Chapter 44

Als das Jubeln unserer Feinde zu hören war, sank meine Laune endgültig unter den Nullpunkt. Das war’s. Jetzt hatten sie unseren Schatz und würden …

„Psst!“, drang die gedämpfte Stimme des Hutträgers durch die Tür und unterbrach abrupt meine düsteren Gedanken. „Wenn uns jemand hört, sind wir dran.“

Wie um seine Worte zu unterstreichen, kamen nun polternde Schritte die Treppe hinab. Jemand kam zu uns in den Keller und es war sicher niemand, der erfreut über einen Haufen Verbrecher sein würde.

„Das habt ihr nun davon!“, fauchte der Hutträger. „Jetzt nehmt schon eure Waffen, ihr Taugenichtse! Los, los!“

„Eindringlinge, Verbrecher! Holt die Wachen!“, schrie plötzlich jemand, und andere fielen mit ein. „Holt die Wachen! Holt die Wachen!“

„Tja, geschieht ihnen recht“, murrte ich. Hoffentlich würde uns bald jemand rausholen. Die Stricke taten langsam weh.

Doch vorerst dachte niemand auch nur daran, die Tür zu öffnen. Während draußen ein wilder Kampf tobte, hockten wir alle so gut es eben ging in der kleinen Kammer und schätzten uns glücklich, nicht dort draußen sein zu müssen.

„Plötzlich bin ich diesen Verbrechern sogar dankbar“, meinte Josh mit einem gequälten Lächeln, als die Schreie und Flüche draußen mal wieder zu beinahe unerträglicher Lautstärke anschwollen.

„Die halbe Stadtwache muss jetzt da unten sein“, meinte Sophie. Dann, keine Minute später, fragte sie: „Hat jemand noch ein bisschen was zu essen? Meine Ratte ist wirklich hungrig.“ Im nächsten Moment kniff Sophie die Lippen zusammen und starrte auf den Boden.

„Dein Geheimnis ist bei mir sicher“, sagte meine Oma nach kurzem Zögern. „Auch wenn eine Ratte ein wirklich unhygienisches Haustier ist“, fügte sie spitz hinzu.

„Sie wäscht sich jeden Tag!“, protestierte Sophie.

„Und sie ist zahm“, fügte ich hinzu und schenkte Sophie ein breites Lächeln. Erst jetzt sah ich, wie unglücklich das Mädchen aussah, das die Verbrecher angeheuert hatten. Mit gesenktem Kopf saß sie da, einsam, unserer Nähe zum Trotz. Obwohl sie durchgehend mehr oder weniger kooperiert hatte, hatten die Verbrecher sie nun doch mit uns in den Raum gesperrt, wohl um auf Nummer sicher zu gehen.

Wie glücklich Sophie mit ihrer Ratte ist, dachte ich, als mir langsam etwas dämmerte. Ist das Tier in meiner Tasche nicht dem anderen Mädchen? Ich hatte es schließlich nicht umsonst den beiden Wächtern abgenommen, die mich entführen wollten.

Es kam mir vor, als wäre das Ewigkeiten her, dabei war es gerade mal heute Abend gewesen. Plötzlich musste ich lächeln. Wie glücklich das Mädchen wohl sein würde, wenn ich ihr ihre Ratte zurückgeben würde. Das Tier musste ihr wirklich viel bedeuten.

Aber jetzt sah die Situation erst mal hoffnungslos aus. Ich war von oben bis unten gefesselt, und obwohl der Kampflärm langsam abschwoll, machte keiner Anstalten, die Tür zu öffnen.

„Die Stricke tun weh“, maulte Marvin. „Außerdem gehen alle wieder hoch und wir hocken immer noch hier.“

Das stimmte. Immer weniger Lärm drang durch die Tür und ich war mir sicher, dass gerade die letzten Menschen das Feld räumten. Das bedeutete, wir würden nicht im Knast versauern. Stattdessen würden wir hier jämmerlich verenden.

„Was sitzt ihr einfach nur hier rum und seid trübsinnig?“, empörte meine Oma sich. „Ich will jedenfalls noch länger leben. H-Hilfe!“, rief sie mit lauter, jedoch überzeugend zitternder Stimme. „Hilfe! Holen Sie uns hier raus!“

Ohne zu zögern holte Sophie tief Luft und schrie aus Leibeskräften.

„Beeindruckend“, grinste Dennis, als jemand begann, die Tür zu öffnen. „Und denkt dran: Wir sind alle verängstigte Gäste, klar?“

„Es war ganz furchtbar!“, erzählte ich, während ich mich zitternd an Marvin klammerte. „Wir wollten gerade wieder zurück in den Ballsaal, als wir etwas hörten.“

„Es muss ein Mädchen gewesen sein, das geschrien hat“, berichtete Marvin. „Also sind wir sofort die Treppe hinunter, weil von da die Geräusche kamen.“

„Ich habe den Hausherren gesehen! Er war … ohnmächtig. Und sie haben mich erwischt“, brabbelte das Mädchen, das seine Rolle als verängstigtes Kind wohl am besten meisterte. „ich meine, ich bin erst in den Keller. Ihnen gefolgt, den Verbrechern. Naja, und dann haben sie mich gesehen.“

„Als sie verstört angerannt kam, habe ich sie begleitet, das arme Kind“, sagte meine Oma. „Sie hat kein Wort hervorgebracht, sondern mich direkt in den Keller geführt. Hätte ich gewusst, dass dort so viele Verbrecher waren, ich hätte sofort Hilfe geholt.“

„Und wie ist der Rest von euch in den Keller gelangt?“, wollte der Hauptwachtmeister wissen.

„Sie lügen! Das sind ebenfalls Verbrecher, die uns den Schatz abnehmen wollten“, schrie der Hutträger, wurde jedoch sofort von einem Wächter zurückgehalten.

„Empörend“, schniefte Dennis. „Wir haben Lärm gehört. Dort unten muss ein regelrechter Kampf abgelaufen sein. Da wollten wir natürlich nach dem Rechten sehen. Wir waren zu dritt.“ Mit einer ausladenden Geste wies er auf Aron und Josh. „Nie wäre mir in den Sinn gekommen, dass dort unten gewalttätige Männer waren. Ich dachte im ersten Moment, jemand habe sich verlaufen.“

„Und wie passt Sophie in die Geschichte?“, fragte der Hausherr misstrauisch, der inzwischen wieder auf den Beinen war. „Man sagte mir, sie sei entführt und könne nicht zu meinem Ball kommen.“

„War sie auch“, sagte Josh mit einem Blick auf Sophie, die sich an meine Oma klammerte. „Als wir herunterkamen, versuchte ihre Amme gerade, sie aus den Klauen der Verbrecher zu befreien. Aber es war vergebens.“

„S-Sie haben mich g-gezwungen, mitzuarbeiten“, klagte Sophie. „Haben mir g-gedroht, meine F-Familie zu töten.“

„Und deine Amme hat versucht, dich zu befreien?“ Nun waren auch Sophies Eltern erschienen.

„Ja.“

„Dann erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran, Ihren Lohn zu erhöhen“, sagte Sophies Mutter zu meiner Oma und schloss ihr Kind in die Arme.

„Das sind alles üble Betrüger!“, rief der Boss.

„Übrigens“, sagte das Mädchen kühl. „Ich weiß, wo das Hauptquartier der Verbrecher ist.“

„Glaubt ihr kein Wort!“, zeterten alle Verbrecher im Chor, aber natürlich hörte keiner auf sie.

„Ähm. Ich will sie nicht unterbrechen, meine Herren, aber wir haben noch einen langen Nachhauseweg vor uns“, sagte Dennis. „Dürften wir uns vorher noch verabschieden?“

„Was? Ihr geht?“, fragte Sophie und sah entsetzt auf. Verwundert sahen ihre Eltern uns an, aber meine Oma verstand und ein sanftes Lächeln spielte um ihre Lippen.

„Bis zum Stadtrand können wir euch begleiten, meine Herren.“ Und zu Sophies Eltern gewandt sagte sie: „Ich werde mit Sophie noch vor dem Morgengrauen zurück sein.“

„Ihr könntet bei uns übernachten“, schlug Sophies Vater vor, aber Dennis schüttelte traurig den Kopf.

„Wir müssen gehen.“

„Nun gut. Vor Morgengrauen seid ihr zurück“, sagte Sophies Mutter zu ihr und der Amme. „Und, Sophie?“

„Ja?“

„Lass dich nicht wieder von Verbrechern entführen.“

„Ich werde aufpassen, Mama.“

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