08: In den Schatten der Verdammnis




Die Tage nach ihrer Entscheidung schienen wie ein schwerer, undurchdringlicher Nebel an Idaia vorbeizuziehen. Alles fühlte sich unwirklich an, als ob sie nicht wirklich in dieser Welt existierte, sondern nur als stumme Beobachterin ihres eigenen Falls. Die Zeit verlor ihre Bedeutung, die Nächte und Tage verschwammen, und ihre Handlungen – einst durch das Licht und den tiefen Glauben an Gerechtigkeit und Güte gelenkt – folgten nun einem fremden Willen, der nicht mehr der ihre war. Denathrius' dunkle Präsenz durchdrang jeden ihrer Gedanken, leitete jede wache Entscheidung, jede Bewegung. Selbst im Schlaf war sie nicht frei von ihm – sie vernahm seine Worte, die sich wie ein Flüstern in ihre Träume schlichen, düster und beharrlich. Die Schatten seiner Befehle legten sich schwer auf ihren Geist, doch die Worte selbst waren wie durch Watte gedämpft, ungreifbar, aber dennoch unausweichlich.

Ihr erster Auftrag unter Denathrius war grausam – doch die Grausamkeit traf sie nicht so, wie sie es sich je vorgestellt hätte. Idaia, die einst im Namen des Lichts gekämpft und geheilt hatte, stand nun mit einem kalten, gnadenlosen Schwert in der Hand, einem Schwert, das mehr als nur Fleisch schnitt – es schnitt durch die Seelen derer, die es berührte. Sie erinnerte sich kaum, wie sie das Schwert bekommen hatte oder wer es ihr gegeben hatte. Es war einfach da, kalt und schwer in ihrer Hand, ein Werkzeug der Vernichtung. Ihre Finger schlossen sich um den Griff, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. Es fühlte sich... richtig an, auch wenn dieser Gedanke sie im tiefsten Inneren erschütterte.

Idaia ging durch die düsteren Hallen von Revendreth, ihre Rüstung hatte sie abgelegt; sie trug nun einen Mantel aus tiefem Rot, das in den Schatten verschmolz. Ihr Blick war leer, als sie sich der ersten Gruppe von Verurteilten näherte. Es waren verlorene Seelen, die in dieser unheiligen Ebene gelandet waren, Seelen, die Erlösung suchten. Sie wandten sich zu ihr, in der Hoffnung, dass vielleicht noch ein Hauch von Erbarmen in dieser düsteren Welt existierte.

„Bitte... hilf uns", stammelte einer der Verurteilten, seine Augen weit aufgerissen, das Gesicht von Qualen gezeichnet. „Das Licht... Es hat uns verlassen..."

Das Licht. Idaia spürte, wie das Wort wie ein Dolch durch ihre Brust fuhr. Sie war es, die verlassen worden war. Sie war es, die vom Licht betrogen worden war. Ein zorniges Flackern erhellte für einen Moment ihre kalten, leblosen Augen, bevor sie wieder in die Düsternis fielen. Ohne eine weitere Regung, ohne auch nur einen Anflug von Mitgefühl, hob sie das Schwert. Es schnitt mühelos durch Fleisch und Knochen, als der Verurteilte zu Boden sank, sein Schrei erstickt von der plötzlichen Endgültigkeit des Todes. Sein Blut tropfte von der schartigen Klinge, sammelte sich in dunklen Pfützen auf dem Boden, doch Idaia spürte nichts. Kein Bedauern. Keine Trauer.

Es war, als würde sie sich aus der Ferne zusehen, wie ihre Hand das Schwert erneut hob, wie sie die anderen niedermetzelte, einen nach dem anderen. Ihre Bewegungen waren fließend, präzise, fast mechanisch. Sie hörte ihre eigenen Atemzüge, tief und gleichmäßig, während das Leben der Verurteilten in rotem Nebel aufstieg. Sie schrie nicht. Sie weinte nicht. Sie spürte nichts.

Doch tief in ihrem Inneren, jenseits des Nebels, war da ein schwaches Echo– ein Flüstern, das immer lauter wurde. Es war das Licht, das versagt hatte. Sie erinnerte sich an das Brennen der heiligen Energie in ihren Händen, an die Wärme, die durch ihren Körper geflossen war, wenn sie Verwundete heilte. Nun war da nur noch die Kälte. Die alles verzehrende Kälte, die sie von innen heraus zersetzte.

Mit jedem Schlag, den sie ausführte, wuchs die Leere in ihr. Sie sah die toten Körper vor sich, und eine Stimme in ihrem Kopf – eine Stimme, die sie einst als ihre eigene erkannt hätte – schrie ihr zu, dass das falsch war, dass sie das nicht tun durfte. Doch diese Stimme wurde übertönt von etwas Mächtigerem. Ein anderer, dunklerer Flüsterton, der leise und doch überzeugend war: „Siehst du, wie sie dich brauchen? Wie du ihnen Macht geben kannst?"

Denathrius' Stimme hallte immer wieder in ihrem Geist wider. Er schien immer bei ihr zu sein, immer über sie zu wachen, wie ein dunkler Schatten, der ihre Schritte lenkte. Jedes Mal, wenn ihre Zweifel sie quälten, war er da, um sie zu beruhigen. Seine Präsenz war erdrückend, doch sie fand seltsamerweise Trost darin. Jedes Mal, wenn sie den Schmerz über das verlorene Licht spürte, war er da, um diesen Schmerz mit seinen dunklen, verlockenden Versprechungen zu übertönen.

Das Licht hat dich im Stich gelassen", flüsterte seine Stimme in ihren Gedanken. „Aber ich... ich werde dich nicht im Stich lassen. Ich werde dir die Stärke geben, die du immer gesucht hast. Du musst mir nur vertrauen. Du musst mir nur gehorchen."

Und sie gehorchte. Nicht, weil sie wollte, sondern weil sie nichts anderes mehr kannte. Sie hatte ihren Glauben verloren, ihr Licht, ihre Heilung. Alles, was von der einst so strahlenden Paladin übriggeblieben war, war eine Hülle. Eine Waffe. Und diese Waffe gehörte nun Denathrius.

Idaia fühlte sich innerlich leer und gebrochen. Sie wusste, dass sie verloren war. Sie spürte, wie die Dunkelheit sie umklammerte, wie sie tiefer und tiefer in den Abgrund hinabgezogen wurde. Es war, als würde ihr eigenes Herz langsam von innen heraus zersetzt. Doch es war nicht der Tod, der sie erwartete. Es war etwas Schlimmeres – die völlige Auflösung ihres Seins, ihrer Seele.

Mit jedem verübten Mord, mit jedem Akt der Grausamkeit, den sie im Namen von Denathrius vollbrachte, spürte sie, wie die Dunkelheit in ihr wuchs. Es gab kein Zurück mehr. Das Licht war fort, und an seiner Stelle brannte nur noch eine kalte, unheilige Macht. Sie war ein Werkzeug der Finsternis geworden, und in ihrem Herzen wusste sie, dass es keinen Ausweg mehr gab. Doch anstatt dagegen anzukämpfen, ließ sie es zu.

Denathrius hatte ihr eine Welt gezeigt, in der es keine Grenzen gab, keine Regeln außer seinen eigenen. Und obwohl sie das Licht vermisste, obwohl sie tief in ihrem Inneren wusste, dass das, was sie tat, falsch war, konnte sie nicht widerstehen. Denn in dieser Dunkelheit, in der alles so hoffnungslos und kalt war, versprach er ihr Wärme. Macht. Ein Platz in einer Welt, die sie ausgestoßen hatte.

„Du gehörst jetzt mir", hatte Denathrius gesagt, als sie ihm das erste Mal in die Augen gesehen hatte. Und nun, nachdem das erste Blut vergossen war, erkannte sie, dass er Recht hatte. Doch während sie das tat, schwang in ihrem Inneren ein Hauch von Zweifel mit – ein Gefühl, dass die Dunkelheit, die sie umarmte, letztlich nur eine Illusion war, die sie von dem ablenkte, was sie wirklich war. Aber dieser Gedanke war zu schmerzlich, um ihn zuzulassen, und so verbarg sie ihn hinter der Fassade der Macht, die sie sich nun erarbeitet hatte.

Der letzte Verurteilte fiel zu Boden, und für einen Moment schien die Welt stillzustehen. Idaia senkte das Schwert und blickte auf die Leichen um sich herum. Ein neuer Teil in ihr flüsterte, dass sie mehr sein konnte als das, was sie geworden war. Doch in den Schatten von Denathrius' Einfluss wurde selbst dieses Flüstern bald zu einem schüchternen Echo, das im Nebel der Dunkelheit verschwand.

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