05: Verloren im Schatten
Idaia saß in dem düsteren Gasthaus, dessen Wände von tiefen, scharlachroten Vorhängen und schattenhaften Ornamenten geschmückt waren. Der Raum roch schwer nach altem Holz, modriger Feuchtigkeit und einem Hauch von Blut – ein Geruch, der ihr sofort den Atem nahm, während Übelkeit in ihr aufstieg und sie für einen Moment das Gefühl von Schwindel überkam. Das knisternde Feuer im Kamin warf gespenstische Schatten über die Steinwände und das Knisternder Flammen war das einzige Geräusch, das ihre Gedanken begleitete. Vor ihr stand ein Tablett mit Essen – eine einfache Mahlzeit aus Brot, Käse und einem Becher mit verdünntem Wein. Doch sie konnte den Gedanken, Nahrung zu sich zu nehmen, kaum ertragen. Ihr Magen rebellierte bei der Vorstellung und die Welt um sie herum schien sich leicht zu drehen.
Ihre Hände waren kalt, zitternd, als sie nach dem Becher griff, doch sie ließ ihn sofort wieder los, als ihr Körper unter der Erschöpfung zusammenzuckte. Sie fühlte sich leer. Es war nicht nur der Blutverlust, der ihren Körper schwächte, sondern auch etwas Tieferes, Dunkleres – etwas, das ihr jegliche Energie raubte, so als würde eine unsichtbare Macht sie aushöhlen.
Idaia schloss ihre Augen und versuchte, nach dem zu greifen, was ihr in all den Jahren Halt gegeben hatte: das Licht. Seit ihrer Kindheit war die Verbindung zum Licht wie ein warmer, stetiger Strom in ihrem Inneren gewesen. Es hatte sie geführt, gestärkt, ihr den Glauben geschenkt, dass sie in der Welt einen Platz hatte, an dem sie für das Gute kämpfen konnte. Sie spürte jetzt nur... nichts.
Ihre Stirn legte sich in tiefe Falten, als sie angestrengt versuchte, das vertraute Strahlen des Lichts zu spüren. Sie betete still, sprach die Worte, die sie unzählige Male gesprochen hatte. Doch es war, als ob sie in eine Leere schrie. Kein Echo, keine Wärme, nur Kälte und Dunkelheit, die sie umschloss. Das Licht, das sie so lange gestärkt hatte, schien sie jetzt zu ignorieren, sie abzulehnen, als wäre sie eine Fremde in ihrem eigenen Glauben.
Ein eisiger Kloß bildete sich in ihrer Kehle, und ihre Hände zitterten heftiger, als sie verzweifelt nach der Kraft suchte, die sie einst gehalten hatte. Ihre Lippen formten ein Gebet, leise, kaum hörbar, nur ein Hauch ihrer verzweifelten Seele: „Bitte... ich brauche dich..." Doch die Antwort war nichts als Stille. Eine erdrückende, lähmende Stille, die sie fast in den Wahnsinn trieb.
Tränen füllten ihre Augen, unaufhaltsam und heiß und liefen ihr über die Wangen, als sie den Kopf in ihre Hände senkte. „Warum? Warum lässt du mich im Stich?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch der Raum um sie herum schien darauf zu lauern, sie zu verschlingen.
Die Verzweiflung wurde überwältigend, während sie dort saß, völlig allein in einem Land, das sie unerbittlich auslaugte. Der Gedanke, Revendreth zu verlassen, blitzte kurz auf – einfach fortgehen, diesen Albtraum hinter sich lassen, zurück in die Welt der Lebenden, vielleicht zu ihrer Mutter zur Exodar. Doch sofort wurde dieser Gedanke von einer düsteren, unumstößlichen Wahrheit verdrängt. Die Exodar war jetzt so fern wie ein längst vergessener Traum. Hier war sie allein, eingeschlossen in einer fremden Welt und die Schatten, die sich in Revendreth um sie legten, hatten ihre Seele bereits erfasst und hier angekettet.
Wo könnte sie sicher sein? Die Schattenlande waren ein Reich des Todes und der Verdammnis. Sie könnte nirgendwo hingehen, wo nicht weitere Schrecken auf sie lauern würden. Und selbst wenn sie einen Weg zurückfinden könnte – sie fühlte sich nicht mehr wie die gleiche Person. Sie war verändert. Zerstört. Ihr Herz schien ein dunkler, leerer Abgrund zu sein, und der Gedanke, das Licht niemals wieder zu fühlen, quälte sie unerbittlich.
„Es gibt keinen Ausweg", murmelte sie und weinte bitterlich. Ihr ganzer Körper zitterte, als sie sich in ihre Roben schmiegte, als könnte sie die Kälte und das Dunkel mit bloßem Willen vertreiben. Doch der Schatten, der sie umgab, war nicht von dieser Welt, und er war erbarmungslos.
Der Gedanke an Denathrius schlich sich in ihre Gedanken wie eine tödliche Schlange. Sie konnte seine Augen wieder spüren – wie er in der Nacht über sie gebeugt war, wie er sie genommen hatte, wie seine Nähe ihre Gedanken mit einer dunklen, unbestimmten Sehnsucht erfüllt hatte. Ein Teil von ihr, der reine und gläubige Paladin, war entsetzt über diese Gefühle, doch tief in ihr – viel tiefer, als sie zuzugeben wagte – gab es eine leise, finstere Faszination.
„Das... bin nicht ich", flüsterte sie heiser und schüttelte den Kopf, als wollte sie diese Gedanken vertreiben. Doch die Bilder blieben. Der dunkle Lord, der sie immer wieder beobachtete, sie mit seiner Macht umfing, ihre Seele in Besitz nahm. Ihr Körper bebte unter der Last ihrer inneren Zerrissenheit und sie fühlte, wie sie immer weiter in das Netz des Bösen gezogen wurde, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Am Fenster drückte der Wind leise gegen die Scheiben und in ihrem Kopf begann ein Gedanke zu keimen: Was, wenn sie das Licht wirklich nie wieder finden würde? Was, wenn sie in Denathrius' Fängen nur noch tiefer fallen würde?
Idaia hob zitternd den Kopf, die Tränen in ihren Augen glänzten im schwachen Licht des Feuers. Inmitten der tiefen Verzweiflung, die sich wie ein schwarzer Schleier um sie gelegt hatte, spürte sie etwas. Einen leisen Impuls. Ein Flüstern in der Ferne, kaum greifbar, aber es war da. War es das Licht, das sie so verzweifelt suchte? Oder war es etwas anderes, Dunkleres, das nach ihr rief?
„Vielleicht...", murmelte sie, während sie sich langsam aufrichtete. Ihr Herz pochte schwer in ihrer Brust, als sie auf den Gedanken starrte, der sich in ihrem Inneren formte. Was, wenn sie ihre Kraft woanders finden müsste – nicht im Licht, sondern im Schatten? Sie hatte bereits so viel verloren, und vielleicht war das Licht, das sie einst geführt hatte, nicht mehr für sie bestimmt.
Eine Kälte durchzog ihren Körper, als sie diese Möglichkeit erwog. Noch war sie unsicher, wohin dieser Weg sie führen würde. Aber eines war klar: Hier, in diesem finsteren Gasthaus, würde sie keine Antworten finden.
Mit einem tiefen Atemzug erhob sie sich, schwankend, doch entschlossen. Ihre Finger strichen über den hölzernen Tisch, und ihre Augen suchten die Schatten um sie herum ab, als ob sie dort eine Antwort erwarten würde. „Es gibt immer einen Ausweg", flüsterte sie, doch ob sie sich selbst davon überzeugen konnte, wusste sie nicht.
Langsam trat sie zur Tür des Gasthauses und öffnete sie. Kalter Wind wehte ihr entgegen, als sie hinaus in die Nacht trat. Die Dunkelheit legte sich schwer auf ihre Schultern, doch sie war bereit, den nächsten Schritt zu wagen – egal, wohin er sie führen würde.
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