Chapter 12

OK, dachte ich, als ich hinter Dennis herschlich. Nun war ich mir nicht mehr so sicher, ob der Diebstahl wirklich gelingen würde. So ein großes Haus schlief nie, irgendjemand war immer auf der Hut. Jetzt war meine letzte Chance. Nicht durch diese Pforte für die Küchenmädchen gehen, sondern umdrehen und mit fliegenden Füßen das Weite suchen. Aber konnte ich Marvin schnell genug erreichen, um ihn zu retten? Was würde mit Sophie geschehen? Und vor allem: Was, wenn der Boss tatsächlich ein Wolfsgeheul ausstoßen, und Marvin getötet würde, bevor ich auch nur in Sichtweite der Fabrik kam?

 Plötzlich meldete sich ein anderer Gedanke zu Wort. Du spinnst! Dennis und Josh und Aron sind deine Freunde! Außerdem würde Dennis niemals seinen Sohn oder Adoptivsohn, oder was auch immer umbringen. Was für ein Schwachsinn ich da zusammenfiebere …

Das konnte nur eins bedeuten: Die Geschichte versuchte sich erneut, in meinen Kopf zu schleichen. Schnell schüttelte ich mich, als könne ich die seltsamen Gedanken so aus meinem Kopf verscheuchen, und folgte Dennis durch die Tür.

Beeile dich!, bedeutete er mit einer Hand, und nach kurzem Zögern folgte ich ihm in die dunkle Küche. Nur das fahle Mondlicht, das durch die offene Tür hineinfiel, beleuchtete die triste Einrichtung, die größtenteils aus Messern und Töpfen zu bestehen schien.

Josh ließ die Tür leicht offen, sodass sein Gesicht unheimlich beleuchtet wurde, als er mit großen Schritten auf die Messersammlung zuhielt und sich ein besonders großes nahm.

„Nicht schlecht“, wisperte er, dann winkte er Sophie zu sich.

Ihr verunsicherter Blick streifte mich, aber Dennis hielt mich zurück, als ich ihr zur Seite stehen wollte.

„Es werden nur die Fesseln abgeschnitten. Stellt euch nicht so an“, meinte Dennis, als er meine weit aufgerissenen Augen bemerkte.

Klar, dachte ich mir. Wir hatten zwar nicht mehr die Hände zusammengebunden, dafür war aber ein Strick jeweils am linken Handgelenk befestigt, an dem wir das letzte Stück geführt worden waren. Falls uns jemand in die Quere kam, wäre es sinnvoller, auch dieses Seil loszusein.

Wieder einmal schimpfte ich mit mir selbst, wie dumm ich gewesen war. Was denn sonst? Keiner der beiden war darauf aus, uns was anzutun. Wir mussten diesen Auftrag gemeinsam vollenden, schließlich würde es mir nichts bringen, mich quer zu stellen.

Von nun an bin ich ich selbst, schwor ich mir. Diese Geschichte kriegt meine Gedanken nicht so schnell!

Dass das leichter gesagt als getan war, war mir zwar schon bewusst, aber mir blieb keine andere Wahl als zu kämpfen. Und dabei nicht zu vergessen, wer der wahre Gegner war.

Ich war noch nie in ein Haus eingebrochen, und ich konnte nicht behaupten, dass ich je ein großes Verlangen danach gespürt hatte. Auch jetzt fühlte ich mich nicht besonders wohl, als ich auf den langen Flur hinausspähte. Einmal auf offener Fläche wäre ich schutzlos, und dass Josh mit mir kam, war mir da auch kein Trost.

„Du bleibst bei Dora, ich kümmere mich um Sophie“, hatte Dennis angeordnet und war, ohne auf eine Antwort zu warten, verschwunden.

„Los geht’s, Dora. Ich bin direkt hinter dir“, sagte Josh und legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter. Tief durchatmend pirschte ich los, bedacht, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Aber mein Kleid rauschte und raschelte verdächtig, als ich meinen Weg über den Flur begann. So war mir auch schleierhaft, wie Josh etwas hören konnte, aber plötzlich zog er mich an die Wand und wurde selbst dünn wie ein Strich.

Hä?, dachte ich und versuchte vergebens, mein Kleid an der Wand zu tarnen. Dann sah ich ihn auch. Ein junger Mann im Seidenmantel, eine Kerze hoch erhoben, schlurfte genau auf uns zu! Was sollte ich tun? Nur noch eine Frage von Sekunden, dann würde die Kerze unsere Gesichter anleuchten und uns verraten!

In sekundenschnelle ratterte mein Gehirn alle Möglichkeiten ab, die ich aus diversen Büchern kannte. Nur allzu oft hatte sich eine tapfere Hauptperson in Häuser geschlichen, und so mangelte es mir nicht an Vorschlägen. Trotzdem war es meine eigene Idee, und wahrscheinlich war sie auch deshalb so dumm und waghalsig, als ich vortrat und mich um einen verängstigten, unterwürfigen Ausdruck bemühte.

„Ich habe mich verlaufen, Herr“, sagte ich mit leiser, zittriger Stimme. Das Zittern kam schon ganz von selbst, und so machte ich mir eher Sorgen, dass meine Beine plötzlich wegklappen würden.

„Wo willst du denn hin?“, fragte der Mann nach einer höflichen Pause, in der ich jedoch nichts weiter gesagt hatte.

„Z-Zu den D-Dienstmädchen“, stotterte ich und fragte mich, ob ich nicht langsam übertrieb. „Ich müsse e-eigentlich schon längst schlafen, und ich h-habe so schreckliche Angst im Dunkeln!“

„Tatsächlich?“ Der Mann leuchtete mir mit der Laterne ins Gesicht, wobei ich mich um einen Hündchenblick bemühte, ihn jedoch schnell wieder verwarf, als ich seinen kritischen Blick bemerkte.

„Und was treibst du noch so spät? Doch nichts Unanständiges?“

Augenblicklich errötete ich, dabei hatte ich ja nicht mal im Entferntesten an etwas Unanständiges gedacht, geschweigedenn es zu tun.

„N-Nein, natürlich nicht, Herr“, sagte ich. Noch ein prüfender Blick, dann deutete der junge Mann den Gang entlang.

„Links, dann immer geradeaus bis zur Eingangshalle. Von da an müsstest du den Weg ja kennen.“

„Habt ihr noch eine Kerze?“, fragte ich und betete, dass er nicht weitergehen und Josh entdecken würde.

„Leider nicht. Aber ich kann dich begleiten, damit du dich nicht wieder verläufst.“ Sein Tonfall ließ unschwer erahnen, dass er glaubte, ich könne mich mit Absicht verlaufen und wieder unanständige Dinge tun, wie er es nannte.

„Vielen Dank, Herr.“ Ergeben huschte ich hinter ihm her, nicht sicher, ob es besonders klug war, ins Dienstmädchenzimmer gebracht zu werden. Das könnte sich als ein weiteres Problem darstellen.

„Ah, und bring das Kleid besser bis morgen zurück. Ich weiß nicht, was der Herr davon hält, dass du die Kleider seiner Tochter trägst.“

„Ihr verratet ihm doch nichts?“, fragte ich besorgt. Jedoch galt meine Sorge weniger dem Kleid als dem Problem, dass es nicht gut aussehen würde, wenn ein Dienstmädchen nachts herumgeisterte und am nächsten Morgen Geld fehlte. Ich wollte schließlich niemanden in Schwierigkeiten bringen.

„Diesmal verrate ich niemandem etwas. Aber mach das nicht noch einmal.“

„Ja, Herr“, sagte ich, dann hatten wir die Eingangshalle erreicht.

„Gute Nacht“, sagte der junge Mann, deutete in die Richtung, in die ich gehen musste, und wandte sich dann selbst zum Gehen.

„Gute Nacht.“ Langsam und mit Beinen, die so stark zitterten, dass es ein Wunder war, dass ich überhaupt noch stand, machte ich mich auf den Weg zum Dienstmädchenzimmer.

Kurz vor der Tür blieb ich jedoch stehen und lauschte einen Moment. Als ich nichts hörte, drehte ich mich um.

Und starrte geradewegs in große, funkelnde Augen.

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