Kapitel 2

Katharina

Katharina war zufrieden.
Noch nicht glücklich, aber sie war auf dem besten Weg dahin.

Heute Abend hatten sie zwei ihrer neuen Kollegen eingeladen, um ein wenig mit ihr um die Häuser zu ziehen.

Ganz ohne Hintergedanken, wie sie versichert hatten.
Beide waren glücklich verheiratet, Pascal Vater von zwei wunderbaren Kindern, von denen er ständig schwärmte.

Sie war froh, dass sie diesen Schritt getan hatte, dass sie ihre Heimatstadt verlassen hatte, um hier in Regensburg, dieser charmanten kleinen Großstadt, neu anzufangen.

In Köln hätte sie auf Dauer wohl nicht überlebt.
Ihre Eltern wollten noch immer über das Leben ihrer 28jährigen Tochter bestimmen, ließen ihr kaum Luft, um zu atmen.

Doch damit hätte sie umgehen können, tat es ja schon lange genug.
Seit sie ihre eigene Wohnung gehabt hatte, seit sie ihre Facharztprüfung geschafft hatte, hatte sie in kleinen Schritten versucht, sich abzunabeln.

Es war nicht so, dass die Eltern aus Liebe geklammert hätten.
Es war ihnen schon immer um Macht gegangen.
Liebe, Elternliebe vor allem, war für sie ein Fremdwort.
Aber die Tochter, Erbin eines riesigen Vermögens, musste dafür nach ihrer Pfeife tanzen.

Die erste harte Auseinandersetzung, die sie geführt und auch für sich entschieden hatte, war, als sie verkündet hatte, dass sie Medizin studieren würde und nicht Wirtschaftswissenschaften.

Dass sie Kinderärztin werden würde und nicht Nachfolgerin ihres Vaters als Chefin des Konzerns, den er aufgebaut hatte.

Die beiden hatten erst eingelenkt, als ihre Freunde sie darum beneideten, eine so begabte Tochter zu haben, die einen so sozialen Weg einschlagen wollte.
Von da an hatten sie mit ihr wieder angeben können: Unsere Tochter, die Medizinstudentin!

Nun hofften sie auf einen Schwiegersohn, der mit Zahlen etwas anfangen konnte.
Der als Nachfolger aufgebaut werden konnte.

Sie versuchten, sie mit jedem Sohn von Geschäftsfreunden zu verkuppeln, der nicht bis drei auf einem der umliegenden Bäume war.
Manch einer hatte sie auch energisch umworben, die Firma ihres Vaters wäre schon eine sehr lukrative Mitgift.

Dazu war sie auch noch wirklich ausgesprochen hübsch, eher sogar eine richtige Schönheit.
Sie hatte während ihres Studiums auch einige Affären mit Kommilitonen gehabt, aber Gefühle waren kaum im Spiel, zumindest auf ihrer Seite.
Gefühle hatte sie erst bei Christian.

Der Oberarzt, der sie während ihrer Zeit als Ärztin im Praktikum betreut hatte, ließ ihr Herz zum ersten Mal flattern.
Dass er verheiratet war, erfuhr sie erst ein halbes Jahr später.

Doch natürlich würde er seine Frau, mit der er eine rein platonische Ehe führte, verlassen wegen ihr.
Natürlich würde er mit ihr zusammenleben.
Natürlich würden sie heiraten und eine Familie gründen.

Durch Zufall erfuhr sie eines Tages nach Jahren, dass er diese Familie so nebenbei mit seiner Frau gegründet hatte, drei Kinder gezeugt hatte während der Zeit mit Katharina.

Es gab einen tränenreichen Abschied, eine noch tränenreichere Versöhnung, einen neuen Abschied, als seine Frau ihm das Messer auf die Brust setzte.
Eines Tage setzte sich Katharina hin und analysierte ihre Gefühle für Christian.
Auf seiner Habenseite kam nicht viel heraus.

Der Sex war eigentlich eine Katastrophe. Anfangs hatte er sich noch etwas um ihre Bedürfnisse gekümmert, aber mittlerweile diente der Geschlechtsakt, wie sie das Ganze nüchtern bei sich nannte, nur noch seiner Befriedigung.

Er hielt sich für den größten Liebhaber aller Zeiten, sie spielte ihm stöhnend Orgasmus nach Orgasmus vor, er verließ sie stets mit stolzgeschwellter Brust.
Er hatte an Gewicht zugelegt, der einst durchtrainierte Körper war ziemlich schwabbelig geworden.

Sie führten kaum noch fachliche Gespräche, zum einen, weil er nie lange genug blieb, zum anderen, weil er sich ihr weit überlegen fühlte und sie immer mehr den Eindruck gewann, dass es gerade umgekehrt war.

Dass er ein Blender war!
Also nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und erklärte ihm, dass sie keine weiteren Besuche mehr von ihm wünschte.

Er lachte sie nur aus. „Und wer wird es dir dann besorgen, meine Kleine?" fragte er mit der ganzen männlichen Überheblichkeit eines Pfaus.
„Vielleicht zur Abwechslung mal ein guter Liebhaber?" haute sie ihm hin.

Das war zwar befreiend gewesen, aber auch ihr größter Fehler.
Sie hatte seinen männlichen Stolz verletzt.
Sie war mittlerweile beruflich abhängig von ihm, war Ärztin an seiner Klinik, und das nutzte er voll aus.

Sie bekam ständig Nacht- und Bereitschaftsdienste aufgebrummt, er stellte bei Colloquien ihre fachliche Kompetenz infrage, machte sie sogar das eine oder andere Mal lächerlich.

Die Kollegen spielten mit, sie war eher eine lästige Konkurrenz auf dem Weg nach oben.
Sie sollte gefälligst heiraten und Kinder kriegen und nicht um Aufstiegsstellen mit ihnen konkurrieren!

Zu ihrer großen Erleichterung las sie nach einigen Wochen die Stellenausschreibung vom Uniklinikum Regensburg, die genau ihrem Ausbildungsgebiet entsprach. Fachärztin für Pädiatrie mit Schwerpunkt auf krankgeborenen Kindern - und Kinderpsychiatrie.

Eine Ausbildung in Kinderchirurgie konnte angeboten werden, wäre erwünscht.
Sofort füllte sie das Bewerbungsformular online aus, schickte es ab, ohne noch weiter nachzudenken, allerdings auch ohne große Hoffnungen.
Eine solche Stelle wäre wie ein Sechser im Lotto!

Umso überraschter war sie, als vierzehn Tage später ein großer brauner Umschlag in ihrem Briefkasten steckte.
Sie wurde zu einem persönlichen Gespräch eingeladen, Reise- und Übernachtungskosten würden erstattet.

Eine Liste der Dokumente, die sie vorlegen sollte, war beigelegt.
„Ein Zeugnis von Ihrer derzeitigen Arbeitsstelle!" Sie stöhnte auf.

Daran hatte sie nicht gedacht!
Das konnte sie dann wohl vergessen!
Hätte sie nur bei Christian ihre Klappe gehalten!

Doch dann erwachte der Kampfgeist in ihr.
Er hatte mehr zu verlieren als sie!

Wenn sie über ihr Verhältnis auspackte, würde es ihm mehr schaden als ihr.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, ging am nächsten Tag in die Höhle des Löwen.
„Ich brauche eine Beurteilung!" begann sie ohne Umschweife. „Ich bewerbe mich weg von Köln!"

Christian sah sie eindringlich an.
Er sollte ihr etwas pfeifen!
Sie hatte ihn ganz schön beleidigt!
Aber andererseits wäre seine Frau wohl sehr beruhigt, wenn die Kleine die Stadt verließ!
„Okay!" sagte er schließlich. „Ich leg sie dir ins Fach!"

Sie atmete auf.
Das war leichter gewesen, als sie befürchtet hatte.
Wortlos verließ sie sein Zimmer.

Sie hatten sich nichts mehr zu sagen.
Das Arbeitszeugnis fiel ausgesprochen positiv aus.
Er hatte wohl ein Interesse daran, dass sie ging.

Das Vorstellungsgespräch in Regensburg verlief gut, man machte ihr große Hoffnungen. Der Professor war menschlich und väterlich nett, die beiden Chefärzte wirkten sehr kompetent, stellten viele Fachfragen.

Fast fühlte sie sich wie bei einem Kolloquium am Ende ihrer Studienzeit.
Doch sie blieb ruhig, wusste, was sie konnte.
Eine Woche später kam die Zusage, eine Liste mit Wohnungen, die zu mieten oder kaufen waren, lag bei.

Sie fuhr noch einmal in die Domstadt, entschied sich für eine Vier-Zimmer- Altstadt- Wohnung. Den Kaufpreis konnte sie praktisch auf einmal bezahlen, die jährlichen Dividenden des väterlichen Unternehmens hatten sie finanziell ziemlich unabhängig gemacht.

Ihre Mutter wollte Einwände dagegen erheben, dass sie wegzog, besann sich aber dann anders. Ihre Freundinnen würden begeistert sein, dass Katharina Karriere in Bayern machte.

Nun war also die erste Woche um, alles erschien ihr wie in einem Traum.
Die Dienste wurden sehr gerecht verteilt, die männlichen Kollegen fürchteten sie nicht als Konkurrenz, freuten sich ehrlich darüber, eine Kollegin bekommen zu haben.

Pascal und Jakob waren Stationsärzte wie sie, sie arbeiteten sehr eng und sehr gut zusammen.
Katharina war am Ziel ihrer beruflichen Wünsche angekommen.

Heute wollten die beiden ihr also ein wenig vom Regensburger Nachtleben zeigen, natürlich mit Zustimmung der Ehefrauen, die sie auch schon kennengelernt hatte.

Sie stand vor dem gut gefüllten Kleiderschrank, ihre Mutter hatte schon immer für eine umfangreiche Garderobe bei ihr gesorgt.

Manche Teile hatte sie noch nicht einmal getragen, die Etiketten hingen noch dran.
Sie entschied sich für eines der vielen kleinen Schwarzen, das passte immer.
Schminken brauchte sie sich nicht, tat sie praktisch auch nie.

Das war ihr viel zu viel Aufwand. Erst die Farbe ins Gesicht klecksen, den ganzen Abend aufpassen, damit nichts verwischte, und schließlich das Ganze wieder mühsam entfernen.

Wofür sollte das gut sein?
Wer sie nicht mochte, so wie sie aussah, sollte eben woanders hinsehen!
Sie weigerte sich auch, diese halsbrecherischen High-Heels zu tragen, in denen sie sich wie ein Storch fühlte.

Halbhohe Pumps mussten genügen.
Ihre Beine waren eben wie sie waren!
Warum sollte sie wem auch immer acht oder zehn Zentimeter mehr vorgaukeln?
Sie sah den Sinn nicht recht ein.

Sie traf sich mit den Jungs in einem französischen Restaurant mit gemischtem Publikum.
Junge flippige Leute und sehr distinguierte Herrschaften saßen an den Tischen, die mit weißem Papier gedeckt waren.

Das Essen war hervorragend, die Stimmung locker.
Sie hatte das Gefühl, die beiden schon ewig zu kennen.

Danach gingen sie in einen Club.
Aber wegen der überlauten Musik waren Gespräche kaum möglich.
Schließlich landeten sie in einer kleinen gemütlichen Bar.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top