Chapter 34
Zwar war die Tür, hinter der sich die Treppe verbarg, gut getarnt, trotzdem hätte ich noch ein Labyrinth oder zumindest ein paar Abzweigungen erwartet, die den sagenumwobenen Schatz schützen. Aber es gab nichts der gleichen. Die Treppe führte geradewegs in einen kleinen Raum – der leer war. Keine weiteren Türen, nicht mal eine Luke und erst recht kein Schatz.
„Was ist denn das hier?“, fragte der Verbrecher missgelaunt. „Lächerlich. Wir müssen wohl die falsche Tür genommen haben.“
„Na na. So wenig Selbstvertrauen“, säuselte Dennis und begann den Raum abzutasten, jedoch nicht ohne das Messer immer am Hals des Mannes zu lassen.
Sophie und ich schlenderten Seite an Seite los, nicht sicher, nach was wir Ausschau halten sollten. Spärlich erleuchtete das Licht von Joshs Kerze den Raum und kein anderes Licht war hier unten, sodass wir Größenteils im Dunkeln tappten.
Plötzlich schlug der Verbrecher Dennis das Messer aus der Hand und wirbelte in einer fließenden Bewegung herum. Einen Arm hatte er hoch in die Luft gehoben, und holte gerade zu einem Schlag aus, als ich vorsprang und den Arm zur Seite riss.
„Gewalt ist keine Lösung, du elender Mistkerl!“, zischte ich, brodelnd vor Wut, und erneut begannen meine Wangen, von den Schlägen zu brennen.
„Vorsicht, Dora!“, rief Dennis und versuchte mich zur Seite zu ziehen, aber da traf der Hieb schon und schleuderte mich ein Stück zurück. Benommen knallte ich gegen die Wand und nahm nur verschwommen war, wie Dennis Schlägen auswich, einen Hieb vor die Brust bekam, zurücktaumelte und plötzlich Sophie dort stand.
Stöhnend hielt ich meinen Kopf und versuchte, klar zu sehen. Es war nicht ganz einfach, aber unscharf erkannte ich, dass das Rattenmädchen aus gutem Hause dem Verbrecher ein Messer unters Kinn hielt.
„Besser, wir vermeiden weitere Zwischenfälle“, sagte Sophie und in ihrer Stimme bröckelte sogar ein bisschen Eis, auch wenn sie nicht ganz so frostig war wie die Tonlagen, die Dennis manchmal brachte.
„Autsch, mein Kopf“, stöhnte ich. Immerhin sah ich nun wieder klar, aber mein Schädel brummte trotzdem ein bisschen.
„Dora“, sagte Josh leise.
„Was ist?“, fragte ich besorgt. „Blute ich?“
„Nein …“, murmelte Sophie und machte große Augen. „Dora, dreh dich mal um.“
„Ist da ein riesiges Monster?“, fragte ich schaudernd. „Oder gelbe Augen in der Dunkelheit?“
Als ich mich umdrehte, musste ich feststellen, dass es sich um nichts dergleichen handelte. Durch meinen Aufprall musste ich einen Mechanismus ausgelöst haben und ein Teil der Wand war zurückgefahren. Nur um noch mehr Wand zu entblößen. Mit komisch Löchern darin.
„Ich weiß, wie das funktioniert“, sagte Josh leise. „Die Gegenstücke sind kleine Tierfiguren aus Holz. Wenn man sie in die Löcher schiebt, öffnet sich die Tür zum Schatz.“
„Woher weißt du das?“, zischte der Mann mit zusammengekniffenen Augen.
„Ich war zufällig beim Bau dieser Konstruktion dabei“, lächelte Josh.
„Ich kann mich nicht an dich erinnern.“ Finster starrte der Mann ihn an, aber das änderte natürlich nichts daran, dass Joshs Gesicht damals nicht zugegen gewesen war.
„Nunja, die Perrücke hat mir nicht sonderlich gut gestanden, zugegeben.“ Josh lächelte immer noch sein Unschuldslächeln, während der Verbrecher vor Wut zu explodieren schien.
„Warum töten wir eigentlich alle, die damals zugegen waren, nur damit der einzige Schnösel, der entkommen ist, genau an diesem Tag aufkreuzt?“, fauchte er erbost, aber er schien nicht mehr mit uns zu reden.
„Der Kerl ist verrückt“, hauchte Sophie.
„Da hast du wahrscheinlich sogar recht“, seufzte Dennis. „Lasst uns hochgehen, ich ertrage es nicht mehr länger mit einem irren Mörder in einem Kellerloch.“
Also stiegen wir wieder die Treppe hinauf, der Verbrecher und meine Doppelgängerin voraus. Es war nicht verwunderlich, dass dem Mädchen die Situation nichts ausmachte, aber dass ihr gelegentlich sogar ein winziges Lächeln über die Lippen huschte, erstaunte mich dann doch. Rätselhaft und hübsch zugleich gab sie ein interessantes und doch fest verschlossenes Wesen ab, dessen Gefühle nur selten an die Oberfläche kamen. Irgendwie war ich stolz, ihr zumindest äußerlich ähnlich zu sein, auch wenn ich mit ihrer Schönheit nicht mithalten konnte.
„Ähm, Dora?“, fragte Sophie, die immer noch neben mir lief. „Wer von euch beiden ist eigentlich die echte Leibwächterin? Ich meine, die so bekannt, bewundert und gefürchtet ist? Wer von euch beiden ist diejenige, aus deren Abenteurern Märchen gemacht werden?“
Für einen Moment sah ich Sophie wortlos an, während in meinem Gehirn die Zellen auf Hochtouren ratterten. Dann lächelte ich.
„Sagen wir, wir beide haben einen guten Teil dazu beigetragen.“
„Seid ihr Zwillinge?“ Sophie klang aufgeregter, als ich es für angemessen hielt, aber ich ließ mir nichts anmerken.
„Nein“, antwortete ich nüchtern. „Wir sind Fremde, die das Schicksal zusammengeführt hat. Falls man an Schicksal glaubt. Ich bevorzuge das Wort 'Zufall´.“
„Wann habt ihr euch das erste Mal getroffen?“
Wenn sie gleich vor Neugier platzt, würde mich das nicht wundern, dachte ich. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass es sonderlich schlau wäre, jetzt ein paar Geschichten zu ersinnen. Nicht, dass ich mich noch in meinen eigenen Lügen verstricke und jetzt, wo wir dem Ziel so nahe sind, kräftig auf die Nase falle.
„Still. Ich glaube, ich habe etwas gehört“, raunte Josh und rette mich so ungewollt.
Tatsächlich. Die Schritte waren nicht zu überhören, es klang, als würden mindestens zwei Leute im Höchsttempo durch die Gänge marschieren.
„Wenn das unsere Nachbarn sind, die wir in die Besenkammer gesteckt haben …“, murmelte Dennis und eine tiefe Sorgenfalte zog sich über seine Stirn.
„Ich sage es euch ja nur ungern Freunde“, sagte der Verbrecher in diesem Moment viel zu laut und fröhlich für meinen Geschmack. „Aber wir haben bereits Hilfe angefordert, bevor wir in den Keller gegangen sind. Tja, welch ein Pech. Jetzt könnt ihr euer blaues Wunder erleben. HIER SIND Wmppmmm…!“ Zu spät war es Dennis gelungen, ihm dem Mund zuzuhalten.
Die Schritte kamen näher, zu meiner Verwunderung jedoch nur zögerlich.
„Vielleicht sollten wir ihm wirklich die Kehle durchschneiden. Das würde so manches vereinfachen“, knurrte Josh, aber alle wussten, dass er es nicht ernst meinte. Immer schneller kamen die Schritte näher, dann lugte plötzlich ein Messer um die Ecke und eine lockige Mähne folgte.
„Aron!“, rief ich, stürzte vor und fiel ihm um den Hals. Sophie guckte komisch.
„Das sind die Nerven“, erklärte Dennis, als ich meinem Freund einen Kuss auf die Stirn gab und seine Haare durchwuschelte.
„Eindeutig die Nerven. Das alles war zu viel für sie.“
„Aber ich dachte, sie hat sowas schon oft gemacht“, wisperte Sophie immer noch ungläubig.
„Aber diesmal ist Marvin dabei. Sie ist halb krank vor Sorge um ihn“, sagte Dennis. „Denk nur mal, was ihm alles da draußen passieren könnte.
Marvin, dachte ich, meine Gedanken plötzlich träge. Mein Blut fühlte sich an, als wolle es in den Adern gefrieren, meine Augen weiteten sich.
„Bleib ruhig.“ Aron legte mir beide Hände auf die Schulter, aber das half nichts.
„Marvin!“, rief ich aus Leibeskräften und bemerkte kaum noch, wie Dennis und Josh hinter mir verzweifelt die Hände über die Augen legten.
„Klasse“, seufzte Josh. „Sollen sie uns doch alle finden. Am besten, der ganze Ball taucht hier auf. Das wird lustig.“
In diesem Moment kam tatsächlich jemand um die Ecke, aber es waren weder die Tanzenden noch unsere Ex-Nachbarn. Es war Marvin! Eine Welle von Glück durchflutete mich, und ohne zu zögern warf ich mich ihm um den Hals.
„Sorry, dass ich so spät bin – ich musste erst die beiden irren Verbrecher dort draußen abhängen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie hier sind“, keuchte Marvin.
„Das“, bemerkte Aron, „wollte ich euch auch gerade sagen, bevor Dora mir um den Hals gefallen ist.“
„Dann nichts wie weg“, sagte Josh und wollte schon losgehen, als eine schmierige Stimme ihn zurückhielt.
„Nicht so eilig. Schließlich haben wir noch eine Rechnung zu begleichen.“
„Später, Freunde“, sagte Dennis, winkte, packte Marvin sowie mich und rannte los, Josh mit Sophie und Aron im Schlepptau dicht hinterher.
„Bleibt stehen, ihr elenden Feiglinge!“, schrie einer der Männer, aber wir dachten natürlich gar nicht daran, zurückzukommen.
„Wir sind vielleicht feige, aber nicht dumm!“, rief Dennis zurück, und sagte etwas leiser zu uns: „Wir müssen zum Ball. Da können sie uns nichts anhaben.“
Keuchend erreichten wir die große Flügeltür, aber als wir den Ballsaal betraten, liefen wir langsam und aufrecht wie feine Leute und keiner ließ ein Keuchen hören. Fast gleichzeitig betraten unsere Ex-Nachbarn durch eine andere Tür den Raum, würdigten uns jedoch keines Blickes.
„Sollen sie doch“, meinte Dennis. „Wir halten jetzt jedenfalls Lagebesprechung.“
„Das darf doch jetzt nicht wahr sein.“ Die Stimme erklang direkt hinter uns, nicht unangenehm und doch wirbelten wir sofort herum.
Vor uns stand eine alte Frau, in der linken Hand einen Gehstock, den sie nicht zu benötigen schien und auf dem Gesicht ein Ausdruck von grenzenlosem Erstaunen.
Derselbe Ausdruck musste auf unseren Gesichtern erschienen sein, denn plötzlich lachte die Frau.
Obwohl sie geschminkt und in dem prächtigen Kleid ganz anders aussah, erkannte ich meine Oma sofort.
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