43. Die Unergründlichkeit des Sirius Blacks
KAPITEL DREIUNDVIERZIG
Die Unergründlichkeit des Sirius Blacks
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PAIGE WAR MIT IHREM ANIMAGUS sehr zufrieden. Es war ein kleiner Geheimwunsch von ihr gewesen, fliegen zu können — und als Rabe konnte sie das definitiv. Sie übte so viel sie konnte und war völlig unter Strom, sobald sie es das erste Mal richtig versuchte. Das Adrenalin, das beim Fliegen ausgeschüttet wurde... Oh, es war kaum zu beschreiben. Es war berauschend, es war nervenaufreibend und dennoch wunderschön.
„Du hast doch etwas von einer Gryffindor in dir", stellte James zufrieden fest, als Paige sich aus dem Fenster des Gryffindor-Turms fallen ließ, nur um sich in der Luft in einen Raben zu verwandeln und wieder zurückzufliegen. Natürlich erst, als sie sich sicher genug fühlte, aber es war einfach der Wahnsinn.
Remus hob die Augenbrauen. „Solange du es nicht darauf anlegst, an Vollmond von mir gefressen zu werden", merkte er nur an, lächelte aber bei Paiges offensichtlicher Freude, als sie bei ihnen im Schlafsaal waren. Ein wenig Sorgen, dass sie auf solche Ideen kam, machte er sich immer noch.
„Vielleicht fresse ich ja dich", gab sie nur belustigt zurück. „Ich kann mich mit Peter auf James' Geweih setzen und drauf los hacken."
Remus schüttelte mit dem Kopf, lächelte aber. „Ach, was wäre ich nur ohne dich...", murmelte er dann leise.
„Jungfrau" antwortete Paige trocken, immer noch in ihrer Hochstimmung, während sie beschwingt durch den Schlafsaal lief. Alle Augen richteten sich gleichzeitig auf sie und Remus legte vorwurfsvoll den Kopf schief. Sirius und James prusteten gleichzeitig los, was auch Peter dazu veranlasste, laut zu lachen. Remus warf ihm einen finsteren Blick zu, der ihn zum Verstummen brachte.
„Das kriegst du zurück", warnte Remus sie leise, als sie sich neben ihn aufs Bett fallen ließ.
„Ich hoffe doch", grinste sie.
Sie war sogar so beflügelt (im wahrsten Sinne des Wortes), dass sie an seinem Geburtstag in ihrer Rabengestalt aufgeregt in die Große Halle flatterte und sich erst zurückverwandelte, als sie sich kurz vor seiner Brust befand. Selbst im Schwung schaffte sie es, ihre Arme um seinen Hals und ihre Beine um seine Hüfte zu schwingen, was sehr originell hätte sein können, wären sie nicht deswegen in Sirius' Frühstück gelandet, vor dem Remus gerade gestanden hatte. Sie waren gerade so dem nächsten Fall einer Gehirnerschütterung entgangen.
Professor McGonagall schüttelte vom Lehrertisch aus ihren Kopf, als Paige Remus, der mitten in Sirius' Müslischale gelandet war und nun Getreide im Gesicht und Milch in den Haaren hatte, auf den Mund küsste. Die ganze Große Halle sah zu, manche mit gehobenen Augenbrauen, manche angeekelt und manche mit Eifersucht auf Paige, die es geschafft hatte, den geheimnisvollsten Rumtreiber für sich zu gewinnen.
„Alles Gute zum Geburtstag", flötete sie grinsend und zog ihn wieder vom Tisch hoch. Sirius pfiff anerkennend.
„Das waren auf jeden Fall die aufrichtigsten Glückwünsche, die ich heute bekommen habe", entgegnete Remus, der sich bei der ganzen Aufmerksamkeit verlegen am Hinterkopf kratzte. Er hatte schon gesagt, dass er keine große Feier wollte. Eigentlich wollte er einfach nur einen entspannten Tag mit seinen Freunden. Er hatte sogar an Dorcas gedacht und sie eingeladen, am Schwarzen See zu picknicken. Selbst Sirius schien seine Slytherin-Vorurteile bei ihr überwunden zu haben. Vielleicht lag es daran, dass Dorcas von ihrem Plan erzählt hatte, Aurorin zu werden. Oder an Kieron, denn anhand der Blicke, die er mit Sirius austauschte, war Paige sich zu einhundert Prozent sicher, dass sie schon rumgemacht hatten.
Und Paige wäre nicht Paige, wenn sie ihn an diesem Abend nicht nach ein paar Bechern Met darauf ansprechen würde.
„Ach Paigie", entgegnete Sirius jedoch nur und legte einen Arm um sie, als sie zusammen auf den See blickten. Die Sonne war bereits untergegangen und hatte die Welt im Stich gelassen, um sie der Dunkelheit und dem Mond zu übergeben. „Du hast recht, der Mistkerl hat schon was."
„Naw", entgegnete Paige, offensichtlich gerührt von einer solchen Gefühlsoffenbarung.
Die anderen saßen ein wenig abseits auf der Picknickdecke, die sie extra unter dem Baum am See ausgebreitet hatten, und Paige konnte Remus mit Dorcas über etwas lachen hören. Sie waren alle schon ein wenig beschwingt von der Musik und dem Alkohol. All das fühlte sich so harmonisch an, dass man glatt vergessen konnte, worüber täglich in der Zeitung berichtet wurde. Vielleicht genoss Paige jeden Anlass dafür deswegen so sehr.
„Ich muss dir was sagen", platzte es da aus Sirius heraus.
Perplex hielt Paige inne und trank einen Schluck aus ihrem Becher, da sie in Sirius' Blick sah, dass das hier noch ein wenig länger dauern würde.
„Weißt du, ich mag ihn wirklich", begann Sirius. „Er ist nett und so."
„Nett und so sind genau die Worte, mit denen ich meine Liebe zu Remus beschreiben würde", gab sie mit gehobener Augenbraue zurück und blickte ihn aufmerksam an.
Das ist es ja, wollte Sirius sagen. Er ist nicht Remus.
Er seufzte tief. „Es ist nur", versuchte er es in Worte zu fassen. „Ich mochte da mal jemand anderen."
Paiges Augen weiteten sich. Das hier... Das war der Moment, auf den sie die ganze Zeit gewartet hatte. Und er kam ganz von selbst. Sirius würde es zugeben, endlich, das musste sie sofort Remus erzählen.
„Ich bin zwar darüber hinweg, aber...", fuhr Sirius fort. „Ich habe es nie versucht und weiß nicht, ob ich eine Chance gehabt hätte. Es ist besser so, das weiß ich, vor allem, weil diese Person glücklich mit jemandem anderen ist. Manchmal glaube ich nur, es wäre leichter, völlig damit abzuschließen, wenn ich es von dieser Person hören würde, dass es nie erwidert wurde."
„Wieso fragst du sie dann nicht?", fragte Paige einfühlsam.
Sirius lachte beinahe bei der Ironie. „Weil das vermutlich mehr als eine gute Freundschaft kaputt machen würde", antwortete er kryptisch und sah ihr tief in die Augen. Sein Lächeln wurde traurig und er streckte seine Hand aus, um ihr über den Rücken zu streichen.
Und in diesem Moment fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie wollte den Kopf schütteln, die Augen schließen, Sirius Vorwürfe machen, dass er sich nicht jemanden anderen hätte aussuchen können — oder zumindest einen anderen Moment hierfür. Die ganze Zeit war es sie gewesen?
Doch Sirius fuhr fort: „Meinst du, ich sollte etwas sagen?"
Paige atmete tief durch und drehte ihren Kopf zu ihm. „Nein", antwortete sie langsam. „Du hast recht. Mehr als eine Freundschaft würde dadurch kaputt gehen."
Ihr fröstelte, als Sirius seinen Arm von ihr wegnahm und lange auf den See blickte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, als sie es endlich über sich brachte, zu sagen: „Ich gehe zu Remus, okay?" Sie fühlte sich seltsam. Am liebsten würde sie jetzt schon ins Bett, obwohl sie Remus noch nicht einmal ihre Geschenke gegeben hatten — und sie wollte wirklich wissen, wie er den dunkelgrünen Pullover fand, den sie ihm gekauft hatte, und was er zu dem Armband sagte, das sie in Alchemie angefertigt hatte. Es war aus Gold, mit jeweils einem kleinen fein eingearbeiteten Wolf und Raben. Die Glieder wechselten sich mit winzigen Federn und Wolfstatzen ab. Paige würde vielleicht noch eins für sich selbst machen, aber nach der stundenlangen Arbeit brauchte sie erst einmal eine Pause. Eigentlich wollte sie ihm das Bild vom Weihnachtsmarkt einrahmen, aber es war irgendwie aus Remus' Schlafsaal verschwunden...
Sirius nickte nur. Vielleicht war es ein gutes Zeichen, dass ihm der Gedanke, nie etwas zu sagen, nicht einmal mehr wehtat. Vielleicht war er wirklich darüber hinweg. Vielleicht war es das, was er für Kieron empfinden können würde, wirklich wert.
Paige mit Remus glücklich zu sehen, hatte ihn selbstlos genug gemacht, sich für die beiden zu freuen und ihr sogar zu helfen, mit ihm zusammenzukommen. Es hatte es einfach gemacht, darüber hinwegzukommen. Er seufzte. Das Was wäre wenn blieb, obwohl er die Antwort auf jede dieser Fragen kannte.
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PAIGE FÜHLTE SICH nicht gut. Jedes Mal, wenn sie in Sirius' Nähe war, erwischte sie sich dabei, wie sich das Lächeln auf ihrem Gesicht aufgezwungen anfühlte. Aber wenn er doch glaubt, darüber hinweg zu sein, ist das etwas Gutes, oder? Dann ist eigentlich alles ganz normal.
Silias hatte ihr schließlich auch gesagt, dass er mal auf sie gestanden hatte — aber das war etwas anderes. Sie waren so lange Freunde, dass es etwas war, worüber sie lachen konnten. Aber Sirius... Sirius war trotz ihrer guten Freundschaft etwas anderes. Er war Remus' bester Freund. Und so wie sie die Loyalität zwischen den Jungs kannte, hasste er sich selbst dafür.
Sie erwischte sich dabei, mehr bei ihren eigenen Freunden zu sitzen und Remus öfters zu sich rüber zu holen als vorher. Ihre Rechtfertigung war es, Harper Rat wegen Calista, und Silias und Aliana Rat über... naja... übereinander zu geben. Subtile Andeutungen waren immer noch die beste Methode und die Blicke, die sie sich zuwarfen, waren es wert.
„Dieses Drama macht mich fertig", war alles, was Sayria dazu sagte. „Da hab ich ja echt keinen Bock drauf."
In letzter Zeit war sie häufiger bei Leuten in ihrem Alter, aber das war schließlich nur nachvollziehbar. Bald würde nur noch Aliana hier sein und Silias, Harper und Paige die Schule verlassen. Seit sie ihren Stil ausleben konnte und sich traute, gegen die Norm zu gehen, schien sie nur noch mehr aufzublühen. Ihre Freunde unterstützten sie scheinbar so, wie sie es verdient hatte.
Ein wenig fürchtete Paige sich vor James' großer Geburtstagsfeier, weil mit hundertprozentiger Sicherheit Alkohol (in Sirius' Mund) fließen würde, was ihn immer ein wenig sentimental und redselig machte. Sie hatte nicht umsonst darauf bestanden, Kieron einzuladen, der sich sehr darüber gefreut hatte.
Remus hatte davon gesprochen, dass er an seinem Geburtstag die aufrichtigsten Glückwünsche von ihr enthalten hatte, nicht?
Die aufrichtigsten Glückwünsche, die James an seinem Geburtstag erhielt, kamen tatsächlich von Lily. Und das war eine Wahnsinns Show. Er saß am Abend im Gemeinschaftsraum, in dem laute Musik dröhnte, vor dem riesigen Geburtstagskuchen, den Sirius und Peter für ihn gebacken hatten (wobei es eher Peter war, der den Großteil erledigt hatte — er hatte ein Händchen fürs Backen, was Paige ihm nicht verübeln konnte, da man sich im Gegensatz zum Kochen wenigstens an schöne Regeln halten konnte. Remus mochte Kochen genau deswegen lieber, weil es kreativer war, und versuchte sie immer damit zu überzeugen, dass zu kochen doch ähnlich wie Zaubertränke sei, aber dafür fehlte Paige wohl die Vision.)
Zurück zum Thema. In James' Geburtstagstorte waren in einem mehr oder weniger runden Kreis achtzehn Kerzen gesteckt worden, die er auf Peters Anweisung hin alle auf einmal ausblasen sollte. Lily saß neben ihm und sah stumm zu ihm. Seit den Weihnachtsferien unternahmen sie häufig etwas und manchmal verbrachte sie sogar Zeit mit ihnen allen. Doch James versuchte nichts und spielte den wahren Gentleman. Paige fand auch, dass der erste Schritt von Lily ausgehen sollte. Lange durchhalten würde sie es bestimmt nicht mehr.
Paige zumindest entging das leichte Lächeln auf Lilys Gesicht nicht, als sie ihm beim Kerzen ausblasen zusah. „Und, hast du dir was gewünscht?", fragte sie und Paige fragte sich, was ihr unschuldiger Unterton zu bedeuten hatte.
Er nickte grinsend.
Sirius wollte etwas sagen, als Lily sich ohne Vorwarnung vorbeugte, eine Hand an James' Wange legte und ihn mitten auf den Mund küsste.
Es war nicht übertrieben zu sagen, dass allen fast die Augen aus dem Kopf fielen, als sie die beiden anstarrten. Paige ließ sogar ihr Geschenk fallen und riss Remus so aus seiner Starre, da er es schnell auffangen musste.
Lily lehnte sich nach wenigen Sekunden zurück, als sei nichts geschehen, und sah zu ihrem Geschenk, während James mit geöffnetem Mund zu ihr blickte. „Oh wow", sagte Lily mit gespielter Faszination. „Das war, als wäre ich magisch zu dir geführt worden."
James drehte den Kopf zu den nicht mehr brennenden Kerzen und seine Augen weiteten sich.
„Habt ihr die Kerzen verhext?", flüsterte Remus Sirius zu und auch Paige drehte sich fragend zu ihm, um seine Antwort zu hören.
„Ich nicht", gab dieser ebenso ungläubig zurück und die beiden sahen zu Peter, der abwehrend die Hände hob.
„Ich wüsste gar nicht, wie", verteidigte er sich schnell.
Alle ihre Köpfe schnellten wieder zu Lily herum, die unschuldig lächelte.
„Da war nichts verhext", murmelte Paige, bevor sie hastig aufsprang und laut verkündete: „Wir gehen jetzt besser, Geschenke gibt es später."
Sie zog an Remus' Ärmel, als er zögernd zu ihr hochsah, und versuchte ihm zu bedeuten, dass es wirklich wirklich Zeit war, zu verschwinden. So wie James zu Lily sah, würde ihnen ein wenig Zeit alleine sicherlich gut tun. Ihre Umgebung schienen sie ohnehin schon nicht mehr wahrzunehmen. Dorcas ergriff ebenfalls die Initiative, Sirius nach oben zu ziehen und jeden, der Anstalten machte, verwirrt stehenzubleiben, zur Seite zu schieben.
„Wir machen das mit den Geschenken später", erklärte Paige allen, bevor sie leise an Remus gewandt murmelte: „Wir müssen uns irgendwo hinstellen, wo wir sie ganz genau im Auge haben."
„Findest du nicht, wir sollten ihnen etwas Privatsphäre lassen?", fragte Remus zurück, als sie zu den Getränken hinüber schlenderten.
„Ach", winkte Paige ab. „Wenn sie sich küssen, vielleicht."
Remus' Blick glitt über ihre Schulter und sie beobachtete, wie er die Augenbrauen hob. „Na ja, dann haben sie ihre Privatsphäre jetzt verdient."
Paige fuhr herum und öffnete ungläubig den Mund. James und Lily saßen umschlungen auf der Couch und küssten sich, als hinge ihr Leben voneinander ab — und das, obwohl noch kein Tropfen Alkohol geflossen war. Sie hatte immer geglaubt, dass Lily ein wenig angetrunken sein müsste, um endlich über ihren Schatten zu springen und den ersten Schritt zu machen. Doch scheinbar hatte sie es selbst nicht mehr ausgehalten.
„Das kann doch echt nicht wahr sein", meinte sie amüsiert.
„Er kriegt immer, was er will", gab Remus mit einem Kopfschütteln zurück. „Ich hätte es wissen müssen."
„Scheinbar führt Geduld zu Lilys Herz."
Remus lachte leise, während er seinen Arm um sie legte, um sie sanft auf die Schläfe zu küssen. „Ich bin froh, dass wir das hinter uns haben", murmelte er amüsiert. „Stell dir vor, wir müssten das alles noch mal durchleben. Das war so kompliziert"
„Die Verliebt-aber-nicht-zusammen-Phase?"
Er gab ein zustimmendes Geräusch von sich.
„Na ja, Mister, an wem lag es denn, dass das so kompliziert war?", forderte Paige ihn heraus und hob die Augenbrauen.
„Gut, okay..."
Sie stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite.
„Ich war jung und dumm", gab Remus zu.
„Ja", stimmte Paige knapp zu, bevor sie grinste. „Aber sich in dich zu verlieben war trotzdem schön."
„Ich beneide die beiden trotzdem nicht", entgegnete Remus mit einem Seitenblick auf James und Lily und vergrub sein Gesicht in Paiges Haaren. „Verliebt sein ist schön, aber jemanden zu lieben ist schöner."
Es waren Momente wie diese, in denen Paige einfach nur glücklich war.
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und wollte ihn umarmen, als sich jemand gewaltsam zwischen sie schob und seine eigenen Arme um sie legte. Remus atmete genervt auf. „Hey, Leute", flötete Sirius. „Anstatt hier am Rand rumzustehen, ist Party angesagt. Ich finde, wir brauchen einen richtigen Absturz auf den Schock mit James und Lily."
Paige verdrehte die Augen und überspielte so, dass sie sich ein wenig unwohl fühlte, als Sirius sie so eng in den Arm nahm und ihr durch ihre — extra lang gekämmten! — Haare wuschelte. Nach Remus' Geburtstag wusste sie nicht mehr, wie sie solche Gesten interpretieren sollte. Vorher waren sie einfach nur normal gewesen. Dennoch ließ sie sich mit Remus zu den Getränken schieben, wo er sie losließ und stolz eine Flasche Feuerwhiskey offenbarte. „Und unserer Slytherin-Duo kommt auch vorbei!", grölte Sirius, als Kieron und Dorcas neben Paige stehen blieben.
„Wie viel hat er getrunken?", fragte Dorcas leise.
„Nicht viel, er tut nur so, weil er denkt, es wäre witzig", gab Paige zurück.
Irgendwann tat er jedoch nicht mehr nur so und Paige verfluchte wieder einmal die Tatsache, dass ihre Alkoholtoleranz so viel höher zu sein schien als die von all ihren Freunden. Sirius gackerte vor sich hin und redete dummes Zeug und selbst Remus neben ihr starrte nach ein wenig Feuerwhiskey müde an die Wand. Sie schnipste vor seinem Gesicht, was ihn zusammenzucken ließ. „Du bist ja auch schon durch", beschwerte sie sich belustigt.
Remus murrte leise etwas zurück.
Sirius legte derweil sein Kinn auf Paiges Schulter ab, die dadurch, dass ihr schwarzes Kleid nur einen dünnen Träger hatte, völlig unbedeckt war. Seine Locken und sein Bartansatz streiften ihre empfindliche Haut. Es bedurfte Paige viel Überwindung, nicht zu ihm zu sehen. Was hätte sie vor seiner tollen Offenbarung gemacht? Ihn angegrinst, ihm durch die Haare gewuschelt? Ein kleiner Teil von ihr wurde wütend, als sie daran dachte, dass es Sirius' Schuld war, etwas in ihrer Freundschaft kaputt gemacht zu haben, das nicht mehr so leicht zu reparieren sein würde.
„Guckt mal, wie schnuckelig der kleine Bastard da schon wieder steht", sagte Sirius plötzlich und als Paige seinem Blick folgte, beobachtete sie Kieron, der Dorcas etwas zu trinken einschüttete. Tatsächlich stand ihm das weiße Hemd äußerst gut. „Er beleidigt mich immer."
„Ich glaube, das ist Liebe", antwortete Paige schlicht und versuchte, ein wenig von ihm wegzurücken.
„Ach Paigie..." Er seufzte, bevor er seine Lippen kurz auf ihre Schulter drückte. Sie drehte sich ruckartig zu ihm um und zuckte zurück, ohne es kontrollieren zu können. Remus sah hoch, als er spürte, wie Paige leicht gegen ihn stieß. Sein Blick fiel auf Sirius, der Paige nachdenklich ansah und sich schließlich zurücklehnte, ohne einen von ihnen anzusehen.
Paige merkte, wie Remus' Blick langsam auf sie fiel und sie hoffte, dass man kein Schuldbewusstsein in ihren Augen sehen konnte, als sie ihren Kopf zu ihm drehte. Warum sollte sie sich auch schuldig fühlen? Sie hatte sich das ja nicht ausgesucht.
Sie wollte ihre Hand nach Sirius' ausstrecken, doch er schüttelte sie stur von sich. „Ich geh jetzt", verkündete er dann eingeschnappt. „Vielleicht will ja woanders jemand mit mir reden."
„Sirius—", begann Paige, doch er stand schon auf und verschwand irgendwo in der Menge. Sie atmete tief durch, selbst frustriert über diese ganze Situation. Eigentlich sollte sie sich nicht schlecht fühlen, aber sie tat es.
„Alles in Ordnung zwischen euch?", fragte Remus und sein Tonfall klang vorsichtig, als wisse er genau, dass es das nicht war.
„Du weißt doch, wie er manchmal ist", entgegnete nur Paige, bevor sie es endlich über sich brachte, ihm wieder in die Augen zu sehen. „So reizend kann nur Sirius Black sein."
„Leute reizen kann er, ja", gab Remus trocken zurück.
Paige schmunzelte leise, bevor es zwischen ihnen wieder still wurde. Sie sahen beide zu Sirius, der am anderen Ende des Raums bei Kieron stand und zu flirten schien, aber nur ein leichtes Augenverdrehen zurückbekam, wenn auch eines, das nicht so gemeint war.
„Wirklich reizend", kommentierte Paige das Ganze.
„Reizend", wiederholte Remus. „Da gab es eine Phase, wo du das besonders oft gesagt hast."
„Ja", stimmte Paige zu. „Das war ganz am Anfang. Und da hast du es auch gesagt."
„Hm." Er nickte und warf ihr wieder diesen Blick zu. Paige versuchte nicht zu viel in ihn herein zu interpretieren. „Ich weiß, dass es nicht immer leicht ist, mit Sirius befreundet zu sein. Ich merke nur, dass du in letzter Zeit weniger bei ihm sein willst."
„Er ist nicht einfach, das ist alles", antwortete Paige.
„Nein, ganz sicher nicht", stimmte Remus zu. „Aber in der fünften war's am schlimmsten. Wäre er so geblieben, ich weiß nicht, ob ich noch mit ihm befreundet wäre." Vermutlich wäre ich das trotzdem, dachte Remus im nächsten Moment. Sirius könnte der selbstsüchtigste Freund der Welt sein — und das war er oft gewesen — und Remus würde sich trotzdem nie trauen, ihn von sich zu stoßen. Allein wegen James. Am Ende des Tages wussten er und Peter, für wen James sich entscheiden würde, wenn er müsste. Und Remus brauchte James in seinem Leben.
„Wegen..." Paige hielt kurz inne. Es war ein wunder Punkt. „Wegen Snape?"
Remus nickte. „Unter anderem."
Seine Freundschaft zu Sirius war schon immer die komplizierteste gewesen, vielleicht weil es die komplexeste war. Remus wusste nicht, ob sie sich ohne James je befreundet hätten — ob sie ohne James immer noch befreundet wären. Ja, er hatte Sirius vergeben, aber vergessen würde er es nie. Und was auch immer Sirius nun für Paige empfand... Manchmal wollte er ihn dafür hassen.
Sie sahen sich schweigend an und für einen Moment konnte Paige in seinen Augen erkennen, dass Remus wusste, warum sie in letzter Zeit Schwierigkeiten mit Sirius hatte. Doch sie würden es nicht aussprechen, weil es alles nur so viel komplizierter machen würde...
„Du meinst, es hat ihn geändert?", fragte Paige. Wenn sie ehrlich war bezweifelte sie das. Als Sirius ihr davon erzählt hatte, Snape fast ermordet zu haben, hatte sie nicht viel Reue in seiner Stimme gehört. Er bereute es vielleicht, Remus Schmerz zugefügt haben, aber die Tat, nein, die Tat bereute er nicht.
„Nein", sagte auch Remus. „James war es. Die ersten fünf Jahre hier hat Sirius alles getan, um seinen Eltern eins auszuwischen. Das fünfte war der Höhepunkt. Sirius war lustig und ein guter Freund, aber er war trotzdem einer der egoistischsten Menschen, die ich kannte." Er hielt kurz inne. „Ich stand auf Marlene, weißt du? Seit dem Moment, in dem Peter sie uns vorgestellt hat. Sie hat ihm in der dritten Nachhilfe in einem Fach gegeben."
Paige war dem Alkohol ein wenig dankbar dafür, dass Remus so bereitwillig erzählte. Das wurde ja interessant.
„Du musst wissen, ich war elf Jahre lang bei meinen Eltern ohne jegliche Sozialkontakte mit anderen Kindern. Vielleicht manchmal ein wenig, aber dieses Internatsding hat mich ein bisschen überrumpelt — vor allem die Mädchen. Ich habe mich konsequent ferngehalten, aus reiner Angst, weißt du? Und dann wurde ich gezwungen, Zeit mit Marlene zu verbringen und ich habe erkannt, dass ihr auch nur Menschen seid."
„Das ist sehr rührend", lachte Paige amüsiert. „Du standest auf sie?"
„Ja, bis zur fünften", entgegnete Remus und schüttelte seufzend den Kopf über sich selbst. Plötzlich verstand Paige, worauf er mit dieser Geschichte hinauswollte.
„Warte mal, bis zur fünften?", wiederholte sie. Davon abgesehen, dass das zwei Jahre waren... „Aber da hat Sirius..."
„Was mit ihr angefangen?", beendete Remus. „Jep."
„Wusste er es?"
Remus nickte schweigend. „Er hat zumindest immer Witze drüber gemacht."
Paige wandte den Blick von ihm ab und atmete tief durch. Sie wusste nicht, was sie darüber denken sollte.
„Ich meine, sein fünftes Jahr war nicht einfach und seine Eltern wurden schlimmer, keine Frage, aber ich würde behaupten, dass ich es auch nicht unbedingt einfach habe und ich bin nicht umhergelaufen und habe reihenweise Herzen gebrochen."
„Sirius meinte zu mir mal, er würde es immer klar machen, was das ist, wenn er mit jemandem was hat", sagte Paige, die sich an eines ihrer ersten Gespräche mit Sirius zurückerinnerte.
„Im Nachhinein macht er das, ja", meinte Remus schlicht. „Ich meine, es sollte klar sein und er sagt es immer, aber die meisten wollen am Ende mehr."
„Hm", gab Paige zurück und musterte Sirius, der sich weiter mit Kieron unterhielt. „Vielleicht sucht Sirius nach etwas, was er so aber nicht findet. Um irgendetwas zu füllen, das ihm fehlt, das er aber nicht benennen kann."
„Er verletzt lieber andere als sich selbst." Remus schüttelte schwermütig mit dem Kopf. „Und ich weiß nicht, ob er bereit ist, sich zu öffnen, wenn er so an alles herangeht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie er das schafft."
„Was?", fragte Paige verwirrt.
„Sex ohne Gefühle", antwortete Remus, bevor er das Gesicht verzog. „Merlin, ich rede zu viel."
„Nein, ich finde das alles hier ganz interessant", grinste Paige und setzte sich auf.
„Ich mein ja nur", fuhr Remus fort. „Das muss doch komisch sein."
„Hatte ich", stimmte Paige zu. „Und es ist nicht das Gleiche."
„Aber du hast ja auch nicht nichts für Malcolm empfunden", meinte Remus.
Paige schwieg kurz. Nein, das hatte sie nicht. „Ich war schon verknallt in ihn", stimmte sie zu. „Aber es war nie so tiefgründig."
„Und Sirius will immer die Kontrolle behalten, was seine Gefühle angeht. Klar, er findet Leute toll und will sie dann unbedingt kennenlernen und ist total fixiert, bis es wieder uninteressant wird, aber trotzdem... Nur bei James konnte er das nie. Ich weiß auch nicht, wer Sirius ohne James wäre. Wie gesagt, bis zum fünften Schuljahr war Sirius wirklich schwierig, aber ab dem sechsten Schuljahr hat er sich wirklich verbessert. James ist sein Vorbild und der Grund, warum James etwas vernünftiger geworden und unter anderem Snape in Ruhe gelassen hat, ist, weil er das realisiert hat. James hat eine mitfühlende Seite aus Sirius geholt, die ich bis dahin nicht kannte. Seitdem habe ich erst das Gefühl, dass er es zugelassen hat, auch mich an sich zu lassen."
Und das sollte bei ihr anders sein?
Paige wurde klar, dass sie Sirius Black wohl nie ganz verstehen würde. Vielleicht war James tatsächlich der einzige Mensch, der das je würde, und das ganz ohne Worte. Remus und Peter auch, aber nie so wie er, der ihn verstand, seit er ihn kennengelernt hatte. Paige hatte gehofft, auch so eine Person zu sein — und ein Teil von ihr könnte Sirius dafür anschreien, dass er das kaputt gemacht hatte.
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