Kapitel 47

Kathi

Kathi war vollkommen durch den Wind. Die zweite Karte von Philip war angekommen.
Die Beine hatten ihnen weh getan!
Was bedeutete das?

Wo lief der verdammte Kerl denn mit dem Kind herum?
Zwei Mädchen hatte Philip weggeschickt!
Braves Kerlchen!
Also schien Kevin nicht mit einer Frau auf Reisen zu sein, sondern alleine mit seinen Sohn.
Aber warum?
Wo?

Morgen sehen wir das Meer!
Wie oft hatte sie davon geträumt, mit Kevin zu verreisen!
Sie hatten es nicht mehr geschafft.
Zu schnell war alles zu Ende gewesen!
Zu Ende!
Zu Ende?
Musste das sein?

Wenn nur dieser verdammte Albert mal an sein Telefon ginge!
Oder Angelika!
Sie versuchte es ohne große Hoffnung noch einmal – nichts!

Da packte sie die Wut!
Das hatte sie auch nicht verdient!
Schließlich hatte er Mist gebaut, nicht sie!
Warum schnitten die beiden dann sie?

Sie setzte sich kurzentschlossen ins Auto, fuhr zu Kevins väterlichem Freund. Sie klingelte Sturm, sah das Licht oben, klingelte weiter.
Sie schlug gegen die Haustüre, klingelte noch einmal.

„Macht auf!" schrie sie wie von Sinnen.
Das Fenster von Mitbewohnern öffnete sich.
„Bist du besoffen? Wir holen gleich die Polizei!" schrie ein Mann.

Kathi kam zu sich. Was machte sie hier?
Niemand wollte etwas mit ihr zu tun haben!
Sollten doch alle die Krokodile fressen!

Als sie wieder zu Hause war, meldete ihr Handy eine Textnachricht, mit zitternden Fingern öffnete sie den Ordner.
„Bitte Kathi! Den beiden geht es gut! Lass uns allen noch ein paar Tage! Wir haben es Kevin versprochen!" hatte Angelika geschrieben.

Toll! dachte Kathi. Damit kann ich ja jetzt viel anfangen!
Aber wenigstens hatte sie sich mal gemeldet.
Zumindest schien sie nicht sauer zu sein, oder nur ein wenig!
Ein paar Tage!

Das war ja ein durchaus dehnbarer Begriff!
Es war ja schon eine Reihe von Tagen vergangen!
Wieder tigerte sie durch die Wohnung.
Da läutete ihr Handy. Max!

Wenn der jetzt auch noch seinen Liebeskummer bei ihr abladen wollte, würde sie zum Tier!
„Ja?" meldete sie sich unfreundlicher als normaler Weise.
Max stockte ein wenig. „Kathi? Alles okay?"

„Nein! Gar nichts ist okay! Die reden nicht mit mir, Philip schreibt Karten, erzählt von irgendwelchen Frauen, die er wegschicken muss, dass es kalt ist und ihm die Beine wehtun, also beiden, und ich will jetzt wissen, was da los ist!" brach es aus ihr heraus.
„Langsam! Langsam!" bat Max, der so wenig verstand wie sie selbst.

Kathi heulte los. Was hatte Kevin vor? Was fantasierte Philip da zusammen?
Wo waren die beiden, und vor allem, warum waren sie da, wo sie waren?
„Wir kommen vorbei!" schlug Max vor, als er merkte, dass Kathi zu keinem klaren Gedanken mehr fähig war.

„Wir?" fragte sie wenig erfreut. Womöglich gedachte er, die durchgeknallte Josie mitzubringen!
Max grinste vor sich hin. „Ja! Sorry! Josie und ich! Mach dich auf eine Überraschung gefasst!"

Die erlebte Kathi dann auch. Das Wrack von einem Mädchen war ein bildschöner Schwan geworden. Sie strahlte Selbstbewusstsein aus, hatte nicht mehr diesen falschen, abschätzenden Blick.

Sie sah Kathi offen an, streckte ihr die Hand hin. „Ich möchte mich bei dir bedanken, und dich vor allem um Verzeihung bitten!" sagte sie leise.

Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Josie sprach weiter, bevor sie der Mut wieder verließ. „Es ist nichts passiert in dieser Nacht, echt nicht! Kevin hat nach dem zweiten Joint die Augen verdreht und war weg. Ich habe meinen Bruder angerufen, der hat mir geholfen, hat ihn in sein Auto geschleppt, ihn in meine Wohnung gebracht. Er hat gesagt, worauf ich achten muss, aber ich sollte keinen Arzt rufen, weil ich sonst mit drin hängen würde. Ich habe die halbe Nacht seine Atmung und seinen Puls kontrolliert, als beides wieder normal war, bin ich auch eingeschlafen. Bis sein Handy geklingelt hat und ich blöderweise drangegangen bin!"

Kathi ließ ihre Worte auf sich wirken.
Das war also alles gewesen!
Das hatte er ihr erklären wollen!

Doch sie hatte ihm nicht zugehört!
Hatte ihre Meinung schon gebildet gehabt!
Hatte ihm alles zugetraut!

Gut! Er war nicht unschuldig, aber er war auch nicht so schuldig, wie sie angenommen hatte.
Er war am Scheitern ihrer Beziehung nicht schuldiger als sie, mit ihrer Überheblichkeit, ihrer Arroganz, ihrer Selbstherrlichkeit!

Ob sie je eine Chance bekam, ihm all das zu sagen?
Von ein paar Tagen hatte Angelika gesprochen.
Wie viele Tage?
Wie viele Frauen, die ihn umschwärmten, ihn anbaggerten, es ihm leicht machten?

Max riss sie aus ihren Grübeleien. „Josie wird übrigens gegen Mary und die Brüder Kevins aussagen. Sie wollte zwar erst mit Kevin sprechen, aber ich glaube nicht, dass der etwas dagegen hat!"

Diese Nachricht lenkte Kathi wirklich ab. „Das ist super! Das finde ich ganz toll, Josie!"
Max hatte noch eine weitere gute Nachricht. „Und sie ist bei mir eingezogen! Wir haben ihre Sachen schon geholt. Sie muss raus aus dem Milieu!"

Er sah sie verliebt an, sie schien seinem Blick etwas auszuweichen. „Also, ich meine nicht, dass wir schon ein Paar wären. Josie hat ein eigenes Zimmer. Aber ich arbeite daran! Ganz langsam!"
Dafür wurde er mit einem echten, offenen Lächeln belohnt. „Ich weiß halt noch nicht, was du von mir willst! Du kannst jede haben!"

Max sah sie ernst an. „Dich will ich, Josie! Sonst gar nichts. Dich mit allen Ecken und Kanten, mit all deinen Verletzungen und Narben! Warum, kann ich auch nicht erklären, es ist eben so! Natürlich hätte ich es mit einem Mädchen ohne deine Vergangenheit leichter, aber ich will keine klargespülte, keimfreie Beziehung! Ich war noch nie für den leichten Weg!"

Kathi hörte den beiden zu. Sie würden es auch nicht leicht haben in dieser Welt, aber wenn sie den festen Willen dazu hatten, würden sie es schaffen.
Ja, klar! Da war die ekelhafte Stimme in ihr wieder. So wie Kevin und du es geschafft haben, oder?
Halt die Klappe! Es ist noch nicht vorbei! antwortete sie.

Am nächsten Morgen brachte der Postbote die dritte Karte – und sie verstand noch weniger.
Kevin schien mit seinem Sohn über sie zu sprechen!
Und er weinte!

Der große, hübsche, taffe Kerl heulte wegen ihr!
Das wollte sie nicht!
Das konnte sie nicht aushalten!

„Komm nach Hause, Kevin! Lass das Meer Meer sein! Komm zu mir zurück!" flehte sie das Foto an, das sie auf ihrem Handy gespeichert hatte. Sie drohte ihm mit dem Finger. „Und lass vor allem die Hände von den Frauen!"

Lächelnd ging sie diese Mal zum Dienst. Pascal freute sich, dass seine Kollegin wieder besser drauf zu sein schien. „Hast du was von Kevin gehört?" fragte er voller Hoffnung. Er hatte den jungen Kerl wirklich ins Herz geschlossen - und seinen Sohn auch.

Jakob bekam das Gespräch mit. „Lass ihn doch da, wo der Pfeffer wächst!" stieß er heraus.
Kathi sah ihn verwundert an. „Was hast du auf einmal gegen Kevin?"

Jakobs Blick wurde finster. „Ich hab was gegen jeden Mann, der meine Frau anbaggert!"
Pascal glaubte, nicht richtig zu hören.
„Der deine Frau was? Umgekehrt wird wohl eher ein Schuh draus!"

Auch ihm hatte Karin schon mehr als eine Avance gemacht! Ronja hatte zwar immer versucht, darüber hinwegzusehen, um die Freundschaft nicht zu gefährden, aber oft war sie damit schon an die Grenze ihrer Belastbarkeit gekommen.

Vor allem, als sie mit Sarah schwanger gewesen war, und ihre Hormone sowieso schon etwas verrückt gespielt hatten.
Da hatte er auch die regelmäßigen Treffen mit Jakob und Karin deutlich zurückgefahren. „Ronja geht es nicht so gut!" hatte er als Ausrede genommen.

Jakob baute sich vor ihm auf. „Was willst du damit sagen?" fauchte er.
Pascal wollte den Ball flachhalten, wollte keinen Streit mit dem Freund, den er schon seit Studienzeiten kannte.

 Jakob hatte immer darunter gelitten, dass der Kumpel besser aussah als er, hatte aber dann die Chance gewittert, abgelegte oder abgeblitzte Mädchen abzubekommen.

So hatte er auch Karin erobert, die eigentlich hinter Pascal her gewesen war, das hatte er schon mitbekommen.

„Komm, lass gut sein! Ist doch alles nur Geblödel! Aber behaupte nicht vor Kathi, dass Kevin in ihrem Beisein andere Frauen angemacht hat! Das ist nicht fair!"

Jakob ließ es lieber darauf bewenden. Auch er wollte keine Auseinandersetzung mit dem Freund. Auch mit Kathi nicht!
Pascal hatte ja wohl auch recht, auch wenn Karin immer die Tatsachen verdrehte, und es damit mit der Wahrheit nicht so genau nahm.

„Hast du gesehen, wie der mich mit den Augen ausgezogen hat?"
„Wie der mich immer so zufällig berührt!" hatte sie nach manchen Treffen behauptet.
Er ließ sie reden.

Sie brauchte diese Selbstbestätigung, auch wenn sie sich das Ganze nur einredete. Sie war nicht so intelligent wie Ronja oder Kathi, nicht so witzig und charmant, sie hatte nur ihr Äußeres zu bieten.

Aber er liebte sie, wie sie war. Und alles würde sicher besser werden, wenn sie erst einmal ein Kind hatten! Sie arbeiteten schon länger daran, aber es klappte nicht. Untersuchungen bei beiden hatten ergeben, dass körperlich alles in bester Ordnung war.

Kathi war die Auseinandersetzung der beiden unangenehm gewesen.
Aber Pascal hatte zum Glück die Kurve bekommen. Wieder einigermaßen versöhnt begannen sie mit der Visite bei ihren Sorgenkindern.


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