Weasleys Zauberhafte Zauberscherze
* Erinnerungen *
Evelias kleiner dünner Körper zitterte. Die Kälte schien sie zu lähmen, kroch durch ihre spärlichen Klamotten und drang bis zu ihren Knochen vor. Ihre Zehen und Fingerspitze waren längst taub, ihr Magen so leer, dass er einfach nur noch schmerzte und sie selbst hing am Rande des Bewusstseins. Es war dunkel, so dunkel, dass sie nicht einmal ihre eigenen Hände vor den Augen sehen konnte. Sie konnte ehrlich gesagt gar nicht sehen. Sie saß einfach nur in einem Raum voller nichts, voller Schwärze. Ihr flacher Atem und das Scharren ihrer kleinen Füße auf dem Boden war das einzige Geräusch weit und breit. Sie konnte nicht mehr sagen, ob es Tag oder Nacht war oder wie lange sie jetzt hier schon saß, allein und verlassen. Die ersten Male, als es passiert war, hatte sie noch gehofft, dass Emilio kommen würde. Doch sie hatte lernen müssen, dass niemand für eine sehr lange Zeit kommen würde.
Sie schloss ihre hellen blauen Augen, lehnte ihren Körper an die kalte raue Wand und ließ sich einfach treiben. Sie dachte an Hogwarts, an ihr warmes Bett im Ravenclawturm und an Ginny, ihre beste Freundin, die auf sie am Gelis warten würde. Jedes Jahr war sie wieder froh, wenn die Sommerferien vorbei waren und sie wieder nach Hogwarts durfte. Sie hing ihren Gedanken nach, hielt sich am Leben, während es immer kälter wurde und sie sich irgendwann kaum noch bewegen konnte.
Eine Tür wurde aufgerissen, ein kleiner Lichtspalt fiel in den dunklen Raum und schwere Schritte waren zu hören. Evelia blinzelte nur, wagte es allerdings nicht ihre Augen zu öffnen. Jemand kam näher, sie konnte seinen Atem und seine Öllampe quietschen hören.
„Sieh mich gefälligst an," blaffte er.
Evelias Körper zitterte nun nicht mehr nur vor Kälte, sondern auch vor blanker Angst. Tapfer sah sie zu ihm auf, sah in die blauen Augen, die sie selbst auch hatte. Ihr Vater hatte ein kantiges Gesicht, er wirkte emotionslos und fast...angewidert.
„Würde es nach mir gehen, würdest du hier unten vergammeln," murrte er kühl. Evelia sagte nichts, sah ihn nur weiter an und unterdrückte den Drang wegzusehen. „Aber deine Mutter lässt das nicht zu."
Das nächste, was Evelia spürte, war ein brennender Schmerz auf ihrer Wange. Sie wimmerte leise auf, zu mehr war sie nicht mehr imstande. Eine einzige klare Träne rann über ihre Wange, während ihre Haut heiß brannte. Ihr Vater packte sie grob am Handgelenk, sodass es schmerzte. Achtlos schliff er ihren Körper, der zu schwach war, um sich aufzurichten, über den rauen Kellerboden. Der Schmerz stach nun überall, der Stein unter ihr riss ihre dünne Haut auf und raubte ihr ihre letzte Kraft.
„Nutzlose dreckige Verräterin," war das letzte, was sie von ihrem Vater hörte, bevor alles schwarz wurde...
*
Am nächsten Morgen war Evelia kurz vor acht pünktlich im Laden, zog sich hinten im Lager um und trat dann in den Verkaufsabteil. Ron unterhielt sich angeregt mit Lee, während George alles öffnungsbereit machte. Evelia schlenderte durch die Regale, ging in ihrem Kopf noch einmal durch, wo sie was finden konnte und war fast ein bisschen stolz auf sich, dass sie sich das alles so schnell hatte merken können.
„Na, kannst du schon alles?", fragte George und sah sie an. „Wo findet man Langziehohren und wie viel kosten sie?", scherzte er grinsend.
„Langziehohren sind in Regal eins, Reihe zwei und sie kosten fünf Galeonen," erwiderte Evelia, ohne zu zögern. George hielt in seiner Arbeit inne und starrte sie an. „Woher weißt du das?", fragte er mehr als nur verblüfft, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Du hast es mir gestern erklärt und es steht auf der Liste," erwiderte sie locker. „Wie oft hast du dir diese Liste denn angesehen?", bohrte er belustigt nach. „Ich habe sie mir gestern ein oder zweimal durchgelesen," antwortete sie leise und sah sich weiter ein wenig nervös weiter um.
„Ein oder zweimal?", wiederholte George und schüttelte dann seinen Kopf. „Du verarschst mich."
„Nein, frag mich etwas anderes," murmelte sie und sah dabei überall hin, nur nicht in Georges Augen. Sie hatte es nicht gern, wenn Menschen verstanden, wie gut und schnell sie sich alles merken konnte.
„Okay. Wo sind unsere Wunderknaller?", fragte er und sah sie dabei erwartend an. Zögernd sah sie auf und war überrascht, als sie doch tatsächlich ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen erhaschte. „Regal fünf, Reihe drei und sie kosten sieben Galeonen," sagte sie ohne groß überlegen zu müssen.
„Verdammt, wieso hast du denn nie gesagt, dass du ein kleines Genie bist," beschwerte er sich dann und schüttelte leise lachend seinen Kopf.
„Ich bin kein Genie," beschwerte sie sich. Sie konnte es einfach nicht wirklich leiden, wenn man sie so nannte. Sie hatte eine Art fotografisches Gedächtnis, wie man es in der Muggelwelt nennen würde. Aber ihr war es eigentlich am liebsten, wenn das niemand so richtig verstand. George wollte gerade etwas erwidern, als auch schon die ersten Kunden hereinströmten und der Laden sich mit neugierigen kleinen Kindern und schimpfenden Eltern füllte. Evelia nutze diese Chance und begann ihrer Arbeit nachzugehen.
Sie überprüfte zuerst das Lager, sortierte die neuen Scherzartikel ein und ging dann in den Verkaufsbereich, um dort gegebenenfalls die Regale aufzufüllen. Es war eigentlich immer ziemlich voll, weshalb sie die ganze Zeit über genug zu tun hatte. Ron, Lee und George kümmerten sich um die Kasse und die Betreuung, während sie mit einem Klemmbrett herumlief, die Regale auffüllte und falsch eingeordnete Artikel wieder aufräumte. Ehrlich gesagt gefiel ihr diese Art von Arbeit. Sie hatte ihr Schema und ging durch ihre geringe Größe vollkommen in der Menge unter. Manchmal sprachen sie Kunden an, kleine Kinder oder Eltern, wo sie was finden konnten, aber sonst war sie sehr viel für sich, organisierte alles in ihrem Kopf und konnte verdammt gut dabei abschalten.
„Evelia," drang eine Stimme durch den Lärm der sich unterhaltenden und lachenden Kunden an ihr Ohr. Eilig drehte sie sich um und stand vor Ron, dem sie nicht einmal mehr bis zum Kinn ging.
„Ron," erwiderte sie nur grinsend. Gegen Ron hatte sie im Fuchsbau schon die ein oder andere spannende Partie Zauberschach gespielt und da sie seit sie klein war die Familie Weasley oft besucht hatte, hatte sie auch zu ihm ein ganz gutes Verhältnis.
„Du kannst gerne mal eine Pause machen, nicht, dass du mir hier noch zusammenklappst," sagte er dann. „Du machst das echt klasse, weißt du das? Ich weiß zwar nicht wie du es machst, aber du machst es gut."
Evelia lächelte dankbar und strich sich eine Strähne ihrer schwarzen Locken hinters Ohr. Genauso wenig wie sie Aufmerksamkeit mochte, genauso wenig konnte sie mit Lob umgehen.
„Danke," sagte sie daher nur leise.
Ron hob seine Hand und für eine Sekunde schreckte sie fast unmerklich davor zurück, bevor ihr der rothaarige Mann anerkennend auf die Schulter klopfte und dann in der Menge verschwand.
Evelia spürte, wie ihr Herz heftig gegen ihre Brust pochte, ihre Gedanken begannen sich zu drehen und sie musste für ein paar Sekunden ihre Augen schließen. Sie spürte, wie ihr eigener Abgrund sich zu öffnen begann, wie dunkle Hände nach ihr griffen und sie drohte in der Finsternis zu versinken, bevor sie aufschreckte und ihre düsteren Gedanken eilig verscheuchte.
Sie bahnte sich einen Weg durch die vielen Menschen bis hinter ins Lager, wo sie sich auf einen Stuhl setzte. Es gab auch einen Tisch und eine magische Kaffeemaschine. Seufzend schob sie eine Tasse darunter und schloss ihre Augen.
„Schwarzer Kaffee," sagte sie leise und schon begann die Maschine zu ruckeln und zu dampfen.
Das Stimmengewirr im Laden war hier nur gedämpft zu hören und Evelia war ehrlich gesagt ganz froh um ihre Pause. Sie packte das belegte Brot aus, dass Molly ihr gemacht hatte und für einige Sekunden starrte sie es an, bevor sie zu essen begann. Ihre Mom hatte ihr auch manchmal Brotreste gebracht, manchmal, wenn sie lange dort unten gewesen war, eigentlich zu lange, um noch zu leben.
Das Piepsen der Maschine riss sie aus ihren Gedanken und sie war auch ganz froh darum. Eilig nahm sie sich die dampfende Tasse, vertilgte das Brot und leerte dann ihren Kaffee. Sie war süchtig danach und trank ihn auch nur schwarz. Als sie damit fertig war begann sie wieder mit ihrer Arbeit, hackte ihre Listen ab, füllte Regale auf und half Kunden bei der Beratung. Sie übernahm auch einmal die Kasse und war mehr als nur beeindruckt wie viel man an einem Tag einnehmen konnte.
Als der letzte Kunde dann aus dem Laden verschwunden war, Ron die Tür verschloss und das Schild zu „Geschlossen" umdrehte, lehnte sie sich erschöpft an den Verkaufs Dresen und atmete einmal durch.
„Anstrengend, nicht?", fragte der rothaarige grinsend und begann das Geld aus der Kasse zu nehmen.
„Anstrengender als erwartet," gab sie schmunzelnd zu und streckte sich gähnend.
„Man gewöhnt sich dran und nach einer Weile macht es auch Spaß," sagte er, während er das Geld sortierte und alles abrechnete. „Wohnst du eigentlich im Fuchsbau, solange du keine eigene Wohnung hast?"
„Ja, ja Molly meinte ich könnte eine Weile bleiben. Und ich bin ihr echt dankbar, weil ich...", sie brach ab und starrte auf ihre Fußspitzen. „Weil ich sonst nicht wüsste, wo ich hinsollte. Aber ich will so schnell es geht eine eigene Wohnung."
Sie liebte Molly und die Weasleys, aber sie wollte deren Gastfreundschaft wirklich nicht überstrapazieren. Sie musste es irgendwie schaffen auf ihren eigenen Füßen zu stehen, auch, wenn das viel Stress bedeutete.
„Es gibt hier in der Winkelgasse ganz billige. Du findest sicher eine," munterte Ron sie auf und schloss die Kasse wieder. „Wärst du so lieb und würdest du das hier George vor die Tür legen? Er ist vorhin schon hoch und er macht sowieso niemanden auf," fragte er dann und Evelia merkte, dass es Ron kaum zu ertragen schien die Treppen zu Georges verschlossener Wohnung hinaufzugehen.
„Klar," erwiderte sie eilig und nahm sowohl das Geld als auch die Rechnung entgegen.
„Danke, ich sperre hier unten ab. Bis morgen," sagte er, wuschelte ihr grinsend durch die Haare und stapfte dann zu Tür.
Evelia seufzte leise, drehte sich um und huschte durch einen Vorhang, der ein kleines Treppenhaus verdeckte. Es wirkte recht eng und düster. Leise grummelnd begann sie den Aufstieg bis in den zweiten Stock. Es gab nur eine einzige Tür in dem schmalen Gang. Als sie davorstand, wollte sie gerade das Geld und die Rechnung in dem Umschlag auf die Fußmatte legen, als sie innehielt. Die Haustüre war nur angelehnt. Unschlüssig, was sie tun sollte, richtete sie sich wieder auf und blieb eine Weile auf der Stelle stehen.
Irgendwann klopfte sie zaghaft, doch niemand reagierte. Sie rang eine Weile mit sich, starrte auf die hölzerne Tür und seufzte dann schwer.
„George?", rief sie dann unsicher. Sie wusste, dass er eigentlich niemand in die Wohnung ließ und sich jeden Abend darin einschloss. Und ehrlich gesagt wollte sie auch nicht in seine Privatsphäre eindringen. „Ich habe das Geld von der Kasse," fügte sie hinzu, doch noch immer regte sich nichts.
Es war seltsam ruhig, fast unheimlich still dort drin. Seufzend gab sie nach und schob die Tür auf, um in die Wohnung einzutreten. Der Gang war noch dunkel, doch das nächste Zimmer – vermutlich das Wohnzimmer – war hell beleuchtet.
„George? Ich wollte wirklich nicht reinkommen, aber deine Wohnungstür war auf und ich habe noch...", sie brach mitten im Satz ab und erstarrte, als sie in ein großes geräumiges Zimmer trat. Für einige Sekunden war sie völlig bewegungsunfähig und verstummt, bevor ein Keuchen ihre Lippen verließt.
„Was zum...", hauchte sie leise.
Sie hatte in ihrem gesamten Leben noch nie so eine Unordnung gesehen. Überall lagen Klamotten, gewaschen oder getragen, man konnte es nicht mehr wirklich unterscheiden. Doch das war längst nicht alles. Leere Flaschen Whiskey rollten über den Boden, vergammeltes Essen und dreckige Teller standen auf dem Ess- und Couchtisch. Die Luft war abgestanden, als hätte hier das letzte Jahr niemand auch nur ein Fenster geöffnet und überall lagen Scherben herum von zerbrochenen Bildern und Vasen.
„Was machst du hier drin," ertönte eine Stimme und George trat aus der dunklen Küche in das beleuchtete Wohnzimmer.
Er sah vollkommen fertig aus. Seine Haare waren unordentlich verwuschelt, er trug nur eine Boxershorts und einen Pulli mit einem großen „F" darauf. Er hatte eine halblehre Whiskey Flasche in der Hand und Evelia brauchte nur einen Blick, um zu sehen, dass er betrunken war. Sie wagte es nicht irgendetwas zu sagen und versuchte die Gedanken an ihren Vater zu verdrängen, der auch immer getrunken hatte.
„Deine Tür war auf und ich habe noch das Geld und die Rechnungen von heute," sagte sie leise und legte den Umschlag eilig auf den Tisch. Sie wusste selbst, dass betrunkene unberechenbar waren. Sie wusste es von den unzähligen Narben auf ihrer blassen Haut.
„Wer hat dir erlaubt hier reinzukommen," blaffte er kalt und lallte dabei ein wenig.
„Ich...", begann sie leise, brach dann aber ab. „Ich gehe einfach wieder," wisperte sie und machte ein paar Schritte rückwärts. Georges Augen glühten gefährlich auf und bevor sie sich versah landete ein Glas vor ihren Füßen, zersprang in tausend Teile und kreischte dabei laut auf. Evelia sprang eilig zurück und dennoch bohrte sich ein Splitter in ihre Hand. Sie konnte den Schmerz kaum fühlen, so erschrocken und erstarrt war sie.
„Verschwinde," rief er und bewegte dabei unkontrolliert seinen linken Arm.
Sie zögerte eine Sekunde, sah ihn mit ihren hellen blauen Augen an und nickte dann. Schweigend ging sie ein paar Schritte rückwärts, zog ihren Zauberstab und drehte sich dann einmal um sich selbst. Als sich die Welt begann in wirbelnden Farben aufzulösen, sah sie noch, wie George wütend ein weiteres Glas an die nächstbeste Wand warf, bevor sie aus der Wohnung verschwand und am ganzen Körper zitternd auf einem weit entfernten Feld landete...
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