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MADISON
SPÄTER AM TAG
Eine leise Stimme und das Klappern von Geschirr weckten meine Aufmerksamkeit
. Eine Krankenschwester trat ins Zimmer, ein Tablett in der Hand. Darauf stand eine dampfende Schüssel Suppe, etwas Brot und ein kleines Glas Wasser.
„Herr Hendry, es ist Zeit für etwas zu essen," sagte sie freundlich und stellte das Tablett vorsichtig auf den kleinen Tisch neben dem Bett ab. Sie blickte zu mir und fügte hinzu:
„Er wird wahrscheinlich etwas Hilfe brauchen. Wären Sie so nett?"
Ich nickte sofort, obwohl ich einen Moment zögerte. Ihn füttern? Es fühlte sich seltsam intim an, und doch wusste ich, dass er es allein nicht schaffen würde.
Stephen, der zuvor stumm dagelegen hatte, öffnete leicht die Augen und schien zu realisieren, was vor sich ging.
„Ich brauche keine Hilfe," murmelte er heiser, seine Stimme war rau, während er versuchte, seine verletzte Hand zu heben. Doch schon die kleinste Bewegung ließ ihn vor Schmerz stöhnen.
„Natürlich nicht," sagte ich trocken, nahm aber trotzdem den Löffel in die Hand.
„Vergiss es, Stephen. Du kannst dich kaum bewegen."
Er sah mich an, seine Augen suchten nach Widerworten, doch er schloss den Mund und lehnte sich erschöpft zurück.
Ich blies vorsichtig über die heiße Suppe und hielt den Löffel vor seine Lippen.
„Mach den Mund auf," sagte ich leise, fast spielerisch, um die Spannung zu lösen.
Er tat, was ich sagte, und nahm den ersten Bissen. „Zufrieden?" murmelte er mit einem leichten Hauch von Sarkasmus, der mir ein Schmunzeln entlockte.
Ich fuhr fort, ihm Löffel für Löffel zu reichen, und mit jeder Bewegung wurde ich mir seiner Blicke bewusster. Er beobachtete mich – nicht nur beiläufig, sondern intensiv, wie jemand, der verliebt war.
„Hör auf, mich so anzustarren," sagte ich schließlich und versuchte, die aufkeimende Nervosität hinter einer leichten Lache zu verstecken.
Doch er lächelte nur, schwach, aber auf eine Art, die fast ... weich war. Seine dunklen Augen schienen plötzlich heller zu strahlen, und für einen Moment war ich gefangen in diesem Blick. „Du hast die schönsten Augen auf dieser Welt," sagte er.
Mein Herz setzte für einen Moment aus, doch ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich wieder auf die Suppe.
„Vielleicht solltest du dich weniger auf meine Augen konzentrieren und mehr auf die Suppe."
Er lachte, was sofort in ein schmerzhaftes Stöhnen überging. „Au," murmelte er, während ich schnell den Löffel ablegte.
Ich richtete die Decke über ihn zurecht. Seine Augen folgten jeder meiner Bewegungen, und ich konnte das Gewicht seines Blickes auf meiner Haut spüren.
EINIGE TAGE SPÄTER – ZEITSPRUNG
Die Tage im Krankenhaus zogen sich dahin. Stephens Genesung verlief langsam, aber stetig, und mit jedem Tag kehrten mehr Farbe und Kraft in sein Gesicht zurück. Doch heute war seine Laune sichtbar schlechter.
„Ich will nach Hause," sagte er, mit einer Mischung aus Frustration und Trotz in der Stimme.
Der Arzt stand am Fußende seines Bettes und schüttelte den Kopf. „Das ist derzeit keine Option, Herr Hendry. Die Schiene an Ihrem Bein, Ihre Verletzungen – das Risiko ist zu groß. Wir brauchen noch Zeit, um sicherzustellen, dass keine Komplikationen auftreten."
Stephen sah ihn mit zusammengepressten Lippen an, sagte aber nichts.
Sein Schweigen sprach Bände. Als der Arzt den Raum verließ, ließ ich mich auf den Stuhl neben seinem Bett fallen.
„Das gefällt dir nicht, was?" fragte ich vorsichtig, doch er antwortete nicht.
Sein Blick war ausdruckslos auf die Decke gerichtet.
Eine angespannte Stille breitete sich aus, bevor ich schließlich tief Luft holte und zu sprechen begann. „Weißt du, Stephen ... bevor das alles passiert ist, hatte ich beschlossen, zu gehen."
Sein Kopf drehte sich schnell in meine Richtung, seine Augen verengten sich.
„Ich wollte dich verlassen," sagte ich, meine Stimme brüchig, aber ehrlich. „Ich habe dich gehasst. Deinen kalten Ton, die Art, wie du mich behandelt hast, wie du mich immer kleiner gemacht hast. Ich dachte ... ich dachte, ich würde es keine Sekunde länger ertragen."
Er sagte nichts, aber die Anspannung in seinem Gesicht war deutlich zu erkennen.
„Aber als ich den Anruf bekam ... als sie mir sagten, dass du einen Unfall hattest ..." Ich schluckte hart, meine Hände zitterten leicht. „Es war, als wäre all dieser Hass einfach verschwunden. Plötzlich war nichts mehr davon wichtig. Nichts davon konnte gegen die Angst ankommen, dich zu verlieren."
Sein Atem ging schneller, und ich sah, wie seine Hand sich bewegte und nach meiner Hand griff. Ich drückte sie leicht.
„Das Leben ..." fuhr ich fort, meine Stimme leiser werdend, „es ist so zerbrechlich. Es kann so schnell vorbei sein. Und ich habe mich gefragt: Wenn es das gewesen wäre, Stephen, wärst du dann mit dem Leben zufrieden gewesen, das du geführt hast?"
Er schloss die Augen, und ich sah, wie seine Kiefermuskeln sich anspannten. Schließlich öffnete er sie wieder und sah mich mit einem Blick an, der mehr sagte, als Worte jemals könnten.
„Madison," begann er, seine Stimme rau und gebrochen, „ich ..." Doch er brach ab und ließ den Kopf wieder zurücksinken, als hätte er keine Kraft mehr, die richtigen Worte zu finden.
„Ich will nicht sagen, dass alles wieder gut ist, Stephen. Aber ich will ehrlich sein. Es ist noch nicht vorbei."
Er nickte langsam, sein Blick auf unsere ineinander verschränkten Hände gerichtet.
„Vielleicht ist es eine zweite Chance," murmelte er leise, fast mehr zu sich selbst als zu mir.
Ich wusste nicht, ob es das war. Aber ich wusste, dass ich nicht weglaufen würde.
Nicht jetzt, wo er mich brauchte.
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