Kapitel 13

Die Sippe

Die Brüder saßen in einer Zelle des Untersuchungsgefängnisses.

Der Untersuchungsrichter, der langsam die Nase voll hatte von den fünf Kerlen, die alle paar Monate vor ihm standen, hatte Haft wegen Fluchtgefahr angeordnet. Als hätte er nichts anderes zu tun!

Der Staatsanwalt hatte eine Hausdurchsuchung der elterlichen Wohnung, in der die Typen  meistens hausten und der verschiedenen Löcher, in die sie für ihre Sexualeskapaden immer wieder schlüpften, angeordnet.

 Die Beamten fanden überall eine nicht unbeträchtliche Menge an verschiedenen verbotenen Substanzen, in Dustins Bude einen fünfstelligen Geldbetrag.
Dr. Maier freute sich, den Kerlen endlich mal etwas nachweisen zu können, das sie wenigstens für einige Zeit hinter Gitter brachte. Den Vater nahmen die Polizisten gleich mit, er war sicher in alles involviert.

Dustin rief bei Mary an, erklärte ihr die Lage der Dinge.
„Mein Gott, was seid ihr doch alle für Deppen!" zeterte sie los. „Und was soll ich jetzt machen? Ich habe gerade noch zehn Euro! Die Kleine braucht etwas zu essen!"

„Geh zu meiner Mutter! Vielleicht hat sie etwas zur Seite gebracht!" schlug Dustin vor.
„Die Schnapsdrossel? Die weiß doch gar nicht, was für ein Tag heute ist!" schrie sie weiter.

Aber sie wusste, dass das die einzige Chance war. Oder sie nahm die Avancen des Kioskbetreibers an, der sie schon ein paarmal angemacht hatte, wenn sie Zigaretten holte. Vielleicht ließ der ein paar Scheine rüberwachsen.

Zuerst lief sie ein paar Straßen weiter zu Kevins Mutter. Doch die war wohl voll! Auf alle Fälle öffnete sie nicht.

Sie machte sich auf den Weg zu Gerald, musste jetzt handeln. Sie setzte ihren verführerischsten Blick auf, machte einen Schmollmund.

„Na, mein Hübscher?" flötete sie. „Was wär's dir denn wert, wenn ich dir einen blase?"
Gerald sah sie verblüfft an, bekam einen Lachanfall. „Ich soll dich bezahlen? Andersrum wird ein Schuh draus! Was krieg ich dafür, wenn ich's dir mal wieder ordentlich besorge? Ein hässliches Weib wie du kriegt sicher keinen mehr ab!"

„Wichser!" haute sie ihm hin und drehte sich um.
„Immer noch besser, als dich ficken!" antwortete er und schüttelte mit den Kopf. Was der hübsche Kevin an der wohl fand? Der schien ja auch noch was in der Birne zu haben! Aber jetzt hatte er sich wohl vom Acker gemacht! Wurde ja auch Zeit! Sollten sich die Brüder doch um das Weib kümmern!

***

Angelika, Kevins Mutter, war nicht im Mindesten betrunken, war sie eigentlich nie. Sie spielte die Säuferin seit Jahren, konnte sich dann in ihr Schlafzimmer zurückziehen, hatte Ruhe vor der kaputten Familie, die die ihre war. Sie hatte einiges mitbekommen, von den Polizisten, beim Geschrei ihres Mannes.

Kevin hatte wohl Mary verlassen, Philip mitgenommen, die Jungs hatten ihm aufmischen wollen, was nach hinten losgegangen war.
Und sie hatte jetzt wohl endlich mal zumindest ein paar Tage Ruhe!
Sie lüftete, putzte, brachte das ganze Leergut zum Supermarkt, das Geld ließ sie sich ausbezahlen.

Die Schnapsflaschen brachte sie zum Container.
Sie fühlte sich wie neugeboren, und wenn es nur ein paar Stunden wären. Als Mary vor ihrer Türe stand, hatte sie nicht aufgemacht.

Das Mistvieh, das Kevin reingelegt hatte, und nicht nur einmal, das sein Leben zerstört hatte, sollte sie sehen, wo sie blieb. Sie fühlte sich nicht verantwortlich für das fette Weib, die hatte eine eigene Sippe. Auch die freche Enkeltochter interessiert sie nicht.

Bei Philip sah das schon anders aus. Er war das Kind des einzigen Sohnes, den sie liebte, der ihr etwas bedeutete. Der anders war als die Fünf, aber das hatte ja auch seinen Grund!

Morgen würde sie zur Sozialstation gehen, sich Hilfe holen. Bisher hatte sie den Mut dazu nicht aufgebracht, hatte auch Angst vor der Reaktion des brutalen Kerl gehabt, den sie mit 18 geheiratet hatte, weil Dustin unterwegs war.

Sie war vor dem Vater geflüchtet, der immer wieder versucht hatte, sie anzugrapschen und hatte die Pest gegen die Cholera eingetauscht.

Sie hatte dem Kerl vertraut, der zehn Jahre älter war als sie. Sie wusste schon, dass er herumgehurt hatte, er hatte auch nach der Hochzeit nicht damit aufgehört.

Aber eine romantische 18jährige hatte sich blenden lassen von dem erfahrenen Mann.
Damals hatte er auch noch einen Job auf dem Bau gehabt, aber sein aufbrausendes Wesen und sein zunehmender Alkoholkonsum hatten bald zur Kündigung geführt.

Nach Marvins Geburt hatte sie angefangen, die Säuferin zu spielen, damit er im Bett die Hände von ihr ließ. Sie war dankbar, dass sie sich nichts eingefangen hatte von ihm. Scheinbar hatte er doch bei den anderen Weibern Gummis benutzt, was er bei ihr strikt ablehnte.

Oder – und das vermutet sie schwer – er hatte wegen der Sauferei keinen mehr hochgekriegt, und all die Prahlerei war nur hohles Gewäsch. Er hatte auch bei ihr zunehmend Probleme gehabt. Etwas, das ihn noch wütender gemacht hatte.

Heute erschien ihr das Leben plötzlich wieder lebenswert. Vor allem freute sie sich für Kevin. Immer wieder hatte sie miterleben müssen, wie die Brüder über ihn hergezogen hatten, was sie ihm alles angetan hatten.

Anfangs hatte sie noch Einwände erhoben, hatte versucht, ihren Drittgeborenen in Schutz zu nehmen. Aber sie hatte sich immer wieder Ohrfeigen eingehandelt. Außerdem hatten die Blicke ihres Mannes sie zum Schweigen gebracht. Er durfte die Wahrheit nie erfahren, sonst würde er sie totschlagen!

Sie musste ihr Leben auf die Reihe bekommen, dann würde sie Kontakt zu Kevin suchen - und alles würde gut! Oder wenigstens besser.

***

Mary wusste, sie musste in den nächsten Tagen aufs Amt.
Aber sie hatte praktisch außer zwei Jogginghosen nichts, das ihr noch passte. Eine hatte sie an, die andere war in der Wäsche. Sie hatte keine Ahnung, wie man eine Waschmaschine bediente, das hatte immer Kevin gemacht.

Sie rief ihre Eltern an, fragte, ob sie ein bisschen Geld übrig hatten, weil Kevin sie verlassen hatte.

„Endlich ist er zur Vernunft gekommen, du Miststück!" bekam sie zur Antwort.

Sie erreichte eine alte Schulfreundin, wollte ein wenig mit ihr plaudern, dann einfließen lassen, dass sie dringend Kohle brauchte.
Betty hörte ihren Namen, legte gleich los. „Mary? Mary Schneider? Du hast vielleicht Nerven, dich bei mir zu melden!" schrie sie und legte auf.

Mary hatte vergessen, dass sie der Anderen mehr als einen Kerl ausgespannt hatte.
Da merkte sie, dass sie ordentlich in der Scheiße saß - und dass sie sich zum größten Teil selbst hineingeritten hatte.

Sie war eigentlich in einer guten Familie aufgewachsen, behütet, hatte alles gehabt, was sie sich wünschen konnte. Doch dann waren die Jungs gekommen, der Alkohol, ein paar Drogen. Sie war frech und aufmüpfig geworden, hatte gedacht, den Eltern gegenüber konnte sie sich alles erlauben.

Doch denen hatte es gereicht, als sie 18 war. Sie hatte zwei Brüder, die alle beide ordentliche Männer geworden waren. Sie war dann von einem Kerl zum anderen gezogen, bis Dustin sie, zugedröhnt wie sie beide waren, zu diesem Plan überredet hatte.
Und jetzt gab es nur noch einen Scherbenhaufen von Leben.

Selina begann zu maulen. Es war ihr langweilig, wenn der Bruder nicht da war, den sie ärgern konnte.
Außerdem hatte sie Hunger. Im Kühlschrank gab es nur Zeug, das der Trottel eingekauft hatte.

„Geh auf den Spielplatz! Vielleicht kannst du mit einem der Bälger nach Hause gehen!" schlug Mary genervt vor. Das fehlte ihr gerade noch, dass die Göre sie aufregte.

Selina zog meuternd los. Wie immer war sie bald von Kindern umringt, die sich gerne die Geschichten von dem depperten Vater und dem behinderten Bruder anhörten.

Doch nach Hause wollte sie keines der anderen nehmen, das erlaubten die Eltern nicht. Die freche Selina war angeblich kein Umgang für sie. Auf einer Bank saßen ein paar betrunkene Weiber.
„Ist dein hübscher Papa weg?" fragte eine. „Den hätten wir nicht von der Bettkante gestoßen!" Alle lachten kreischend, schlugen sich auf die Schenkel.
Selina sah sie böse an. „Ja! Er ist abgehauen! Und wir haben nichts zu essen und kein Geld!"

Eine der Frauen erbarmte sich, drückte ihr einen Zehner in die Hand.
Selina lief zum Supermarkt, kaufte eine Riesentüte Chips und eine Literflasche Cola. Vom Kiosk nahm sie noch eine Schachtel Zigaretten für die Mama mit. Gerald nahm es nicht so genau mit dem Alter, sie hatte dort schon oft welche geholt.


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