Kapitel 10 - Teil 3
Ich bleibe mit Caelan und Phan gefesselt zurück. Die beiden bleiben für einige Momente völlig reglos, so als würden sie warten, bis das Rascheln in den Büschen verschwindet und die anderen endgültig weg sind. Dann tauschen die beiden vielsagende Blicke aus. Wäre es Zeran, würde ich glauben, er kommuniziert stumm mit einem von ihnen. Aber Phan ist dein Wahrheitsseher und Caelan ein Gefühlsmanipulator. „Ich gebe ihr sicherheitshalber noch etwas Blut." Caelans Stimme ist leise, aber noch laut genug, dass ich jedes Wort verstehe. Phan fährt sich durch seine halblangen, dunkelblonden Haare. „Mach nur. Ich gehe uns Wasser holen und schaue mich mal um, vielleicht finde ich etwas zu essen. Du kommst mir ihr allein klar, oder?", fragt er und seine Stimme hat einen abwesenden Ton angenommen. Caelan nickt nur und Phan verschwindet, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Einen Moment lang mustert mich Caelan, so als würde er abwägen, was er nun tun sollte. Dann geht er vor mir in die Hocke, so wie es Zeran eben noch getan hat. Seine waldgrünen Augen bohren ich in meine. Ohne den Blick von mir zu nehmen, zieht er einen Dolch, den er an seiner Hüfte befestigt hat. Mit einer schnellen Bewegung schneidet er sich in die Seite seiner Handfläche. Sofort strömt Blut daraus hervor und es ist tatsächlich pechschwarz. Langsam tropft es von seiner Hand hinab und hinterlässt einen dunklen Fleck auf dem grünen Waldboden. Plötzlich ergreift mich Panik. Ich zerre an meinen Fesseln, versuche mich irgendwie von dem Mann vor mir zu entfernen. „Beruhig dich", zischt er plötzlich. Das Grün in seinen Augen hat sich verdunkelt, so als wäre ein Schatten auf den Wald darin gefallen. Sein Blick ist allerdings nicht auf mich gerichtet – jedenfalls nicht wirklich. Seine Pupillen zucken hastig hin und her, so als würde er alles um mich herum ansehen, nur nicht mich. Nutzt er gerade etwa seine Gabe? „Was machst du mit mir?", kreische ich panisch. „Nichts", erwidert er sofort, „das bist du selbst und jetzt beruhig dich verdammt." Er hält seine Hand vor meinen Mund und sofort drehe ich mich weg. „Trink." Seine Stimme ist nur noch ein bedrohliches Knurren. „Nein", weigere ich mich lautstark. Er stößt einen seltsamen Fluch aus. Dann schießt seine unverletzte Hand nach vorn, umfasst mein Gesicht und drückt es nach hinten. Ein entsetzter Schrei entkommt mir, als ich fest gegen den Stamm knalle. Caelan beugt sich über mich. In seinem Gesicht bewegt sich kein Muskel, es ist völlig regungslos. Sein Griff um meinen Kopf ist so stark, dass ich nicht dagegen ankomme. Er presst seine blutige Hand gegen meinen Mund. Ich schmecke Eisen auf meiner Zunge und presse meine Lippen fest zusammen. Die unebene Rinde des Baumes bohrt sich in meinen Schädel, als er mich fester nach hinten drückt. Tränen – wegen der Schmerzen oder meiner Wut, weiß ich nicht – sammeln sich in meinen Augen. Caelans Gestalt verschwimmt in meinem Blickfeld. Dann greift er plötzlich nach meiner Nase und hält sie zu. Sobald ich meinen nächsten Atemzug tun will, bleibt mir die Luft verwehrt. Mein eigener Körper verrät mich, als mein Mund sich öffnet. „Trink", wiederholt er noch unnachgiebiger als zuvor. Warmes Blut benetzt zuerst meine Lippen und fließt dann in meinen Mund. Ich schaffe es nicht, mich zu widersetzen. Der Geschmack von Metall liegt mir auf der Zunge. Irgendwann, da muss ich schon fast würgen, zieht er seine Hand endlich zurück. Auch wenn es nur wenige Augenblicke waren, hat es sich ewig angefühlt. Keuchend atme ich ein, der penetrante Geschmack seines Blutes in meiner Kehle. Er zieht ein Stofftuch aus seiner Hosentasche und wickelt es sich geschickt um die Hand. „Das wird ab jetzt für eine lange Zeit so sein, gewöhn dich besser daran." Caelans Stimme ist eiskalt. „Warum? Was wollt ihr von mir?", rufe ich ebenso aufgebracht, wie er es ist. Er fährt sich durch die kurzen dunklen Haare und atmet lautstark aus. „Du hast eine Gabe von Silva. Schon vergessen?", knurrt er. „Die Viriden haben während des großen Kriegs einen Wald errichtet, der jeden angreift, der einen Fuß hineinsetzt. Nicht einmal Mevan der Eroberer, der damals einen nach dem anderen Clan unterwarf, kam gegen den Wald an. Die Viriden wurden von dem Tag an nie wieder gesehen. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass sie ihre ganze Lebenskraft ausgeschöpft haben, um den Wald zu errichten", er hält kurz inne, „aber jetzt bist du hier aufgetaucht. Mit dir sind wir näher dran, die gesamte Welt zu vereinen, als wir es jemals waren." Ich kenne die Erzählungen über den großen Krieg. Es sollen Jahrzehnte des Grauens und der Angst gewesen sein. König Mevan war der damalige Anführer des Mynua Clans und nachdem er alle Clans erobert hatte, der Begründer des Königreiches Krynia und sein erster König. Nur der Viriden Clan konnte sich ihm entziehen. Aber laut meines Großvaters haben sie ihre ganze Kraft aufgebraucht, um den Wald zu errichten, der ihr Land auf ewig beschützen wird. Je länger ich mir darüber Gedanken mache, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass sich meine Entführer täuschen. Ich besitze keine Gabe – im Allgemeinen habe ich nichts mit den Clans oder ihren Machenschaften zu tun. Eigentlich müsste ich zu Hause sein, bei meiner Familie. „Aber ich bin es nicht. Ich habe keine Gabe", erkläre ich und hoffe, dass ich ihn überzeugen kann, jetzt, wo er allein ist. „Das werden wir noch sehen", erwidert er. „Ach und wie wollt ihr das denn herausfinden, wenn ich dein Blut trinken muss?", gebe ich spöttisch zurück. Zufrieden stelle ich fest, dass sein Körper sich anspannt und ich ihn nicht völlig kaltlasse. „Sobald die Aufnahmeprüfung beendet ist, gehen alle überlebenden Anwärter zum Tempel. Dort befinden sich die Gegenstücke der Götterjuwelen des Königs. Es gibt für jeden Clan einen. Wir brauchen nur ein wenig Blut von dir. Falls du die richtige bist, wird das Juwel von Silva seine Kraft wiedererkennen." Die vielen Informationen verwirren mich. Mein Kopf kommt gar nicht damit hinterher, alles zu verarbeiten. „Und wenn ich es nicht bin?", frage ich zurückhaltend. Wenn wir uns täuschen, ist sie tot. Die Worte des einen Mannes mit der olivfarbenen Haut hallen in meinem Kopf wider. „Darum würde ich mir an deiner Stelle keine Gedanken machen, denn du bist es", meint er und in seiner Stimme liegt so eine Sicherheit, dass ich ihm glauben würde, wäre es nicht völlig abwegig. „Woher willst du das so genau wissen?", frage ich, immer noch unfähig, ihm zu glauben. „Ich habe es gesehen. So wie wir alle es gesehen haben." Er zuckt mit seinen Schultern, so als wäre es selbstverständlich, dass ich eine Gabe besitzen könnte. Aber das ist es nicht. Niemand in meiner Familie besitzt eine Gabe, es ist schlichtweg unmöglich. „Aber ich..."-, beginne ich, doch Caelans schneidende Stimme unterbricht mich. „Ich gebe dir jetzt einen gut gemeinten Rat", er macht einen Schritt auf mich zu, aber hockt sich nicht hin wie vorhin, „hör auf dich zu wehren." Er spricht jedes Wort langsam und deutlich aus, so als würde ich ihn nur so verstehen. „Zeran ist der Kronprinz, ihm widerspricht niemand so einfach. Und auch uns anderen würde ich an deiner Stelle nicht unterschätzen. Du kannst nicht entkommen. Daher bleiben dir zwei Möglichkeiten, wie das laufen wird. Entweder du folgst unseren Befehlen und gibst dadurch niemand einen Grund dir weh zu tun oder du wehrst dich, dann wird diese Zeit aber unschön werden. Das verspreche ich dir." Er beendet seine Rede und sieht mich erwartend an. „Und wofür entscheidest du dich?" Ich weiß, dass es nur eine richtige Antwort gibt. „Ich wehre mich nicht mehr", sage ich kleinlaut. Ein schmales, aber zufriedenes Lächeln breitet sich auf seinen geschwungenen Lippen aus. „Siehst du, geht doch." Er dreht sich um, geht zu einem der tiefliegenden Zelte und krabbelt hinein. Der Stoff der Zelte hat etwas Seltsames an sich. Er ist weder braun noch grün, noch hat er irgendeine andere Farbe. Es ist, als würde es die Farben des Waldes imitieren wollen. Noch bevor ich länger darüber nachdenken kann, kommt Caelan wieder heraus. In seiner Hand ein Bota. Sofort wird mir die Trockenheit in meiner Kehle und der widerliche Geschmack von Blut auf der Zunge umso bewusster. „Hast du Durst?", fragt er mich, doch ich sehe, dass er die Antwort bereits kennt. Ich nicke schweigend. Während er sich zu mir herunterbeugt, kann ich nur starr auf den Bota blicken, den er langsam anhebt. Ich trinke, solange er mich lässt. Der Geschmack seines schwarzen Blutes bleibt trotzdem in meinem Mund zurück. „Siehst du? Es liegt allein an dir, wie wir dich behandeln", meint er und sein Blick folgt dem Wasser, das noch über mein Kinn rinnt und auf mein Kleid tropft. Ich antworte ihm nicht, diese Genugtuung gönne ich ihm nicht. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, lässt er sich etwas entfernt von mir auf den Boden sinken. Aus seiner Hosentasche zieht er ein Stück Holz, dann ein Messer. Obwohl seine Augen starr auf die Schnitzerei in seiner Hand gerichtet sind, spüre ich, dass seine Aufmerksamkeit auf mir liegt. Die Stille ist unglaublich laut. Neben der Geräuschkulisse des Dschungels gesellt sich nun auch das schneidende Geräusch von Caelans Messer dazu. Auch meine Gedanken fühlen sich lauter an als je zuvor. Ich bin noch dabei zu verstehen, was hier gerade passiert. Sie haben von so vielen Dingen gesprochen, von denen ich gar keine Ahnung habe. Gaben. Clans. Der König. Das alles war für mich immer weit entfernt – nicht mehr als Geschichten. Mein Herz verkrampft. Wären es doch nur Geschichten geblieben.
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