Der Job


Einzelne klare Tränen rannen über Evelias Gesicht, bahnten sich ihren Weg über ihre Wange und tropften schließlich auf das Gras unter ihr. Ein eisiger Wind wehte über das Feld, in dem sie stand und ließ ihre Haare durch die immer kühler werdende Luft tanzen. Sie konnte noch immer seine Stimme hören, seine Beschimpfungen und seine Bemühungen seine dunklen Ansichten vor ihr zu verbergen, obwohl sie doch schon längst wusste, welche Ideologie ihr großer Bruder verfolgte.

Mit zittrigen Händen wischte sie die Tränen weg und sah auf das Haus, das mitten in der Endlosigkeit der Felder stand. Die Dämmerung brach langsam herein, weshalb ein paar Lichter brannte und man eine etwas dicklichere Frau durch die Fenster erkennen konnte.

Das Haus war seltsam schräg in die höhe gebaut, hatte einen Garten voller Gnomen und Hühnern und so viele Anbauten, dass man nicht einmal mehr sagen konnte, was das ursprüngliche Haus überhaupt gewesen war. Evelia seufzte leise, konnte sich aber ein Schmunzeln nicht verkneifen. Der Fuchsbau war schon immer ihr zweites Zuhause gewesen, vielleicht manchmal sogar mehr ihr Zuhause, als ihr eigentliches. 

Seufzend schlängelte sie sich den engen Pfad entlang, stapfte direkt auf das ulkige Haus zu und hing dabei ein wenig ihren Gedanken nach. Der zerzauste ihre Haare und stach kalt und unaufhaltsam durch ihre Kleidung. Der Sommer schien in England noch nicht ganz angekommen zu sein. Als sie vor der Holztür stand, stellte sie ihren Koffer ab und klopfte zaghaft. Ehrlich gesagt war es ihr fast ein wenig unangenehm hier einfach so aufzutauchen, aber sie wusste wirklich nicht, wohin sie sonst sollte.

Die Tür wurde aufgerissen und eine Frau mit feuerroten Haaren und einer umgebundenen Schürze trat in den Rahmen, ihre Stirn verwundert gerunzelt.

„Evelia? Was machst du denn hier?", fragte sie sichtlich überrascht. „Ginny hat gar nicht gesagt, dass du vorbeikommst."

„Oh, ja...ähm...ehrlich gesagt ist das auch kein angekündigter Besuch," gestand sie leise. „Ich...ähm...hab keinen Wohnplatz und wollte fragen, ob ich eine Nacht hier bleiben könnte."

„Wer ist da?", ertönte eine helle Stimme und schon schlüpfte ein hübsches junges Mädchen neben ihrer Mutter an die Tür. Es war Ginny. „Evelia?", sagte sie verwundert. „Hat er dich etwa rausgeschmissen?"

Evelia nickte nur seufzend und Ginny schnaubte leise. Wortlos zog sie ihre Freundin in den Fuchsbau und sah ihre immer noch verwunderte Mutter an. „Evelia bleibt eine Weile bei uns, wenn es dir nichts ausmacht, Mom," sagte sie bestimmt und Evelia war einfach nur froh, dass sie wenigstens hier aufgenommen wurde.

„Ich...natürlich kannst du hierbleiben, mein Schatz," sagte Misses Weasley fast mütterlich und lächelte. „Ich mache ein bisschen mehr zu essen und dann erzählst du uns beim Abendessen was passiert ist."

Mit den Worten wuselte sie in die Küche davon und ließ die zwei Mädchen im engen Flur stehen. Evelia seufzte und fuhr sich durch ihre dunklen, fast schwarzen Haare, die ihr in wilden Locken über den Rücken fielen.

„Scheint so als würde mein Bruder nichts mehr mit mir zu tun haben wollen," murmelte sie leise und seufzte dabei schwer. „Ich wusste, dass er andere Ansichten hat als ich, aber ich dachte nicht, dass er mich rausschmeißt."

„Mach dir nichts draus, er ist ein Idiot, das weißt du doch. Und nur, weil das Ministerium nichts gefunden hat, heißt das noch lange nicht, dass er vielleicht doch etwas mit den Todessern zu schaffen hatte," sagte Ginny ernst und legte ihr einen Arm um die Schulter. „Wir bringen deine Sachen hoch und dann Essen wir erst einmal was."

Evelia lächelte schwach, dankbar, dass Ginny, ihre langjährige Freundin für sie da war. Sie waren im selben Jahrgang gewesen und obwohl sie in unterschiedlichen Häusern eingeteilt worden waren, hatten sie sich von Anfang an angefreundet. Seit dem war sie mehr bei den Weasleys gewesen als bei sich zuhause.

Sie stellte seufzend und auch ein wenig erschöpft von den vielen Stufen ihren Koffer in Ginnys Zimmer ab und setzte sich dann auf das Bett ihrer Freundin. Sie hatte nie einen engen Bund zu ihrer Familie gehabt, aber ihn vollkommen brechen zu sehen, tat doch ein wenig weh. Ihre Eltern waren beide schon immer sehr...geprägt von den Ansichten des Dunklen Lords gewesen. Auch, wenn der Name ihrer Familie, den sie längst abgelegt hatte, nicht all zu bekannt war, wie vielleicht Lestrange oder Black, waren sie doch angesehen Reinblüter gewesen. Umso älter Evelia geworden war, umso mehr hatte sie sich von ihrer Familie distanziert. Allerdings hatte sie doch immer gehofft, dass ihr Bruder zumindest nach dem Krieg wieder zu Besinnung finden würde. Wie sich herausstellte hatte sie sich geirrt.

„Hey," ertönte Ginnys Stimme und riss sie damit aus ihren Gedanken. „Wir sind deine Familie, das weißt du doch," sagte sie dann und lächelte ihre Freundin an. „Wir sind deine wirkliche Familie. Mit welchen Namen du geboren wurdest ist vollkommen egal."

Evelia lächelte schwach und lehnte ihren Kopf an Ginnys Schulter. Sie hatte einfach immer so sehr daran geglaubt, dass nach dem Krieg wieder alles gut werden würde, dass Emilio und sie sich so nah sein konnten wie früher, aber sie hatte sich getäuscht. Es war alles zerbrochen, einfach alles.

„Ich weiß, ich weiß. Es ist nur so...endgültig. Du hättest hören sollen, wie er mich aus unserem Anwesen geschmissen hat," murmelte sie leise. „Aber du hast recht, ich habe eine Familie, eine die mich wirklich schätzt und gernhat."

Ginny nickte bestätigend und nahm ihre viel kleinere Freundin in den Arm. Nach all den Jahren und all dem, was passiert war, hatte sich die Freundschaft zwischen den beiden gefestigt. Sie waren fast wie Schwestern, so nah und unzertrennlich waren sie geworden.

„Und wenn du eines Tages George heiratest, dann hast du sogar unseren Nachnamen," scherzte Ginny und Evelia schnaubte empört auf. „Hör doch auf damit," beschwerte sie sich lachend und nahm ein Kissen, um es Ginny an den Kopf zu werfen. „Was denn, ich mach doch nur einen Vorschlag," erwiderte diese neckend und Evelia verdrehte die Augen. „Nur, weil ich einmal einen Crush auf ihn hatte," murrte sie kopfschüttelnd.

Es war ehrlich gesagt schon ziemlich lange her. Damals waren George und Fred in ihrem siebten und letzten Jahr gewesen und sie mit Ginny in der vierten. Sie hatte die Zwillinge schon immer gemocht, weil sie zum Lachen gebracht hatten, wenn sie in den Sommerferien hier gewesen war, meist grün und blau geschlagen von ihren Eltern und nervlich so am Ende, dass sie vor jeder Handbewegung zurückgeschreckt war. Eilig schüttelte sie den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben.

„Wie geht es George eigentlich?", fragte sei dann vorsichtig. Es war jetzt gut ein Jahr her, dass Fred gestorben war. Der Laden hatte vor wenigen Tagen geöffnet und ehrlich gesagt hatte sie kaum etwas von Ginnys älterem Bruder gehört.

„Er sagt immer es geht ihm besser und...naja...ein bisschen stimmt es sicher. Er hat ja auch den Laden mit Ron und Lee wiedereröffnet, aber wirklich glücklich ist er nicht. Wenn er ab und zu vorbeikommt wirkt er eher wie einen Geist und laut Ron verbarrikadiert er sich, wenn er nicht im Laden ist, in seiner Wohnung und lässt niemanden herein. Also nicht gut, würde ich sagen," seufzte die hübsche rothaarige resigniert. Evelia lehnte sich ein wenig in dem Bett zurück und verschränkte ihre Hände hinter dem Kopf. „Klingt nicht wirklich gut," murmelte sie leise.

Sie war vor einem Jahr dabei gewesen, als George seinen toten Zwilling gesehen hatte. In der Sekunde war nicht Freds Tod das schlimmste gewesen, sondern der Ausdruck in Georges Augen. Der Schmerz und die Verzweiflung. Man hatte zusehen können, wie alles in ihm brach. Bis heute lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie daran dachte.

„Hmm, ich muss die nächsten Tage sowieso in die Winkelgasse, vielleicht können wir ja dann im Laden vorbeischauen," schlug sie dann vor und sah Ginny an.

„Was brauchst du denn in der Winkelgasse?", fragte ihre Freundin.

„Einen Job. Wenn ich nicht im Anwesen wohnen kann, dann brauche ich Geld. Emilio hat ziemlich deutlich gemacht, dass ich nicht an das Vermögen meiner Eltern kommen werde. Und in der Ausbildung zur Heilerin werde ich anfangs auch nicht viel verdienen," murrte sie leise und seufzte leise.

In solchen Momenten drohte die Last ihres Lebens, die Schwere und die Einsamkeit sie zu erdrücken. Sie würde es nicht zugeben, aber Emilios Worte hatten sie verletzt. Sie hatten sie direkt ins Herz getroffen und ihr die Luft abgeschnürt.

„Einen Job?", hackte Ginny nach und schwieg eine Weile. „George braucht eine Aushilfe für den Laden, jemand der organisiert ist und sich schnell Sachen merken kann. Das wäre doch etwas für dich," sagte sie dann und Evelia sah sie ein wenig unsicher an. „Meinst du? Ich habe doch eigentlich überhaupt nichts mit Scherzartikeln zu tun," sagte sie. „Das ist doch egal. Wenn du einen Job brauchst, dann kannst du den sicher haben. Ich muss nur Ron fragen."

Evelia schwieg eine Weile. Sie hatte die Scherzartikel der Zwillinge immer faszinierend gefunden, insbesondere die Magie und die Komplexität, die dahintersteckte. Und im Organisieren und sich Wissen schnell aneignen, war sie unschlagbar.

„Okay, wenn es geht, dann nehme ich den Job," sagte sie schließlich und Ginny klatschte in die Hände. „Aber du willst dich trotzdem zu Heilerin ausbilden lassen, oder?", fragte ihre Freundin, während sie sich an ihren kleinen Schreibtisch am Fenster setzte und eilig begann einen Brief zu schreiben.

„Ja, darauf habe ich ja eine Ewigkeit gearbeitet," sagte sie lachend und schloss für einige Sekunden ihre Augen. Es war ihr großer Traum.

„Wenn es jemand schafft, dann du," scherzte Ginny, grinste Evelia an und wendete sich dann wieder dem Brief zu.

Evelia nickte leicht und starrte die Decke von Ginnys Zimmer an. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass jetzt ein neuer Abschnitt ihres Lebens beginnen würde. Sie hatte nie vollkommen mit ihrer Familie abgeschlossen, jegliche Hoffnungen waren nun ertränkt und es blieb nur noch sie selbst. Sie war frei, der Krieg war vorbei und sie konnte anfangen zu leben ohne eine Familie voller Dunkelheit...

*

Evelia war fast ein wenig nervös, als sie kurz vor Ladenschluss in Weasleys Zauberhafte Zauberscherze trat. Ron hatte Ginny ungewöhnlich schnell geantwortet und Evelia gebeten vorbeizukommen. Und so stand sie da, ein wenig verloren und auch schüchtern. Ihre langen schwarzen Locken hatte sie zu einem unordentlichen Dutt gebunden, ihre kleinen Füße steckten in alten Sneaker und sie trug wie fast immer eine Boyfriend Jeans mit einem engen Sommertop.

„Hallo?", rief eine dunkle Stimme und Sekunden später trat ein hochgewachsener Mann hinter einem Vorhang hervor. Er hatte verwuschelte rote Haare, einen seltsam leeren Blick und sein Gesicht wirkte wie versteinert. „Evelia," sagte er und lächelte etwas gezwungen.

„Hey, George," sagte sie leise und musterte ihn eine Weile. Sie hatte das Gefühl, dass er noch größer geworden war, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte und irgendwie...erwachsener. Nicht nur, weil er viel stiller und ernster wirkte, sondern auch, weil er einen leichten Dreitagebart hatte und seine Schultern breiter waren. Sie räusperte sich verlegen und versuchte ein Lächeln. „Ist Ron da? Er meinte ich soll vorbeikommen – wegen dem Aushilfsjob," sagte sie dann leise.

„Ich weiß, er hat mir davon erzählt. Er musste schon gehen, also musst du mit mir vorliebnehmen," erwiderte er und grinste dabei. Allerdings wirkte alles an ihm...seltsam leer und aufgesetzt.

„Oh, okay," murmelte sie und trat in der aufkommenden Stille von einem Fuß auf den anderen. Georg sah konzentriert auf eine Liste, hackte mit seinem Zauberstab ein paar Sachen ab und legte sein Klemmbrett dann auf die Kasse.

„Alsoo," begann er und sah Evelia mit seinen dunklen braunen Augen an, „ehrlich gesagt hatten wir mehrere Bewerber und Ron und ich wollten uns ein paar ansehen. Allerdings waren sie entweder nicht geeignet oder nur hier, in der Hoffnung, dass sie durch diesen Job Harry Potter treffen würden. Und Ron meinte, dass du perfekt für den Job bist, also vertraue ich meinem kleinen Bruder und stelle dich ein."

„Wirklich?", fragte sie erleichtert und atmete aus. Anfangs hatte es sich so angehört, als hätten sie jemand anderes gefunden. „Danke, ich brauche den Job echt dringend."

„Ich hoffe mal das ist nicht deine einzige Motivation," erwiderte George und grinste dabei ein wenig.

„Nein, nein ich fand eure Scherzartikel schon immer ziemlich interessant," sagte sie eilig, doch George lachte nur. „Entspann dich, Evelia, wir sind hier nicht in der Schule. Ich zeige dir, was du machen musst und dann kannst du morgen anfangen. Wenn du magst kannst du bist Ende der Sommerferien Vollzeit hier arbeiten. Danach machst du ja eh noch eine Ausbildung zu Heilerin, wie ich gehört habe und dann können wir ja schauen, ob du hier noch weiterarbeiten willst," erklärte er viel zu sachlich für den George Weasley, den sie kannte.

„Okay, das klingt gut," stimmte sie zu und lächelte dabei sanft.

George nickte und streckte sich gähnend, bevor er begann Evelia durch den leeren Laden zu führen. Er erklärte ihr das Ordnungssystem der Regale und wo sie was finden konnte. Dank ihres ziemlich guten Gedächtnisses konnte sie sich alles ziemlich schnell merken. George zeigte ihr noch das Lager und erklärte ihr, dass es sehr hilfreich wäre, wenn sie hier alles unter Kontrolle hätte. Er gab ihr eine Liste aller Scherzartikel und ihren Preisen, zeigte ihr noch kurz wie die Kasse zu bedienen war und gab ihr zum Schluss noch die Arbeiteruniform.

„Der Laden öffnet um neun und wir schließen um sechs Uhr abends. Es reicht vollkommen, wenn du kurz vor neun hier bist, ich mache den Laden meistens allein auf. Es kann sein, dass du mir manchmal abends helfen musst die Kasse zu machen oder alles aufzuräumen, weil sich Ron und Lee gerne früher verdrücken," sagte er dann noch, als sie wieder in den Verkaufsteil des Ladens traten.

„Okay verstanden," murmelte Evelia.

„Sicher? Du konntest dir das alles merken?", fragte George skeptisch und wenn Evelia nicht alles täuschte auch ein wenig belustigt.

„Klar, der Hut hat mich ja nicht umsonst nach Ravenclaw geschickt," konterte sie nur augenverdrehend. „Wir sehen uns Morgen."

„Ja, wir sehen uns Morgen, kleine Lia," erwiderte er schmunzelnd.

„Nenn mich nicht so, George Weasley," beschwerte sie sich im rausgehen, winkte noch einmal und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Nach all den Jahren hatte sie wohl doch noch immer einen Crush auf George Weasley. Wer hätte das gedacht?

Und doch machte sie sich auch ein wenig Sorgen, als sie durch die fast leere Winkelgasse ging. George hatte noch nie so...leer gewirkt, so unecht und verstellt. Er hatte nicht wirklich gelacht und sein grinsen wirkte fast jedes Mal aufgesetzt. Man konnte spüren, dass er mit Fred nicht nur seinen Zwilling, sondern auch sich selbst verloren hatte...

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