3| Illusionen und Traumata

„Yun!"
Endlich hatte sein Bruder ihn bemerkt! Doch die aufkommende Hoffnung verschwand sofort wieder. Der Grauhaarige, der auf den Namen Tenko hörte, wurde nach wenigen Schritten von den anderen zerlumpten Männern zu Boden gedrückt.
Ein dumpfes Geräusch war zu hören, als der Griff eines Katanas auf den Hinterkopf seines älteren Bruders traf, welcher vor schmerzen stöhnend erschlaffte.
Niemand anderes in der Schenke rührte sich.

„Tenko!"
Wäre das Kunai an Yun's Kehle nicht, er wäre sofort zu ihm geeilt. In Anbetracht seiner derzeitigen Situation, blieb er jedoch lieber wo er war und schaute nur Hilfesuchend zu Kasumi.

•••

„Ich würde es vorziehen niemanden hier töten zu müssen, zu viel Aufmerksamkeit und so. Also rück endlich das Geld raus, Kleine! Ich habe nicht den ganzen Tag zeit!"
Der Fremde lachte, doch das seine wurde von Kasumis übertönt, welches alles andere als unzuversichtlich klang.
Ihren Kopf hatte sie in den Nacken geworfen und den Mund -für eben jenes hysterische Lachen- weit aufgerissen.

Verwirrt hob Yuns Peiniger eine Augenbraue. Er konnte nichts mit der Situation anfangen, so hatte er schließlich eine grundauf andere Reaktion erwartet.
Etwas verunsichert zog er die Augenbrauen zusammen und drückte das Kunai näher an den Hals des Jungen.

„Töten?", als drohendes flüstertern kam dieses Wort über ihre Lippen, als sie auch schon wieder zu Boden blickte.
Nun lag wirklich aller Aufmerksamkeit bei ihnen.

Das Wort, welches bei einem Großteil der Menschen Angst auslöste, erweckte in ihr nur ihr eigenes Selbstbewusstsein. Ja beinahe schon ein vertrautes Gefühl.
Sie war mit dem Schrecken des Krieges aufgewachsen und stand bereits in jungen Jahren auf Schlachtfeldern.
Ihre Leute waren in einer Nacht von einem Kind massakriert worden und sie hatte ihren Freund freiwillig in den Tod stürzen sehen, um ihren eigenen und eben jenes Kindes Ruf zu schützen.
Für sie war dieser Mann nichts weiter, als ein unwissender Amateur, der sich zu viel auf seinen Einfluss einbildete.

Plötzlich deutete die Uchiha mit dem Daumen auf sich selbst und riss die Augen auf: „Ich will keinen Ärger. Ich mache ihn. Ich mag es nicht, wenn Idioten mir meinen Job streitig machen."

„Huh?", völlig verwirrt ließ der Mann etwas lockerer und starrte nur unverständig auf die Frau vor sich, die nun ihrerseits ein siegessicheres Grinsen aufsetzte.

„Großer, du hast schon verloren, als du in meine Augen gesehen hast."
Kasumis Grinsen wurde noch breiter, während das Braun ihrer Augen sich in ein leuchtendes Rot wandelte. Die Tomoe des Sharingan begannen sich zu drehen.
Kaum hatte der Mann begriffen, was für eine Augentechnik er da vor sich hatte, war es bereits zu spät.

•••

Er fühlte sich, als würde er in einem Fluss schwimmen. Die Strömung bestimmte, welche Richtung sein Körper einschlug. Bewusst bewegen konnte er sich nicht.

Der Geruch von Verwesung und Blut lag in der Luft.
Misstrauisch verengten sich seine Augen. Sein Kopf war wie leer gefegt. Er wusste nicht, wie er her gekommen war, noch wer er war.
Eine Stimme in seinem Inneren verriet ihm, dass er etwas wichtiges vergessen hatte. Man konnte nichts vermissen, wovon man nichts wusste! Also warum fühlte er die Angst in seinen Knochen, wenn es nichts gab, wovor er sich fürchten müsste?

Auf einmal nahmen seine Ohren das Geräusch von Stimmen wahr.
Es war ein Gesang, der dort erklang, von Kinderlachen begleitet.
Am Anfang wirkte es noch fröhlich, wie eine Flöte, ein Akkordeon und eine Orgel das Lied begleiteten und er schöpfte Hoffnung.
Doch diese verflog, desto näher er dem Ursprung des Gesangs kam.
Denn die zuvor sauber gespielten Töne begannen immer mehr aus dem Einklang der anderen Instrumente zu geraten. Der Gesang wurde schiefer und das Kinderlachen wirkte nun mehr, wie das, eines Wesens, welches auf seine Ankunft wartete.

„[...] Wer wird dein nächstes Opfer werden
Wann überkommt dich wohl der Drang
Den kalten Stahl in Fleisch zu treiben
Du weißt, es dauert nicht mehr lang. [...]"

Er hatte die ganze Zeit gen Himmel gesehen, doch erst jetzt begann sich dort etwas abzuzeichnen. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass die Fläche -wo eigentlich der Himmel sein sollte- zuvor leer gewesen war.

Ein gewaltiger Kreis mit sich langsam drehenden Tomoen, begann die Stelle des Himmels einzunehmen und dieser mitsamt des Gesangs im Hintergrund löste in seinem Bauch ein beklemmendes Gefühl aus.
Alles wirkte nun viel bedrohlicher.

Die Pupillen des Mannes weiteten sich und er schien alles um sich herum besser wahrzunehmen als zuvor. Seine Muskeln waren angespannt und das Blut rauschte in seinen Ohren.
Der Versuch sich zu beruhigen scheiterte, lediglich seine Atmung bekam er soweit unter Kontrolle, dass sie nicht mehr so Flach war, wie zuvor.

Plötzlich wurde der Gesang immer schneller, bis er auf einmal abrupt stoppte.

Eine Schweißperle rann seine Schläfe entlang. Diese plötzlich einkehrende Stille war noch beunruhigender, als selbst das Lied zuvor.

Auf einmal spürte er einen Luftzug an seinem Hals und eine warme Flüssigkeit auf seiner Haut ...

•••

Mit dreifach verschnellerter Atmung fand sich der Mann wieder in der Realität wieder. Er dachte bereits, es wäre um ihn geschehen, als er die letzte Szene des Gen-Jutsu's Review passieren ließ.

Dankbar nickte er einem seiner Gefolgsleute zu, der ihn aus dem Szenario befreit hatte und noch immer eine Hand auf seiner Schulter liegen hatte.


Verwirrt blickte Yun auf den Mann, in dessen Gewalt er sich nur wenige Augenblicke zuvor befunden hatte.
Er wirkte ziemlich erschöpft und verängstigt.

Genau verstand er nicht, was soeben passiert war. Plötzlich hatte er ihn los gelassen und die Frau hatte ihn zu sich gezogen.

Nun schwitzte und zitterte der Fremde am ganzen Leib.

»Was für ein Jutsu war das?«


„Du verfluchtes Weib! Was fällt dir ein, mich einfach so in ein Gen-Jutsu zu sperren?!"
Wütend knirschte er mit den Zähnen. Er zittere noch immer und die roten Augen hatten sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Obwohl es bereits vorbei war hatte er Todesangst.

Sein Gehirn schaltete langsam ab und er nahm die Worte seiner Gefolgsleute nur noch wie durch Watte wahr, als er immer hysterischer und lauter die Frau vor sich beleidigte.


Ruhig stand Kasumi auf ihrem Platz und hielt Yun die Ohren zu. Ihr kurzer Hochtrip war bereits wieder vorbei, kurz nachdem er begonnen hatte. Jetzt las sie die Beleidigungen nur noch Halbherzig von den Lippen ihres Gegenübers ab, sodass sie nur die Hälfte verstand.

Doch er hatte wieder ihre volle Aufmerksamkeit, als ein Kunai auf den Weißhaarigen, der sich weiterhin in ihre Kleidung krallte, zu flog.
Mit einer schnellen Bewegung, nahm sie die Hände von Yun's Ohren, drückte ihn an sich und wirbelte zur Seite, sodass die Klinge knapp an seinem Kopf vorbei flog.
Nur einige wenige Haare wurden von dieser abgetrennt.

Als sie eines von diesen mit ihren Augen fixierte, wie es langsam, kleine Schlenker machend zu Boden glitt, war es an ihren Pupillen sich zu vergrößern. Ihre Hände wurden schwitzig und einige Finger ihrer Rechten begannen zu kurzen Ticks auszuholen. Immer wieder zuckten Zeige- und kleiner Finger ungleichmäßig und der Daumen schloss sich in langsamerem Tempo an.
Ihr Herz zog sich zur falschen Zeit zusammen. Es schien so, als würde es für kurze Zeit still stehen; als würde ihr gesamter Brustkorb in Flammen stehen.

»Erenn...«

•••

[...]
„Für uns beide..."

„Uns beide?"

„Ja. Du sollst...
Du sollst leben."

„E-Erenn..."

„Lebe einfach ... für uns."
Seine Lippen bewegten sich,
sagten noch einen Satz, den sie nicht mehr von seinen Lippen ab zu lesen vermochte.
•••

Yun, der kleine Junge, der sich immer noch an ihr festhielt, hatte zu weinen begonnen und sie spürte die Tränen durch den Stoff ihres dunkelblauen Oberteils.

Ein Schatten legte sich über Kasumi's trübe Augen, als sie aufblickte.
Der Mann warf weiterhin mit Beschimpfungen um sich. Eine schlimmer als die Andere, doch sie blendete seine Worte aus. Konzentrierte sich nur auf seine Augen.

Die Tomoe verwirbelten zu einer Shuriken ähnlichen Form, als sie sanft aber bestimmt, die Hände des Jungen von ihrer Kleidung löste.

Natürlich gäbe es noch andere, weniger aufwändige Methoden jemanden umzubringen, doch in dieser Situation wirkte es für sie, als hätten sich ihre Augen selbstständig aktiviert. Nicht einmal der Druck hinter ihren Augäpfeln, der sie für gewöhnlich davon abhielt ihre Augentechnik zu verwenden, schmerzte genug, um sie wieder zur Vernunft zu bringen.
Die Ähnlichkeit, die den Jungen Äußerlich mit Erenn verband, löste in ihr den Beschützerinstinkt aus, den sie ihrem Schüler gegenüber hätte haben sollen.

»Schau nicht hin.«, übertrug sie mithilfe ihrer linken Augenfähigkeit ihren Gedanken an den Weißhaarigen, welcher daraufhin, überrascht von der Stimme in seinem Kopf, zu ihr herauf sah.
Doch Kasumi schüttelte nur leicht den Kopf, weshalb der Junge sich tatsächlich weg drehte. Die Hände auf die Ohren gepresst und die Augen fest verschlossen.

Mit leicht gesengtem Gesicht schritt sie auf den Fremden zu, der durch seine letzte Aktion unangenehme Gedanken in ihrem Inneren geweckt hatte. Bilder, die sie zu verdrängen versuchte. Gespräche, die sie am liebsten niemals geführt hätte.

Die Bewegungen der Silhouette des Mannes wurden in ihren Augen immer langsamer. Ebenso die Ströme in seinem Gehirn, die für die Konzentration zuständig waren.
Für ihn stand sie noch immer mit Yun im Arm wenige Meter weiter hinten.

Ihr KI (Killer Intent) floss aus, bildete eine dunkel Aura um sie herum, während sie ihren linken Arm mit Windchakra ummantelte.

Für die Umstehenden schien es so, als wäre sie bloß an ihm vorbei gegangen, als auf einmal die Kleidung des Mannes an Stelle des Herzens riss und die Sicht auf eine klaffende Wunde preisgab, die sich darunter verbarg.

Das Blut spritzte. Langsam wanderte der ungläubige Blick des Mannes herab zu seiner Brust. Seine Beleidigungen waren verstummt.

Kaum war der letzte Schlag des Herzens verstummt, fiel auch der rattenäugige Mann zu Boden. Selbst als er auf den Holzdielen aufschlug, war seine Hand noch nach seinem Herzen ausgestreckt.

Ein kurzer Glanz kehrte in Kasumi's Augen zurück.
»Egal wie verbissen man sich zu ändern versucht. Alte Angewohnheiten kann man wohl nicht einfach so ablegen.
Tut mir leid Erenn, ich habe schon wieder den Boden einer Schenke beschmutzt.«
Kurz verzog sie ihren Mund, den tadelnden Blick ihres Schülers vor Augen, der verzweifelt ernst auszusehen versuchte, um sein Entsetzen zu verstecken.
Sie war einer der Sieben. Mindestens ebenso aggressiv geworden, wie es ihr eigener Lehrmeister zu Lebzeiten gewesen war.

Kaum stand sie wieder gerade, bemerkte sie die schnelle Flucht seiner Gefolgsleute. Kasumi schüttelte den Kopf über deren Feigheit und überlegte zeitgleich, wie sie die Schweinerei auf dem Gasthausboden beseitigen könnte.

Bedauernd seufzte sie und zog kurz entschlossen eine der vielen Schriftrollen von ihrem Gürtel, um es für's erste so zu säubern.
Später würde sie den Mann noch anständig bestatten, denn eine letzte Ruhestätte hatte jeder verdient.

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