27. Chin-Chin
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
Chin-Chin
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SAGEN WIR ES SO: Paiges Beziehung zu ihrem Vater war nicht einfach. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte sie nicht verstanden, wieso sie ihn plötzlich weniger sah und sie bei ihrem Onkel wohnen musste, aber sie hatte sich immer gefreut ihn zu sehen. Mit sieben Jahren hatte sie kaum gemerkt, wie ruhig und melancholisch er aussah — aber Paige erinnerte sich auch an den Schmerz, den sie gefühlt hatte und der sie zu dieser Zeit für alles andere blind gemacht haben musste. Er war immer noch dort, bereit aus dem Winkel ihres Herzens herauszubrechen, in den sie ihn gerne verbannte.
Dann kam Hogwarts. Sie hatte Dinge gefunden, die sie liebte; sie hatte Selbstbewusstsein durch ihre neuen Freunde gewonnen — und sie hatte den Mut gefunden, die Wahrheit endlich einzusehen. Jahrelang hatten die Bilder in ihrem Kopf nur Dunkelheit ausgelöst. Sie hatte gewusst, dass dort etwas war, was sie nicht sehen konnte. Etwas, das ihr verborgen war.
Ihr Onkel hatte ihr in den Weihnachtsferien ihres ersten Schuljahres die Wahrheit gesagt — und Paige war stark genug gewesen, sie aufzunehmen. Äußerlich zumindest. Die Erinnerungen waren in einzelnen Bildern zurückgekehrt, die sie in ihrer Verwirrung und Trauer in ihrem jungen Verstand ausgeblendet hatte.
Paige hatte sich nie erlaubt, schwach zu sein. Sei stark, hatte sie sich immer gesagt. Doch sie hatte das Gefühl, dass sie nicht für immer so stark sein konnte, wie sie es gerne wäre.
Etwas war zerbrochen zwischen ihr und ihrem Vater. Sie war immer sehr auf ihre Mutter fixiert gewesen, als sie klein war, aber dadurch, dass sie ein ganzes Jahr auf Hogwarts war, waren die Treffen mit ihm unangenehm, als wüssten sie überhaupt nicht, wie sie mit dem anderen umzugehen hatten. Und was viel schlimmer war, war die Schuld, die sie in seinen Augen sah. Sie wollte ihm sagen, dass er sie nicht mit sich herumtragen sollte, aber sie brachte die Worte nie über die Lippen.
Sein Bruder hatte immer den Kontakt zu ihr aufrecht gehalten. Sie wusste nicht, ob ihr Onkel wusste, was geschehen war, aber er lud sie immer in den Ferien zu sich ein. Paige mochte Familienfeiern nicht immer — es kam ganz auf die Familie an. Die Seite ihres Vaters war ein wenig... schwieriger. Sie waren sehr traditionsbewusst, vor allem auf ihre Reinblütigkeit bedacht und trotzdem mit ihrer Kultur näher an den Muggeln. Eigentlich ein Widerspruch in sich, aber Paige würde es nicht in Frage stellen.
Die Seite ihrer Mutter dagegen, und damit auch der Onkel, bei dem sie lebte, waren offener und moderner. Vermutlich waren deswegen zwei Welten aufeinander geprallt, als sie sich kennengelernt hatten und sie wusste, dass ihre Großeltern von beiden Seiten nicht glücklich über diese Verbindung gewesen waren.
„Paige." sagte ihr Onkel mit einem zufriedenen Lächeln, als er sie an der Tür sah. Er war anders als Onkel Avan. Ihn verband Paige mit Zuhause und Wärme. Er hatte ein freundliches Lächeln, auch wenn er ebenso willensstark und standhaft wie gütig war.
Onkel Lokesh, der Bruder ihres Vaters, sah bereits von außen hoheitsvoller aus. Er war größer, seine Haare waren strenger geschnitten und fielen ihm nicht wie Avan in leichten Locken ins Gesicht, und Paige fühlte automatisch großen Respekt, den ihm auch das Ministerium entgegenbringen musste.
„Schön, dass du hier bist." fuhr er fort, als Paige die große Diele seines Anwesens in Liverpool betrat. Sie hörte Unterhaltungen aus dem Wohnzimmer und stellte überrascht fest, dass das nicht nur eine kleine Familienfeier war. Vermutlich waren es hauptsächlich die Kontakte, die er durch seine zweite Frau, Amelia Greengrass, gewonnen hatte. Paige wusste nicht, ob ihr die High Society der Reinblüter nach allem behagte, was Sirius ihr erzählt hatte.
Amelia kam sofort auf ihren Mann und Paige zu, als die beiden den Saal betraten, in dem sie sich ein wenig überfordert umsah. Das waren... sehr viele Menschen. Sie lächelte ihre angeheiratete Tante an, deren rotblonden Haare ihr junges Gesicht umspielten. Es war ein wenig seltsam, dass sie nur fünfzehn Jahre älter als Paige selbst war. Das Paar selbst trennte zwanzig Jahre, aber sie waren glücklich und das war für Paige alles, was sie wissen musste.
„Du trägst ein sehr hübsches Kleid." meinte Amelia sofort und Paige sah mit geröteten Wangen an sich herab. Blau stand ihr schon, da musste sie ihr recht geben. „Es müssten auch ein paar Leute in deinem Alter hier sein. Nimm dir gern was zu essen."
Etwas überrumpelt nickte Paige und bahnte sich einen Weg durch die ganzen Menschen. Sie hatte mit einer Familienrunde gerechnet, nicht mit einem ganzen Bankett aus gut achtzig Leuten. Wenigstens gab es Essen. Wirklich gut aussehendes Essen. Gerade als sie sich auf einem der langen Tische umsah, hob sie ihren Blick und traute ihren Augen kam.
Eine Frau stand neben ihr, die Paige sprachlos machte. Sie war bestimmt so alt wie Onkel Lokesh, also um die fünfzig Jahre, aber sie war atemberaubend schön. Sie stand neben ihr wie eine Königin und als sie ihre grauen Augen forschend auf Paige richtete, schluckte sie nervös. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie wusste, wem sie gegenüber stand.
„Was gibt es zu starren?" fragte die Frau erhaben und Paige schaffte es endlich den Blick von ihr loszureißen. Sie wurde plötzlich völlig nervös — diese Ausstrahlung war einschüchternd.
„Nichts." sagte Paige schnell. „Ich bin Paige, die Nichte von Lokesh."
„Hm." Die Frau musterte sie. „Walburga Black."
„Ich kenne Ihren Sohn." platzte es aus Paige heraus und sie musste in diesem Moment an all die Dinge denken, die Sirius ihr erzählt hatte. Die Frau, die ihren Sohn mit sechzehn Jahren aus ihrer Familie verstoßen hatte, stand vor ihr und hob kaum merklich die perfekt gezupften Augenbrauen. Paige wusste zumindest, woher er seine guten Gene hatte.
„Regulus hat nie erwähnt—"
„Den anderen." unterbrach Paige sie und ein süßes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Den Hübschen. Den, den Sie aus Ihrem Stammbaum gebrannt haben."
Walburga starrte förmlich Löcher in sie und wäre Paige nicht so davon überzeugt, dass sie dieser Frau galant ihre Meinung sagen müsste, wäre sie vermutlich im Boden versunken.
„Aber machen Sie sich keine Sorgen, es geht ihm ziemlich gut. Wenn nichts sogar besser." fuhr sie fort und ein freches Funkeln erschien in ihren Augen. „Eigentlich dürfte ich das ja nicht erzählen, aber Sie als Mutter... Wir sind einfach schon alle viel zu aufgeregt, nachdem Sirius angekündigt hat, direkt nach der Schule diesen Muggel zu heiraten."
Walburgas Blick wurde, wenn möglich, noch finsterer.
„Ich kann es kaum erwarten, dass er ihn heiratet." Während sie zusah, wie Sirius' Mutter fast die Augen aus dem Kopf fielen, bevor sie die Lippen zusammenpresste, weil sie erkannte, dass Paige sie provozieren wollte, nahm Paige einen Schluck von ihrem Cocktail. „Ich muss jetzt wirklich zu meinem Onkel. Ich bestelle Sirius Grüße. Chin Chin."
Schon war sie verschwunden — und mit einem leichten Lachen nahm sie ein paar Momente, um sich selbst innerlich auf die Schulter zu klopfen.
„Paige."
Als sie die Stimme ihres Onkels hörte, gerade als sie sich zwei Canapés auf einmal in den Mund schob (dieser eine Kerl in der Nähe sah nämlich auf den Tisch, als wollte er sie für sich alleine und das würde Paige nicht kampflos zulassen), drehte sie sich um und sah ihn fragend an.
„Du fragst dich vermutlich, warum ich dich überhaupt eingeladen habe." fuhr er fort.
Paige nickte. No shit, Sherlock.
„Weißt du schon, was du nach der Schule machen möchtest?"
„Ja." entgegnete Paige. „Ich will zur Zaubertrankakademie nach Irland."
„Also bist du gut in Zaubertränke?"
Nein, sie wollte es nur einfach so in die Zaubertrankakademie schaffen. „Ja." antwortete sie.
„Ich dachte nur... Ich habe einige Kontakte innerhalb des Ministeriums. Wenn du irgendwann meine Hilfe brauchst, kann ich dir gerne helfen."
Paige sah ihn an, ein wenig unsicher, was sie dazu sagen sollte. Einerseits fand sie es sehr aufmerksam von ihm, aber das war nun einmal nicht der Weg, wie so etwas laufen sollte. Sie wollte einen guten Job nicht bekommen, weil sie jemanden auf einer Feier die Hand geschüttelt hatte. Gut, hin und wieder war das vielleicht hilfreich, aber Paige wollte sowieso am liebsten an ihren Tränken arbeiten. Ohne das Ministerium in ihrem Nacken.
Bereits ihr Großvater war ein Werwolfjäger gewesen — und seine Söhne, Paiges Vater und ihr Onkel, der gerade vor ihr stand, hatten dieses Familiengeschäft übernommen. Prinzipiell war das ja nicht falsch. Der Sinn von Werwolfjägern war gut, wenn man bedachte, dass es Menschen / Werwölfe (je nach Sichtweise traft ersteres nicht zu — nicht ihre Sichtweise natürlich, aber die gewisser anderer kleiner Flachwichser, die daran Schuld waren, dass das Selbstwertgefühl ihres Freunds hin und wieder im Keller war) wie Fenrir Greyback gab. Aber dass die meisten Werwolfjäger trotzdem alle über einen Kamm scherten, war ihr bewusst. Sie wusste nicht, wie ihr Onkel auf die Verwandlung ihres Vaters reagiert hatte — und in diesem Moment drehten sich ihre Gedanken um nichts anderes.
Kaum, dass ihr Onkel mit seinem Bruder nach England gekommen war, war er aus dem Geschäft ausgestiegen und ins Ministerium gegangen. Ihr Vater dagegen hatte damit weitergemacht. Dann wurde er gebissen. Verwandelt. Hatte ihre Mutter kennengelernt. Die Geschichte hatten wir schon.
Sie hatte nie gefragt, wie ihr Onkel damit umgegangen war. Aber er sprach mit ihr, obwohl sie a) die Tochter eines Werwolfs war, b) von dem Bruder ihrer Mutter aufgezogen wurde — ach, und da kommen wir ja direkt zu Punkt c): Sie war die Tochter ihrer Mutter. Eine viel zu moderne Frau, die auch noch arbeiten wollte — Merlin verbitte, wie kam sie nur auf diese Idee? Das hieß also, dass er darüber hinwegsah. Freundlich von ihm.
Wenn sie darüber nachdachte, gab es tatsächlich ein paar Gründe für die Familie ihres Vaters nicht mit ihr zu sprechen. Ihre Großmutter zum Beispiel zog dieses Prinzip eisern durch. Sympathische Frau. Paige hatte ihr mit sechs Jahren nicht umsonst die Pralinenschachtel an den Kopf geworfen, die sie ihren Eltern steif zum Geburtstag überreicht hatte. Sie war ziemlich stolz auf ihr sechsjähriges Ich. Sie hatte jede Praline einzeln genommen, um sie damit abzuwerfen. Außer die letzte. Die hatte sie gegessen.
Sie wünschte sich eine Tochter, die so war, wie sie. Oder gar keine. Ein Sohn wäre auch ganz nett. Aber keinen wie Sirius oder James... sie wollte nicht so früh graue Haare bekommen. Ein Sohn wie Peter wäre ganz süß. Er war pflegeleicht. Allerdings brauchte er Hilfe in der Schule und Paige konnte nichts erklären, ohne auszurasten. Vielleicht wäre jemand wie Sirius doch besser. Sirius war schlau und wirklich gut in der Schule — ein bisschen faul, aber er konnte ja auch alles. Genau wie James. Und Sirius war nur ein bisschen schwierig, weil er keine Liebe von seinen Eltern bekommen hatte — und das hörte sich hart an, aber so war es ja nun einmal. Sie hätte einem Kind wie Sirius Liebe gegeben. Ihr Sirius wäre nicht so geworden.
Remus würde weglaufen, wenn er ihre Gedanken hören könnte. Und nicht, weil sie gerade den Gedanken gehabt hatte, dass sie ein Kind wie Sirius wollte (gut, vielleicht auch deswegen), sondern weil es um Kinder ging. Sie wusste nicht einmal, ob Remus Kinder wollte. Es wäre auch ein wenig früh, danach zu fragen, aber wenn sie einmal Kinder hatte, wäre es ja aus heutiger Sicht korrekt, davon auszugehen, dass es seine Kinder waren. Es klang pessimistisch, würde sie sagen: Die Kinder von meinem zukünftigen Partner. Das hörte sich so an, als würde sie nicht glauben, dass es mit Remus so lange hielt. Und statistisch gesehen war es unrealistisch, aber es wäre trotzdem schön.
Sie wusste nicht, wie sie jetzt darauf kam, aber sie wusste, dass sie schon genug Heiratswitze gemacht hatte und Remus vermutlich vollends verschrecken würde, wenn sie mit Kinderwitzen anfing. Kinderwitze erst nach der Verlobung, notierte sie sich gedanklich. Aber was, wenn sie schon Kinder vor ihrer Verlobung hatten? Onkel Avan würde sie umbringen. Weil Paige so unschuldig war und das alles. Paige stellte sich vor, wie er ihn durch den Garten jagte und sie beim Zusehen am Küchenfenster einen Cocktail trank — ach nein, sie war ja schwanger in diesem Szenario. Kein Alkohol.
Zwei Sekunden später überlegte sie ernsthaft, ob sie nicht viel eher in der Psychiatrie saß, bevor es so weit kommen würde. Aber es waren ja gerechtfertigte Gedanken. Sie würde es sagen, jetzt und hier: Wenn sie Kinder haben würde, dann wollte sie sie nur mit Remus. Ende. Auch wegen des ganzen Zeugungsprozedere. Dafür bräuchte sie nicht mal die Kinder. Merlin, Paige, du bist auf einer Feier deines Onkels, der dir auch noch gegenübersteht. Denk jetzt nicht daran, wenn du verdammt nochmal mit ihm reden sollst, du hast die ganze Nacht dafür, wenn du Zuhause bist.
Sie hatte Angst vor ihren Gedanken. Sie wäre die chaotischste Protagonistin, wenn es ein Buch über sie gäbe. Niemand könnte ihr folgen und jeder hätte vergessen, was drei Seiten vorher passiert wäre, wenn sie plötzlich zu denken begann. Aber sie würde auch eine ziemlich gute Geschichte abgeben und wer immer sie aufschrieb, wusste, warum er es tat.
Paige sah ihren Onkel an. „Klar." meinte sie. „Ich weiß nur nicht, ob mir das groß helfen wird, weil ich nicht weiß, ob ich fürs Ministerium arbeiten möchte..."
„Oh." meinte ihr Onkel. „Ich arbeite aber im Moment an einem anderen Projekt. Unabhängig vom Ministerium. Es ist für einen guten Zweck. Vielleicht hättest du ja auch irgendwann daran Interesse. Eine gute Tränkemeisterin kann man immer gebrauchen." Er lachte gutmütig und Paige machte eine verlegene Geste.
Tränkemeisterin. Sie mochte das. Nicht so ein cooler Superheldenname wie Scarlett Witch oder... Catwoman oder Poison Ivy... verdammt, warum hatten die Schurken bessere Namen?
„Ich meine, man weiß nie." erwiderte sie mit einem Lächeln.
„Ich hatte immer das Gefühl, wir hatten seit deinen ZAGs so wenig Kontakt und mich interessiert es wirklich, was du mal machen wirst." meinte er. „Für die Noten hätte ich einiges getan."
„Ich kann ehrlich gesagt gar nicht glauben, dass das schon das letzte Schuljahr ist. Also einerseits: Cool. Andererseits: Hilfe, ich bin erwachsen und bekomme Verantwortung." Sie machte ein hilfloses Gesicht. „Und dann... naja, dann gehe ich hoffentlich auf die Akademie, das mit Irland und Remus wird ja kein Problem, wir können ja zum Glück apparieren."
Ihr Onkel warf ihr einen fragenden Blick zu.
„Oh, mein Freund." erklärte Paige. „Ja, ich, ähm, habe ich Freund, ja." Sie konnte dieses dämliche, breite Grinsen nicht verhindern. Sie war ja wirklich schlimmer als jeder verliebte Mensch, der je auf Erden gewandelt war.
„Wie war sein Name gleich?"
„Remus Lupin."
Er sah sie eine Weile an, als würde er versuchen, ihre Gedanken zu lesen. „Hm." sagte er schließlich. „Lyalls Sohn?"
„Äh..." Paige sah ein wenig überfordert aus. „Kann gut sein, dass sein Dad so heißt. Seine Mum heißt auf jeden Fall Hope."
„Jaja, ich erinnere mich." meinte er. „Ist ein Experte für nicht-menschliche Erscheinungen, sein Dad. Nichts Bedeutendes, aber immer noch ein ziemlich unerforschter Bereich."
Paige nickte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie wenig sie über seine Eltern wusste — und sie sollte sie doch bald kennenlernen. Keine Panik. Das würde schon werden. Es waren nur... Eltern.
„Seine Frau ist ein Muggel, richtig?"
„Ja." antwortete Paige langsam und sah ihn fragend an. „Aber das ist uns ja egal."
„Sicher." entgegnete er. „Es ist nur... einfacher als Reinblut, weißt du? Du bist dir vielleicht nicht darüber bewusst, weil es für dich normal ist, aber... es ist einfacher."
Paige dachte an Sirius. Sie fragte sich, was daran einfacher sein sollte. Aber sie wusste, was er meinte. Wenn man Teil der Gruppe war, die unterdrückte, konnte man sich entspannt zurücklehnen und die Augen verschließen — es betraf einen ja nicht. Paige wünschte, sie könnte mehr gegen die Ausgrenzung von Muggeln und „Muggelblut" tun, aber sie wusste einfach nicht, was und wie. Sie sagte den Schülern ihre Meinung, die Harper aufgrund seiner Muggeleltern beleidigten, aber das hieß nicht, dass sie es bereuten. Es war in ihren Köpfen gefangen, genauso wie vermutlich in den meisten der hier Anwesenden.
„Traditionen sind nicht schlecht, weißt du?" fuhr er fort. „Ich habe dabei mehr an meine Nachfahren gedacht als an mich selbst. Deine Cousins werden selbst als Halbblüter irgendwann an ihrem Leben eine Art von Benachteiligung verspüren, die sie als Reinblüter nicht gehabt hätten."
„Aber sollte man sich einer Denkweise beugen, um es einfacher zu haben, obwohl man weiß, dass sie falsch ist?" fragte sie zurück.
Ihr Onkel sah sie schweigend an. „Das kommt darauf an, ob du dein ganzes Leben lang einen aussichtslosen Kampf führen willst." meinte er. „Manche Dinge ändern sich nie."
Paige wünschte, er läge falsch. Doch solange die gleichen Menschen wie jetzt an der Macht waren, würde sich nie etwas gegen Vorurteile gegen Muggel und Muggelstämmige ändern, genauso wenig wie gegen Werwölfe. Sie würden niemanden nach oben kommen lassen, der plante, etwas zu ändern. Und am Ende wäre alles wie vorher. Es war eine ungerechte Welt. Aber Paige glaubte auch, dass man mit den richtigen Menschen das Beste daraus machen konnte.
„Als dein Vater sagte, er würde deine Mutter heiraten, war keiner von uns glücklich darüber. Das gebe ich zu." fuhr er plötzlich fort. „Er war einer anderen versprochen, wusstest du das?"
Paige schüttelte mit dem Kopf.
„Die Patils waren nicht wie wir. Sie waren moderner, wie sie sich nannten. Liberaler. Wie die Potters oder die Shacklebolts. Deine Mutter hat deinem Vater eine neue Sicht gezeigt, so hat er es genannt, als er es uns erzählt hat. Vermutlich war es nicht nur sie, sondern auch sein... Unfall." Er schwieg bei ihrem Blick. „Ja, natürlich weiß ich davon." beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. „Ein unerfreulicher Vorfall, nun... Unser Vater war außer sich, als er es erfahren hat. Er hat ihm gesagt, es wäre das Beste, sich das Leben zu nehmen, anstatt damit zu leben. Ich weiß, dass er kurz davor war. Er hat sie sein Leben lang als Monster betrachtet, plötzlich ist er selbst eins. Keine Ahnung, was ich tun würde. Ich glaube, deine Mutter hat ihm geholfen, sich selbst zu akzeptieren."
Paige fuhr sich mit den Händen über ihre Arme und wusste nicht, warum sie plötzlich fröstelte. Ihre Eltern waren ein sensibles Thema.
„Sie war eine unglaubliche Frau. Ich habe nie wieder jemanden wie sie kennengelernt. Intelligent, immer die richtigen Worte parat und trotzdem ehrlich... Sie wusste, wie sie mit wem zu reden hatte und hat sich trotzdem nichts gefallen lassen." Er lachte leicht, als erinnere er sich an etwas. „Meine Mum war nicht gerade erbaut über sie. Ihrer Meinung nach sollten Frauen nicht so stark gewillt sein. Und Mala — deine Mum — hat eine beachtliche Rede hingelegt."
Ohne es zu beabsichtigen, grinste Paige leicht.
„Es ist eine Schande, dass sie so früh sterben musste." sagte er. „Sie hätte dir so viel beibringen können."
Wenigstens war sie ordentlich in ihren Aufzeichnungen gewesen.
„Nutze diese Hingabe, Paige. Nutze die Zeit, die sie nicht hatte." fuhr er fort. „Und vergiss nicht, dass der Grat zwischen heller und dunkler Magie sehr dünn ist."
„Ja." entgegnete Paige schnell. „Ich habe Respekt vor dunkler Magie. Auch wenn sie sie sehr... viel Potenzial bieten kann. Und sehr interessant ist."
Ihr Onkel machte ein zustimmendes Geräusch. „Solange du vorsichtig bleibst... Es ist sicher ein großer Bereich, der dir dort offen stehen würde." Ehe Paige etwas sagen konnte, fuhr er schon fort. „Halt mich damit auf dem Laufenden." meinte er mit einem Nicken. „Ich bin stolz, dich in meiner Familie zu haben, Paige. Und wenn du etwas brauchst... du weißt, wo du mich findest."
❂ ❂ ❂
„DU HÖRST NIE AUF, mich zu überraschen, Paige Arora."
Mit einem Grinsen steckte Paige ihre Hände in die Taschen ihres Rocks. „Du auch nicht, Sirius Black, du auch nicht."
Sirius und Paige sahen sich ein paar Augenblicke in die Augen, unsicher, was sie sagen sollten. Paige wippte auf den Fußballen vor und zurück und nickte schließlich. „Joa." begann sie.
„Du hattest mir geschrieben." versuchte Sirius sie aufs Thema zu bringen.
Paige nickte erneut und wandte sich um, bevor sie ein paar Schritte weiterging. Sie sah Sirius auffordernd an und ließ ihren Blick kurz auf einer Häuserwand ruhen, bevor sie neben Sirius durch die Straßen von Godric's Hollow ging. „Ich hab' deine Mum getroffen." sagte sie.
„Und bist auch zum Therapiefall geworden?" fragte er, ohne sich seine Überraschung weiter anmerken zu lassen.
„Du wärst so stolz auf mich gewesen." entgegnete Paige und grinste leicht. „Ich habe ihr gesagt, du willst nach der Schule einen Muggel-Mann heiraten."
Sirius blieb stehen und sah ihr in die Augen. „Mädchen." sagte er. „Du hast meiner Mum gesagt, dass ich nicht nur einen Muggel, sondern auch einen Mann heirate?"
„Ja." meinte Paige.
„Oh, ich liebe dich."
„Ich weiß."
„Sie wird getobt haben." fuhr Sirius mit einem breiten Grinsen und leuchtenden Augen fort. „Vermutlich hat sie irgendetwas verbrannt."
„Aber du hast nie gesagt, dass deine Mutter so hübsch ist." sagte Paige ungläubig. „Ich sehe sie und bin so: Wie?"
„Ew." entfuhr es Sirius. „Ich meine, irgendwoher kommen diese überirdischen Gene, klar, aber..." Er sah bei seinen Worten in das Fenster hinter ihr, in dem sie sich spiegelten. Auch Paige drehte sich um und schob ihre Sonnenbrille zurück, während sie sich musterte.
„Wie sehen wir nur aus?" fragte Paige.
„Unglaublich gut." gab Sirius zurück.
„Ja, nicht wahr?"
Sie schwiegen kurz und sahen weiter in ihr Spiegelbild.
„Sind wir selbstverliebt?" fragte Paige.
„Man ist nur selbstverliebt, wenn es nicht gerechtfertigt ist." antwortete Sirius. „Wenn Schniefelus das zum Beispiel sagen würde, wäre er... nein, nicht mal selbstverliebt. Einfach blind."
Paige lachte auf. „Okay." Sie räusperte sich und sah ihn etwas ernster an. „Es gibt da noch etwas."
Sirius musterte sie und versuchte in ihren Augen zu erkennen, was vor sich ging. „Scheiße." entfuhr es ihm plötzlich. „Hättet ihr nicht besser aufpassen können?"
„Was?" fragte Paige.
„Du bist nicht schwanger?"
Ihr klappte der Mund auf. „Nein." entgegnete sie langsam.
„Merlin sei Dank."
Paige sah ihn sprachlos an. „Okay. Wow." Sie schüttelte mit dem Kopf.
„Ich habe nämlich jetzt schon Angst vor euren Assassinen-Kindern." meinte Sirius. „Entweder sie kommen nach Remus und töten mich mit ihren Worten oder sie kommen nach dir und töten mich mit anderen gruseligen Methoden."
„Kannst du bitte aufhören über meine und Remus' Kinder zu reden?"
„Wieso?"
„Weil mir das Panik macht."
„Ach so." Sirius zuckte mit den Schultern. „Also, nicht schwanger. Aber ihr wollt auch nicht durchbrennen?"
„Nein." sagte Paige mit fester Stimme. „Es geht um sein..." Sie setzte ein geheimnisvolles Gesicht auf.
„Sein...?" fragte Sirius.
„Problem."
Sirius verzog das Gesicht. „Paige, er ist mein bester Freund, bitte—"
„Das monatliche Problem, du Oberidiot, bei Merlins Bart." entfuhr es ihr ungläubig.
„Was ist damit?" fragte Sirius und Paige atmete tief durch. Wie sollte sie das nur anfangen? Die Sache war die: Sie sah Sirius als die beste Person, mit der sie das besprechen konnte.
„Denkst du, es gibt einen Weg, ihn zu heilen?" fragte Paige. „Oder das Ganze wenigstens zu unterdrücken?"
„Wenn dem Ganzen endlich mal ein wenig mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden würde, warum nicht?" Sirius runzelte die Stirn. „Aber ich meine, wir helfen ihm so gut wir können."
Paige sah ihn fragend an. „Wie denn?"
„Äh..." Sirius schien kurz nach Worten zu suchen. „Mentale Unterstützung, du weißt schon."
Sie verengte die Augen. „Sicher..."
„Jup."
Paige versuchte Sirius mit ihren Blicken zu durchbohren. „Wie auch immer." fuhr sie schließlich fort. „Mein Zimmer sieht aus wie Frankensteins Büro im Moment. Hoffen wir, dass ich nicht plötzlich ein Monster erschaffe."
„Wovon redest du nur immer, Arora?" Sirius sah verwirrt aus.
„Vergiss es." Paige winkte ab. „Du darfst das aber nicht Remus erzählen, weil er meinte—"
„Nein, ich will es nicht hören." unterbrach Sirius sie und hielt sich demonstrativ die Ohren zu. Paige sah ihn überrumpelt an. „Ich muss es James erzählen. Kannst du es James erzählen?"
„Ich bin zu dir gegangen, weil..." Sie seufzte. „Gut, erzählen wir es James."
❂ ❂ ❂
FÜRS PROTOKOLL: Zwei Minuten später saßen sie bei James im Wohnzimmer. Seine Eltern waren nicht da. (Nicht, dass Paige es ihnen vorwerfen konnte. Sie lebten mit James und Sirius in einem Haus. Sie würde dreimal im Jahr Urlaub auf den Kanaren machen müssen, um das ausgleichen zu können.)
Fünf Minuten später hatte sie von James eine Heiße Schokolade bekommen. (Das Gespräch dazu war ungefähr wie folgt abgelaufen:
James sagte: „Und, schmeckt's?"
Paige antwortete: „So lieb' ich sie."
James, voller Enthusiasmus, sagte: „Remus liebt sie so auch, ihr passt schon zusammen. Hach, junge Liebe.)
Fünfzehn Minuten später hatte sie von ihren Versuchen erzählt.
„Also hast du eine Veränderung in seinem Blut an Vollmond bemerkt?" fragte James völlig aus dem Häuschen.
„Ja." entgegnete Paige langsam.
„Merlin, Leute, wir haben ihn geheilt." rief James laut und sie sah ihn überfordert an.
„Wir haben ihn nicht geheilt." Sie lachte trotzdem leicht. „Ich habe keine Ahnung von der ganzen Genetik-Sache und versuche mir, das alles bis ans Ende der Ferien in den Kopf hämmern, was ich mir in Bibliotheken ausgeliehen habe. Das meiste hätte ich ohne die Notizen meiner Mutter nicht mal verstanden... und um ehrlich zu sein verstehe ich es immer noch nicht ganz. Und selbst wenn, wüsste ich nicht, wie ich das verwenden könnte für ein... Heilmittel. Oder zumindest etwas ähnliches. Die Zutaten für den Trank meiner Mum sind ziemlich teuer und ich will auch erst verstehen, warum sie sie verwendet und was... schiefgegangen ist." Sirius warf ihr einen kurzen Blick zu, den Paige ignorierte. Er kannte die Geschichte nicht so gut wie Remus, aber gut genug, um sich die Zusammenhänge zusammenreimen zu können. „Ich bin nicht Einstein, James."
„Wer?"
„Wie auch immer." Sie seufzte. „Ich wollte auch nur... Ich will daraus kein Geheimnis machen und ich wollte euch fragen, was ihr davon haltet. Remus hat gesagt, er will nicht, dass ich mich in etwas verliere, für das es keine Lösung gibt, aber vielleicht kann ich ja irgendwann sagen ‚Hey, Überraschung, hier ist was, was dir helfen kann' und er freut sich und wir sind alle glücklich."
„Ja..." meinte Sirius. „Er ist ein bisschen schwierig, was das angeht."
„Wir werden ihm nichts erzählen, aber wenn er fragt, verneinen wir auch nichts." schloss James.
Paige nickte und schlug sich auf die Oberschenkel. „Gut, ich muss jetzt auch wirklich nach Hause." meinte sie und verdrehte angestrengt die Augen. „Ich soll beim Kochen helfen."
„Wieso zauberst du nicht einfach?"
„Meine Tante meint, ich müsste wissen, wie es richtig geht." sagte sie. „Dieses ganze Rumstehen ist so anstrengend."
„Paige, kann ich dich noch zur Tür bringen?" fragte James und Paiges Blick wurde fragend, bevor sie nickte. Das war das Codewort für ‚Kann ich allein mit dir reden?' und das wusste sie. Sie hätte auch aus dem Wohnzimmer apparieren können. Trotzdem folgte sie James durch die Diele und blieb vor ihm stehen, als er die Haustür öffnete und sie leicht anlehnte.
„Du tust das nicht, weil du nicht mit dem Gedanken leben kannst, mit einem Werwolf zusammen zu sein, oder?" fragte James.
„Was?" entfuhr es Paige. „Nein."
„Tut mir leid." meinte James schnell. „Remus ist einfach... Ich könnte nicht..."
„Ja, ich weiß." Paige lächelte sanft. „Ich will nur... Ich will ihm nur helfen und meine Mum hatte diesen Trank und wenn ich den irgendwie verstehen und so verbessern könnte, dass er richtig wirkt... So könnte ich auch meinem Dad helfen."
James runzelte die Stirn. „Ach, dein Dad ist auch..." Als sie nickte, wurde sein Gesicht überrascht. „Wow, das wusste ich nicht. Ich dachte... Remus meinte, du lebst bei deinem Onkel?"
„Ja." antwortete sie. „Mein Dad... naja, er hat es nicht so leicht."
Sie sah ihn tief durchatmen und den Kopf schütteln. „Es ist schrecklich, dass es so sein muss." meinte er. „Wenn du irgendetwas in die Richtung schaffen würdest..."
Paiges Gesicht wurde immer entschlossener. „Ich werde alles tun, um das zu schaffen." sagte sie fest und dachte daran, was ihr Onkel gesagt hatte. Ein großer Bereich, der ihr offen stand... Lykantrophie war eine dunkle magische Krankheit. Vielleicht musste sie mehr in diese Richtung recherchieren. Ihr behagte der Gedanke nicht, aber möglicherweise musste sie dafür diese Grenze übertreten.
Es war schließlich für das Richtige.
• • • note! • • •
Ab dieser Woche könnt ihr sonntags wöchentliche Updates erwarten :)
Auf welche Wege Paige sich nur begibt? o.O
Ich liebe viele Dinge an dem Kapitel. Paige plant erstmal Kinder auf einer Feier ihres Onkels, macht Referenzen, die keiner kapiert und sie und Sirius sind das ikonischste Duo der Welt, während auch James und Paige Stück für Stück enger miteinander werden... das kommt noch, but well... Kein Remus :,(
Dafür wird das nächste Kapitel aber voller Remus sein, sehr sehr lang und einfach ✨ cute ✨
Aber die Walburga Szene war es wert, oder? xD
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