen, immer wieder von Frauen, von Padres, die nett oder nicht nett gewesen waren.

Sie hasste den Sonntag, weil da keine Post kam.
Am Montag raste sie nach Hause, öffnete mit zitternden Fingern den Briefkasten, las die kindlichen Worte schon, während sie die Stufen hinaufhastete.

Liebe Kathi

Heute sind wir spät angekommen, weil es so lange so heiß war.
Der Padre hat geschimpft mit Papa.
Aber den Papa hat das nicht gestört.
Wir haben nichts mehr zum Essen bekommen,
haben uns eine Wurst gekauft und ein Brot.
Das haben wir dann am Meer gegessen.
Wir haben dich lieb.
Philip

Liebe Kathi
Heute ist es nicht so heiß.
Papa hat mich schlafen lassen.
Der Padre war noch immer böse auf uns.
Hat uns kein Frühstück gemacht.
Wir haben in einem Gasthaus Kaffee und Kakao getrunken.
Dann haben wir unsere Wäsche gewaschen.
Dann haben wir die Kerzen angezündet
Das haben wir am Abend vergessen.
Es war so schön am Meer.
Wir haben dich lieb.
Philip

Und plötzlich machte es Klick in ihrem Kopf.
Mein Gott! War sie blöd gewesen!
Sie holte eine Landkarte von Spanien, markierte die Orte, von denen aus Philip die Karten abgeschickt hatten.
Natürlich! Glasklar!

Der Jakobsweg!
Kevin pilgerte mit seinem Sohn auf dem Jakobsweg!
Wie verrückt war das denn?

Aber der Junge schien unglaublichen Spaß zu haben, beklagte sich nie.
Warum machst du das, Kevin? dachte sie.
Glaubst du, du musst büßen?

Oder willst du die Heiligen bestechen, von denen Philip immer erzählt?
Sie lächelte vor sich hin.
Er war schon ein verrückter Kerl!

Aber vielleicht hatte das Ganze gar nichts mit ihr zu tun?
Vielleicht interpretierte sie zu viel da hinein?

Aber Philips Worte, dass der Papa geweint hatte, und immer wieder: Wir haben dich lieb!
Das musste doch etwas zu bedeuten haben!

Wie lange die Post wohl brauchte, bis sie von Spanien ankam?
Zwei Tage, eine Woche?
Vielleicht kamen sie ja bald zurück?
Vielleicht waren sie schon da?

Die 18. Karte brachte endlich Klarheit. Sie hatte ein Datum!
Und sie hatte den Hinweis auf ein Video im Netz.

In Windeseile fuhr sie ihr Laptop hoch, gab den Suchbegriff „singen und Pilger" ein, fand bei Youtube, was sie erhofft hatte.

Tatsächlich stand da ihr wunderschöner Kevin mit seinem wunderschönen Sohn, und die beiden sangen ihre Lieder!
Eine Menge Leute standen um sie herum, am Ende sammelte Philip mit einem verschmitzten Lächeln Münzen ein.

Sie sah sich das Video mindestens zwanzig Mal an, konnte den Blick nicht von dem gutaussehenden Kerl lösen.
Er war braungebrannt, die blauen Augen blitzten noch heller. Er sah glücklich aus, sah seinen Sohn voll Vaterstolz an.
Die Haare von beiden waren länger, sie trugen sie zu einem kurzen Zopf im Nacken, was umwerfend aussah.

„Ich liebe dich!" flüsterte sie dem Mann auf dem Bildschirm zu.
Dann teilte sie den Clip mit Max, der kurz darauf anrief.

„Das ist ja ein Ding!" sagte der Freund lachend. „Da wär ich auch nicht drauf gekommen, dass der verrückte Kerl mit dem Kleinen den Jakobsweg läuft, nur um dich zurückzubekommen!"

Kathi hielt den Atem an. Max glaubte also auch ......?
„Meinst du, er macht das wegen mir?" fragte sie nach.
Wieder lachte Max. „Warum denn sonst sollte ein verliebter Trottel etwas so Verrücktes machen?"

Und in diesem Moment wusste Kathi, was sie tun musste.
„Ich flieg da hin!" sagte sie.
„Tu das! Du bist nämlich genau so verrückt wie er!" antwortete Max.
„Und mindestens genauso verliebt!" flüsterte Kathi und legte auf.

Sie suchte einen Flug für den 1. September, was nicht so einfach war. Es war noch Urlaubszeit in Bayern.
Schließlich wurde sie fündig, bekam bei einem schweineteuren Anbieter einen Platz in der Business-class, noch dazu mit Zwischenstopp in Paris, warum auch immer.
Aber es war ihr alles egal! Sie musste nach Spanien!

Dann fiel ihr ein, dass sie vielleicht ihren Dienstplan ansehen sollte. Sie hatte erst Mitte September Urlaub eingetragen, wollte Eltern den Vortritt lassen.
Vage hatten sie und Kevin eine Tour mit einem Wohnmobil geplant. Vielleicht vier Wochen, bis das Wintersemester wieder begann.

Sie suchte auf dem Handy ihren Kalender. Verdammt! Am ersten September hatte sie Nachtdienst! Drei Nächte! Pascal war da in Urlaub!
Blieb ihr nur, Jakob zu bitten, mit ihr zu tauschen.

Sie rief ihn gleich an.
Der Kollege zierte sich ein wenig, erzählte etwas von Familienfeier.
Kathi verlegte sich aufs Betteln. „Bitte, Jakob! Es ist so wichtig für mich!"

Schließlich ließ Jakob sich erweichen. „Dann musst du aber übermorgen für mich antreten, gleich nach deiner Spätschicht!" gab er zu bedenken.
„Das packe ich schon!" versicherte Kathi. Sie hätte alles geschafft! War voll mit Adrenalin! War beinahe high!

Sie buchte noch ein Hotelzimmer für drei Nächte mit Option auf Verlängerung, fiel vollkommen erledigt, aber doch vollkommen aufgedreht ins Bett.
Sie stand noch einmal auf, holte das Fotobuch, legte die CD ein, schwelgte in Erinnerungen.
Plötzlich packte sie wieder die Panik!

Wenn sie und auch Max alles falsch interpretiert hatten?
Wenn Kevin sie auslachte, weil sie ihm nachgelaufen war?
Wenn er fragte: „Was willst du denn da?"
Wenn er dabei ein schönes Mädchen im Arm hielt?

Sie hatte die Worte eines Sechsjährigen für bare Münze genommen!
War sie verrückt?
War sie verrückt, wenn sie es nicht machte?
Sie sprang wieder aus dem Bett, trank auf dem Balkon ein Glas Wein.
Wurde dadurch noch rührseliger.

Wenn bloß diese verdammte Angelika oder dieser verdammte Albert zu erreichen wäre!
Sie würde jetzt so lange da anrufen, bis einer abhob!

Seltsamer Weise war das schon nach dem dritten Klingelton der Fall.
„Hallo, Kathi!" meldete sich Kevins Mutter.

Angelika und Albert hatten in den letzten Tagen ein zunehmend schlechtes Gewissen bekommen, weil sie Kathi so hatten auflassen hatten. Doch sie hatten es Kevin versprochen!

Er wollte das alleine hinbekommen!
Er musste das alleine reparieren, so wie er es alleine kaputt gemacht hatte.
Er hatte sich immer wieder mal gemeldet, hatte ihnen versichert, dass alles in Ordnung war.
Über Kathi hatten sie kein Wort verloren, aber sie spürten, dass er litt.

Als sie jetzt Kathis Nummer sah, hob Angelika ab. Albert war einverstanden, nickte zustimmend. Hätte das Mädchen seine Nummer gewählt, hätte er genauso gehandelt.
Es waren ja auch schon so viele Tage vergangen, Kevin und Philip würden bald wieder nach Hause kommen.

Kathi war direkt überrascht, als sie Kevins Mutter plötzlich an der Strippe hatte. Sie hielt sich nicht lange mit Begrüßungen oder Vorwürfen auf.
„Sie sind auf dem Jakobsweg unterwegs! Habt ihr das gewusst?"

„Ja!" sagte Angelika nur.
„Ich fliege da hin!" Kurz angebunden sein konnte sie auch.
„Das ist gut, Mädchen! Kevin wird sich freuen! Philip sowieso!" Angelika bewunderte die junge Frau.
„Okay! Das wollte ich wissen!" antwortete Kathi und rang sich noch ein: „Danke!" ab, bevor sie die Verbindung unterbrach.

Angelika grinste Albert an. „Die Kleine ist gut! Sie hat wohl eingesehen, dass sie auch nicht ganz unschuldig ist! Und dass sie einen besseren als unseren Sohn nicht finden wird."
Er war ganz ihrer Meinung und küsste sie glücklich. Das ließ sie mittlerweile zu. Sie waren auf einem guten Weg, das zweite Liebespaar in dieser etwas seltsamen Familie zu werden.

Endlich wurde Kathi ruhiger. Nur noch ein paar Tage, dann würde sie ihn wiedersehen.
Dann würden sie neu anfangen, und sie würde keinen ihrer Fehler wiederholen!

Sie würde über alles mit ihm sprechen, über jedes noch so unbedeutend scheinende Detail.
Sie würde ihm sagen, wenn es ihr nicht passte, dass er alleine irgendwo hinging, aber sie würde es auch offen ansprechen, wenn sie nichts dagegen hatte.

Sie würde ihm vor allem immer wieder sagen, was sie an ihm gut fand!
Nein! Was sie an ihm liebte!
Dass sie ihn liebte!
Sie hatte es nie über die Lippen gebracht, weil er es nie gesagt hatte.
Aber sie hatte es doch gefühlt! Sie sah sich noch einmal das Video an, schlief lächelnd ein.

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