Kapitel 4

Katharina

Katharina fühlte sich wohl in der kleinen, intimen Bar. Vor allem, weil sie nicht befürchten musste, angebaggert zu werden.
Nicht von ihren Begleitern, aber auch nicht von anderen männlichen Gästen.

Hier kannte sie kein Mensch. Zuhause in Köln sah das schon anders aus. Als Tochter ihrer High-Society-Eltern war sie bekannt wie ein bunter Hund.

Eine ganze Reihe von Flirts hatte wohl ihrem Namen und ihrem Elternhaus gegolten, wenn sie unterwegs war.
Früher, als sie noch unterwegs war.
Vor Christian!

Bevor er sie gebeten hatte, nicht mehr auszugehen!
Nur für ihn da zu sein!
Bevor sie blöd genug gewesen war, alle Freundschaften auf Eis zu legen, wegen eines Lügners und Betrügers.

Sie erzählte ihren sympathischen Begleitern ein paar Geschichten von zu Hause, als die Türe aufgerissen wurde und ein ziemlich durchweichter junger Mann hereinkam.

Sie beobachtete die Szene, die sich zwischen dem Neuankömmling und dem Barkeeper abspielte und musste unbewusst lächeln.

Die Haare des Mannes trieften vor Nässe, er wischte sich die Tropfen aus dem Gesicht.
„Es schüttet wohl nicht schlecht draußen!" merkte Jakob an. „Da bestellen wir doch noch eine Runde! Raus können wir ja im Moment eher nicht!"

Katharina war dabei. Sie hatte im Restaurant nur Wasser getrunken, im Club einen sehr dünnen Whiskey-Cola, und hier einen Manhattan.

Außerdem hatten sie morgen alle drei frei.
Sie stieß mit den Kollegen an, ihr Blick ging unwillkürlich zur anderen Seite der Bar.

Ein hübscher Kerl! dachte sie. So viel man in dem schummrigen Licht erkennen konnte.
Groß, dunkelhaarig, gut gebaut! Er schien die Lederjacke gut auszufüllen.
„Erde an Katharina?" zog Pascal sie auf.

„O! Sorry!" Hatte sie jetzt wirklich den Fremden da drüben so angestarrt, dass sie nicht mehr auf die Unterhaltung geachtet hatte?
Aber sie war eine Frau!

Sie sah gutaussehende, gutgebaute Männer durchaus gerne an.
Die machten das ja umgekehrt dauernd!

Und für Gleichberechtigung war sie schon immer gewesen.
Zumindest vor Christian.
„Was hast du gerade gefragt?"

„Wie es weiterging mit Christian?" wiederholte Pascal seine Frage.
„Christian? Wer ist Christian?" antwortete sie grinsend.

Jakob lachte. „Der Typ da drüben gefällt dir wohl?" zog er sie auf.
„Hm!" machte sie nur. „Sieht doch nicht übel aus, oder?"
„Das kann ich jetzt nicht so beurteilen!" gab Jakob zurück.

Sie sah wieder hinüber, die Augen des Fremden lagen auf ihr. Hoffentlich hatte er ihre Unterhaltung nicht mit angehört! dachte sie erschrocken und senkte den Blick.
Gut! Anschauen war okay! Aber von dem, was dann kam, hatte sie keine Ahnung.
Blick festhalten?
Lächeln?

Wie zufällig das Glas heben?
Sie war total aus der Übung!
Vor Christian war das anders gewesen.
Da hatte sie es ganz gut drauf!

Aber dann war sie irgendwie in der Zeit hängengeblieben, in Christians Zeit!
Immer, wenn sie den Kopf hob, wenn ihre Augen die gleiche Richtung nahmen, sah sie seinen Blick.
Unverwandt lag er auf ihr.
Die Unterhaltung plätscherte immer mehr an ihr vorbei.
Hatte er blaue Augen?

Zu den dunklen Haaren?
Vielleicht Kontaktlinsen?
Er bestellte noch ein Wasser.
Trank er keinen Alkohol?

Hatte er schon genug für heute?
War er trockener Alkoholiker?
Sie merkte, dass der Barmann ihn anmachte.
War er schwul?

Das würde wieder mal zu ihrem Glück passen!
Der Barkeeper war es sicher, so wie er Pascal und Jakob gemustert hatte, sie selbst vollkommen ignoriert hatte.

Nein! Er ging nicht auf die Avancen ein, drehte sich ein wenig vom Tresen weg, um seine Ablehnung des eindeutigen Angebotes zu signalisieren.
Dann tat er, wozu sie nicht dem Mut gehabt hatte: Er hob sein Glas in ihre Richtung und lächelte.

Jakob erkannte die zwischenmenschlichen Signale. „Wir gehen dann mal besser! Aber du versprichst uns, keine Dummheiten zu machen, ja?" Er sah sie ernst und freundschaftlich an. „Und du nimmst dir ein Taxi!"

Katharina wollte widersprechen. Nein! Sie konnte hier nicht alleine bleiben! Auf keinen Fall!
Doch dann hörte sie eine Stimme in sich: Und warum nicht? Du bist 28! Warst sechs Jahre mit einem Idioten liiert!
Die Männer verabschiedeten sich mit einem Küsschen auf die Wange. „Genieße es, jung und frei zu sein!" flüsterte Pascal ihr ins Ohr. „Du hast es dir verdient!"

Als die Jungs die Bar verlassen hatten, überfiel Katharina die komplette Panik.
Was hatte sie getan?
Was wollte sie alleine hier?
Flirten?
Den Kerl da drüben anbaggern?
Sich anbaggern lassen?
Und dann?

Außerdem würde er ihr was pfeifen!
Er würde warten, bis es aufhörte zu regnen und zu seiner Frau oder Freundin nach Hause gehen!
Er würde lachen über die Frau, die darauf zu warten schien, dass er zu ihr herüber kam!
Die ihn eine ganze Weile angestarrt hatte!

Er war ja auch zu jung!
Warum sah sie das jetzt erst?
Höchstens Mitte zwanzig!

Gut, sie sah viel jünger aus, das hatte man ihr schon oft gesagt!
Eltern, deren Kinder sie behandelte, hatten oft geglaubt, sie wäre eine Studentin oder Praktikantin!

Bis sie das Namensschild gelesen hatten: Dr. Dr. Katharina von Arnfeld. Sie hatte sowohl in Pädiatrie als auch in Kinderpsychiatrie eine Doktorarbeit geschrieben, ein Umstand, der ihre Mutter mit ihrer Berufswahl ein wenig mehr versöhnte.
Das kam in der Gesellschaft gut an!

Aber was sollte sie jetzt tun?
Löcher in die Luft starren?
Noch einen Drink bestellen?

Da sah sie, dass der Unbekannte sein Wasserglas nahm und in ihre Richtung zu kommen schien.
Ein hübsches Lächeln! dachte sie und konnte den Blick um nichts auf der Welt abwenden.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top