Kapitel 21 - Teil 2
Eine Gestalt zeichnet sich zwischen den Hecken ab. Groß und breit steht die Person mit dem Rücken zu uns da, den Blick nachdenklich in die Ferne gerichtet. Ich weiß nicht, ob er unsere Schritte auf dem Gras rascheln hört oder ob es einfach nur so ein Gefühl ist, aber plötzlich dreht er sich um und ein bekanntes Gesicht sieht mir entgegen.
Caelan hebt seine Hand an seine Stirn und salutiert. „Da seid ihr ja endlich." General Revingers kleine braune Augen richten sich sofort auf mich. Langsam, abschätzig, lässt er seinen Blick über meinen abgemagerten Körper wandern. Dann wendet er sich Caelan zu. „Komm in ein paar Stunden wieder, um sie abzuholen", befiehlt er ihm und dreht sich bereits wieder zu mir.
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Er will mich doch nicht ernsthaft mit diesem Mynua alleine lassen, oder? Panisch blicke ich zu Caelan und stelle glücklicherweise fest, dass er keine Anstalten macht, mich zu verlassen. „Der König hat mir befohlen, selbst während des Trainings nicht von ihrer Seite zu weichen, General", erklärt er, sein Ton dabei beinahe entschuldigend. „Hast du nicht heute Morgen schon das Training mit den anderen Initianten absolviert?" Die Skepsis in seiner Stimme ist deutlich herauszuhören. Offensichtlich will er Caelan nicht dabei haben. „Das habe ich, General", antwortet er; seine Worte betont er dabei klar und deutlich; so wie immer, wenn er mit dem General spricht. Bevor Caelan also zu mir gekommen ist, hat er schon den ganzen Morgen trainiert. Das erklärt auch seine nassen Haare von zuvor.
„Na gut, dann bleib hier", gibt sich der General zähneknirschend geschlagen, „Heute beginnen wir mit dem Ausdauertraining. Das Veridiangebiet ist uns größtenteils unbekannt. Welche Gefahren dort lauern oder wie anstrengend es sein wird, das Juwel zu finden, können wir nicht wissen. Aber es handelt sich dabei um ein Fleckchen Land, in das die Kräfte der Götter ungezügelt geflossen sind. Dort könnte an jeder Stelle ein übernatürlich starkes Tier lauern oder das Juwel könnte sich an einem Ort befinden, der nur schwierig zu erreichen ist. All diese Möglichkeiten bestehen und es könnte sich dort noch so viel mehr verstecken, das wir uns gar nicht vorstellen können. Mit aller Sicherheit kann ich nur sagen, dass du viel Kraft und Ausdauer dafür benötigen wirst. In deinem jetzigen Zustand würdest du keinen Tag dort überleben", erklärt er ausdruckslos und lässt seinen Blick demonstrativ über meinen Körper schweifen.
Wenn er wüsste, welche Situationen ich bisher erlebt und überlebt habe, dann würde er nicht so mit mir sprechen, doch aufgrund seiner bleiernen Miene wage ich es nicht, dem General ins Wort zu fallen.
„Neben deinem eigenen Körpergewicht musst du außerdem einen Rucksack mit deiner gesamten Ausstattung tragen können. In den nächsten Wochen muss ich dich in die körperliche Verfassung bringen im Veridian Reich zu überleben und da uns die Götter nicht einen unbezwingbaren Krieger geschickt haben, sondern eine schwächliche Frau, wird das keine einfache Aufgabe werden", spricht er weiter und langsam breitet sich ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend aus. Der General glaubt nicht daran, dass ich die Aufgabe des Königs schaffen kann. Nicht einmal wegen meiner mageren Statur, die eindeutig der einseitigen Ernährung geschuldet ist, sondern weil ich eine Frau bin. Den bissigen Kommentar, der mir bereits auf der Zunge liegt, verkneife ich mir, weil ich weiß, dass ich mir dadurch nur noch mehr Probleme schaffen würde.
„Dann lasst uns nicht noch mehr Zeit verschwenden, sondern beginnt. Für den Anfang dürft ihr dreißig Runden um das Labyrinth laufen; ich erwarte, dass ihr fertig seid, bevor die Sonne ihren Zenit erreicht hat." Sein lauter Befehl hallt über den Garten und es scheint, als würden selbst die Blumen bei seinem strengen Ton zusammenzucken und loslaufen wollen.
Ich blicke in den Himmel. Bis die Sonne ihren Höhepunkt erreicht hat, dauert es zwar noch ein bisschen, allerdings kann ich auch nicht abschätzen, wie groß das Labyrinth wirklich ist.
„Jawohl, General", salutiert Caelan sofort. Ich begehe den Fehler nur überfordert zu nicken und sofort straft mich General Revinger dafür. Er macht einen Schritt auf mich zu und baut sich bedrohlich vor mir auf. „Hast du mich verstanden, Initiantin?", schreit er so laut, dass meine Ohren klingeln und mir der Geruch von Wurst und Käse aus seinem Mund in die Nase steigt. „Jawohl, General", wiederhole ich Caelans Worte. Im Gegensatz zu ihm ist meine Stimme allerdings nicht hart und kraftvoll, sondern ein zittriges Piepsen. „Dann steh nicht so blöd herum und fang an zu laufen!", schreit er ein weiteres Mal und diesmal brauche ich keine weitere Aufforderung, um mich hastig umzudrehen und Caelan zu folgen.
Das Labyrinth ist größer, als ich erwartet habe; hohe Hecken, die präzise zu dichten Wänden geschnitten wurden und in wirren Gängen angeordnet sind, erstrecken sich in einem langen Rechteck über das Gelände des Palastes. Caelan und ich gehen zu meiner Enttäuschung nicht hinein, sondern laufen nur außen herum.
Anfangs schaue ich mich noch neugierig um, mustere die verworrenen Gänge aus Hecken, doch bereits nach wenigen Augenblicken – da haben wir das Labyrinth noch nicht einmal umrundet – beginne ich zu keuchen und vergesse wegen der Anstrengung jeden Funken Neugier in mir.
Erst jetzt wird mir klar, dass die letzten Wochen nicht nur Spuren in meinem Inneren hinterlassen haben, sondern dass auch mein Körper unter der mangelnden Bewegung und den schlechten Umständen gelitten hat. Früher wäre mir so etwas einfacher gefallen.
„Können wir. Etwas.", ich huste aufgrund der Anstrengung, „langsamer laufen?", beende ich meinen von keuchenden Atemzügen stockenden Satz. Diese Runde habe ich nur mit Mühe mit Caelans Tempo mithalten können und jetzt fühlt es sich so an, als würden meine Lungen jeden Moment platzen. Schwer atmend und mit hochrotem Kopf bleibe ich stehen. Meine Beine pochen und zittern, so sehr, dass ich Angst habe, sie könnten einfach so nachgeben. Kraftlos lasse ich mich auf meine Knie sinken und versuche mir den Schweiß mit meinem Hemd aus dem Gesicht zu wischen. Einen Moment lang höre ich nur mein eigenes Herz in meinen Ohren dröhnen.
Caelan, der mich nur mit einem schwachen Lächeln von oben betrachtet, bleibt ebenfalls auf der Stelle stehen, jedoch ohne seine Füße aus dem Rhythmus kommen zu lassen. „Wir haben gerade einmal die Hälfte geschafft und du gibst jetzt schon auf?", fragt er mich neckisch und ich glaube eine Spur Enttäuschung aus seiner Stimme herauszuhören, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Ich will mich verteidigen, doch anders als er, ringe ich um Atem. „Ich... Ich kann nicht", presse ich dann angestrengt hervor. In diesem Moment schere ich mich nicht darum, wie elend und schwach ich klinge; ich will einfach nur, dass es aufhört.
„Vielleicht hat der General recht und eine Frau taugt nicht für solche Einsätze." Er mustert mich abschätzig. Der überhebliche Blick in seinen Augen durchbohrt mich wie eine Klinge. Seine Worte sind so kalt und herablassend, dass sie meinen brennenden Körper erschaudern lassen. „Komm, gehen wir zurück. Dann kannst du General Revinger erklären, dass du es nicht schaffst." Er hat aufgehört auf der Stelle zu laufen und deutet mit seinem Kopf in die Richtung, wo der General auf uns wartet.
Seine Worte lösen in mir eine so starke, plötzliche Wut aus, dass ich am ganzen Körper zu zittern beginne. Mein Herz, von dem ich nicht geglaubt habe, dass es noch schneller schlagen könnte, macht einen Satz. Ich kämpfe mich aus meiner armseligen Position hoch – wobei ich nicht glaube, dass ich nun weniger bedauernswert aussehe – und hebe meinen Kopf, um Caelan direkt in die Augen zu sehen. Der Wald darin ist kalt und abweisend. Meine Wut, so unkontrolliert wie ein offenes Feuer in einer Strohhütte, ist das Einzige, was mich auf meinen Beinen hält. Eine Beleidigung, bei der meiner Großmutter wahrscheinlich das Herz stehen geblieben wäre, liegt mir bereits auf der Zunge, als die Hecken direkt neben uns laut zu rascheln beginnen. Es ist, als wäre eine starke Windböe aufgezogen, die nur die Blätter fühlen können. Erschrocken springe ich einen Schritt zurück, erwarte, dass aus dem Gebüsch gleich ein Tier springt und uns angreift. Doch nichts geschieht. So schnell wie die Bewegung gekommen ist, so schnell verschwindet sie auch wieder.
„Was war das?", frage ich ängstlich, meine Wut dadurch etwas geschwächt, und sehe zu Caelan, welcher zuerst die Hecke und dann mich interessiert mustert. Für einen Moment bleibt er stumm, so als würde er darüber nachdenken müssen. „Du", erwidert er dann, ohne den Anschein zu machen, seine Erklärung weiter ausführen zu wollen. Ich soll das gewesen sein? Die Frage liegt mir bereits auf der Zunge, als er mich daran hindert, sie zu stellen. „Wenn du schon herumstehen und reden kannst, dann kannst du auch weiterlaufen", kommentiert er und sieht an mir herab. Ohne mir einen weiteren Augenblick Zeit zu lassen, dreht er sich um und rennt weiter. Etwas unbeholfen sehe ich mich um, folge ihm dann aber hastig. Das Brennen in meinen Muskeln wird sofort wieder unerträglich, doch ich presse meine Zähne zusammen und kämpfe mich durch den Schmerz hindurch. Der Gedanke vor General Revinger meine Schwäche einzugestehen zu müssen, falls ich es nicht schaffe, lässt mich durchhalten.
Nachdem ich dann dennoch die befohlenen dreißig Runden geschafft habe, ist mir schleierhaft, wie ich überhaupt noch stehen, geschweige denn, gehen kann. Mein Hemd ist so schweißnass, dass es unangenehm an meinem Körper klebt. Trotz meines dröhnenden Herzschlags und den tanzenden Punkten vor meinen Augen, lasse ich zu, dass sich meine Brust mit etwas Stolz füllt. Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch schaffen werde und doch ist es mir irgendwie gelungen. Wobei ich wahrscheinlich Caelan das Lob überlassen sollte, denn hätten seine kalten Worte mich nicht immer weiter angetrieben, würde ich immer noch wie ein Fünkchen Elend auf dem Boden kauern.
„Ihr wart zu langsam", begrüßt uns der General und wirft einen mürrischen Blick in den Himmel. Die Sonne hat ihren Zenit überschritten, jedoch nur ein wenig. „Aber das war zu erwarten", ergänzt er mit einem Blick auf mich und jeder Funke Stolz erlischt augenblicklich.
„Dehnt euch, bevor wir weitermachen", befiehlt General Revinger. „Schwarzblut", wendet er sich an Caelan, welcher wegen der herablassenden Anrede seinen Kiefer anspannt, „dieselbe Abfolge wie ihr heute Morgen schon gemacht hat. Führe sie vor." Der Ton des Generals lässt keine Widerworte zu. „Jawohl, General", salutiert Caelan, wie der perfekte Soldat, der er scheint zu sein. Dann beginnt er damit, mir Übungen vorzuführen, die ich, so gut es geht, nachmache. Ich soll, ohne meine Knie zu beugen, mit meinen Fingern die Spitzen meiner Stiefel erreichen und andere Positionen einnehmen, bei denen es sich anfühlt, als würde ich mir alle Knochen brechen. Währenddessen kommentiert der General lautstark jeden meiner Fehler und macht jeden Augenblick schrecklicher als den zuvor. Alles in allem ist es eine Qual, doch trotzdem etwas erträglicher als das Laufen vorhin.
„Das war die Letzte", beendet Caelan das Dehnen und ich lasse mich erschöpft in das Gras hinter mich fallen. Mit langsamen, kontrollierten Atemzügen versuche ich meinen sich hastig hebenden Brustkorb allmählich zu beruhigen. Diese Übungen haben mir jeden Funken Kraft geraubt, den ich in meinem Körper hatte. Ich erlaube es mir, einen Herzschlag lang meine Augen zu schließen, doch der General lässt mich dies sofort bereuen. „Initiantin! Habe ich das Training für beendet erklärt?", brüllt er mich zum hundertsten Mal an diesem Tag an. Doch diesmal ist etwas anders. Schlagartig erhebt sich mein Oberkörper und ein spitzer Schmerz schießt mir durch die Wirbelsäule. Ich würde aufschreien, hätte ich auch nur den kleinsten Hauch von Kontrolle über meinen Körper. Panisch und unter höllischen Schmerzen richte ich mich von alleine auf. Was passiert hier? Ich versuche meine Beine dazuzubekommen, so schnell wegzurennen, wie nur irgendwie möglich, doch sie hören nicht auf mich. Dann lege ich meinen Kopf – immer noch fremdgesteuert – in den Nacken und sehe direkt General Revinger an, auf dessen strengen Gesicht nun ein überhebliches Lächeln liegt. Dieser beugt seinen Kopf zu mir, bis sein Gesicht so nah an meinem ist, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüre. Alles in mir schreit danach, zurückzuweichen, doch mein Körper bleibt ganz starr stehen.
„Habe ich das Training für beendet erklärt, Initiantin?", knurrt er ein weiteres Mal. Plötzlich legt sich der Griff um meinen Körper. Es ist, als wäre eine Wand zwischen meinem Geist und meinem Körper eingerissen, die von einem auf den anderen Herzschlag errichtet wurde. Als ich versuche, einen Finger zu krümmen und er mir tatsächlich gehorcht, sage ich schnell: „Nein, General." Meine Stimme nur ein ängstliches Krächzen. Bei den Göttern, was war das? Zufrieden mit meiner eingeschüchterten Reaktion tritt der General zurück.
Revinger lässt mir jedoch keinen Augenblick Zeit, den Schock zu verarbeiten, sondern spricht direkt weiter, als sei nichts geschehen: „Kommen wir zum letzten Teil für den heutigen Tag. Zehn Strecksprünge, zehn Kniebeugen, zehn Rumpfbeugen, zehn Liegestütze und für sechzig Sekunden haltet ihr euch auf eure Unterarme gestützt in der Luft; daraus besteht eine Runde. Das wiederholt ihr fünfzehnmal, dann dürft ihr gehen", er muss meinen verwirrten Blick gesehen haben, denn er fügt genervt hinzu, „Schwarzblut, du machst es einmal vor, damit die Eterin weiß, wie es aussehen soll." Caelan mustert mich einen Augenblick lang, so als würde er abschätzen, ob ich es schaffen kann. „Jawohl, General", salutiert er dann gehorsam. Er zögert keinen Moment mehr und beginnt sofort mit den Übungen. Skeptisch schaue ich ihm zu und bin anfangs erleichtert, dass es nicht so schwierig aussieht; sobald ich jedoch selbst die Bewegungen ausführen muss, wird mir klar, wie sehr ich mich getäuscht habe.
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