Kapitel 36
Veränderungen V
Alle erhoben sich, gedämpfter Applaus brach los. Alle schlugen Kevin auf die Schulter, doch der bekam nichts davon mit, seine Augen klebten an Kathi, die keine Reaktion zeigte.
Erst als alle den Saal verlassen hatten, erhob sie sich und ging auf ihn zu. Die Kälte in ihrem Blick ließ ihn erschauern.
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen und sagte seelenruhig: „Meinen Schlüssel, bitte!"
Er schüttelte entsetzt den Kopf. „Nein, Kathi! Bitte nicht! Bitte nicht so! Lass uns reden!"
„Worüber? Über den heißen Sex? Den Alkohol? Das Dope?" Noch nie hatte er so eiskalte Worte gehört, noch nie so gefroren.
„Bitte!" wagte er einen letzten Versuch.
„Meinen Schlüssel!" wiederholte sie nur.
Mit zitternden Händen nestelte er ihn von seinem Bund, legte ihn in ihre noch immer ausgestreckte Hand.
„Papa! Kathi!" rief Philip, der in diesem Moment angesaust kam.
Kathi drehte sich wortlos um und ging. Sie konnte dem Kleinen jetzt nicht in die Augen sehen.
Philip sah seinen Papa erstaunt an. „Kathi?" rief er ihr nach. Er wurde lauter. „Kathi?"
Und dann schien er zu begreifen und schrie wie ein verwundetes Tier, während er versuchte, sich von seinem Vater loszureißen. „Kaaathiiii!"
Sie begann zu rennen, wusste, dass sie diesen Schrei nie mehr aus ihrem Kopf bekommen würde.
Sie lief und lief, bis sie sich vor dem Haus ihres Vaters wiederfand.
Noch immer blind vor Tränen fiel sie ihm um den Hals.
„Ist es schlecht ausgegangen?" fragte Gregor entsetzt.
„Neihein!" japste sie. „Aber ... aber ... aber zwischen Kevin und mir ...." Sie schluchzte gequält auf. „ist es aus!"
„Wie? Warum? Ist was bei der Verhandlung passiert?" Gregor verstand gar nichts. In den letzten Tagen hatte es doch wieder so gut ausgesehen zwischen den beiden.
„Er ...er war die ganze Nacht ..... bei einer anderen!" Ein Schluckauf begann sie zu schütteln.
Gregor holte ihr ein Glas Wasser.
„Die Nacht? Die Nacht vor der Verhandlung?" Er konnte das nicht glauben. Der junge Mann hatte diesem Termin so entgegengefiebert! Das passte doch alles nicht zusammen!
„Jetzt setz dich erst einmal hin! Dann erzählst du alles der Reihe nach!" bat er sie.
Kathi ließ sich aufs Sofa fallen. Noch nie hatte sie sich so müde gefühlt! Dann begann sie leise zu reden. Gregor schüttelte immer wieder den Kopf. Das alles war doch nur verrückt!
Wie hatte Kevin das wagen können!
Was ging in diesem doch so klugen Kopf vor?
Glaubte er, er könnte seine Tochter als Punching-Ball benutzen? Er steigerte sich in eine ordentliche Wut hinein.
Doch dann fiel ihm der Junge ein. „Und Philip?"
Sie zuckte die Schultern, der Tränenstrom begann wieder zu fließen. „Er hat so geschrien, als ich weg gegangen bin!" schluchzte sie.
Und dann machte Frau Dr. Dr. Katharina von Arnfeld etwas, das sie noch nie getan hatte. Sie holte sich die Whiskeyflasche aus der Hausbar ihres Vaters und ein Glas, betrank sich systematisch. Sie musste die Stimme eines kleinen Jungen in ihrem Kopf zum Schweigen bringen.
Ihr Vater wusste, dass das auf Dauer nicht helfen würde. Doch heute durfte sie ruhig einmal Vergessen suchen und hoffentlich auch finden.
Kevin stand auf dem Flur vor dem Gerichtssaal, in dem er eben die beste und die niederschmetternste Ansage seines Lebens bekommen hatte.
Er hatte das alleinige Sorgerecht für seinen Sohn - und er hatte Kathi verloren. Er wollte Philip auf den Arm nehmen, doch der boxte ihn, zum ersten Mal im Leben war er nicht der liebevolle Kleine, sondern ein wütendes Monster. „Lauf!" schrie er ihn an. „Hol sie wieder! Lauf!"
Kevin hielt ihn fest, versuchte mit ihm zu sprechen. Doch sein Sohn fing an, auf und ab zu schaukeln, dann zu summen, fiel in alte Verhaltensweisen zurück.
„Ich hole sie ja zurück! Aber nicht heute! Heute ist Kathi böse auf mich, sehr böse!" erklärte Kevin.
Philip beruhigte sich wieder. „Du warst böse!" knallte er seinem Vater hin. „Wir haben gewartet und gewartet! Kathi hat immer wieder angerufen, ist immer trauriger geworden, weil du so böse warst! Und du stinkst! Du stinkst nie!" Er hatte seinem Vater eine ganze Menge zu sagen. „Und du hast mich alleine gelassen! Kathi nicht!"
Kevin spürte, dass er mehr nicht mehr aushalten würde. „Philip! Lass uns nach Hause gehen! Ich werde versuchen, alles wieder gut zu machen! Aber auch Papas machen Fehler, und es tut mir wirklich unendlich leid!"
Sie fuhren mit dem Bus. Albert war schon weg, und sein eigenes Auto stand wohl noch an der Uni. Er glaubte nicht, dass er damit zu Josie gefahren war. Nicht nach dem Filmriss!
Er wusste nur noch, dass er an diesem verdammten Joint gezogen hatte, der ihn wohl zusammen mit dem Alkohol ausgeknockt hatte. Aber wie hatte sie ihn in ihre Wohnung geschafft? Und warum? Die Kleine war vollkommen verrückt.
Von Anfang an wollte sie seine Beziehung zu Kathi zerstören. Er hätte seine Freundin mehr verteidigen sollen, hätte Josie in ihre Schranken verweisen sollen, aber er hatte das Alles nicht ernst genommen. Er gehörte zu Kathi, das war für ihn immer klar gewesen.
Aber vor allem hätte er gestern nicht trinken sollen.
Und wenn es schon unbedingt sein musste, dann zu Hause, bei ihr. Sie hätte sicher nichts dagegen gehabt, wenn er mal ein Glas Wein getrunken hätte:
Jetzt sah es natürlich so aus, als würde er heimlich mit Josie saufen, und nicht nur saufen!
Heißen Sex! Die Kleine war so was von gehässig! Und blöd! Er hätte in dieser Nacht sicher keinen hochgebracht, auch wenn er an ihr interessiert gewesen wäre!
Er musste das Kathi so erklären. In ein paar Tagen, wenn sie sich etwas beruhigt hatte.
Wenn sie wieder bereit war, mit ihm zu sprechen.
Sie konnte ihn doch nicht wegschicken, ohne einmal mit ihm zu reden!
Vollkommen verwirrt kam er zu Hause an, Philip war schweigsam geworden.
Albert öffnete seinem Sohn strahlend die Türe, erschrak aber, als er sein schneeweißes Gesicht sah.
„Was ist passiert?" Kevin schüttelte nur den Kopf, ging in sein Zimmer.
Philip baute sich vor dem Opa auf und ließ seinen ganzen Frust heraus. „Kathi ist weggelaufen, weil Papa böse war. Er hat die ganze Nacht gelernt, ist nicht nach Hause gekommen und nicht an sein Telefon gegangen. Kathi war traurig! Und Papa stinkt!"
Das war etwas, das er überhaupt nicht verstehen konnte. Der Papa hatte immer gesagt, er muss duschen, muss immer frische Kleider anziehen. Und der Papa hat auch immer so gut geduftet, aber nicht so gut wie Kathi. Warum stank er heute so?
Albert klopfte an Kevins Zimmer. „Lass mich in Ruhe!" kam tränenerstickt zurück.
Der Ältere öffnete trotzdem. „Nein! Das werde ich nicht tun! Was ist passiert? Da war mehr als Lernen, wie Philip erzählt hat, oder?"
Kevin warf sich im Bett herum, versteckte sein Gesicht im Kissen und schluchzte nur. Albert schmerzte das Leid seines Sohnes unendlich.
Wenn er nur helfen könnte.
Wenn er ihn einfach in den Arm nehmen könnte.
Aber so saß er nur vollkommen hilflos am Bettrand.
Schließlich beruhigte sich Kevin etwas. Die Nähe des väterlichen Freundes tat ihm gut. Er fühlte sich nicht so grenzenlos alleine.
Dann begann er zu erzählen, und immer wieder unterbrachen ihn Weinkrämpfe.
„Gib mir meinen Schlüssel! hat sie gesagt, und ihr Blick war eiskalt. Sie wollte nicht mit mir reden, nicht ein einziges Wort konnte ich sagen! Sie ist fertig mit mir! Hat mich schon abgeschrieben! Voll und ganz!"
„Das glaube ich nicht, Kevin!" wandte Albert ein. „Aber stell dir mal die umgekehrte Situation vor: Sie kommt an diesem so wichtigen Abend nicht nach Hause, geht nicht ans Handy, und am Morgen meldet sich ein Kerl und erzählt dir etwas von heißem Sex, den sie zusammen gehabt hatten? Wie hättest du reagiert?"
Kevin dachte eine Weile nach. „Nie und nimmer hätte ich das geglaubt! So ist Kathi doch nicht! Und ich bin auch nicht so, das müsste sie doch wissen!"
Da fielen Albert keine Argumente mehr ein. Der Junge hatte Recht. Sie hätte das nicht glauben dürfen, sie kannte Kevin doch!
Albert ging zu Philip. Der Kleine war sicher auch sehr verstört! Er fand ihn vor dem Computer, eine leere Tabelle war auf dem Bildschirm, doch Philip hatte vergessen, wie er sie ausfüllen wollte. Er sah seinen Opa an, der traurige Blick zerschnitt Albert das Herz.
Er nahm den Kleinen auf seinen Schoß, war froh, dass er nicht wippte und summte wie früher. Er hatte gelernt, anders mit seiner Angst umzugehen.
„Kommt Kathi wieder?" fragte er. Vielleicht konnte der Opa Kathi holen?
Albert entschied sich für Ehrlichkeit. „Ich weiß es nicht, Philip! Papa und Kathi haben sich sehr lieb, und Papa hat einen schlimmen Fehler gemacht, das hast du ja mitbekommen. Wir müssen jetzt halt Geduld haben und abwarten, ob Kathi das vergessen kann! Verstehst du das?"
Der Junge nickte. Da wusste er auch, wie er in die Tabelle füllen würde. Er hatte hundert Felder angelegt und schrieb nun hundert Mal „Kathi".
Dann formatierte er jedes Feld in einer anderen Schrift und Farbe.
Danach öffnete er ein neues Dokument, wiederholte seine Arbeit mit „Kevin".
Und schließlich ein drittes mit „Kathi und Kevin".
Albert ließ ihn alleine, rief unterdessen Angelika an. Sie war auch außer sich über die Trennung, konnte nicht fassen, dass ihr Sohn alles vermasselt zu haben schien.
„Ich reiß ihm den Kopf ab!" schimpfte sie.
„Er leidet genug!" antwortete Albert.
„Das schadet gar nichts!" Ihr Mitleid hielt sich in Grenzen. „Und du bist sicher, dass er mit dieser Tussi nichts hatte?"
„Er schwört Stein und Bein, dass er viel zu weggetreten gewesen war!" antwortete Albert. Er glaubte seinem Sohn.
Sie unterhielten sich noch eine ganze Zeit lang, sie versprach, sich in den nächsten Tagen verstärkt mit um Philip zu kümmern.
„Das ist jetzt das Wichtigste! Dass der Kleine keinen Schaden nimmt!" erklärte sie.
Kevin lag auf dem Bett, starrte ins Leere. Immer wieder durchlebte er die Szene, als sie vor ihm stand und seinen Schlüssel zurückforderte, immer wieder sah er den eiskalten Blick.
Warum hatte sie nicht seine Seite des Ganzen angehört?
Warum hatte sie eine solche Meinung von ihm?
Natürlich hatte er Mist gebaut!
Natürlich hätte er Josie einfach stehen lassen sollen!
Natürlich hätte er mit Kathi über seine Ängste sprechen sollen, und nicht mit diesem Luder!
Aber er war eben auch ziemlich naiv im Umgang mit Frauen, war ihrer Bosheit wohl nicht gewachsen!
Er hatte keine Ahnung, wozu ein Mädchen fähig war, auch wenn er durch die Erfahrung mit Mary klüger hätte werden sollen.
Aber dann war die perfekte Frau in sein Leben getreten, er hatte die Vergangenheit mehr und mehr vergessen.
„Warum, Kathi?" sagte leise vor sich hin. Immer wieder nur: „Warum, Kathi?"
Irgendwann einmal schlief er vollkommen ausgelaugt ein.
Als er aufwachte, lagen neben seinem Kopfkissen drei Computerausdrucke.
Einer mit „Kathi".
Einer mit „Kevin".
Einer mit „Kathi und Kevin".
Wieder schossen ihm die Tränen in die Augen. Ja, Söhnchen! dachte er. Wir müssen daran glauben und hoffen!
Er ging zu Philip, der unruhig schlief. Er nahm seine Hand und streichelte sie, der Junge schien sich zu beruhigen.
Kevin blieb den Rest der Nacht am Bett seines Kindes sitzen, bewachte seinen Schlaf.
Am nächsten Tag schleppte Kevin sich an die Uni. Noch eine Woche, dann waren Semesterferien. Zwei wichtige Klausuren standen auf dem Plan, die würde er wahrscheinlich schaffen, er hatte in letzter Zeit mehr gelernt.
Josie stand vor dem Gebäude, wartete offensichtlich auf ihn. Sie hatte ihre Story gestern noch Max lachend erzählt, hatte das Ganze für einen grandiosen Witz gehalten.
Doch der hatte sie angebrüllt, ob sie denn noch zu retten wäre, wie grottendumm und boshaft sie wäre.
Deshalb wollte sie sich bei Kevin entschuldigen, auch wenn sie alles nicht so tragisch nahm. Als Kevin das Mädchen sah, das er auf der Welt im Moment am meisten hasste, erschrak sie vor seinem Blick.
„Komm noch einmal in meine Nähe, und ich mache dich einen Kopf kürzer! Ich schwöre es dir!" zischte er sie an.
Na dann! dachte Josie. Dann eben nicht!
Max strafte sie mit Nichtbeachtung, als sie sich lächelnd neben ihn setzte. Die anderen Mädels grinsten.
Die beiden süßesten Kerle ließen Josie abblitzen! Wie gut war das denn!
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