Kapitel 37
Kathi
Kathi erwachte auf dem Sofa mit einem Fetzenkater. Zum Glück hatte sie heute noch frei, weil sie eigentlich das Ergebnis der Sorgerechtsverhandlungen feiern hatten wollen. Ihr Vater saß auf einem Sessel.
„Warst du die ganze Nacht hier?" krächzte sie.
Er gab ihr ein Glas Wasser und zwei Tabletten, die sie folgsam schluckte.
„Du hast gestern ordentlich getankt, ich hatte Angst, dass du eine Alkoholvergiftung hast. Aber so lange du geschnarcht hast, war ich beruhigt!" erklärte er lächelnd.
„Ich schnarche nicht!" rief sie entrüstet.
„Nein, nein! Gar nicht! Heute kommt der Zimmerer, setzt neue Balken ein! Die alten sind durch!"
Kathi musste leise lachen, was aber ihrem Kopf nicht gerade gut tat. „Autsch! Witze bitte erst, wenn die Tabletten gewirkt haben!"
„Okay! Frühstück?"
Ihr wurde schon bei dem Gedanken übel.
Übel!
Ja, verdammt übel!
Sie schaffte es gerade noch in die Gästetoilette.
Huch! So blau war sie zuletzt gewesen, als sie erfahren hatte, dass Christian mit seiner Frau, mit der er angeblich nur eine platonische Ehe führte, drei Kinder gezeugt hatte.
Männer!
Sie brachten nur Ärger!
Jetzt hatte sie erst einmal die Nase voll!
Zweimal hatte sie sich verliebt, zweimal endete alles mit einer Riesenenttäuschung.
Verliebt? dachte sie.
Nein!
In Christian war sie verknallt gewesen, nicht mehr.
Und sie wollte gewinnen gegen diese Bitch, die seine Frau war, sie, die Junge, Hübsche, wollte ihn erobern!
Aber Kevin hatte sie geliebt.
Er war ihre Welt gewesen, ihr Universum!
Wieder rollten die Tränen.
Sie hatte ihm so sehr vertraut!
Er war anders als der verlogene Kerl, dem sie sechs Jahre ihres Lebens gegeben hatte.
Doch leise Zweifel stiegen in ihr hoch.
Hatte sie ihm vertraut?
Hatte sie nicht die ganze Zeit mehr oder weniger darauf gelauert, dass er sich von ihr löste, sein eigenes Leben voll und ganz wiederfand?
Hatte sie nicht einen Anteil daran, dass sie sich auseinander entwickelt hatten?
War sie je einen Schritt auf ihn zu gegangen?
Nein!
Sie war stur Kathi geblieben, die erfolgreiche Ärztin, die auf das Jungvolk herabsah, und damit auch auf ihn!
Sie schüttelte die Gedanken aus ihrem Kopf.
Er hatte mit einer anderen Frau geschlafen!
Ausgerechnet mit dieser Bitch!
Er hatte seinen Sohn alleine gelassen, hatte die Nacht mit der anderen verbracht!
Er hatte Schuld, nicht sie!
Kevin
Am Abend konnte Kevin nicht mehr.
Er musste versuchen, sie zu erreichen.
Zitternd rief er ihren Kontakt auf, sah das Foto, das er ganz am Anfang abgespeichert hatte.
Sie sah so süß aus, dass sein Herz sich verkrampfte, dass er um Atem ringen musste.
Er hatte es ihr ein paar Tage später gezeigt, sie hatte gelacht, hatte das Foto auch schön gefunden.
„Dann will ich aber auch eines von dir machen!" hatte sie gefordert, hatte ihm die Klamotten ausgezogen, ein Laken über ihn gelegt, um den Ständer, den er schon wieder hatte, notdürftig zu verdecken.
Er fand wieder in die Gegenwart zurück, tippte auf ihre Nummer. Natürlich ging sie nicht ran!
Trotzdem sprach er auf die Mailbox, er durfte nichts unversucht lassen.
„Kathi, ich bitte dich von ganzem Herzen, sprich mit mir! Natürlich habe ich Mist gebaut, natürlich habe ich Fehler gemacht, und das auch nicht zum ersten Mal! Aber ich habe nicht mit dem Weib geschlafen! Das müsstest du eigentlich wissen! Bitte! Rede ein einziges Mal mit mir! Lass es nicht so enden!"
Dann war die Speicherzeit zu Ende.
Er ging zu Philip. „Können wir die Dateien an Kathis Email-Adresse schicken?" fragte er den Kleinen, der sehr still geworden war.
Der Junge nickte, hatte die Tabellen ruckzuck geöffnet, Kathis Account aufgerufen, sein Werk als Anhang abgespeichert.
Kevin schrieb: „Auch Philip vermisst dich unsäglich!"
Kathi
Kathis Handy klingelte.
Kevin!
Sie sah das Foto, das sie lachend von ihm gemacht hatte, damals, in einem anderen Leben.
Sie sah , dass die Mailbox ansprang, löschte, was immer er darauf gesprochen hatte, ohne eine Sekunde zu zögern.
Am nächsten Tag war sie viel zu früh im Stationszimmer. Sie musste sich in die Arbeit flüchten. Sie fuhr ihren Computer hoch, um Patientendaten einzugeben, prüfte vorher kurz ihre privaten Mails.
Eine neue war angekommen, ohne nachzudenken, öffnete sie sie.
„Auch Philip vermisst dich unsäglich!" las sie und sah, dass drei Anhänge dabei waren.
Ja!
Natürlich setzte er jetzt sein Kind als Druckmittel ein!
Wie unfair!
Aber nicht mit mir!
Doch gegen die Tränen, die ihre Augen verließen, war sie machtlos.
Sie löschte Mail und Anhänge.
Noch immer hörte sie den Schrei des Kleinen in ihrem Kopf.
Aber es würde besser werden!
Sicher!
Irgendwann!
Und Philip würde sie vergessen.
Kinder konnten das!
Die Stimme in ihrer Seele, die laut „Lügnerin!" rief, wollte sie nicht hören.
Kevin
Eine Woche, die letzte des Semesters, hielt Kevin durch.
Er funktionierte an der Uni, schrieb seine Klausuren, beschäftigte sich mit Philip
Er schrieb Kathi unzählige Textnachrichten, sprach die Mailbox voll, schickte Mails.
Nichts! Keine Reaktion!
Keine Antwort!
Nach der letzten Prüfung nahm ihn Max zur Seite. „Du siehst aus wie ein Zombie!"
„Und ich fühle mich noch schlechter!" gestand Kevin ein.
„Hat die Bitch es tatsächlich geschafft, euch auseinanderzubringen?" Max konnte das nicht glauben.
„Scheint so, ja! Viel Hoffnung habe ich nicht mehr!" Schon wieder wurden seine Augen feucht.
„Soll ich mal mit Kathi reden?" fragte Max.
„Nein, danke! Ich glaube nicht, dass das gut ankommen würde, wenn ich Fürsprecher aussende! Meine Mutter und der Freund, bei dem ich wohne, haben auch schon alles versucht. Keiner kommt an sie ran! Sie hat uns alle aus ihrem Leben gestrichen!"
Die Tränen rollten wieder einmal über seine Wangen. Er hatte diese Heulerei so satt, aber er konnte nichts dagegen tun.
Dann begannen die Semesterferien. Drei lange Monate, auf die er sich so gefreut hatte, und die er nun so fürchtete.
Am Abend brach er zusammen.
Er konnte nicht mehr!
Eine Woche lang hatte die Liebe seines Lebens ihn ignoriert, hatte mit keinem der Familie ein Wort gesprochen, war für niemanden erreichbar.
Auch ihr Vater ging nicht an sein Handy, aber das war klar, er stand auf der Seite seiner Tochter.
Die nächsten Tage lag Kevin nur im Bett, aß nichts, trank hin und wieder einen Schluck Wasser, reagierte nicht auf Philips Klopfen, die Türe hatte er abgeschlossen.
Philip hörte auf zu sprechen. Die Angst in seinem Kopf brachte wieder alles durcheinander. Albert war da, Oma Angelika war da, aber sein Papa war weg.
So weg wie Kathi!
Als wieder zu schaukeln anfangen wollte, zu summen, um die Angst zu vertreiben, erinnerte er sich, was Kathi gesagt hatte, als alles noch gut war.
„Du kannst reden, Philip! Du musst uns alles sagen, was dir Angst macht!"
Reden konnte er zur Zeit nicht, aber schreiben!
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