Kapitel 14
Kevin
Am nächsten Morgen rief einer der Polzisten bei Kevin an, bat ihn, aufs Revier zu kommen, damit er seine Aussage unterschreiben konnte. Der Chef hatte auch eine Vernehmung des Berger-Bruders angeordnet, sie mussten abklären, ob er von den Dealer-Jobs der anderen gewusst hatte.
Gregor glaubte das zwar nicht, Kevin Berger war noch nie polizeiauffällig geworden, hatte einen festen Job.
Philip stand schon bereit, als er hörte, dass sein Papa wegmusste.
„Möchtest du nicht bei mir bleiben?" fragte Albert. „Das wird sicher langweilig!"
Fragend sah der Junge den Papa an.
„Albert hat recht! Es wäre nicht schlecht, wenn du hierbleiben könntest!" Kevin hatte Angst, dass er einem aus der Familie begegnete, dass Philip auf dem Revier einen Anfall bekam.
Der Kleine stellte sich neben Albert und nickte. „Opa!" sagte er leise und vorsichtig. Das neue Wort gefiel ihm immer besser!
Die Polizisten behandelten Kevin ausgesprochen höflich, boten ihm einen Kaffee an. Er wunderte sich wieder einmal.
Aber er wusste auch, dass er sich verändert hatte, er trug seinen Kopf hoch, fühlte sich nicht mehr als Permanent-Opfer.
Den Beamten war schnell klar, dass der junge Mann nichts mit den Geschäften seiner Brüder zu tun hatte, überhaupt wenig mit der ganzen Sippschaft. Sie bewunderten ihn sogar ein wenig, dass er es geschafft hatte, sich aus diesem Milieu etwas herauszuarbeiten.
„Ich habe eine neue Adresse, vorübergehend zumindest. Ich bin mit meinem Sohn zu Hause ausgezogen. Es ging nicht mehr gut!" erklärte Kevin und nannte die Adresse des Hotels.
„Und wie geht es jetzt weiter?" fragte Gregor, dem die entschlossene ruhige Art imponierte. Da war ja ein Apfel ganz weit vom Stamm gefallen!
„Ich muss mich um das Sorgerecht für meinen Sohn kümmern und ein paar Untersuchungen machen lassen. Einen Termin habe ich schon." erklärte Kevin selbstbewusst.
Gregor stand auf und holte einen Prospekt. „Das ist eine Beratungsstelle. Eigentlich mehr für Frauen, die ihre Männer verlassen wollen. Aber mittlerweile kümmern sie sich auch um Väter!"
„Danke!" brachte Kevin gerade noch heraus und verließ verwundert das Revier. Warum behandelten ihn denn plötzlich alle so zuvorkommend?
Seit wann war er denn nicht mehr der ewige Looser, der niemanden interessierte?
Seit jener Nacht! Er wusste es genau. Kathi hatte ihn vollkommen unvoreingenommen akzeptiert, er hatte eine Nacht lang Kevin, ein ganz normaler junger Mann, sein können.
Gleich vor dem Revier rief er bei der Beratungsstelle an. Eine freundliche Frauenstimme meldete sich, die Empfangsdame hörte sich sein Problem an, stellte einige kluge, kompetente Zwischenfragen, gab ihm einen Termin in einer Stunde.
„Würde das passen?" fragte sie.
„Ja! Ja, natürlich!" stammelte Kevin. So schnell hatte er jetzt nicht mit einem Gespräch gerechnet.
„Gut! Melden Sie sich am Empfang bei mir. Bis dann!" Sie legte auf, Kevin sah verwundert sein Handy an, glaubte, zu träumen.
Schnell wählte er die Nummern von Josef und Albert, bekam von beiden ein freudiges „Okay".
Am Empfang saß ein ausgesprochen hübsches Mädchen, auf dessen Namensschild „Katja" stand.
Sie lächelte ihn an, er sah in ihrem Blick, dass er ihr gefiel. Nun, schaden konnte das in diesem Fall auch nicht.
Sie führte ihn zum Büro der Sachbearbeiterin, wackelte etwas mehr als sonst mit ihrem ansehnlichen Hinterteil, Kevin musste grinsen.
Bisher hatten ihn die Flirtversuche der Damenwelt immer genervt, aber heute fand er sogar daran Gefallen.
Frau Bronner begrüßte ihn ebenfalls freundlich, war von Katja schon in groben Zügen über den Sachverhalt informiert worden.
Sie legte eine Datei mit Kevins und Philips Daten an, tippte alle Informationen in den Computer.
Katja steckte den Kopf zur Türe herein, fragte, ob jemand Kaffee möchte.
„Ein Wasser vielleicht!" bat die Sachbearbeiterin. Kevin schloss sich an. Kurz darauf kam das Gewünschte, Katja beugte sich sehr nahe zu Kevin, als sie die Gläser abstellte.
Paula Bronner musste grinsen. Klar! Der junge Mann war schon ein Sahnestückchen! Wenn sie ein paar Jahre jünger wäre, hätte sie womöglich ähnlich geturtelt und gegurrt!
„Also!" begann sie dann. „Das Hauptproblem ist wohl die Wohnsituation. Ein Hotel ist nicht der Wohnort für einen Fünfjährigen, den ein Familienrichter als angemessen bezeichnen würde. Der zweite negative Punkt ist, dass sie Philip der Mutter praktisch entzogen haben. Ein geschickter Anwalt könnte uns da einen Strick draus drehen. Aber unsere Anwälte sind auch nicht schlecht. Man könnte das Ganze ja als eine Art Vater-Sohn-Urlaub hinstellen, als Abenteuer für den Jungen.
Positiv ist, dass Sie als Erziehungsberechtigter eingetragen sind, dass Sie bezüglich des medizinischen Problems schon tätig geworden sind. Ihr Chef und der Besitzer des Hotels werden sicher für Sie aussagen.
Ist Ihre bisherige Lebensgefährtin finanziell abgesichert, hat sie einen Beruf? Wer bezahlt Miete und Nebenkosten für die Wohnung?" Der Fall lag etwas anders als sonst. Meistens gingen die Frauen mit den Kindern, der Mann war der Versorger, sie mussten um Unterhalt streiten, eine Wohnung für die Frauen und Kinder suchen, die Finanzierung klären.
„Ich bezahle auch weiterhin die Miete, das ist schon klar. Aber Geld hat sie keines, noch dazu, da meine Brüder ja im Knast sind und da wohl eine Weile bleiben werden. Gearbeitet hat sie nie. Zu ihren Eltern hat sie keinen Kontakt!" Kevin rieb sich übers Gesicht.
Er war sicher gewesen, dass Dustin sich um Mary und Selina kümmern würde. Aber der Trottel musste sich ja unbedingt jetzt von der Polizei hopsnehmen lassen.
„Ich wohne zur Zeit kostenlos in diesem Hotel, noch knapp vier Wochen. Und mein Chef hat mir Auslöse bezahlt. Ich könnte ihr schon pro Woche hundert Euro zukommen lassen. Nicht alles auf einmal, sonst ist es nach drei Tagen weg."
„Ich finde das zwar ungerecht, wenn Sie alles eh schon immer alleine stemmen mussten und jetzt auch noch bezahlen, aber es wäre eine Geste, die das Gericht sicher positiv bewerten würde. Die junge Dame müsste eben zeitnah zum Sozialamt gehen und Unterstützung beantragen. Dann wären Sie raus aus der Verpflichtung!"
„Ich weiß nicht, ob sie dazu bereit und auch in der Lage ist." wandte Kevin ein.
Frau Bronner dachte nach. „Vielleicht kann ich einen Sozialarbeiter überreden, mal bei ihr vorbeizuschauen. Vor allem, um zu überprüfen, in welcher Situation das kleine Mädchen lebt. Und Sie sind sicher, dass Selina nicht ihr Kind ist?"
Kevin sah sie offen an, berichtete von dem Gespräch, das er vor Kurzem hatte anhören müssen. „Außerdem ist sie Dustin wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich habe das schon bemerkt, dachte aber, die Gene hätten eine Generation übersprungen, wie bei mir. Ich sehe auch ganz anders aus, als die andren fünf!"
Paula lächelte. „Na! Zum Glück für Mädels wie Katja!" scherzte sie, und Kevin lachte leise.
„Dankeschön!" nahm er das Kompliment gutgelaunt auf.
Paula stand auf, gab ihm die Hand. „Ich denke mal, in einer Woche wissen wir mehr! Ich melde mich bei Ihnen! Alles Gute!"
Da hatte sie noch eine Idee, zu der sie sich beglückwünschte. „Wissen Sie was? Ich bringe ihr die hundert Euro selbst vorbei! Heute noch! Sie haben genug um die Ohren, und ich kann mir ein Bild von der anderen Seite machen!"
Kevin war baff über so viel Hilfsbereitschaft! Er holte einen Schein aus seinem Geldbeutel, legte ihn vor die nette Dame. „Das ist natürlich wunderbar! Danke! Mir war gar nicht wohl bei dem Gedanken, noch einmal dahin zu müssen!"
Und dann sagte sie den Satz, den er seit so langer Zeit einmal hatte hören wollen: „Gern geschehen! Ich denke, Sie sind es wert, dass man Ihnen unter die Arme greift!"
Auf der Straße musste Kevin erst einmal durchatmen. Die Ereignisse überschlugen sich.
Seit – Kathi!
Er musste über die Avancen von Katja lächeln. Sie hatte ihm ihre Nummer zugesteckt, als sie die Gläser abgeräumt hatte. Sie war ein durchaus hübsches Mädchen, schon irgendwie sein Typ. Sie schien auch nett zu sein.
Aber er konnte jetzt keinen Beziehungsstress brauchen, nicht zu all den anderen Baustellen!
Außerdem ist dein Herz nicht frei! hörte er wieder einmal die Stimme in seinem Kopf.
„Nein! Mein Herz ist nicht frei!" antwortete er ihr leise und warf den Zettel in den Mülleimer.
Er raste zur Haltestelle, erwischte den Bus in letzter Minute. Aufatmend fiel er in den Sitz.
Philip begrüßte ihn im Hotel überschwänglich, aber nicht so verzweifelt wie früher, wenn er nach Hause gekommen war.
Albert strahlte über das ganze Gesicht. Er hatte den Tag mit dem etwas seltsamen, aber so liebenswerten Jungen sehr genossen.
„Ich muss noch zur Arbeit!" erklärte Kevin. Eigentlich war er ja fix und alle, vor allem psychisch.
Doch er musste seine Pflicht tun, er brauchte auch die Kohle dringend, wenn er jetzt Mary noch unterstützen sollte. Außerdem konnte er den Chef nicht hängen lassen, nachdem der so großzügig gewesen war.
Also! Kopf hoch! Durchatmen! Mit Philip zur Haltestelle, seinen Job machen.
Da hielt ihn Albert auf. „Hast du einen Führerschein?"
Den hatte Kevin während der Abschlussklasse gemacht, als sein Leben noch vor ihm lag.
Schon damals hatte er bei Josef gejobbt, hatte das seiner Sippe aber nie erzählt. Außerdem hatte er Nachhilfestunden gegeben, vor allem in den Sprachen. Davon konnte er dann die Fahrstunden bezahlen.
Was noch übrig gewesen war, womit er zum Stipendium zuschießen wollte, war für die Kaution und die Wohnungseinrichtung draufgegangen.
„Ja, schon!" Er sah Albert fragend an.
„Ich habe unten eine Karre, die wieder einmal bewegt werden sollte. Ich fahr kaum noch. Ist vollgetankt!" Er sah Philip an. „Und der Kleine kann bei mir bleiben, oder?"
Der Junge nickte. Der Opa war fast so in Ordnung wie der Papa. Er sprach ruhig mit ihm, ließ ihm seine Ruhe, wenn er die brauchte. Und vor allem: Hier war keine schreiende Mama und keine Selina, die ihm immer wieder erzählte, dass er ins Heim kommen würde.
„Ist das wirklich in Ordnung?" fragte Kevin, fühlte sich aber schon ein wenig erleichtert.
„Natürlich! Da sind die Autoschlüssel! Jetzt hau ab!"
Die Karre entpuppte sich als fast neuer SUV einer Nobelmarke. Beinahe hätte Kevin noch abgelehnt, aber ein Auto hin und wieder benutzen zu können, würde sein Leben schon sehr erleichtern.
Anfangs bockte der PS-starke Wagen noch ein wenig, aber bald hatten sie sich miteinander angefreundet.
Er arbeitete abends ein paar Stunden länger, wusste Philip in guter Obhut.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top