Kapitel 27
Die nächsten Monate VIII
Philip stürmte in Alberts Wohnung, stellte ihm ein Glas Marmelade hin. „Philip gepflückt, Oma Angelika gekocht!" verkündete er platzend vor Stolz.
Albert lachte. „Na! Ihr seid ja von der schnellen Truppe!" Er fühlte einen kleinen eifersüchtigen Stich. So würde es in Zukunft wohl immer bleiben. Die drei und Angelika waren eine Familie, er war der Freund, vielleicht irgendwann einmal willkommen, vielleicht auch nur geduldet!
Kathi fühlte seinen leichten Schmerz, das Lächeln, das er dem Kleinen schenkte, erreichte seine Augen nicht. Sie wunderte sich ein wenig. Seit diesem Termin war der Hagestolz etwas sehr sentimental. Ob er doch krank war?
Oder etwas erfahren hatte, das ihn nachdenklich machte?
Sie teilten die Gläser auf. „Vier für Dr. Kathi, 12 für die Männer!" entschied Philip. Die Erwachsenen sahen ihn mit offenem Mund an. Dann begann Kevin brüllend zu lachen. „Sag jetzt nicht, dass du auch rechnen kannst!" japste er. „Das kannst du nämlich nicht von mir haben!"
Philip sah ihn schelmisch an. „Vom Computer!" erklärte er. Er nahm seinen Block, den er kaum noch benutzte, schrieb auf, um seinem Vater Nachhilfeunterricht in Mathematik zu geben.
16 Gläser geteilt durch 4 Menschen macht 4 Gläser für jeden.
3 Männer mal 4 Gläser sind 12 Gläser für die Männer.
Kevin schüttelte nur den Kopf, sah Kathi fragend an. „Er scheint mehr als eine Inselbegabung zu haben!"
„Oder er hat einfach deine Intelligenz geerbt und wurde bestens gefördert!" stellte sie fest.
Das war das größte Kompliment, das er je bekommen hatte.
Er hatte bei seinem Sohn alles richtig gemacht!
Er zog sie an sich. „Dankeschön!" flüsterte er, und seine Stimme klang etwas belegt.
„Bitteschön!" antwortete sie.
Dann musste sie nach Hause. Die Trennung fiel wie immer schwer, hatte aber auch ihren Reiz. Dadurch, dass sie in zwei Haushalten lebten, sich trafen, wie es seine Arbeit und ihre Dienste zuließen, ohne Verpflichtungen des Alltages, hatten sie das Gefühl der prickelnden Sehnsucht und Leidenschaft wie am ersten Tag erhalten.
Die Luft brannte immer und überall zwischen ihnen, eigentlich jeden Tag mehr.
„Vergiss unser Date morgen nicht!" erinnerte er sie, als er sie an ihrem Auto noch ein dutzend Mal geküsst hatte. „Ich hole dich um sechs ab. Und zieh einen Rock an!"
Sie musste kichern, gottergeben sandte er einen Blick nach oben. Das würde wieder eine schwierige Nacht werden!
„Und du?" fragte sie aufgedreht, presste sich an ihn, fühlte seine Erregung.
„Mit einer Jeans werden wir schon fertig! Und jetzt hau ab, du Biest!" Er winkte ihr nach, so lange sie ihn im Rückspiegel sehen konnte.
Dann stieg ein rundum glücklicher junger Mann die Treppen hinauf, versuchte, sich etwas abzuregen, versuchte, nicht zu sehr an ihre Lippen zu denken, die er gerade so genossen hatte.
Er küsste sie so verdammt gern!
Oben fand er einen strahlenden Albert mit Philip auf dem Schoß, die gerade ein Glas Marmelade auslöffelten.
„Hört ihr auf!" schimpfte er. „Philip! Dir wird doch schlecht!"
Folgsam legte der Kleine den Löffel weg. Was Papa sagte, musste er machen. Immer!
„Das meiste habe ich gegessen!" erklärte Albert. Er hatte gerade eine schöne Vision gehabt. Er und Angelika waren mit Kevin im Wald gewesen, hatten danach zusammen in der großen Hotelküche Marmelade gekocht.
Was für ein schönes Leben hätten sie haben können!
Aber das Geschenk, das er mit 66 bekommen hatte, würde er festhalten!
Kathi trällerte glücklich, als sie zu Hause ankam, meldete sich glücklich, als das Handy klingelte, sah gar nicht aufs Display.
Es war sowieso ihr Hübscher!
Doch die Stimme ihrer Mutter riss sie aus dem Glücksrausch.
„Katharina! Hast du getrunken?"
Es verschlug ihr erst einmal die Sprache. „Getrunken? Es ist sieben Uhr!"
Was allerdings bei der Mutter nie ein Ausschlusskriterium für Alkoholkonsum gewesen war, wie sie sich erinnerte.
„Warum führst du dich dann so auf?" fuhr Alma sie an.
Kathi atmete tief ein und aus. So lief jedes Gespräch ab.
Vorwürfe, Angriffe – dann kam die besorgte Mutterrolle.
„Weißt du was, du böser Finger? Du kannst mir den Buckel runterrutschen!" schrie sie und legte auf.
Es reichte!
Hatte sie im Hintergrund die Stimme ihres Vaters gehört?
Hatte er gelacht?
Kurz darauf meldete das Display: Gregor von Arnfeld.
„Hallo?" Sie war nun doch etwas überrascht.
„Hallo, Kathi! Das war gut eben! Und absolut notwendig! Wir beide werden uns in Zukunft wehren! Sie hat uns lange genug wie Schoßhündchen gehalten! Ich komme dich bald besuchen, wenn es dir Recht ist!"
Kathi hatte bei seiner langen Rede, der längsten, die er bei ihr je gehalten hatte, die Luft angehalten, atmete tief ein.
„Ja! Ja, natürlich ist mir das Recht!" antwortete sie etwas gehetzt.
„Gut!" Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. „Ich freue mich! Wir telefonieren noch. Ich fahre mit dem Zug, vielleicht kannst du mich abholen?"
„Ja, klar, sicher!" stammelte sie. „Und – ich freue mich auch! Sehr sogar!"
Nach dem Gespräch war sie erst einmal baff. Hatten irgendwelche Wellen das Gespräch von heute Nachmittag mit Angelika zu ihrem Vater getragen?
Oder, warum rief er gerade heute an?
Ihr Vater würde sie besuchen? Die ganze Tragweite dieser Aussage war kaum zu verarbeiten. Der CEO eines Weltunternehmens kam eben mal so bei seiner Tochter vorbei?
Und mit der Bahn?
Nicht mit dem Privat-Heli?
Nicht mit dem Ultraleicht-Flugzeug?
Nicht einmal mit der Limousine, vom Chauffeur gesteuert?
Mit dem Zug, wie ein Mensch aus Fleisch und Blut?
Da läutete das Handy wieder. Dieses Mal war es Kevin.
„Ich hoffe, meine süße Frau Dr. Dr. hat nicht mit einem anderen Mann telefoniert!" zog er sie auf.
„Doch!" antwortete Kathi noch immer etwas neben der Spur. Sie berichtete ihm von dem Telefonat, besser von den Telefonaten.
Er hörte staunend zu. Sie hatte ihrer Mutter endlich einmal die Meinung gesagt, ihr Vater würde sie besuchen!
„Toll, Süße! Toll gemacht, und toll, dass dein Vater dich besuchen wird!" freute er sich.
„Ja! Ja schon! Aber warum jetzt gerade?" wunderte sie sich.
Er lächelte vor sich hin. „Das habe ich mich in den letzten Wochen so oft gefragt, Kathi! Warum wird jetzt auf einmal alles so gut? Und weißt du, was ich denke? Das Schicksal hatte einen ganz bestimmten Plan mit uns! Wir sind gut füreinander!"
Die Tränen rollten über ihr Gesicht. „Ja, Kevin, das glaube ich auch!"
„Gut! Dann schlaf jetzt, um 5 ist deine Nacht zu Ende! Und träum von mir!" Er schickte noch einen Kuss durch den Äther, den sie erwiderte.
Lange stand er bewegungslos in seinem Zimmer.
Ja! Sie waren gut füreinander!
Dann spielte er noch eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht mit Philip. Wie immer nahm der Kleine drei Farben und er eine, wie immer gewann sein Sohn.
Da schoss Kevin eine Frage durch den Kopf, die er Philip schon lange mal stellen wollte.
„Wie hast du eigentlich lesen gelernt?"
Der Kleine grinste, flitzte in sein Zimmer, kam mit einem Buch zurück.
Kevin erinnerte sich. Das hatte er ihm zu seinem vierten Geburtstag geschenkt, ohne eine Ahnung zu haben, ob sein Sohn etwas damit anfangen konnte.
Mary hatte sich ihren dicken Bauch gehalten vor Lachen. „Ein ABC-Buch für einen Behinderten! Du bist echt noch blöder, als ich geglaubt habe!" hatte sie gekreischt.
Philip hatte sich die Ohren zugehalten, hatte angefangen, mit seinem Körper zu schaukeln. Kevin hatte ihn auf den Arm genommen, wieder aufgefangen. „Lass die dummen Weiber doch quatschen!"
In den nächsten Tagen hatten sie immer wieder die Bilder und die dazugehörigen Buchstaben angesehen.
Philip hatte genickt, wenn Kevin ihm die Worte vorgesagt hatte, als würde er jedes einzelne verstehen.
Und so war es wohl auch gewesen!
Als das erste Buch uninteressant geworden war, hatte Kevin immer wieder andere angeschleppt, die der Kleine nicht aus der Hand legte, bis er sie wohl ausgelesen hatte.
Er hatte das natürlich nicht verstehen können, wie auch? Wer wäre schon auf die Idee gekommen, dass ein Fünfjähriger fließend las und sogar schreiben konnte?
Bis auf seine süße Kathi!
Philip sah ihn aufmerksam an. Wenn der Papa so lächelte, dachte er sicher an Dr. Kathi, die seine Angst weggezaubert hatte.
Als Philip im Bett war, setzte sich Kevin noch ein wenig zu Albert. Seltsamer Weise lief der Fernseher nicht, der Freund schien in Gedanken versunken zu sein.
„Kathis Vater kommt sie besuchen!" begann Kevin.
Albert war erstaunt. „Tatsächlich?" Er hatte ein wenig von dem Familienleben der jungen Ärztin mitbekommen. Vom Vater hatte er nicht sonderlich viel erfahren. Er war ein richtig großes Tier im Wirtschaftsleben, mehr wusste er nicht.
„Hm! Meinst du, sie will, dass er mich kennenlernt? Ich meine, das sind nicht gerade die Kreise, in denen ich mich bewege!" fragte Kevin.
„In diesen Kreisen bewegen sich die wenigsten Menschen!" erwiderte Albert. „Aber es sind nun einmal die Kreise deiner Kathi! Und wichtig ist, wie sie dich sieht, nicht ihr Vater. Außerdem bist du ein toller junger Mann! Wer sollte dich nicht als Schwiegersohn haben wollen!"
Kevin grinste. Schwiegersohn! Davon waren sie noch ein Stück entfernt! Aber es klang nicht einmal schlecht! Er hatte aber keinerlei Erfahrungen mit Beziehungen!
Wie würde das mit Kathi weitergehen?
Würde das Gefühl in ihm bleiben?
In ihr?
Zwischen ihnen?
Würde die Leidenschaft bleiben?
Oder schwächer werden?
Er hatte viel darüber im Netz gelesen, aber im Grunde keine Ahnung!
Würden sie sich auseinanderleben wie so viele?
Würde sie ihn satt bekommen?
Den Lagerarbeiter mit dem losen Mundwerk?
Bisher hatte er das Gefühl, sie würden sich täglich neu ineinander verlieben.
Das war schön, das war irre gut!
Aber was würde in einem Jahr, in zwei, in fünf sein?
Stop! rief er sich selbst zu.
Keine Pläne! Nie mehr!
Nimm das Gute, das du hast, dankbar an!
Warte einfach ab, was kommt!
Tu das Beste, um sie zu halten!
Mit diesem Vorsatz wandte er sich wieder Albert zu.
„Worüber grübelst du eigentlich ständig nach?" fragte er schließlich. Er hatte Albert noch nie so in sich versunken gesehen wie in den letzten Tagen immer wieder einmal.
Der sah ihn offen an, und in seinen Augen bemerkte Kevin so viel Liebe, dass es ihn kurz atemlos machte. „An die Fehler der Vergangenheit, die aber letztendlich keine waren!" antwortete Albert kryptisch.
Kevin sah ihn ernst an. „Ja! Das gibt es! Fehler, die man macht, die sich später als Glücksfälle herausstellen! So wie mit Philip, mir und Mary!"
Albert hielt seinen Blick fest. „Aber es gibt auch Fehler, die nichts Gutes bringen! Die einfach nur dumm und gefährlich sind!"
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