Neunzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

„Ich glaube, das Mädchen denkt zwar, wir würden jetzt sterben, aber da stand nichts Spezifisches. Dass wir nie wieder ins Dorfzurückkehren, stand da allerdings so weit ich weiß auch noch irgendwo ... Und das man unsere Leichen im Wald findet!“ Ich schluckte entsetzt. „Wie bitteschön soll das gehen, wenn wir überleben wollen? Entweder wir retten uns und stürzen die ganze Welt in Chaos, oder …“ Ich ließ den Rest ungesagt, Aron wusste auch so, was ich meinte. Niedergeschlagen und ratlos blieben wir einfach liegen, bereit, uns für diese Welt zu opfern.

So schwiegen wir lange, es dämmerte bereits der Morgen, als Aron plötzlich wieder etwas sagte.

„Und wenn die beiden Kinder, die wir gerade vertreten, auch gestorben sind und dann im Wald gefunden werden?“

Es war kaum vorstellbar wie viel Enthusiasmus und vor allem Hoffnung seine Worte in mir erweckten. Zumal ich verdammt froh war, seine Stimme wiederzuhören, denn ich hatte schon geglaubt, es sei aus mit ihm.

„Lass uns sie suchen“, meinte ich sofort. Noch bestand eine Chance und wir mussten nicht sterben. Aufgeben wollte ich jetzt jedenfalls nicht mehr und vielleicht hatten wir ja Glück. Oder vielleicht hatten wir die Welt ja auch schon längst ins Chaos gestürzt, weil die beiden bereits wieder im Dorf waren. Aber hätten wir das nicht merken müssen?

Diesmal richtete ich mich extrem vorsichtig auf und blieb sogar – wenn auch schwankend und nur mit äußerster Mühe – stehen. Das blutverschmierte Messer hielt ich in der Hand, mit der ich nicht meinen verwundeten Arm betastete und langsam kamen mir ernste Zweifel. Was, wenn Aron gar nicht in der Lage war, durch die Gegend zu stolpern? Selbst ich hatte Mühe auf den Beinen zu bleiben, auch wenn es von Sekund zu Sekunde besser ging.

Jedenfalls konnte ich es schaffen, dessen war ich mir sicher, doch Aron?

Unsicher näherte ich mich ihm, nur noch leicht schwankend.

„Aron, geht’s dir gut?“, fragte ich leise und kniete mich neben ihn, wobei ich fast hingefallen wäre.

„Ich glaube, ja. Mir tut zwar alles weh, aber das ist doch immerhin ein eindeutiges Zeichen, dass noch nichts abgestorben ist. Kannst du diesen Koloss von mir runterschieben?“

„Klar.“ Sofort ließ ich meinen verwundeten Arm los und machte mich daran, den schweren Jäger von Aron zu schieben. Mit nur einem Arm war das gar nicht so einfach, aber da der Mann immer noch bewusstlos war, gelang es mir schließlich.

Aron sah nicht gut aus. Bestimmt hatte er nicht übertrieben, als er sagte, ihm tue alles weh.

„Was ist denn mit deinen Armen?“, fragte ich schockiert, als er stöhnend versuchte, den einen unter seinem Rücken hervorzuziehen, während der andere schlaff an seiner Seite baumelte.

„Hmpf!“, murmelte Aron und bekam seine Hand frei. „War nur ein bisschen verdreht. Der andere macht mehr Schwierigkeiten. Bestimmt habe ich mir eine Zerrung geholt. Verdammt!“

„Äh, dagegen können wir jetzt nichts tun. Besser, du belastest ihn einfach nicht so stark.“

„Und was ist mit deinem Arm?“ Besorgt schielte Aron auf meinen linken Arm: Der halbe Ärmel war inzwischen blutrot, wenn auch nicht nur von meinem eigenen.

„Das geht schon. Er blutet schon eine ganze Weile nicht mehr.“

„Immer die armen Arme“, meinte Aron und ich lächelte schwach.

„Allzu schlecht kann es dir aber nicht gehen“, sagte ich leise zu ihm. Lächeln wollte mir allerdings nicht gelingen. „Ach ja, unser Jäger hier wird durchhalten.“

„Oh, gut.“ Aron suchte sich nach weiteren Verletzungen ab, fand jedoch so viele, dass er schnell wieder damit aufhörte.

 „Lass uns die zwei anderen Kinder suchen und dann schleunigst zum Tor zurückgehen. Umso schneller wir hier rauskommen umso besser.“

Aufmerksam streiften wir durch den Wald, äußerst bedacht darauf, dass wir dem Monster nicht noch einmal begegneten. Wenn es wüsste, wie lebendig wir noch waren, würde es uns bestimmt wieder mitnehmen. Noch glaubte es uns als verloren. Im Kampf gefallen. Ich grinste schwach.

Wir fanden die beiden Kinder bald, zwei reglose Gestalten im Laub, tot, wie es die Geschichte vorhergesehen hatte. Einmal mehr kam es mir grausam vor, dass alle diese Leute sterben mussten und ich fragte mich, ob vielleicht nicht schon morgen jemand aus unserer eigenen Geschichte sterben musste. Hoffentlich standen wir nicht bereits auf der Liste der zu Ermordenden.

„Ich glaube, sie haben den Fehler begangen, einem Rudel panischer Wölfe über den Weg zu laufen“, stellte Aron nach einem kurzen Blick fest und sah schnell wieder weg. „Oh Gott, ich geh nie wieder in eine Geschichte.“

„Unsere Welt ist auch eine Geschichte“, erinnerte ich ihn und plötzlich bekam ich Angst. Nicht zu wissen, welchen Regeln man Tag für Tag folgen musste, konnte äußerst beunruhigend sein.

„Los, lass und gehen“, beschloss ich, nachdem ich noch einmal kurz zu den beiden Toten hinübergelugt hatte. „Daran können wir eh nichts mehr ändern.“

Obwohl Aron eine übel aussehende Wunde am Bein davongetragen hatte, erreichten wir das Tor relativ schnell, denn keiner von uns wollte noch länger in dieser Welt bleiben.

„Teufel noch mal, war das brutal“, stöhnte Aron.

„Ja, wir haben wirklich Glück mit unserer eigenen Geschichte.“ Mit diesen Worten nahm ich Arons Hand und gemeinsam traten wir durch das Tor.

Für einen kurzen Moment wirbelten wir durch die Worte, dann hatten wir endlich die andere Welt hinter uns gelassen und landeten – immer noch stehend – auf meinem Bett.

Doch es war keine angenehme Überraschung, die uns hier empfing. Ich japste vor Entsetzen auf, als ich die drei Gestalten bemerkte, die in meinem Zimmer standen und offensichtlich den Schreck ihres Lebens bekamen.

In diesem Augenblick stöhnte Aron leise und griff nach seinem Bein.

„Oh, verdammt, die Wunde!“, fluchte er. „Ich bin falsch geland…“ Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment verlor er das Gleichgewicht, streckte die blutverschmierte Hand nach mir aus und fiel fast wie in Zeitlupe um. Ich war unfähig mich zu bewegen, ganz im Gegensatz zu Josh, der den allgemeinen Schrecken am schnellsten verdaut hatte und nun einen Satz nach vorne machte, um Aron aufzufangen. Erschöpft sackte dieser in seinen Armen zusammen.

„Aron!“, vorsichtig machte ich einen Schritt auf ihn zu.

„Bleib stehen!“, warnte Josh mich ungewöhnlich hart und nahm Aron schützend in den Arm. „Und lass das Messer fallen. Was zum Teufel habt ihr da eigentlich gemacht?“

„Ich … das war ich nicht“, brachte ich hervor, ließ das Messer jedoch gehorsam durch meine Finger gleiten. Mit einem dumpfen Aufschlag landete es auf dem Boden. „Es ist alles schiefgegangen … aber die Welt … existiert noch.“ Meine Stimme wurde immer leiser, alles um mich begann sich zu drehen. Für einen kurzen Moment streifte mein Blick Aron, der sich fest in Joshs Hemd verkrallt hatte, glitt über Marvin, der lautlos den Mund bewegte und dann vorstürmte … dann fielen mir die Augen zu und alles wurde schwarz.

Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich mich so, wie man sich wohl fühlen musste, wenn man zu viel Alkohol getrunken hatte, trotzdem war ich innerhalb weniger Sekunden hellwach.

„Marvin?“, murmelte ich. „Aron?“

„Lass mich schlafen“, antwortete Aron leise. Von Marvin, Josh und ihrem Kumpanen keine Spur. Wir befanden uns immer noch in meinem Zimmer und diese Banausen waren einfach abgehauen … mit dem Buch!

„Verdammt! Steh auf Aron! Wir müssen sie aufhalten!“

„Oh, warum bist du nur wieder zu dir gekommen?“, jammerte Aron. Er lag neben mir und schien es furchtbar bequem zu finden.

„Sie! Hauen! Mit! Unserem! Buch! Ab!“, zeterte ich. „Also schwing die Hufe und komm mit!“

„Haha. Weißt du, was deine Mutter denkt, wenn du so runterkommst? Sie kriegt einen Anfall! Steckt uns ins Krankenhaus, hält uns womöglich auch noch für verrückt! Ist es das, was du willst?“ Er klag irgendwie müde, seine Verletzungen mussten stärker sein, als ich angenommen hatte.

„Ich habe noch Kapuzenpullover und Schlabberhosen zum Drüberziehen. Bitte Aron, sonst muss ich alleine gehen“, flehte ich. Seufzend richtete er sich auf und blickte mich an.

„Ich trage keine Mädchensachen. Selbst nicht, wenn es darum geht, drei verrückte Gangster vor dem Unglück ihres Lebens zu bewahren.“

„Schön, ich habe nämlich auch keine Mädchensachen.“ Wild entschlossen sprang ich auf, zog die entsprechenden Kleidungsstücke aus dem Schrank und warf ihm Hose und Pulli zu. Danach zog ich meine eigenen über – nur schwer gelang es mir, den Schmerzensschrei zu unterdrücken, als ich meinen Arm in den Ärmel manövrierte.

Auch Aron hatte es nicht leicht, er fluchte ununterbrochen beim Anziehen, dann folgte er mir nach draußen, wobei er nur sehr schwach humpelte. Er machte das richtig gut.

„Weiter so, das schaffen wir“, ermutigte ich ihn. „Immerhin wissen wir genau, wo wir hinmüssen.“ Natürlich lenkten wir die Blicke von ein paar neugierigen Leuten auf uns: Dick angezogen und mit den Kapuzen tief im Gesicht boten wir schon einen ungewöhnlichen Anblick für diese Jahreszeit. Trotzdem erreichten wir das Haus am Waldrand ohne erwähnenswerte Zwischenfälle, wo wir uns sofort hinter ein paar Sträuchern – von denen es hier ja nur so wimmelte – versteckten.

„Und jetzt?“, wollte Aron wissen, nachdem er sich umständlich gesetzt hatte.

„Jetzt warten wir, passen auf, dass sie nicht noch richtig abhauen, und heute Nacht holen wir uns das Buch zurück. Dann verbrennen wir es vielleicht doch.“ Ich sagte das, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt und genauso kam es mir in diesem Moment auch vor. Es war einfach unmöglich, Marvin und die anderen mit dem Buch entkommen zu lassen. Nicht auszudenken, was ihnen alles passieren könnte!

„Es ist bereits fast Nacht“, stellte Aron fest und riss mich so aus meinen Gedanken. „Wir müssen den ganzen Nachmittag in der Geschichte verbracht haben.“

„Zum Glück nur den Nachmittag, sonst hätte sich meine Mutter bestimmt Sorgen gemacht … oh, oh, hoffentlich hat sie nicht bemerkt, wie wir rausgegangen sind.“

„Oh ja. Und hoffentlich guckt sie auch nicht in deinem Zimmer nach“, fügte Aron hinzu. Danach schwiegen wir wieder, sodass uns das leise Knacken hinter uns nicht entging.

Erschrocken wirbelte ich herum, Aron hatte da mehr Probleme: Sein Bein schmerzte und er ließ eine Tirade von Schimpfwörtern los.

„Na wen haben wir denn da?“, säuselte Marvin und beugte sich zu uns hinunter. „Was macht ihr denn hier?“

„Dasselbe könnten wir auch fragen“, entgegnete ich halbherzig.

„Ich wohne hier, und ihr?“

„Ist ja gut“, maulte Aron. „Führt uns ab! Ihr habt gewonnen.“

„Was?“ Ich sprang auf, doch Marvin hielt mich am Arm fest.

„Ich fürchte, Aron hat recht. Ihr bleibt hier. Und noch was.“ Er schenkte mir ein breites Lächeln und raunte mir zu: „Widerstand ist zwecklos.“ Plötzlich legten sich große, kräftige Hände auf meine Schultern und eine beunruhigende Stimme fragte: „Soll ich dir helfen?“

„Nicht nötig, Dennis“, meinte Marvin. „Mit ihr werde ich auch alleine fertig.“

„Ach ja?“, erwiderte ich giftig, beschloss aber, dass er recht hatte.

„Ich kümmere mich mal um Aron“, meinte Josh da und beugte sich zu ihm herunter. „Du bist nicht schlecht im Unsichtbarmachen, aber ein bisschen mehr Übung könnte nicht schaden.“

„Na, herzlichen Dank.“

„Gern geschehen.“ Gelassen nahm Josh ihn wieder auf den Arm und marschierte festen Schrittes auf das Haus zu.

„Ich kann alleine laufen!“, hörte ich Aron protestieren.

„Schon klar“, meinte Josh, ohne auch nur eine Millisekunde langsamer zu werden. „Aber ich will dein Bein verbinden, nicht amputieren.“ Mit langen Schritten verschwand er durch die Tür und kurz darauf rumpelte es irgendwo im Haus.

„Und jetzt zu dir“, sagte Dennis. „Kommst du?“

„Werde ich auch getragen?“, fragte ich frech und grinste ihn breit an.

„Nein, du läufst.“

„Ich könnte dich auch tragen“, bot Marvin lächelnd an. „Aber ich kann nicht garantieren, dass ich es ohne Unfälle bis zur Tür schaffe.“

„Ich glaube, ich verlege dein Angebot lieber auf eine Gegend ohne Schlehen und Wildrosen“, meinte ich und folgte den beiden. Ich versuchte nicht einmal wegzulaufen, wozu auch? Blamieren musste ich mich nun wirklich nicht.

Keine fünf Minuten später befand ich mich mit Aron, Marvin und Josh in einem Badezimmer, während Dennis verschwunden war, um uns ein Abendessen zu machen. So hatte ich mir eine Gefangennahme irgendwie nicht vorgestellt.

„Willst du deine Wunde selbst saubermachen?“, fragte Marvin, der ein wenig zerstreut wirkte, und hielt mir einen Waschlappen entgegen. Ich hatte meine zwei Pullover inzwischen ausgezogen – sie wurden gerade eingeweicht, um das ganze Blut herauszubekommen – und da die Ärmel meines T-Shirts sehr kurz waren, konnte ich die Schusswunde an meinem Arm nur allzu deutlich sehen.

„Nein.“ Ich schüttelte langsam den Kopf. „Ich glaube, das kann ich nicht.“

„Na gut, dann mach ich es eben.“ Marvin wrang den Waschlappen beinahe demonstrativ aus, dann begann er, die Wunde von Fusseln und Dreck zu säubern. Ers brannte höllisch.

Blitzschnell sucht ich etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte, um den Schmerz zu lindern, und fand nur allzuschnell zwei geeignete Personen: Josh und Aron.

„Gib mir deinen Arm!“, befahl Josh gerade und griff nach Arons Arm, der blutverkrustet war, offensichtlich nicht nur fremdes Blut, denn er schien ihm sehr wehzutun.

„Nein!“, jammerte Aron und zog seinen Arm aus Joshs Reichweite. „Ich mache es selber!“

Das habe ich ja gesehen!“, konterte Marvins großer Bruder. „Du hast die ganze Zeit über die Luft über deiner Wunde abgetupft!“

„Stimmt doch gar nicht!“ Jaulend versuchte Aron erneut Joshs Hand auszuweichen, doch diesmal war der schneller und zog den fluchenden Aron zu sich heran.

„Halt endlich still, sonst tut es noch mehr weh!“ Das wirkte eindeutig, denn nun stand Aron lammfromm neben Josh und ließ sich den Arm säubern. Er schimpfte nicht einmal mehr.

Was für ein seltsames Paar!, dachte ich mir und drehte mich fast automatisch zu Marvin herum.

„Tut’s weh?“, fragte der leicht besorgt und hielt inne.

„Geht schon, mach weiter“, meinte ich, musterte ihn aufmerksam und fragte mich: Ob er mich wohl mag?

„Hey, mach nicht so ein Gesicht, ich bin ja schon gleich fertig. Dann hast du das Schlimmste hinter dir.“ Er wischte noch einmal vorsichtig das restliche Blut um die Wunde herum ab, dann griff er zu einem Verband und machte irgendeine Flüssigkeit darauf. Das hatte meine Mutter auch immer gemacht. A propos …

„Ähm, das alles ist echt nett von euch, aber … wir müssen bald wieder zurück, sonst machen sich unsere Eltern noch Sorgen“, erklärte ich Marvin.

„Glaubst du eigentlich, wir hätten kein Telefon?“

„Oh, Mann“, stöhnte ich. „Heißt das, jetzt kommt der alte Ich-bin-bei-Aron-und-er-ist-bei-mir-Trick?“

„Du hast es erfasst. Ihr dürft erst gehen, wenn wir verschwinden. Und das ist wahrscheinlich übermorgen.“

„Was?“, entfuhr es mir, völlig entgeistert starrte ich ihn an.

„Halt still, ich muss dir den Verband anlegen“, murmelte Marvin und ich glaubte, so etwas wie Bedauern in seiner Stimme zu hören. Noch zwei Tage, dachte ich mir und hielt Marvin geistesabwesend den Arm hin. Dann wäre wieder alles so wie zuvor.

„Hilfe, Dora, er quält mich!“, rief Aron plötzlich – erschrocken sah ich auf.

„Sei still, Aron! Diese Wunde muss gereinigt werden, da steckt ja der halbe Pulli drin!“

„Sie tut aber trotzdem weh“, sagte Aron trotzig, hielt jedoch still, als Josh begann, vorsichtig die Fussel aus der Wunde an seiner Hüfte zu pflücken.

„Wie habt ihr eigentlich diese ganzen Wunden bekommen?“, wollte er wissen.

„Also die hier“, Aron deutete auf die Wunde, die gerade behandelt wurde, „ist entstanden, weil ich auf einem Baumstumpf gelandet bin. Und dann hat der Kerl noch mal ordentlich reingetreten.“

„Was für ein Kerl?“

„Erzähle ich dir später.“

„So, fertig“, verkündete Marvin nun, wobei ich völlig überrascht war, dass er mir den Verband bereits angelegt hatte. Normalerweise brannte das höllisch. „Hast’s wehgetan?“

„Nein, ich habe gar nichts gemerkt“, antwortete ich wahrheitsgetreu. Der Rest ging relativ schnell, denn die anderen Wunden waren nicht so tief und meist schon von Schorf überzogen. Außerdem wies ich weitaus mehr blaue Flecken als Wunden, die Marvin mit einem Pflaster schmücken konnte, auf.

Und nachdem ich mir auch noch die Haare gewaschen hatte, bekam ich einen Verbandsstreifen über die Stirn, der nicht mal so schrecklich aussah, wie ich befürchtet hatte.

Der Anruf verlief brillant und ohne Zwischenfragen, Marvins Kleidung passte mir ausgezeichnet (auch wenn ich für die Hose einen Gürtel benötigte). Auch Aron war ziemlich zufrieden mit Marvins Hose (die er bis zu den Knien aufgekrempelt hatte, damit man nicht sah, dass sie ihm ein paar Zentimeter zu kurz war) und Joshs Hemd (das er aufgekrempelt hatte, damit man nicht sah, dass es ihm ein paar Zentimeter zu lang war). Zudem schmeckte das Abendessen richtig gut – Wer hätte gedacht, dass Kriminelle so gut kochen konnten? – und bei dem Kartenspiel, das man uns danach beibrachte, gewann ich fast die Hälfte aller Runden. Alles in allem war es ein hervorragender Abend. Er hätte ruhig noch etwas länger sein können.

Dafür war mein Lager für die Nacht nicht ganz so professionell. Denn da Aron die einzige Schlafmatte, die im ganzen Haus zu finden war, beanspruchte, blieb mir nichts anderes übrig, als die gepolsterten Küchenstühle mit etwas Kordel zusammenzubinden und so ein notdürftiges Schlaflager zu erstellen. Als Decke mussten wir beide alte Mäntel von Josh benutzen. Kaum zu fassen, dass sie nicht einmal eine einzige zusätzliche Decke aufweisen konnten.

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