17. Februar

Liebes Tagebuch...

Wow. Ich tue es tatsächlich.

Ich schreibe meinen allerersten Eintrag in einem Tagebuch.

Ganz ehrlich, ich hätte nie gedacht, dass dieser Tag einmal kommt. Für mich waren Tagebücher immer nur für geistig instabile oder viel zu kreative Köpfe. Und meiner eigenen Auffassung nach zu urteilen, bin ich keines davon.

Trotzdem habe ich meinen inneren Schweinehund überwunden und dich gekauft.

Du bist ziemlich hübsch, weißt du das? Und heiß... Ich meine, du bist ganz in schwarzes, mattes Leder gepackt. Dein Selbstvertrauen muss echt unüberwindbar sein. Nicht einmal zehn Pferde würden mich dazu bringen, Leder anzuziehen.

Aber dir steht es.

Verstehst du überhaupt, was ich schreibe? Ich meine, sprichst du meine Sprache? Tue ich dir beim Schreiben weh? Fühlst du eigentlich irgendetwas? Oder bist du nur eine taube Hülle, die ab jetzt von mir benutzt wird?

Ich mag den Gedanken, dass du in irgendeiner Weise lebendig bist.

Deswegen möchte ich versuchen, diesen Eintrag besonders zu machen. Es ist immerhin der erste. Und das heißt: keine durchgestrichenen Wörter, keine hässliche, unlesbare Schrift und keinen peinlichen Schwachsinn. Einfach Ehrlichkeit.

Mal sehen, ob mir das auf Anhieb gelingt.

Mein heutiges Thema ist die Dankbarkeit. Die Bedeutung eines einzigen Wortes.

Und eigentlich geht es auch um kaputte Freundschaften.

Und Bauchkribbeln.

Du wirst sehen.

Okay, dann fange ich mal an...

Puh, ich bin aufgeregt.

... Los geht's. (Ich blättere lieber auf die nächste Seite, damit klar ist, wo mein eigentlicher Eintrag anfängt.)

Anstatt zu lernen, wie man diverse mathematische Gleichungen löst, sollte in der Schule lieber unterrichtet werden, wie man sich in ganz normalen alltäglichen Situationen einander gegenüber zu verhalten hat.

Es kommt mir so vor, als wäre das Bedürfnis dafür viel größer. Viel aktueller. Denn anscheinend ist es schwerer, ein höfliches »Danke« auszusprechen, als (x) ausfindig zu machen.

Danke.

Das ist so ein kleines, einfaches Wort. Doch es bedeutet so unendlich viel. Mir bedeutet es viel. Viel mehr, als Brianne weiß.

Nein, liebes Tagebuch (du brauchst übrigens einen Namen), wir sind nicht wieder befreundet. Wir ignorieren uns immer noch. Seit vier Monaten, um genau zu sein. Die Hintergrundstory kommt noch irgendwann.

Jedenfalls ist ihr heute ihr Kugelschreiber direkt vor meinen Füßen runtergefallen. Das konnte ich einfach nicht ignorieren. Meine Eltern haben mich schließlich gut erzogen.

Und seitdem keines Blickes gewürdigt, aber das ist eine ganz andere Geschichte, die ich mir für einen späteren Eintrag aufheben will ;-) Du merkst, ich habe vieles, was ich mir von der Seele schreiben möchte.

Wie auch immer.

Ich habe den pinken Kugelschreiber aufgehoben und ihn Brianne gereicht. Der Blick ihrer grauen Augen hat mich kurz durchbohrt. Sie hat sich den Kugelschreiber geschnappt. Anstatt mich nett anzulächeln, hat sie mich abschätzig gemustert und sich umgedreht. Ohne ein Wort.

Ich glaube kaum, dass ihr bewusst ist, wie weh das tat. Einer fremden Person gegenüber hätte sie sich unter normalen Umständen höflicher benommen.

Selbst das bin ich nicht für sie. Ich bin nicht einmal nur eine »fremde« Person.

Ich bin ein Nichts.

Wenn man bedenkt, dass wir mal beste Freundinnen waren, ist das schon ein ziemlicher Kontrast.

Durch das fehlende »Danke« ihrerseits ist mir bewusst geworden, wie oft ich es zu hören erwarte, jedoch nur von gähnender Stille enttäuscht werde.

Ich habe zwei Mädchen aus der Mittelstufe heute die Tür aufgehalten. Sie haben mich nicht einmal angesehen. Ich weiß nicht, ob sie mich mit einem automatischen Türöffner verwechselt haben (so dünn und unscheinbar bin ich eigentlich nicht) oder ob sie die Geste als eine Selbstverständlichkeit sehen. Ein »Danke« war ich offensichtlich auch nicht wert.

Kurz danach hat mich ein Junge gefragt, ob ich denn wüsste, wo sich der Schulsprecher aufhält.

Ich habe es ihm erklärt und dafür wieder kein »Danke« bekommen, sondern nur ein »cool«.

Cool.

Als ob das irgendein Universalwort ist, das man in allen Situationen verwenden kann, und der andere weiß automatisch, ob das jetzt als »Danke«, »Bitte« oder »Ich-lächele-dir-freundlich-zu-aber-eigentlich-kannst-du-mich-am-Arsch-lecken« gemeint ist.

Du denkst dir jetzt vielleicht – falls du überhaupt denken kannst –, dass drei fehlende Dankeschöns an einem Tag nicht so tragisch sind.

Und du hast recht. Ich komme damit klar. Wirklich.

Vielleicht ist jeder Tag so und nur heute ist es mir so deutlich aufgefallen.

Das ist ja auch noch nicht das Schlimme.

Als es endlich läutete und ich aus der Irrenanstalt entlassen wurde, ist MIR mein Kugelschreiber runtergefallen, so eilig hatte ich es, meinen Kram einzupacken und nach Hause zu gehen.

Okay, Tagebuch (du brauchst wirklich einen Namen!), jetzt wird es kitschig. Und eigentlich wollte ich noch weniger, als einfach Tagebuch zu schreiben, einen kitschigen, klischeehaften ersten Tagebucheintrag verfassen, aber was soll's. Ich überschreite heute sowieso sämtliche persönlichen Grenzen.

Gerade als ich den Kugelschreiber aufheben wollte, hat es ein anderer getan. Unsere Finger haben sich berührt. Es hat geknistert. Ich habe hochgesehen und bin in dieses helle Blau getaucht, das mir zum ersten Mal so richtig aufgefallen ist. Ich habe die Luft angehalten. Etwas in mir ist in dieser Sekunde zum Leben erwacht, als ich mein Gegenüber betrachtet habe.

Brad Anderson.

Du musst wissen, dass Brad DER BELIEBTESTE KERL der gesamten Schule ist. Von ihm beachtet zu werden ist so ziemlich das Höchste, was dir in der Schulzeit widerfahren kann.

Und Brad hat mich nie beachtet. Bis jetzt.

Er hat seine strahlend weißen Zähne in einem phänomenalen Lächeln zur Schau gestellt und mir meinen Kugelschreiber mit einem simplen »Hier« wieder gegeben.

Ich habe ihn nur angesehen. Die Unhöflichkeit meiner Mitschüler hat mich angesteckt. Ihre Unfreundlichkeit hat mich infiziert.

Denn er ist aufgestanden und gegangen, bevor ich mich bedanken konnte.

Ich weiß nicht, was mich mehr aufregt. Dass ich nicht »Danke« gesagt habe oder dass mir beim Gedanken an diese Szene die Wangen rot werden.

Der minimale, kurze Kontakt zu ihm sollte mich nicht so aus der Bahn werfen. Sollte meine Gedanken nicht so vereinnahmen.

Und siehst du, namenloses Tagebuch, hier kommst du ins Spiel.

Jemand hat mir nämlich mal gesagt, dass es hilft, zu schreiben, wenn einem die eigenen Gedanken zu wirr sind. Dass man durch das Aufschreiben die Gefühle ordnen und sortieren kann.

Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Denn ich bin jetzt genauso verwirrt und irritiert wie noch vor einer Stunde.

Du bist auch echt keine große Hilfe. Wie auch? Du kannst nicht reden.

Na ja... Du hörst mir zu. Oder du lässt meinen Redeschwall über dich ergehen.

Das ist immerhin schon mehr, als viele in letzter Zeit für mich getan haben.

Ich lenke vom Thema ab. Und ja, das ist mir sehr bewusst.

Aber das bringt mir auch nichts.

Ich muss es einfach einsehen.

Obwohl ich mir geschworen habe, nie wie die anderen Mädchen in der Schule zu sein, bin ich es jetzt doch.

Denn seit genau fünf Stunden schwärme ich für Brad Anderson.

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