22. Paige, das Dummerchen
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
Paige, das Dummerchen
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PAIGE WURDE am nächsten Morgen unsanft aus ihrem Schlaf gerissen — und wie sie schon mehrfach erwähnt hatte, hasste sie nichts mehr als das. Die ersten Sonnenstrahlen schienen durch das Fenster des Schlafsaals und noch während sie missmutig die Nase rümpfte, fiel ihr auf, dass das Licht aus einem ungewöhnlichen Winkel auf sie fiel. Vermutlich hätte es ein paar Momente gedauert, bis sie realisiert hätte, wo sie sich befand oder sie hätte sich zur Seite gedreht und weiter geschlafen, aber spätestens, als ein Handrücken unsanft auf ihrer Nase landete, war sie schlagartig wach.
Die Party. Remus. Sturmhöhe.
Sie war also doch eingeschlafen.
Plötzlich völlig bewusst über die Tatsache, dass Remus direkt neben ihr lag, versuchte sie sich nicht zu bewegen und nicht zu schnell zu atmen. Er gab ein verwirrtes Geräusch von sich und drehte seine Hand um, um über ihr Gesicht zu tasten, was Paige mit einem Murren über sich ergehen ließ.
Die Erkenntnis schien ihn schlagartig zu treffen.
„Paige?" fragte er alarmiert und als sie hörte, wie er sich neben ihr aufsetzte, öffnete sie mit einem unzufriedenen Gähnen die Augen. Sie blinzelte, um sich an das Licht zu gewöhnen und sah zu Remus, der sie nicht ansah, sondern sich angestrengt über die Stirn fuhr.
„Kopfschmerzen?" meinte sie mitfühlend und Remus sah sie hin- und hergerissen an, als sie sich ebenfalls hinsetzte und unentschlossen an ihrem Pullover spielte, den sie die ganze Nacht getragen hatte.
„Ist das... Paige?" fragte plötzlich eine müde Stimme vom Bett gegenüber und Paige atmete tief durch, da sie sich innerlich darauf vorbereitete, was nun kommen würde.
„Wer ist Paige?" hörte sie James murmeln, der direkt wieder einzuschlafen schien.
Hektisch drehte sie sich zu der Uhr auf dem Nachttisch. Es war 8:18 Uhr. Moment mal: 8:18 Uhr? Der Unterricht begann um 8:30 Uhr!
„Wir haben fast zwanzig nach Acht!" entfuhr es ihr erschrocken und nun sprang sie förmlich aus dem Bett, ohne überhaupt an Remus zu denken. „Merlin, das wird das erste Mal, dass ich zu spät komme. Bitte nicht, ich kann doch nicht zu spät kommen, ich—"
„Ruhe hier!" rief James angesäuert, doch seine Proteste brachten nichts, als Paige wie angestochen durch das Zimmer hüpfte.
„Bist du denn wirklich noch nie zu spät gekommen?" fragte Remus verwundert und das war der Moment, in dem ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihm lag, obwohl sie schon auf halbem Weg zur Tür gewesen war.
Richtig, Remus.
„Ich kann's ja wirklich nicht glauben." Sirius schien regelrecht begeistert zu sein, als er neben Paige stehenblieb und sie fragte sich, wie er es so schnell geschafft hatte, aufzustehen. Er war offensichtlich die müdeste Person in diesem Raum, aber wenigstens hatte er ihr es erspart, Remus in die Augen sehen zu müssen. „Ihr beide..." Er schüttelte amüsiert mit dem Kopf. „Wer hätte es gedacht?"
„Sirius." unterbrach sie ihn nachdrücklich, um sich zu erklären, doch er legte ihr nur mit einer beschwichtigenden Miene den Arm um die Schultern. Sie waren sowieso schon fast zu spät — musste er das Ganze noch dramatischer machen?
„Ganz ruhig, Paige, lass mir den Moment." Sirius drehte sich nach hinten um. „James, willst du nicht auch mal was sagen? Sonst stehst du immer als erster auf der Matte."
James murrte etwas, während sich die Badezimmertür öffnete und Peter herauskam. Er sah zwischen den Anwesenden hin und her und ließ die Zahnbürste sinken. „Morgen?" sagte er etwas verwirrt und während Remus sich mit der Hand über die Stirn fuhr und es weiterhin mied, Paige anzusehen, blickte Sirius ungläubig zu ihm.
„Peter, wusstest du, dass Paige hier war?"
„Ich hab's gesehen." antwortete er langsam. „Ich wollte euch wecken, aber du hast mich getreten und Remus... naja, Remus und Paige haben so friedlich geschlafen."
„Friedlich." wiederholte Sirius immer vergnügter. „Darf ich noch einmal betonen, wo Paige heute Nacht geschlafen hat?"
„Offensichtlich nicht am richtigen Ort." murmelte Paige, während James endlich wach zu werden schien.
„Bei Moony?" fragte er und Sirius drehte sich erneut zu den beiden um.
„Bei Moony, mit Moony, unter Moony—"
„Merlin, Sirius, es reicht." unterbrach Remus ihn auf einmal bestimmt und stand von seinem Bett auf, um Sirius zur Seite zu schieben. „Hör auf, sie lächerlich zu machen und in Verlegenheit zu bringen."
Paige sah ihn ein wenig überrascht an, als er neben ihr genervt zu Sirius sah und sie mit seinen Worten in Schutz nahm. „Schon gut." murmelte sie, während Sirius etwas verständnislos aussah.
„Ich würde euch nie verurteilen." Sirius machte eine großherzige Geste. „Ich sage schon lange, dass Sex alle Probleme löst."
Remus sah kurz zu Paige, doch diese war viel zu genervt von Sirius' Worten, als dass sie Zeit hatte, darauf einzugehen.
„Bei Merlins bunter Unterwäschekollektion!" entfuhr es ihr. „Ich habe ihm ein verdammtes Buch vorgelesen und bin dann eingeschlafen."
Sirius hielt inne. „Wirklich jetzt?" fragte er, bevor er enttäuscht mit dem Kopf schüttelte. „Ich hätte mir das denken können, ihr beiden seid so— Ich sag dazu nichts. Wirklich. Einfach... Wenn ich nicht gestern schon zu viel getrunken hätte, würde ich es spätestens jetzt tun."
Dass sie wahrscheinlich etliche Minuten mit dieser Diskussion verplempert hatten, wurde ihr erst in diesem Moment bewusst und bevor sie überhaupt überlegte, was sie antworten sollte, drehte sie sich um, um auf die Tür zuzulaufen. Doch Remus war schneller. „Paige..." fing er an und bei Sirius' sehr interessiertem Gesichtsausdruck seufzte er angestrengt, bevor er wortlos in Richtung Tür nickte und Paige aus bittenden Augen ansah.
Sie entgegnete nichts, blieb aber mit einem nachgebenden Nicken stehen, um ihm zu zeigen, dass er mitkommen konnte. Er zögerte kurz, folgte ihr aber schließlich und legte ihr eine Hand auf den Rücken, um die Tür für sie zu öffnen. Paige hatte diese kleinen Gesten von ihm immer geschätzt, aber in diesem Moment machten sie sie nur sauer. Wenn er nicht die ganze Zeit so verdammt freundlich wäre, würde es ihr viel leichter fallen, über ihn hinwegzukommen. Aber nein, er lächelte immer so blöd und hatte diese ekelhaft guten Manieren.
„Tut mir leid wegen Sirius." sagte er, kaum dass er die Tür angelehnt hatte. Ihr blieben die Worte im Hals stecken, als er sie mit seinen verwuschelten Haaren und grünen Augen so schuldig ansah, dass ihr nichts anderes übrig blieb als mit den Schultern zu zucken. Remus nahm ihr Schweigen etwas hilflos auf und sah sie unentschlossen an. „Paige..." begann er. „Was ich... Was ich gestern gesagt habe..."
Sie wusste, was kommen würde. Es würde genauso ablaufen wie die letzten Male. „Ich weiß schon." unterbrach sie ihn deswegen bitter. Sie hatte diese Diskussion in letzter Zeit oft genug geführt und wollte es nicht noch ein drittes Mal hören. „Du musst gar nichts sagen. Und ich will deswegen nicht noch später zum Unterricht kommen als nötig."
Er sah dennoch aus, als wollte er noch etwas Wichtiges hinzufügen, aber Paige konnte nicht abwarten. Es war ihr nicht länger möglich in diese grünen Augen zu sehen, wohlwissend, dass er nur noch mehr Ausreden suchen würde, um sich zu entschuldigen. Sie musste gehen. Einfach nur fort von hier.
❂ ❂ ❂
ES WAR 8:43 UHR, als Paige im Verwandlungsraum ankam. Sie war so schnell sie konnte in den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum gehetzt, um sich frische Kleidung anzuziehen, die Zähne zu putzen und sich halbwegs zu schminken. Leider war sie noch nicht so vertraut mit den Treppen, die vom Gryffindor-Gemeinschaftsraum in ihren Korridor führten und wäre fast wegen der Trickstufen die Treppen hinuntergestürzt. Das hätte ihr noch gefehlt.
Paige schluckte, als Professor McGonagalls Blick zu ihr wanderte, nachdem sie zaghaft an die Tür des Klassenraums klopfte und etwas verzweifelt versuchte ihre Entschuldigung vorzubringen. Etwas besseres als „Ich habe verschlafen" fiel ihr auf die Schnelle nicht ein. „Das ist mir noch nie passiert und es tut mir so leid, Professor, das müssen Sie mir glauben—"
„Setzen Sie sich einfach, Miss Arora, und ich sehe dieses eine Mal darüber hinweg", entgegnete sie und Paige stammelte ein Danke, da sie mit solch einer Reaktion nicht gerechnet hatte. Remus, James und Sirius waren noch nicht aufgetaucht, aber wenn Paige ehrlich war, war sie darüber nicht unglücklich.
„Was machen wir gerade?" wisperte sie Harper zu, der sie verwundert ansah.
„Wo bitte warst du?" fragte er und Paige riss die Augen auf.
„Hat Sayria dir denn nicht erzählt, dass ich auf Remus' Feier war?"
„Nein!" entgegnete er aufgebracht und fuhr sich durch die Haare. „Ich hab' mir schon Sorgen gemacht."
Paige verzog das Gesicht. Sie hatte nicht gewollt, dass Harper so ahnungslos war, wenn Paige sonst nie ohne ein weiteres Wort verschwand. „Es war eine Spontanentscheidung." sagte sie und fühlte sich immer schlechter.
„Wie auch immer, das ist der Zauber, den wir üben." Er deutete knapp angebunden auf sein Lehrbuch und Paige runzelte die Stirn, während sie sich den Text durchlas.
„Merlin, der hört sich kompliziert an." murmelte sie, während sie zu ihrer Tasche griff und irritiert über den Bund ihres Rockes fuhr. „Wo ist— Harper, scheiße."
Er sah sie irritiert an.
„Mein Zauberstab ist noch bei Remus im Schlafsaal." erklärte sie panisch und sah zu Professor McGonagall, die in ihren Unterlagen blätterte.
Harper klappte der Mund auf und bei seinem ungläubigen Blick ruderte Paige schnell zurück. „Nicht, was du denkst." sagte sie. „Aber wie soll ich das Professor McGonagall erzählen?"
„Die Hausaufgaben." sagte Harper und auch wenn Paige erst geglaubt hatte, dass er sauer oder gekränkt war, versuchte er nun schnell ihr zu helfen.
„Wir hatten doch gar keine." entgegnete sie panisch und Harper schien sich ernsthaft etwas zu überlegen.
„Dann sag ihr einfach, dass du deinen Zauberstab bei uns vergessen hast."
Paige nickte und meldete sich mit zitternder Hand. Sie wusste nicht, ob sich die Rumtreiber noch blicken lassen würden, aber wie es aussah würde sie sie heute so oder so wiedersehen. Es graute ihr vor dem, was Remus sagen würde.
Natürlich würde er sich erneut versuchen zu erklären. Er könnte die Sache nicht so stehen lassen, auch wenn sich nichts in seiner Ansicht geändert hatte — das war einfach seine Art.
„Arora?" fragte Professor McGonagall und Paige atmete tief durch.
„Ich habe meinen Zauberstab vergessen." Sie verzog das Gesicht. „Es tut mir so leid, Professor. Heute ist wirklich nicht mein Tag und ich—"
Paige wurde von der Tür und einem lauten, unverkennbaren Lachen unterbrochen. James salutierte fröhlich, als er den Raum betrat, Sirius zwinkerte in die Runde, schenkte Paige ein schiefes Grinsen und Remus verdrehte die Augen über seine beiden Freunde.
Professor McGonagall seufzte angestrengt. „Ist mein Unterricht jetzt ein Unterhaltungsprogramm, zu dem jeder erscheinen darf wie es ihm passt?"
Remus setzte zu einer Erklärung an, aber Professor McGonagall wollte davon nichts mehr hören. „Nachsitzen heute Nachmittag für Sie alle. Und zehn Punkte Abzug für Ihre Häuser."
Paige fühlte sich, als würde ihr Herz kurz stehen bleiben. „Für mich auch?" fragte sie hoch und Professor McGonagall warf ihr einen kurzen Blick zu.
„Ja, Miss Arora."
Sie schrumpfte förmlich unter ihrem Blick zusammen und blinzelte die Tränen in ihren Augen weg, da sie sich so schlecht fühlte. Sie hatte noch nie Nachsitzen bekommen. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn die Trickstufe sie in den Krankenflügel gebracht hätte — dann hätte sie wenigstens eine Entschuldigung.
„Und nun gehen Sie und holen Ihren Zauberstab." fuhr McGonagall fort und in dem Moment hielt Remus mitten in der Bewegung inne. Er war gerade an ihr vorbeigegangen, blieb aber plötzlich stehen, als würde ihm etwas Wichtiges einfallen. Sie sah, wie er tief durchatmete und sich schließlich zu ihr umdrehte.
„Ich denke, das wird nicht nötig sein." sagte er und holte etwas unter seinem Umhang hervor. In seiner Hand hielt er ihren Zauberstab und Paige lief rot an, als sie McGonagalls Blick auf sich spürte. Sie versuchte Remus' Augen auszuweichen, aber er sah sie unentwegt an und schien ihr etwas mit seinen Blicken sagen zu wollen. Er wirkte immer noch verschlafen, aber das überraschte Paige nicht.
Sie war noch viel zu sehr durch den Wind, weil sie das erste Mal in ihrem Leben Nachsitzen bekommen hatte.
Zögerlich griff sie nach ihrem Stab, den sie sonst hütete wie ihren Augapfel: Hainbuche und Phönixfeder, eine Kombination, die zu ihr passte. Ollivanders Stab hatte nach seinen Aussagen dasselbe Holz und dementsprechend bereitwillig hatte er ihr erklärt, dass ein Stab aus Hainbuche nach Zauberern mit einer Leidenschaft suchte, die sie verwirklichen würden und sich nur selten von anderen Magiern verwenden ließen, da sie nie gegen die Prinzipien ihrer Besitzer handelten.
„Dürfte ich erfahren, wie Mr. Lupin in Besitz Ihres Zauberstabs kommt?" fragte McGonagall in diesem Moment und Paige schluckte schwer, während sie sich eine Ausrede aus den Fingern ziehen wollte.
„Wir... haben Hausaufgaben gestern gemacht und Paige hat ihren Zauberstab liegen gelassen." antwortete Remus souverän und nun sah sie ihm in die Augen, die weiterhin auf ihr ruhten. Auch, wenn sie ihren Stab mit ihrer Hand umschloss, blieb er schweigend vor ihr stehen.
„Ich bin so ein Schussel." sagte sie mit einem schnellen Lachen, um sich zu erklären und spürte, wie Sirius sich hinter ihr auf dem Stuhl abstützte.
„Paige, das Dummerchen." mischte er sich mit einem tadelnden Kopfschütteln ein und Paige, Remus und Professor McGonagall richteten gleichzeitig ihre Blicke auf ihn. Sirius sah sie schweigend an, machte eine amüsierte Geste und setzte sich schließlich auf seinen Platz in der Reihe vor ihr und Harper.
„Paige, du hast mich nicht ausreden lassen..." sagte Remus leise und Paige schüttelte mit dem Kopf. „Jetzt hör doch auf mit dem Kopf zu schütteln, ich will dir nur sagen, dass das, was ich gestern gesagt habe—"
„Lupin, wollen Sie Ihre Angelegenheiten mit Miss Arora nicht nach dem Unterricht klären?"
Remus seufzte angestrengt und schien wirklich mit sich zu ringen, bevor er sich umdrehte. „Tut mir leid, Professor." sagte er. „Aber ich halte meine Versprechen."
Er sah nicht mehr zu ihr während dieser Worte, doch Paige konnte ihr Lächeln nicht unterdrücken, als sie sie hörte. Machte sie sich selbst nur wieder unnötige Hoffnungen oder... oder meinte er es wirklich so, wie sie es glaubte?
„Was meint er damit?" fragte Harper leise und Paige strich sich völlig durcheinander eine Haarsträhne zurück. „Ich weiß nicht, ob ich es mag, dass du mir nichts erzählst."
„Harper." begann sie mit sanfter Stimme, doch er begann etwas auf dem Pergament vor sich niederzuschreiben.
„Schon gut." Er sprach mehr in sich hinein als mit ihr. „Wird wohl einen Grund haben."
Und dieses Mal zog sich ihr Herz nicht zusammen, weil Professor McGonagall ihr Nachsitzen gab oder weil Remus sie irritierte, sondern weil ihr bester Freund enttäuscht von ihr war.
❂ ❂ ❂
NACH DER VERWANDLUNGSSTUNDE gab es nur eine kurze Pause und Paige wusste nicht, ob sie dafür ausreichen würde, um mit Remus zu reden. Doch es war ihr egal, wie viele Minuten sie hatte: sie wollte jede einzelne Sekunde nutzen.
Kaum, dass der erste Schüler den Raum verließ, wurde Paiges Plan jedoch schon über Bord geworfen. Silias streckte mit einem breiten Grinsen den Kopf durch die Tür und setzte ein verschwörerisches Gesicht auf, als er sie sah. Sie kannte diesen Ausdruck in seinen Augen und streckte schon die Arme aus, während er auf sie zulief.
„Paige, ich liebe dich so sehr." rief er laut und umarmte sie, wobei er sie sogar von den Beinen hob. Mit einem erschrockenen Aufschrei begann sie zu lachen. „Du hast mir den Arsch in Muggelkunde gerettet."
„So bin ich." brachte sie heraus, während sie sich etwas hilflos an ihm fest klammerte. Als er sie sicher hielt, fuhr sie mit einem anerkennenden Zwinkern über seine Schulter. „Du hast ja wirklich trainiert." sagte sie belustigt und er machte eine bescheidene Geste.
„Nicht nur dafür könnte ich dich küssen." sagte er immer noch mit einem breiten Lächeln. „Ein O in Muggelkunde! Meine Eltern enterben mich doch nicht."
Auch wenn seine Mum die coolste Frau war, die Paige kannte, lachte sie über seine Übertreibung und schlug ihm auf den Arm, als er sie absetzte.
„Danke Paige für deinen ewig langen Vortrag über Fernseher." fuhr er weiter fort und drückte ihr drei übertriebene Küsse auf die Stirn, während er sprach. „Und für deine seltsamen Eselsbrücken."
Mit einem betont angeekelten Geräusch sah sie ihn an, lächelte dann aber. „Ich konnte doch nicht nicht zulassen, dass du weiterhin ein M hast — und meine Eselsbrücken sind wirklich gut, oder nicht?"
„Wenigstens kann ich sie mir merken, weil sie alle was mit Sex zu tun hatten."
„Eben." Paige nickte stolz.
Harper hatte derweil seine Sachen gepackt und machte sich ohne ein weiteres Wort auf den Weg zur Tür. Silias sah ihm ein wenig verwundert hinterher und warf ihr einen verwirrten Blick zu. „Alles okay zwischen euch?"
Mit einem angestrengten Seufzen zuckte sie mit den Schultern, doch Silias legte bereits seinen Arm um sie.
„Erzähl mir von deinem Kummer."
„Es war wegen—" Sie nickte mit einer vielsagenden Geste in Richtung der Sitzreihe vor ihr. Silias sah verwirrt nach vorne.
„Wegen McGonagall?" fragte er und Paige schüttelte energisch den Kopf.
„Nein." sagte sie, als wäre es offensichtlich und drehte sich selbst zu dem Stuhl um, auf den sie hatte deuten wollen. Nun verstand sie, warum Silias nicht darauf gekommen war, was sie hatte andeuten wollen. Remus und seine Freunde waren gegangen. „Scheiße, ich wollte doch mit ihm reden."
„Ach, es geht mal wieder um Lupin." Silias machte eine große Geste. „Verstehe."
„Was?" fragte Paige verwirrt nach.
„Ich mag ihn nicht." antwortete Silias knapp. „Du bist traurig wegen ihm. Folglich mag ich ihn nicht."
Mit einem gerührten Ausdruck in den Augen, legte sie den Kopf schief. „Naw." entfuhr es ihr zuneigungsvoll und mit einem leisen Lachen umarmte sie ihn erneut.
Was sie nicht wusste war, dass Remus vor der Tür auf sie wartete und bei diesem Anblick beschloss, dass es vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt war, um mit Paige zu sprechen, wo sie doch in... besserer Gesellschaft war.
❂ ❂ ❂
PAIGE HATTE RECHT. Es war Zeit, mit Calista zu reden. Seine beste Freundin war zwar in letzter Zeit verschwiegen und wollte nichts so recht mit ihm teilen, aber ihre Worte verfolgten ihn. Besser, als für immer darüber nachzugrübeln, was wäre, wenn du es nie gemacht hättest. Von Calista würde wohl nicht viel kommen, wenn er ewig schwieg.
Harper wusste nicht, wie er sie ansprechen sollte, geschweige denn was er sagen sollte. Wenn er ehrlich war, war nichts passiert, das er in Worte fassen oder erklären konnte. Doch etwas hatte sich geändert — und das musste auch Calista gemerkt haben.
Er blieb vor dem Tisch der Slytherins stehen und räusperte sich unruhig, womit er die Aufmerksamkeit von Calistas Freundinnen auf sich zog. Die Mädchengruppe der Slytherins richtete missbilligend ihren Blick auf ihn und Harper hatte das Gefühl, unter ihnen zusammenzuschrumpfen. „Hey." Er machte einen unsicheren Ansatz zum Winken, hielt aber inne, als Calistas Augen groß wurden.
„Was machst du denn hier?" fragte sie kalt. „Ich bin froh, dich nicht mehr wegen dieses blöden Projekts sehen zu müssen und du hörst nicht auf, mir hinterherzulaufen."
Er zuckte ein wenig zurück, als er ihre grobe Antwort hörte, sah aber Panik in ihren Augen flackern, die erst verschwand, als ihre Freundinnen über ihre Worte lachten. Hatte er vielleicht wirklich zu viel in ihre Reaktionen hineininterpretiert? Träumte er so sehr von einer perfekten Liebesgeschichte, das er mehr in Calista gesehen hatte, als dort wirklich war?
„Calista..." begann er unsicher und kaum, dass er ihren Namen ausgesprochen hatte, wurde ihr Blick sanfter, beinahe verletzlich.
„Bist du hier wegen des Projekts in..." Sie schluckte. „...Kräuterkunde?"
„Klar." sagte Harper hastig und Calistas Brust hob und senkte sich schnell, als sie ihren Freundinnen einen knappen Blick zuwarf.
„Na gut." sagte sie. „Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig." Sie erhob sich so aufrecht wie möglich, während sie ihr Haar zurückwarf, doch Harper konnte ihr ihre Unsicherheit anmerken, als sie kurz neben ihm innehielt und angestrengt in Richtung Ausgang nickte. Harper versuchte mehr in ihren blauen Augen zu erkennen, aber es war ihm unmöglich zu verstehen, was der nachdenkliche Ausdruck zu bedeuten hatte.
Er ging schweigend neben ihr her und warf ihr hin und wieder kurze Seitenblicke zu, die sie bewusst mied. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie kleiner als er war. Sie war zwar etwa mit ihm auf einer Höhe, hatte aber hohe Absätze an, die sie größer wirken ließen als sie eigentlich war.
Eigentlich war Calista die Art Mädchen, die Harper nie anziehend gefunden hatte: Aufgetakelt und unnatürlich. Doch mittlerweile glaubte er, dass sie so krampfhaft versuchte ein anderes Ich als ihr wirkliches zu zeigen, dass ihre dunkel geschminkten Augen und gepuderten Wangen als ein anderer Teil ihrer Maske dienten. Sie wäre auch ohne wunderschön.
„Nicht, wo uns jeder sieht. Es ist schlimm genug, dass du mich vor meinen Freunden ansprichst." sagte sie, immer noch so professionell und beherrscht, als handle es sich um einen Geschäftstermin.
„Ich kann es auch in Zukunft ganz lassen." entgegnete Harper gereizter als er es beabsichtigt hatte und das war der Satz, der Calista dazu brachte, innezuhalten. Sie standen abseits im ersten Korridor, in den sie abgebogen waren und endlich drosselte sie ihr hohes Tempo, um vor ihm stehenzubleiben.
„Vielleicht wäre das besser." sagte sie leise, aber ihr Blick sagte etwas völlig anderes, was der einzige Grund war, warum Harper nicht schnaubte. Stattdessen wandte er sich angestrengt von ihr ab.
„Wenn du meinst..." Er ließ seine Aussage im Raum stehen und unterdrückte ein Lächeln, als er bemerkte, dass sie genauso reagierte wie er es beabsichtigt hatte. Konnte er sie mittlerweile tatsächlich schon so gut einschätzen? Seine Fähigkeit, seine Mitmenschen viel zu einfach lesen zu können, schien doch noch nützlich zu werden.
Als Calista glaubte, sie hätte ihn mit ihren Worten dazu bewegt zu gehen, ergriff sie schnell das Wort. „Nein." entfuhr es ihr und als sie merkte, wie herrisch sich ihr Ton anhörte, um ihn zurückzuhalten, senkte sie beschämt die Stimme. „Bitte."
Harper sah stumm in ihre blauen Augen. „Ich glaube, wir sollten darüber reden." meinte er und sein Herz schlug so schnell, dass er kaum klar denken konnte, als Calistas Lippen leicht zuckten.
„Worüber?" fragte sie.
„Stellst du dich absichtlich so dumm?" rutschte es aus ihm heraus und ihre Augen blitzten auf, so wie es immer war, wenn die beiden sich in die Haare bekamen. Mittlerweile hatte er sich wohl schon so daran gewöhnt, sie anzustacheln, dass er damit nicht mehr aufhören konnte.
„Meine Denkweise ist wohl einfach auf einem nicht so primitiven Level."
Als Harper das hörte, konnte er nicht anders als aufzulachen. Calista zog verwundert die Augenbrauen zusammen, aber plötzlich nahmen ihre Gesichtszüge die Sanftmut an, die er manchmal hinter ihren Worten durchschimmern sah. Ihre Lippen verzogen sich zu einem verlegenen Lächeln und nun wich sie das erste Mal seinem Blick aus.
„Du kannst mir nicht sagen, dass ich der einzige bin, der... der etwas..." versuchte Harper es vorsichtig und brach mitten in seinem Satz ab. Er war zu aufgeregt dafür. Wie hatte er glauben können, dass es mit Calista leicht werden würde?
„Was auch immer das ist — war — ich kann nicht." sagte sie, als sie merkte, dass er nicht weitersprach und sie ihn nicht unterbrechen würde. Harper konnte nicht verhindern, dass sich seine Enttäuschung in seinem Blick zeigte, doch Calista merkte es sofort. „Es tut mir leid." Es schien ihre wichtig zu sein, diesen Satz gesagt zu haben.
Harper atmete tief durch, beinahe frustriert darüber, wie ruhig sie blieb. „Wieso?" fragte er verzweifelt und nun schien Calista zu merken, wie nahe ihm das Ganze ging... und dass sie ihm zeigen konnte, dass es ihr ähnlich ging.
„Oh Harper..." begann sie und die Traurigkeit in ihrer Stimme überraschte ihn. Sie hörte sich beinahe... verzweifelt an. Und die Art, wie sie seinen Namen zum ersten Mal sagte, warf ihn völlig aus der Bahn: Voller Gefühl und Zerbrechlichkeit. Sie verlieh ihm das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen. „Du musst das verstehen. Allein mit dir befreundet zu sein, würde mein ganzes Leben in tausend Teile zerbrechen lassen."
„Also wärst du gerne mit mir befreundet?" fragte Harper mit einem schiefen Lächeln. Die Emotionen, die er plötzlich in ihr sehen konnte, verliehen ihm Selbstbewusstsein. Er war doch nicht der einzige, der etwas zwischen ihnen gespürt hatte.
„Ich kann es nicht einmal versuchen." Sie hörte sich so niedergeschlagen an, dass Harpers Brust sich schmerzhaft zusammenzog.
„Ich versteh' das nicht." murmelte er und Calistas Augen glänzten verdächtig. Sie senkte den Blick und schloss die Augen, um die Tränen wegzublinzeln, die sie ihm nicht zeigen wollte.
„Meine Familie..." Sie ließ die Worte so stehen, als sei keine weitere Begründung mehr nötig. „Du bist wirklich besonders, weißt du das?" fuhr sie fort, doch es brach ihm viel mehr das Herz als ihn aufzubauen, diese Worte zu hören. „Und es tut mir so schrecklich leid."
Harper konnte ihrem Blick nicht länger standhalten und schluckte hart. Wieso war er nur so emotional? Als Calista sah, dass sie an den Tränen in seinen Augen Schuld war, sah sie verzweifelt aus. „Du hast so ein gutes Herz. Ich will nicht diejenige sein, die daran Schuld ist, dass es bricht. Denn genau das würde passieren."
„Ist es doch schon längst." sagte er leise und Calista verzog hilflos das Gesicht. Sie sah sich kurz um und ohne, dass Harper reagieren konnte, umarmte sie ihn, klammerte sich beinahe hilflos an ihm fest und drückte ihn an sich. Er war völlig überfordert mit ihrer plötzlichen Nähe. Sie war so warm und zart und Harper glaubte überfordert umzufallen, wenn sie damit nicht aufhörte. Er hatte doch noch nie ein Mädchen umarmt, das nicht zu seinem Freundeskreis gehörte.
Calista drückte ihm einen Kuss auf die Wange, durch den Harper fast die Luft wegblieb, als sie wieder vor ihm stand und ihm in die Augen sah. „Pass bitte auf dich auf." hauchte sie und zu überfordert, um darauf zu reagieren, sagte er nichts und musste dabei zusehen, wie Calista an ihm vorbeiging und mit einem letzten, herzzerreißenden Blick zurück in die Große Halle ging.
Harper fuhr sich über die Stelle, auf der ihre Lippen gelegen hatten und auch, wenn er in Büchern nie verstanden hatte, wie solche Berührungen nachklingen sollten, konnte auch er seine Haut immer noch kribbeln spüren.
„Harper!" hörte er plötzlich eine viel zu vertraute Stimme und sah zu Paige auf, die ein wenig überrascht vor ihm stehenblieb. „Ich wollte dich nicht verletzen, weil ich dir nichts erzähle, wirklich nicht."
Er gab nur ein kurzes Geräusch von sich. Er konnte seine Gefühle noch nicht genug ordnen, um irgendetwas zu verstehen. Es war beinahe, als hätte Calista sie alle mitgenommen.
„Zwischen Remus und mir ist es nur schwierig, weil es etwas gibt, worüber ich aber nicht sprechen kann, weil es sehr privat ist und nur ihn betrifft. Aber ich werde beim Nachsitzen mit ihm reden, weil ich ihn nicht mehr erwischt habe, und ich denke... Ich denke, dass es vielleicht gut ausgehen könnte."
Harper zog die Augenbrauen zusammen. „Privat?" wiederholte er und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Du machst mich nur neugierig."
„Hey, wo ist dein Lächeln? Was ist los?" fragte Paige plötzlich besorgt, als sie merkte, wie er es nicht schaffte, ihr in die Augen zu sehen.
„Nichts." versuchte er sie zu beruhigen. „Ich habe nur mit Calista geredet."
Bei diesen Worten bildeten sich erneut Tränen in seinen Augen und Paige verzog hilflos das Gesicht. „Nein..." entwich es ihr enttäuscht und so traurig, als würde es sie selbst betreffen. „Was ist passiert?"
Harper sah auf den Boden, bevor er es endlich schaffte ihrem besorgten Blick standzuhalten. Und dann umarmte er sie einfach, weil das das einzige war, was ihm nun helfen konnte.
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