Kapitel 28
Die nächsten Monate IX
Eine ganze Zeit später sollte Kevin oft an diese Sätze seines väterlichen Freundes denken.
Doch heute ging er zufrieden mit sich und der Welt schlafen.
Er hatte Pläne für den nächsten Tag, dachte kurz an sein Date, nahm die Erregung, die in ihm aufstieg, wenn er an seine Süße auf dem Hochsitz dachte, hin, schickte ihr noch ein paar liebevolle Gedanken und schlief lächelnd ein.
Am nächsten Tag machte er eine Stunde früher Schluss. Albert brauchte zum Glück sein Auto auch am Abend nicht. Mit dem Allrad könnten sie ein Stück den Waldweg entlang fahren, so lange er nicht gesperrt war und mussten nicht so weit laufen.
Aber bevor er Kathi abholte, musste er noch etwas vorbereiten.
Dann stand er vor ihrem Haus, aufgeregt wie ein Teenager, der zum ersten Mal ein Mädchen ausführte. Er genoss dieses Gefühl, hatte es ja nie erlebt!
Kathi war wieder einmal durch den Tag geflogen. Monika, Pascal und Jakob freuten sich wie jeden Tag, an dem sie Dienst hatte, über die junge Ärztin.
Die drei wussten, dass die Liebe die Kölnerin so zum Strahlen brachte, aber sie hielten dicht, machten in der Klinik auch keine Anspielungen – was Kathi dankbar registrierte.
Der Chefarzt beglückwünschte sich mindestens einmal pro Woche für seine gute Wahl.
Eltern wie Kinder liebten sie, auch wenn sie durchaus nicht pflegeleicht war. Sie sprach Versäumnisse von Erziehungsberechtigten offen an, bei Fällen von häuslicher Gewalt schaltete sie gnadenlos das Jugendamt ein.
Sie war die Kämpferin für die Rechte von Kindern, und das war gut so!
Sie machte Überstunden, wenn es unumgänglich war, aber sie war kein Workaholic. Manchmal fragte er sich, ob es einen Mann an ihrer Seite gab, aber es schien nichts darauf hinzudeuten. Allerdings wich sie vorsichtigen Fragen dahingehend auch immer geschickt aus.
Ob sie Frauen bevorzugte? Es wäre kein Problem für ihn, aber es wäre schade für die Männerwelt.
Um zwei war ihr Dienst zu Ende, sie schaute noch schnell bei ein paar ihrer Sorgenkinder vorbei, wechselte einige aufmunternde Worte mit bekümmerten Eltern. Dann fuhr sie nach Hause, legte sich ein paar Stunden hin, schlief aber nicht, träumte lieber von Kevin.
Was wohl aus ihrer Geschichte wurde?
Würde er ihren Vater kennenlernen wollen?
Würden sie zusammenbleiben?
Würden sie sich auseinander entwickeln?
Wenn er studierte, – und für sie war das ziemlich sicher –, würde sie ihn verlieren an ein junges Mädchen?
Tränen stiegen ihr in die Augen.
Sie hatte wie er keine Erfahrung mit Beziehungen, denn die Geschichte mit Christian konnte man ja absolut nicht als eine solche bezeichnen.
Würde die Leidenschaft einschlafen, so wie sie es immer las?
Würde die Liebe, die sie zweifellos im Moment fühlten, überleben?
Würden sie eines Tage vor einem Scherbenhaufen stehen und finden, dass es besser sei, sich zu trennen?
Wie so viele Paare, die himmelhochjauchzend verliebt gewesen waren und sich eines Tages nichts mehr zu sagen hatten?
Stopp! mahnte sie sich. Nimm, was du heute hast, zergrüble nichts! Es kommt sowieso wie es kommen muss!
Arbeite an der Beziehung, aber zergrüble sie nicht!
Schließlich stand sie auf und zog sich um. Dann aß sie zwei Schnitten Brot, trank eine Tasse starken Kaffee, so wie sie ihn liebte.
Das war einer ihrer Diskussionspunkte! dachte sie lächelnd.
Kevin hatte Kaffee am liebsten, wenn nur eine Bohne durchs Wasser geschossen wurde, wie sie es immer ausdrückte.
Sie dagegen mochte ihn heiß und stark.
Da läutete es auch schon. Sie drückte auf den Knopf der Sprechanlage. „Willst noch rauf kommen?" fragte sie.
„Nein!" kam es zurück. „Du siehst sicher entzückend aus, und das würde unser Date in Gefahr bringen!"
Lachend griff sie nach ihrer kleine Tasche und flitzte hinunter. Mit Komplimenten hatte er es schon drauf, ihr Hübscher mit den gefährlichen blauen Augen. Die Jungs, die sie vor Christian gekannt hatte, waren da eher zurückhaltend.
„Heißer Käfer!" oder „Geile Braut!"- mehr Worte hatten sie nicht für nötig befunden, sie ins Bett zu kriegen.
Christian hatte sie dann als Gentleman umworben, der sehr schnell zum Normalo mutiert war. Lange Jahre hatte sie sich eine Verliebtheit eingeredet, auf beiden Seiten, die es wohl nie gegeben hatte.
Von seiner Seite war alles eine einzige Lügengeschichte gewesen, von ihrer Seite der Wunsch, den ewigen Verkuppelungsversuchen ihrer Mutter zu entkommen. Wenn sie erst einmal den Chefarzt als zukünftigen Ehemann präsentieren konnte, würde sogar Alma zufrieden sein.
Doch dazu war es zum Glück nie gekommen.
Statt dessen fing sie ein umwerfender Typ auf, als sie durch die Haustüre lief, der ihre Hormone mit einem Wort, einem Blick, einer Berührung mehr durch ihren Kreislauf rasen ließ, als sie es je für möglich gehalten hatte.
Er küsste sie erst einmal eine Ewigkeit – wie sie seine Küsse liebte – , dann hielt er sie ein wenig von sich weg.
„Nett!" kommentierte er den umwerfenden Anblick, der sich ihm bot.
Er öffnete ihr grinsend die Beifahrertüre, verbeugte sich leicht. „Schönheit! Nimm bitte Platz!"
Er versuchte, nicht auf die endlosen Beine zu blicken, von denen der kurze, weite Rock eine ganze Menge sehen ließ. Auch nicht auf die fast durchsichtige Bluse, die den roten BH, sein Lieblingsteil, erahnen ließ.
Vielleicht trug sie unter dem Rock diesen höchst gefährlichen roten Slip? dachte er, während er den Gang krachend einlegte. Aber nein, den hatte er ja vor ein paar Tagen zerrissen, weil er ihn ihr nicht schnell genug hatte ausziehen können!
Er musste einen neuen kaufen!
Er war beinahe im Stadium der Schnappatmung, aber sie hatten noch ein paar Kilometer vor sich.
Er hatte seine Beherrschung ziemlich überschätzt. So lange Philip dabei war, klappte das immer ziemlich gut. Aber alleine mit ihr im Wagen, auf dem Weg zu einem sehr heißen Rendezvous, sah die Sache schon anders aus.
Dann endlich hatten sie den Wanderparkplatz erreicht. Galant half er ihr wieder aus dem Wagen, und musste sie endlich wieder einmal küssen - die Fahrt hatte sicher zwanzig Minuten gedauert.
Er legte seinen Arm um ihre Taille, sie den ihren um seine. Engumschlungen erreichten sie den ersten Hochsitz.
Sie sah ihn fragend an, als er daran vorbeiging.
„Der dritte ist größer!" erklärte er grinsend.
„Ah! Ein Fachmann für Hochsitze!" antwortete sie lachend.
Das kannst du annehmen, Baby! dachte er aufgedreht.
Am übernächsten Bauwerk hielt er schließlich an, stieg hinauf und half ihr die steile Leiter hinauf.
Er zückte ein Feuerzeug und zündete eine Kerze an.
„So ganz will ich auf deinen Anblick nicht verzichten!" raunte er in ihr Ohr.
Im Kerzenschein erkannte sie ein paar Kissen, eine Decke, eine kleine Vase mit einer roten Rose und eine Kühltasche.
„Du bist verrückt, Berger!" stieß sie mit Tränen in den Augen hervor.
„Klar! Nach dir! Voll und ganz und total!" Er küsste sie wieder voller Zärtlichkeit.
„Das hast du alles hierhergeschleppt?" fragte sie, während sie sich an ihn presste.
„Natürlich! Ich kann doch meine Prinzessin nicht auf diesem rauen Holzboden lieben!" flüsterte er.
Dann war es erst einmal genug mit Reden. Er fing an, sie in den Himmel zu streicheln. Unter ihrem Rock fanden seine Hände nicht den Hauch eines Slips.
„Kleines Biest!" stöhnte er. „Gut, dass ich das im Auto nicht gewusst habe!"
Sie kicherte, und alles war zu spät. Er drückte sie in den Kissenberg und endlich konnte er in sie eindringen. Wann er seine Jeans losgeworden war, wusste er nicht mehr.
Sie liebten sich bis in den Sternenhimmel, der noch nicht zu sehen war, den sie aber sicher in dieser magischen Nacht noch bewundern können würden.
Verschwitzt, trotz der schon kühlen Herbstnacht, hielten sie sich im Arm, beruhigten Atem und Blutdruck.
Er zog die Decke über sie und holte aus der Kühltasche einen Piccolo für sie, ein Wasser für sich und eine Dose mit liebevoll vorbereiteten Schnittchen im Miniaturformat.
Sie stießen an, fütterten sich, neckten sich, küssten sich und liebten sich noch einmal langsam und zärtlich.
Kathi glaubte zu träumen. Sollten sie je Schwierigkeiten oder Probleme miteinander haben, würde sie sich an diese Nacht erinnern.
Kevin war mehr als selig. Er hatte es gut hingebracht, sein Mädchen war glücklich! Und so würde es bleiben! Nichts und niemand würde ihm dieses Glück jemals wieder wegnehmen!
Er würde um diese Frau kämpfen mit allen Mitteln, sein Leben lang!
Da hörten sie Schritte, Blätter raschelten, jemand kam die Leiter herauf. Sie hielten die Luft an.
Wenn sie jetzt entdeckt würden, könnte das sehr peinlich werden.
Eine Taschenlampe blendete sie.
„Mach die Funzel aus!" beschwerte sich Kevin.
Der Eindringling fiel vor Schreck beinahe rückwärts hinunter, hielt sich gerade noch an den Griffen fest.
„Sorry!" stammelte er. „Lasst euch nicht stören!"
„Hatten wir nicht vor!" meinte Kevin abgebrühter als er sich fühlte.
„Schon besetzt, Schatz!" hörten sie, dann zog das andere Liebespaar von dannen.
Lachend hielten sie sich im Arm.
Sie zogen sich an, saßen unter der Decke am Eingang des Holzverschlages, sahen in die Sterne.
„Ich denke, du solltest das mit dem Studium in Angriff nehmen!" sagte sie schließlich.
Er lächelte sie an. „Ich denke das auch! Irgendwann! Aber es ist gut zu wissen, dass du dahinterstehen würdest!"
„Aber warum nicht jetzt? Warum warten?" fragte sie.
Sein Blick ging wieder in Ferne. „Es ist gerade alles so gut in meinem Leben! Ich habe Angst, etwas zu verändern!" gestand er nach einer Weile.
Sie kuschelte sich enger an ihn. Sie würde nicht weiter in ihn dringen. Es war sein Leben, und er hatte es bisher super hinbekommen. Er sollte nicht glauben, dass er ihr zuliebe etwas tun musste, dass sein Job in ihren Augen minderwertig war, dass er minderwertig war.
Er war ein großartiger Mensch, ein großartiger Vater und sie liebte das Leben mit ihm.
Kevin war froh, dass sie sich mit seiner Antwort zufrieden gab. Er fühlte wirklich so, wie er es gesagt hatte. Alles Glück dieser Welt war in den letzten Wochen über ihm ausgeschüttet worden, und im Moment wollte er dieses Glück einfach nur festhalten.
Vielleicht zum Sommersemester? Vielleicht hatte er bis dahin gelernt, an eine anhaltend positive Zukunft zu glauben.
In tiefster Dunkelheit, nur erleuchtet von ihren Handy-Taschenlampen, machten sie sich Arm in Arm auf den Weg zurück. Kevin stütztesie, trug sie fast, damit sie nicht stolpern konnte.
Die Sachen, die er vorbereitet hatte, ließen sie zurück, er würde sie morgen holen, hoffen, dass der Jäger sie nicht inzwischen gefunden hatte.
Und wenn, war es auch nicht schlimm. Was waren schon ein paar Kissen, eine Decke und eine Kühltasche gegen das Gefühl dieser Nacht, dieser magischen Nacht.
Nur die Rose nahm sie mit. Sie würde sie pressen – als Erinnerung an die schönste Nacht ihres Lebens.
Vor ihrem Haus verabschiedete er sich von ihr. Sie musste noch ein paar Stunden schlafen.
„Danke!" sagte sie leise, als er sie im Arm hielt.
„Danke!" antwortete er und fuhr schnell weg, bevor seine guten Vorsätze sich in Luft auflösten.
*
Einen Monat später stand Kathi am Bahnhof und wartete auf den Zug aus Köln. Ihr Vater würde wahr und wahrhaftig kommen.
Als die Waggons einfuhren, hielt sie Ausschau, hätte ihn beinahe nicht erkannt. Seine Haare waren deutlich länger als gewohnt, ein leichter Bartschatten ließ ihn sehr verwegen aussehen.
Den Maßanzug hatte er gegen eine moderne Jeans getauscht, anstelle des obligatorischen weißen Hemdes trug er ein schickes Sweatshirt und eine Lederjacke.
Er lief auf sie zu, nahm sie in die Arme, wirbelte sie durch die Luft.
„Hallo, schöne Tochter!" rief er freudig aus.
Sie sah ihn schelmisch an. „Wer sind Sie denn? Und was haben Sie mit meinem Vater gemacht?"
Gregor küsste sie auf beide Wangen.
Hatte er das jemals vorher gemacht?
Plötzlich erinnerte sie sich an einen zärtlichen Vater, der sie im Arm gehalten hatte, als sie so etwa vier oder fünf Jahre alt war. Und an eine keifende Frauenstimme: „Gregor? Kommst du bitte? Was soll ich heute zu den Wagners anziehen?"
Sie dachte an Kevin und seine falschen Erinnerungen. War es ihr ebenso ergangen?
Hatte ihr Vater sie geliebt, und sie hatte es vergessen?
War es durch die Worte ihrer Mutter überlagert worden?
Bei ihm war es die Liebe der Mutter, die er irgendwann einmal nicht mehr wahrgenommen hatte, bei ihr die des Vaters.
Bei einem starken Kaffee, den er liebte wie sie, in ihrer Wohnung berichtete er für sie Unglaubliches im Schnelldurchlauf.
„Dein letztes Gespräch mit deiner Mutter hat mir endgültig die Augen geöffnet und mir meinen Weg gezeigt. Böser Finger! hast du sie genannt, und du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.
Ich hatte schon lange die Nase gestrichen voll. Als du aus Köln weggegangen bist, gab es für mich keinen Grund mehr zu bleiben. Ich bin als CEO zurückgetreten, ich hatte einen guten Nachfolger aufgebaut, dem auch der Aufsichtsrat sein Vertrauen ausgesprochen hat.
Die Scheidung läuft, sie kann haben, was immer ihre Anwälte fordern, Geld ist genug da.
Ich werde mir hier in deiner Stadt ein Haus suchen und ein Unternehmen gründen, das sich mit umweltfreundlichen Energien befasst. Gewinne brauche ich nicht mehr zu machen, aber etwas, das bleibt, kann ich damit schaffen."
Kathi konnte gar nicht so schnell zuhören, wie er sprach. Sie sah seine leuchtenden dunklen Augen, die er ihr vererbt hatte. Er war noch immer ein schöner Mann, aber endlich war er auch ein lebendiger Mann. Er sprühte vor Energie und Lebensfreude.
„Mein Gott! Ich kann das alles noch gar nicht fassen!" antwortete sie schließlich total geflasht. „Scheidung? Wie hat sie denn reagiert?"
„Schlimmer, als du es dir je vorstellen könntest! Sie hat so ziemlich jedes Geschirrteil nach mir geworfen, mich mit allen Schimpfwörtern belegt, die es je in irgendeiner Sprache gegeben hat. Aber es war mir egal! Ich habe ruhig weitergepackt und bin gegangen. Danach haben sich nur die Anwälte miteinander auseinandergesetzt. Ich bin ins Jagdhaus in der Eifel gezogen, habe Pläne gemacht, für mein Leben, mein eigenes Leben. Und ich wusste, ich will es in deiner Nähe verbringen, endlich einmal!"
Sie bestellten Essen bei einem Lieferdienst, quatschten den ganzen Nachmittag lang. Er hatte ihr so viel zu sagen.
Wie sehr er unter dieser Ehe gelitten hatte, wie sehr er vor allem seine kleine Tochter immer vermisst hatte, die Alma ihm konsequent entfremdet hatte.
Was sie ihm alles ganz subtil angetan hatte.
Sie berichtete von ihren ständigen Angriffen, ihrem Niedermachen, ihrer Nichtbeachtung.
Und dann erzählte sie von Kevins Mutter, als sie Marmelade gekocht hatten, von den Fragen nach ihrer Familie.
Sie nannte Angelika eine gute Freundin, hatte aber das erstickende Gefühl, Kevin zu verraten.
Außerdem wuchs die Sehnsucht nach ihm immens mit jeder Stunde, die verging.
Sie genoss natürlich die ungewohnte Nähe zu ihrem Vater, aber Kevin fehlte ihr sehr.
Er sollte hier sein, sollte ihre Familiengeschichte kennenlernen, wie sie die seine kannte.
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