Chapter 23
„Warum? Geht ihr auf einen Ball?“, fragte meine Oma erstaunt.
„Auch Gangster haben ein Privatleben“, lächelte Marvin.
„Und warum habt ihr Sophie gekidnappt?“
„Sie ist uns unglücklicherweise in die Quere gekommen“, antwortete Dennis. „Kommt ihr?“
Gehorsam folgten wir ihm in den großen Raum, in dem Sophie gefesselt lag, die ich erst einmal losknotete.
„Was habt ihr vor?“, fragte Sophie.
„Tanzen“, antwortete Josh und zog sie auf die Beine.
„Aber ich kann nicht …“, begann Sophie, doch Josh kümmerte sich nicht darum. „Wo bleibt die Musik?“
„Tja, ein Orchester habe ich leider nicht angeheuert“, seufzte Dennis bedauernd. Dann streckte er mir eine Hand entgegen. „Darf ich bitten?“
„Ich kann nicht …“, begann ich, aber auch Dennis kümmerte sich nicht darum.
„Soll ich ein bisschen singen?“, lachte Aron, beschränkte sich dann jedoch darauf, mit zwei Holzstücken auf einem großen Topf zu trommeln. Erstaunlicherweise kannte er von vielen verschiedenen Tänzen den Rhythmus und gab so eine recht gute Begleitung ab.
„Worauf wartest du noch?“, fragte Josh Sophie.
„Was soll ich denn machen?“, fragte Sophie verlegen.
„Zwei geschlagene Jahre lang habe ich versucht, ihr Tanzen beizubringen! Sophie, du blamierst mich“, klagte meine Oma, musste jedoch lächeln, als Josh Sophies Arme geduldig in Position brachte.
„Hä? Zwei Jahre? Wie geht das denn?“, fragte ich meine Oma verwundert, als Sophie gerade damit beschäftigt war, von Josh im langsamen Tempo die Schritte gezeigt zu bekommen. Dafür trommelte Aron extra langsam, was ihm außerordentlich viel Spaß zu machen schien.
„Ich bin in die Vorgeschichte geschlüpft“, raunte meine Oma mir zu.
„Kommst du, Dora?“, fragte Dennis und führte mich zurück auf die Tanzfläche.
Es dauerte lange, bis ich die Schritte so weit beherrschte, dass ich nicht mehr auf Dennis Füßen herumtrampelte. Ständig musste ich mir dabei Kommentare anhören, wie: „Kopf hoch, Dora. Eine Dame guckt nicht ständig auf ihre Schuhe!“, oder „Du brauchst dich nicht in mein T-Shirt krallen. Davon bekommt es nur Falten.“
Zwischendurch kam auch noch meine Oma dazu und bemängelte meine Haltung oder half mir bei den Schritten. Ihr schien es Vergnügen zu bereiten, mir alles beizubringen, oder zwischendurch zufriedene Blicke Richtung Josh und Sophie zu werfen.
„So habe ich mein Mädchen in all den Jahren noch nicht tanzen sehen“, sagte sie bewundernd.
„Ich habe meinem Sohn ja auch richtig Tanzen beigebracht“, bemerkte Dennis, worauf er mit einem „Hüte deine Zunge, alter Mann“, abgespeist wurde. Alles in allem verstand er sich mit meiner Oma prächtig.
Dennis und Josh tanzten wirklich hervorragend, aber dieses Talent musste schlicht an Marvin vorbeigegangen sein. Als Dennis mich gegen Abend dazu verdammte, mit ihm weiterzuüben, weil er kochen wollte, musste ich feststellen, dass Marvin ebenso gut im Auf-Füße-Treten war, wie ich.
Gegenseitig trampelten wir uns so lange sie Schuhe platt und dreckig, bis ich meine nervigen Absatzschuhe einfach in die Ecke trat und Marvin mir es mit seinen Schuhen gleichtat. Von da an ging es besser.
„Hat Dennis dir eigentlich nie Tanzen beigebracht?“, fragte ich mit einem verwunderten Blick auf Josh, der Sophie so sicher führte, als habe er noch nie etwas anderes getan.
„Ähm, doch“, antwortete Marvin mit einem schrägen Lächeln. „Er hat nur nach der dritten Woche aufgegeben.“
„Na, vielleicht können wir es ja lernen, wenn wir wieder zuhause sind“, schlug ich vor. Immerhin traten wir uns jetzt nicht mehr auf den Füßen herum, wir machten also eindeutig Fortschritte.
„Gibst du denn nie die Hoffnung auf?“, fragte Marvin und in seinem Tonfall klang ein Hauch von Traurigkeit mit.
„Warum denn?“, fragte ich überrascht. Bisher war doch alles nach Plan verlaufen, oder etwa nicht?
„Morgen ist der Ball und wir haben nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, wie wir dem Gefängnis entgehen sollen.“ Marvin lächelte traurig.
„Aber Josh hat gesagt, in einer Woche und einem Tag!“, wunderte ich mich.
„Das war eine Masche, um deine Oma nicht einzuweihen. Die Pause, die er zwischen „morgen“ und „in einer Woche“ gemacht hat, bedeutete, dass der zweite Teil ungültig ist. Altes Geheimzeichen.“
„Ach so. Morgen also schon. Und was machen wir jetzt?“
„Dort hingehen, den Schatz stehlen, von dem wir nicht mal wissen, was und wo er ist und auf ein Wunder hoffen.“
„Ich glaube, ich weiß noch, was und wo der Schatz ist“, antwortete ich. „Aber du musst mir versprechen, nicht aufzugeben.“
„Ich verspreche es. Wenn du mir versprichst, notfalls nach Hause ohne uns zurückzukehren. Falls wir gefasst werden.“
„Das könnte ich dir niemals versprechen!“, beschwerte ich mich. „Und das weißt du auch!“
„Ja, ich weiß. Du bist eine störrische kleine Heldin.“
„Hey!“
„Ist doch so!“
„Gar nicht wahr!“, rief ich gespielt empört und versuchte Marvin zum Stolpern zu bringen.
„Helft mir! Sie legt mich übers Kreuz!“, jammerte Marvin, aber keiner kam ihm zur Hilfe. Meine Oma beobachtete uns nur neugierig, Josh und Sophie tanzten grinsend zum Trommelrhythmus weiter und Dennis klapperte demonstrativ mit ein paar Töpfen. Also nahm Marvin das Problem selbst in die Hand, drehte den Spieß um und schon hing ich in seinen Armen, nur einen halben Meter über dem Boden.
Grinsend beugte Marvin sich zu mir herab, worauf ich ihm jedoch zur Strafe die Nase zerquetschte und ihn auf den Boden drückte.
Marvin nuschelte etwas Unverständliches unter meinen Fingern hindurch und ging gerade zum Gegenangriff über, als Dennis Stimme aus der Küche drang.
„Wenn ihr eure Klamotten schmutzig macht, konnt ihr eure Nacht damit verbringen, sie sauber und anschließend wieder trocken zu kriegen!“
Angesichts dieser Drohung ließ Marvin doch lieber von mir ab und half mir auf die Beine.
„Puh, meine Füße tun weh. Lass uns besser aufhören mit Tanzen.“
„Ganz meiner Meinung“, stimmte Marvin zu und wir gesellten uns zu Sophie und Josh, die inzwischen ebenfalls aufgegeben hatten.
„Morgen habe ich bestimmt Blasen an den Füßen“, seufzte Sophie.
„Wie gut, dass ich immer ein bisschen Breitwegerich mit mir herumtrage“, meinte meine Oma und begann, sich um Sophies Füße zu kümmern. Glücklich lächelnd hatte Sophie sich an Josh gelehnt und streichelte gedankenverloren ihre Ratte.
„Hat dein Haustier eigentlich immer die Stricke durchgenagt?“, fragte Josh und grinste leicht, als Sophie nickte. „Und ich habe mich schon gewundert, wie du dich immer so leicht befreien konntest.“
„Tja.“ Verträumt lächelnd schloss das Rattenmädchen die Augen. So wirkte sie viel mehr wie eine Prinzessin, nicht wie das Mädchen mit der Ratte, das ich vor nicht einmal einer Woche gefunden hatte. Nur, dass Josh nicht wie ein Prinz aussah. Ihm fehlte eindeutig das Vornehme, Gehobene.
Dafür trug er zurzeit ein hinreißendes Lächeln auf dem Gesicht und erzählte uns alte Gangstergeschichten, bis das Essen fertig war. Zwischendurch wurde er von Marvin ergänzt, der jedoch genau wie Josh aufpasste, nichts zu erwähnen, was in dieser Welt nicht möglich gewesen wäre. Vergnügt begannen auch Aron und ich alte Geschichten auszupacken, wobei meine Oma kräftig mitmischte. Nur gelegentlich warf sie ein, was für ungezogene Kinder wir doch alle wären.
Sophie erzählte nicht viel. Ihr Leben sei langweilig gewesen, sagte sie. Das hier sei ihr erstes großes Abenteuer und mit Abstand das Beste, was ihr je passiert sei.
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