Seine Vergangenheit

Er fand das Kind ausgesetzt auf der Straße. Ein dreijähriges, weinendes, schmutziges Mädchen. Wie konnte jemand seinem Kind so etwas antun?!
Ihr Aussehen erinnerte ihn an jemanden, an den er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Wahrscheinlich lag es an Lidia, die gern seine Gedanken gelöscht hatte. Er wusste nicht einmal, wie oft sie das bei ihm getan hatte.
Da er selbst keine Kinder hatte, nahm er es bei sich auf. Leider stellte es sich heraus, dass das Mädchen krank war. Doch er kümmerte sich gut um sie, denn schon zu den Zeit hatte er viel Geld.
Das Mädchen war ihm sogar sehr ans Herz gewachsen, es war seine einzige Familie und es hielt ihn für seinen Vater. Nur wurde die kleine Analisa nicht gesund. Er kaufte alle damals vorhandenen Medikamente, lud Heiler ein. Doch nichts half. Das Mädchen lag den ganzen Tag nur kraftlos im Bett, gestört von heftigen Hustenanfällen. Er legte ihr immer wieder ein nasses Tuch auf die Stirn, um ihr anhaltendes Fieber zu bekämpfen. Und Mal für Mal versicherte er ihr, dass alles noch gut werden würde.

In der letzten Nacht lag sie in seinen Armen, wie schön oft davor, obwohl er zuerst sehr zurückhaltend war. Sie sah ihn mit traurigen, erschöpften und fast goldenen Augen an, die mit der Zeit zuerst ihren Glanz wiedergewannen und dann verloren, und es brachte Tränen in die Seinen, welche er mühsam zurückhielt.
"Vater...", flüsterte sie mit brüchiger Stimme. Sie streckte langsam den Arm aus und legte ihre Hand auf seine Wange.
Er seinerseits umfasste mit seiner freien Hand ihre Zweite und zwang sich zu einem Lächeln. Seine Stimme war sehr sanft, als er sprach. "Ja, Liebste? Was wünschst du dir?"
In den zwei Jahren mit ihr schwand seine Wut auf jemanden Unbekannten ab und er fühlte sich wieder menschlich. So wie damals, als er noch mit seiner Freundin ausging. Als sie noch lebte.
"Verwandle mich nicht.", bat sie ihn mit großen Augen. "Ich will sterben."
Er sah sie leicht entsetzt an. Er hatte es nicht vor, sie zu wandeln. Dies wäre würdelos! Vampirsein bedeutete Verdammtnis.
"Werde ich nicht, mein Sonnenschein. Ich werde dich sterben lassen.", versprach er leise.
"Danke.", lächelte sie beinahe glücklich. "Und finde Mama."
Ihre Augen erloschen. Die Hand fiel schlaff von seiner Wange. Das Mädchen regte sich nicht mehr in seinen Armen.
Wieder war ein Mensch gestorben, dem er sehr nahe stand... Wie viele würden noch dazukommen? Wie viele Tode musste er in seiner Erinnerung und seinem Herzen mittragen?!
Er drückte das Mädchen, das ihm zur Tochter wurde, an die Brust und versuchte, stark zu bleiben. Wie ein Mann, wie ein Vampir.
Aber er konnte es nicht, es war doch ein kleines unschuldiges Kind!
Salzige Tränen liefen ihm aus den Augen und er konnte nicht dagegen ankämpfen.
Er hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde, er hätte es von Anfang an gewusst. Anlass hatte sogar länger durchgehalten, als er ursprünglich angenommen hatte. Ihr Tod tat ihm trotzdem furchtbar weh. Er hatte jetzt wieder niemanden bei sich. Niemanden, für den es sich lohnte zu leben.

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