Chapter 11
Mein Gehirn fühlte sich an wie ein Brei, der zwei Mal durchgekaut und dann doch wieder ausgespuckt worden war. Nur mühevoll gelang es mir, die Augen zu öffnen, nur um ein Zimmer zu sehen, das sich genauso drehte wie der Rest in meinem Kopf.
Ich stöhnte leise, dann schlug ich die Augen erneut auf und diesmal stellte sich das Zimmer scharf.
„Aron?“, wisperte ich, als ich das besorgte Gesicht erkannte, das ungefähr zwei Zentimeter über meinem hing.
„Dora! Es tut mir so leid! Ich …“, begann Aron, aber ich brachte ihn durch ein Kopfschütteln zum Schweigen, was gar nicht so einfach war. Denn mein Hals war mit einem dicken Schal umwickelt, der die meisten Bewegungen unmöglich machte.
„Ich war nicht ich selbst“, fuhr Aron trotzdem fort.
„Scheiß Gefühl, was?“ Ich wusste genau, was er meinte, aber das machte es natürlich nicht besser. „Glaubst du, irgendein Geist von einem bösen Wesen hockt hier unten und übernimmt unsere Gedanken?“, fragte ich, erschaudernd bei dem bloßen Gedanken. Wenn das der Fall war, wäre ich stark dafür, dass wir umzogen.
„Werde nicht abergläubisch“, warf Dennis ein, aber diesmal klang seine Stimme todernst. „Ich fürchte, die Geschichte ergreift langsam Besitz von uns. Wir waren bereits zu lange hier.“
„Aber ist das nicht gut? Ich meine, so können wir die Geschichte nicht den Bach runtergehen lassen“, meinte Marvin unsicher. Aber Dennis schüttelte nur den Kopf.
„Wenn wir die Geschichte verlassen wollen, müssen wir wir bleiben. Die Gangster werden im Gefängnis landen, wir jedoch hoffentlich zuhause im Bett.“
„Dann lassen wir uns eben nicht unterkriegen!“, sagte Marvin mit so viel Überzeugung wie nur möglich und hob eine Faust. Zögerlich, mit schwerem Herzen, drückte ich meine Faust gegen seine und auch alle anderen hoben die Fäuste in die Mitte.
Zusammen sind wir stark, sagte die Geste. Sie machte mir Hoffnung, aber gleichzeitig machte sie mich traurig. Traurig, weil nicht zu übersehen war, dass alle, selbst Josh hier waren, nur Sophie im anderen Raum saß. Sie würde ihr Abenteuer alleine bestehen müssen.
„Holen wir Sophie und reden über den Einbruch heute Nacht.“
Alle Sorge und Furcht war von unseren Gesichtern verschwunden, Dennis trug wieder sein Pokerface, Josh das undurchsichtige Lächeln und Aron eine gelassene Gleichgültigkeit.
Marvin und ich saßen in zwei entgegen gesetzten Ecken, Hände hinter dem Rücken gefesselt, und eine gebührend niedergeschlagene Miene mit dem richtigen Hauch von Rebellion als Maske tragend.
Erst dann wurde Sophie hineingebracht, Hände ebenfalls zusammengeknotet.
„Diesmal hast du dich wohl nicht befreit, was? Sonst bist du ja immer durch die Stricke gegangen wie ein geölter Fisch“, sagte Dennis, und ich glaubte, eine Spur von Wärme in seinem Lächeln zu entdecken.
„Nenn mich noch einmal einen geölten Fisch, und du bist dran“, knurrte Sophie, immer noch nicht bereit, aufzugeben.
„Das war metaphorisch“, antwortete Dennis gelassen.
„Ihr Talent wird ihr in Zukunft leider nichts nutzen. Heute Nacht brauchen wir sie ohne Fesseln. Zumindest ohne sichtbare.“ Josh stand auf und schlenderte bedrohlich ruhig auf Sophie zu. „Drei Mal darfst du raten, wem wir heute Nacht einen Besuch abstatten.“
Sophie, die sich nicht mal die Mühe machte, auf sein Spiel einzugehen, blickte ihn kalt an.
„Schon gut, ich verrate es dir“, lächelte Josh. Selbst sein Lächeln wirkte eisig. Eisig und dünn, nicht so warmherzig, wie ich es gewohnt war. „Heute Nacht darfst du Papi und Mami besuchen. Ist das nicht toll?“
„Ihr habt versprochen, ihnen nichts zu tun!“, rief Sophie, plötzlich aufgebracht. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht verschwunden und sie sah aus, als habe sie Angst.
„Wenn du mitspielst, nehmen wir nur ihr Geld, nicht ihr Leben“, versprach Dennis.
„Wenn uns nichts geschieht, wird ihnen auch nichts geschehen“, stimmte Josh zu und umging den prüfenden Blick von Dennis.
„Zur Sicherheit behalte ich Marvin hier. Damit unsere heldenhafte Leibwächterin nicht schon wieder auf dumme Ideen kommt“, fügte Aron hinzu, wobei nur ich den entschuldigenden Blick sah, den er mir zuwarf.
„Der Deal gilt? Ich schade euch nicht, und ihr tut Marvin nicht weh?“ Ich ließ meine Stimme extra leicht zittern und setzte einen Gesichtsausdruck auf, der eine Mischung aus Wut und Sorge zeigte. Gar nicht so einfach.
„Der Deal gilt.“ Josh entfernte sich wieder von Sophie, die sich nach kurzem Zögern hinsetzte.
„Können wir jetzt endlich das Frühstück essen?“, fragte Sophie. „Auch wenn es aus verkochten Kartoffeln mit Hähnchen und Milch besteht.“
„Rümpf nicht die Nase, das ist gutes Essen“, antwortete Aron, nur mit Mühe ein Grinsen unterdrückend.
„Wir zwingen keinen, mitzuessen. Unglücklicherweise weiß man nie, ob es ein Mittagessen geben wird, also überlegt besser zweimal. Und ob Essen oder nicht, danach besprechen wir ein paar Details, damit der Abend zufriedenstellend abläuft.“
Nur zu gerne hätte ich das Kleid gegen ein T-Shirt und eine vernünftige Hose eingetauscht, aber leider gab es in der alten Fabrik nichts dergleichen. Also liefen Sophie und ich in Kleidern los, oder besser gesagt: Wir stolperten. Dass wir die Hände auf dem Rücken zusammengebunden hatten, machte es natürlich auch nicht besser.
Aron und Marvin blieben zurück, Aron mit einem Messer in der Hand und Marvin mit einem Messer am Hals. Aber als ich mich noch ein letztes Mal umsah, bemerkte ich, dass Aron mit einem Kartenspiel winkte. Den beiden würde wahrscheinlich nicht langweilig werden.
An Langeweile war für uns jedoch auch nicht zu denken. Jetzt wurde es ernst, jetzt wäre es gut, von der Geschichte geführt zu werden, denn die wahren Gangster würden diesen Einbruch meistern.
Versagen kam also nicht infrage, denn Versagen bedeutete, dass man hinterher nicht mal mehr die Zeit hatte, sich darüber zu ärgern.
Genau dieselben Gedanken konnte ich auf Joshs und Dennis Gesichtern erkennen. Langsam ließen ihre Masken wieder Gefühle durchsickern, und am deutlichsten von allen machte sich Besorgnis breit.
„Wenn wir jemandem vom Personal begegnen, dürft ihr ihm nichts tun, ja?“, wisperte Sophie, die aus ganz anderen Gründen vor Sorge fast verging.
„Schon klar. Und wenn wir eurer Katze über den Weg laufen, dürfen wir ihr auch nichts tun“, entgegnete Josh leicht genervt.
„Wenn es aber ein bissiger Köter ist und du ihn nicht zurückpfeifst, war er zum letzten Mal in seinem Leben ein bissiger Köter“, fügte Dennis hinzu.
Um ehrlich zu sein war ich mir nicht ganz sicher, was mit dem Hund passieren würde, wenn Sophie ihn nicht zurückhalten konnte. Würden sie ihn dann tatsächlich töten? Kaum vorstellbar. Aber sich zerfleischen lassen stand auch nicht gerade auf der Liste der Möglichkeiten.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich mehrmals stolperte, und hätte Josh mich nicht jedes Mal aufgefangen, hätte ich mit Sicherheit schon längst einen eingedellten Schädel.
„Besser, wir binden sie jetzt los. Wenn uns jemand in die Quere kommt, sollten wir in der Lage sein, wegzulaufen“, meinte Josh schließlich, als ich schon wieder fast gestürzt wäre.
„Aber denkt dran.“ Dennis finstere Blicke durchbohrten mich und Sophie, die sogar ein bisschen schrumpfte. „Wenn wir zu spät zurückkommen oder ausversehen Wolfsgeheule meiner Kehle entweicht … ist Marvin TOT.“
Sophie wirkte inzwischen nur noch wie ein kleines, unschuldiges Mädchen, das unter dem Blick des Bösen immer weiter zusammensackte.
„Lass sie in Ruhe, wir tun, was ihr wollt“, sagte ich leicht trotzig und fing Dennis Blick auf. Seine Augen lächelten, der Rest seines Gesichts war immer noch steinhart.
„Das will ich auch hoffen“, sagte er, dann bogen wir in die Straße ein, die zu Sophies Haus führte.
Den Kopf in den Nacken gelegt konnte ich sie sehen, eine große, prunkvolle Villa, auf der Spitze des Hügels. Zu ihren Füßen versammelten sich nur wenige kleine Häuschen, die seltsam verloren und verstreut wirkten, als hätte sie jemand ohne weitere Überlegung einfach irgendwo hingebaut.
Dahingegen wirkte die riesige Mauer mächtig und bedrohlich, wie sie so den ganzen Hügel umrahmte. Besonders interessant fand ich allerdings die Brücken, die sich von der Mauer aus bis zu den Dachterrassen spannten.
„Wenn wir auf die Mauer kommen, wird es ein Leichtes sein, ins Haus zu gelangen“, schlug ich vor, aber Josh schüttelte nur den Kopf.
„Wenn wir auf die Mauer kommen, wird es höchstens ein Leichtes sein, den Wächtern die Hand zu schütteln. Also still jetzt. Der Boss übernimmt die Führung.“
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