Chapter 45
Abschied ist nie eine leichte Sache. Betrübt liefen wir alle zusammen durch die nächtlichen Straßen.
Das Mädchen, dem ich noch seine Ratte zurückgeben musste, Sophie mit ihrer Amme, daneben Josh und Dennis, dann ich selbst und ganz hinten Aron und Marvin.
„Jetzt war alles um sonst für euch, oder?“, fragte Sophie, als wir endlich die Stelle erreichten, an der wir vor noch nicht mal allzu vielen Tagen angekommen waren.
„Aber ganz und gar nicht“, lächelte Dennis. „Wir haben doch noch unsere teuren Anzüge.“
Und wo sind meine normalen Klamotten?, fragte ich mich. Nur allzu lebhaft konnte ich mir vorstellen, was meine Eltern sagen würden. Sie würden womöglich denken, wir wären auf einem Mittelalterfest gewesen.
„Und es war eine Erfahrung wert, euch alle kennenzulernen“, fügte Josh hinzu.
„Ähm, ich glaube, ich habe es schon mal gesagt, aber … das ist wirklich das beste, was mir je passiert ist. Ähm“, sagte Sophie unsicher. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Ich würde gerne alles aufschreiben … ein Buch schreiben, meine ich.“
„Aber das kannst du nicht machen“, sagte Marvin leise. „Dann wissen doch alle, dass sie die falschen, oder besser gesagt: nur die Hälfte der Verbrecher eingelocht haben.“
„Und unser guter Ruf wäre auf immer ruiniert“, fügte Dennis hinzu. „Kein ordentlicher Verbrecher geht so mit seinen Gefangenen um, wie wir. Das wäre eine Schande.“
Niedergeschlagen blickte Sophie auf den Boden, doch plötzlich kreuzte doch noch ein Hoffnungsschimmer ihre Augen. „Ich könnte die Geschichte ja ein wenig zurechtrücken.“
„Du meinst wohl: Ein wenig viel zurechtrücken.“
„Ja.“
Cool, dachte ich. Dann komme ich ja in einer Geschichte drin vor.
Plötzlich huschte noch ein anderer Gedanke in meinen Kopf.
Jetzt weiß ich auch, warum ich so oft Hunger hatte und das Buch uns nur am Anfang kontrolliert hat!, realisierte ich. Das Buch, die wirkliche Geschichte, dort ist nur der Anfang vom Autor erzählt, der Rest ist aus Sophies Sicht. Sophies erfundene Geschichte. Kein Wunder, dass wir tun konnten, was wir wollten, ohne, dass die Welt untergegangen ist!
„He, Dora, nicht träumen“, sagte Aron und stieß mich grinsend in die Seite. „Wir sollten uns langsam verabschieden.“
„Ah. Moment. Ich habe noch was für dich“, sagte ich zu dem Mädchen und holte die Ratte aus meiner Tasche.
„Mein Gott, ist das etwa ein All-Around Happy End?“, fragte Dennis mit verdrehten Augen, musste jedoch lachen.
„Ich mag Happy Ends“, lächelte Sophie.
„Ich kann dir kein Happy End geben“, sagte das Mädchen. „Aber vielleicht hätte ich eine Zukunft für dich.“
„Hm?“, fragte Sophie neugierig.
„Du bist doch das Mädchen, das nachts immer in den Straßen herumgeistert, oder?“
„Du tust was?“, empörte sich meine Oma, aber Sophie nickte nur gelassen.
„Ich könnte eine Gefährtin gut gebrauchen“, sagte das Mädchen. Behutsam steckte sie ihre Ratte in die Tasche. „Und ich mag dich. Weil du auch eine Ratte hast.“
„Ich bin dabei“, sagte Sophie, von einem Ohr bis zum anderen strahlend.
„Bist du nicht!“, empörte sich meine Oma. Nach einem kurzen Zögern gab sie jedoch nach. „Lass deine Eltern aber nichts davon wissen, verstanden?“
Da lachte Sophie und umarmte einen nach dem anderen. Sie schien furchtbar glücklich zu sein. Nur als sie Josh umarmte, zögerte sie.
„Wenn ich groß bin, muss ich einen langweiligen Grafensohn heiraten“, sagte sie, als könne Josh irgendetwas dagegen tun.
„Manche Regeln sind eben dazu da, gebrochen zu werden“, antwortete Josh.
„Typisch Verbrecher“, meinte Aron, sah Sophies Blick und musste plötzlich lachen.
Egal wie sehr ich Abschiede hasste, ich konnte einfach nicht aufhören, glücklich zu sein.
Den anderen ging es nicht besser, und so prangte auf jedem Gesicht ein breites Lächeln, als wir Sophie, ihrer Amme und ihrer neuen Freundin zum Abschied winkten.
„Jetzt aber auf nach Hause“, sagte Dennis, und während er, Josh und Aron schon Richtung Tor schlenderten, blieben Marvin und ich noch einen kurzen Moment stehen.
„Das ist ja gerade noch so gut gegangen“, sagte ich zu Marvin und schloss die Augen, als er mir einen Arm um die Schulter legte. Alles fühlte sich so wunderbar an, es hätte mich nicht gewundert, wäre ich vor Glück abgehoben.
„Ich bin so froh, dass du hier bist.“ Bei seinen Worten schlug ich die Augen auf und stellte sehr zu meiner Freude fest, wie nah er mir plötzlich war. Jetzt war das Lächeln endgültig nicht mehr von meinem Gesicht zu verbannen und beinahe unsicher beugte ich mich nach vorne.
In dem Moment, in dem sich unsere Lippen berührten, drehte Sophie sich noch ein letztes Mal um und auch Josh und Aron waren stehen geblieben.
Dann tauchte ich ab in eine Welt aus purem Glück, in die Arons Stimme nur gedämpft drang.
„Steht das etwa auch im Buch?“
Wenn ja, lese ich die Stelle tausend Mal, dachte ich.
„Seite 273 Zeile 37“, antwortete Josh gelassen.
„Was?! Und das weißt du auswendig?“
„Klar. Das ist das
HAPPY
END
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