17. Verrückteste Theorien

KAPITEL SIEBZEHN
Verrückteste Theorien

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       „ICH HABE GROARTIGEN KLATSCH für euch, Leute!" Sayria ließ sich mit einem breiten Lächeln auf die Couch neben Silias und Aliana fallen. Harper sah neugierig von seinem Buch auf, während Paige nachdenklich mit der Ecke ihres Buchs spielte. „Paige, hör gefälligst zu."

Sie hob lachend die Hände. „Tut mir ja leid." verteidigte sie sich amüsiert und Silias' Miene hellte sich nur ein wenig auf. Seit zwei Wochen war die Stimmung ungewöhnlich angespannt und man konnte Sayria anmerken, dass sie die einzige war, die versuchte etwas dagegen zu tun.

„Malcolm und Nora sind ein Paar." erzählte Sayria und Paige nickte, um zu zeigen, dass die Botschaft angekommen war, Harper las weiter und Silias sah zu Aliana, die ebenfalls frustriert von der Stimmung zu sein schien und es satt hatte, ruhig zu bleiben.

„Okay, was ist los?" fragte sie und alle, bis auf Sayria, seufzten angestrengt.

„Wie gut, dass ich noch in der Dritten bin." sagte sie leise und alle warfen ihr einen finsteren Blick zu. „Okay okay."

Nach einem kurzen Moment der Stille, ergriff Silias mit einem Seufzen das Wort. Paige war selbst überrascht, dass er plötzlich so ernst aussah. „Ich glaube, ich bin verliebt." begann er. „Ich weiß, was ihr denkt: Silias? Verliebt? Das hatte er doch erst mit... keine Ahnung... 30 oder so vor."

„Mit 30?" fragte Aliana nach und Silias zuckte mit den Schultern.

„Zeit zum Ausleben." antwortete er und fuhr schnell fort. „Aber dieses Mädchen ist unglaublich. Sie ist witzig und charmant und humorvoll und... sie ist so charismatisch."

„Wusste nicht, dass du so viele Adjektive kennst." meinte Paige und Silias verdrehte die Augen.

„Wusste nicht, dass du wegen Vom Winde verweht flennst."

Sie sahen sich so ernst an, dass sie lachen mussten und sich grinsend abklatschten.

„Wer ist es?" fragte Harper nach ein paar schweigenden Sekunden und Silias seufzte leicht.

„Marlene McKinnon."

„Die Sucherin der Gryffindors?" fragte Aliana überrascht.

„Du willst mit dem Feind schlafen?"  Sayria schlug Silias scherzhaft auf den Arm.

„Nein." sagte Silias. „Ich habe mit dem Feind geschlafen."

Paige verzog mitfühlend das Gesicht. Sie konnte sich beinahe denken, wohin diese Geschichte führte. Er hatte sich nie fest an jemanden gebunden oder sich richtig verliebt, weshalb Paige befürchtete, dass die unabhängige, ein Jahr ältere Marlene McKinnon seine plötzlichen Gefühle nicht erwiderte.

„Halt dir die Ohren zu, Aliana." meinte Silias munter und Paige erkannte sofort, dass seine unerwartete Leichtigkeit nur gespielt war.

Aliana verdrehte die Augen. „Ich bin älter als Sayria und du behandelst mich, als wäre ich zwölf."

„Vierzehn." korrigierte Sayria und die beiden begannen leicht zu lachen.

„Für sie war es nur Sex." Silias rieb sich über die Stirn. „Klar, das war so abgemacht, aber... sie ist so wundervoll. Ich kann nicht aufhören, sie anzusehen."

Sayria legte ihm eine Hand auf den Arm und das erste Mal an diesem Nachmittag erlebte Paige sie so ruhig wie jetzt. „Bist du dir denn sicher, dass sie nicht das gleiche empfindet?" fragte sie einfühlsam und Silias zuckte mit den Schultern.

„Sie sieht mich nicht an wie ich sie ansehe. Aber wir werden auf jeden Fall zu ihrer Party im Februar gehen."

Paiges Problem kam ihr plötzlich so klein vor. Es waren fast drei Wochen vergangen seit Remus und sie miteinander geredet hatten, nachdem er seit Ferienbeginn gefehlt hatte. Gestern war sie mit Harper in Hogsmeade gewesen und die Blicke, die er ihr zugeworfen hatte, hatten Paige das Atmen schwer gemacht.

Es war hart, diese Zeit in Worte zu fassen. Keiner der beiden schien den jeweils anderen ignorieren zu wollen, aber Remus hatte nach einer Woche ihre passive Haltung gespürt und sie nach ein paar weiteren Tagen selbst übernommen, als er ihre Ausrede gehört hatte, nicht zusammen Hausaufgaben zu machen (was bei ihr eigentlich nichts Ungewöhnliches bedeuten musste). Sie sprachen miteinander, aber es war steifer und zurückhaltender. Zunächst hatte es nur unbeholfen und verlegen gewirkt, aber mittlerweile tänzelten sie eher umeinander herum, ohne sich wirklich zu unterhalten.

Paige wusste nicht, was mit ihr los war, aber ihre plötzliche Vermutung verfolgte sie und verursachte Panik, jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte. Es war nicht seine Schuld... es war allein ihrer paranoiden Art zu denken verschuldet.

Sie hasste sich selbst dafür. Sie benahm sich wie der intoleranteste Mensch auf Erden und das nur, weil sie nicht damit gerechnet hatte auf diese Weise mit ihren Ängsten konfrontiert zu werden. Warum konnte sie nicht besser mit dem Thema umgehen? Leider war sie kein Mensch, dem es leicht fiel, seine Zweifel zu überspielen und sie fürchtete, dass ihre Frage irgendwann aus ihr herausplatzte und er sie für paranoid und abgedreht halten würde. Und sie wusste, dass sie in seiner Nähe ihre Gedanken nicht zurückhalten konnte.

„Was ist mit dir, Paige?" fragte Silias, um den einfühlsamen Worten seiner Freunde auszuweichen und sie sah ihn ein wenig überraschend an. „Soll ich Lupin verprügeln?"

„Nein." entgegnete Paige energisch und grinste bei seinem Blick. „Es ist eigentlich alles in Ordnung."

„Also war das nicht nur eine Ein-Kuss-Sache?"

Sie zuckte mit den Schultern, aber eigentlich war ihr von Anfang an klar gewesen, dass das mit Remus nie nur bei einem Kuss hätte bleiben können. „Ich mache mich einfach nur zu viel verrückt." gab sie zu und Harper warf ihr einen kurzen Blick zu. Er versuchte seit einer Woche zu erfahren, was los war und sie merkte ihm an, dass es ihn kränkte, wenn sie ihm nichts Genaues erzählte.

„Vielleicht solltest du diese Gedanken einfach mal ignorieren." sagte Aliana mit einem leichten Vorwurf in der Stimme. „Wenn ich euch noch einmal dabei erwische, wie ihr euch sehnsüchtige Blicke über die Haustische hinweg zuwerft, sperre ich euch in einer Besenkammer ein, bis ihr rummacht."

„Aliana..." begann Silias entsetzt und sie sah ihn warnend an. „Ich wollte sagen, dass das eine fantastische Idee ist."

„Absolut realistisch." kommentierte Sayria.

„Ich helfe." sagte Harper und Silias warf ihm einen stolzen Blick zu.

„Ihr seid solche Idioten." murmelte Paige kopfschüttelnd und lehnte sich an Harper, der sie sanft anlächelte.

„Merlin, ich weiß, was wirklich mit Paige los ist!" rief Sayria plötzlich laut aus und diese sah sie hilflos an.

„Und was?"

Sayria grinste. „Am Donnerstag kam das neue Buch von Stephen King raus und du hast es immer noch nicht."

Paige klappte der Mund auf. „Stimmt. Das sollte der wahre Grund für meine Trauer sein." sagte sie und fasste sich ans Herz. „Nicht irgendein echter Mensch."

„Eben." stimmte Harper zu, doch damit hatte er die Aufmerksamkeit von Sayria.

„Okay, Themenwechsel, was ist mit dir, Harper?" Sie sah auffordernd zu Paiges bestem Freund, der tief durchatmete.

„Ich stehe auf Calista und hasse es." antwortete er trocken und Silias fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Paige warf Harper einen vorsichtigen Blick zu, doch er mied ihn betroffen. Bisher hatte er es noch nie so offen ausgesprochen.

Allerdings konnte sie sich nicht beschweren, wenn sie selbst nicht besser war. Harper würde ihre Verschwiegenheit bestimmt verstehen, wenn sie es ihm sagen könnte. Paige konnte schließlich schlecht ihre Vermutungen teilen, da es, sofern sie überhaupt auf der richtigen Spur war, nicht ihr Recht war, etwas weiterzuerzählen, das Remus betraf.

„Wir müssen nur noch zwei Wochen zusammenarbeiten, bis wir diesen Aufsatz über die Pflege unseres Porlocks fertig haben und es ist... eine Qual. Wir haben gleichzeitig nach einem Buch gegriffen und als unsere Hände sich berührt haben, hat sie ausgesehen, als würde sie verbrennen. Und dann hat sie fünf Minuten wortlos da gesessen."

„Sie hat nichts gesagt?" fragte Aliana verwirrt und Paige lächelte leicht. Sie kannten Calista schlecht.

„Wir reden nicht gerade viel. Und wenn wir es tun, beleidigen wir uns galant. Sie versucht mich nicht anzusehen, aber wenn sie es tut... Es ist so viel in ihren Augen, das ich nicht deuten kann. Manchmal lächelt sie sogar über meine Witze und ich würde ihr gerne sagen, dass sie das öfters tun sollte, weil sie ein Gesicht hat, das zum Lächeln geschaffen wurde, aber sie würde mich wahrscheinlich verhexen."

„Oder auch nicht." meinte Paige leise und Harper sah sie nachdenklich an.

„Ich will mehr darüber hören." sagte Silias fassungslos und lehnte sich ein wenig vor. „Wer ist eigentlich der Essensliferant dieses Wochenende?"

„Ich." sagte Paige und meldete sich angestrengt. „Auch, wenn ich nicht will."

„Wir müssen alle Opfer bringen." Silias schnitt eine unschuldige Grimasse und Paige schüttelte sich ergebend mit dem Kopf. Es ging schließlich ums Essen...

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      DIE SONNE war bereits untergegangen und vermutlich hatte auch die Ausgangssperre bereits begonnen. Ein Grund mehr, sich unauffällig durch die Gänge zu schleichen. Es war Sonntag Abend und Filch war immer besonders schlecht gelaunt, wenn ein Montag folgte. Paige hatte einmal fast Nachsitzen bekommen und das war für genau eine solche Aktion wie heute Abend gewesen: Essen für den Abend mit ihren Freunden zu holen.

„Paige!" hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich wispern und sie drehte sich überrascht zu dem Augenpaar um, das sie ansah.

„Wer ist da?" fragte sie verwundert und hörte ein hohes, freundliches Lachen.

„Tut mir leid." hörte sie Blake sagen. „Filch war eben in dem Gang da hinten, weil ich Mrs. Norris aufgeschreckt habe und er kommt wahrscheinlich hier lang."

„Mrs. Norris?" fragte Paige verwundert nach.

„Filchs neue Katze." erklärte Blake munter und nun achtete Paige erst darauf, in welchem Raum sie sich befand.

„Ist das da eine Besenkammer?" meinte sie belustigt und trat näher heran.

„Na, das beste Versteck." entgegnete die Slytherin mit einem Grinsen und als Paige Schritte in der Nähe hörte, sprang sie beinahe in die Luft und drängte sich an Blake vorbei, die leise die Tür schloss. „Wie geht es dir?" fragte sie leise und Paige zuckte mit den Schultern.

„Ganz gut, denke ich." Sie sah Blake aufmerksam an. „Ich habe gehört, Malcolm und Nora sind zusammen."

„Ich weiß." entgegnete sie. „Ihre Eltern sind das Ganze schon länger am Arrangieren. Deswegen wollte sie auch, dass er dich abserviert."

Paige runzelte die Stirn. „Das ist schrecklich." murmelte sie und Blake nickte zustimmend. Sie war froh, dass ihr ihr Onkel in diesem Bereich nicht vorschreiben würde, in welche Familie sie einzuheiraten hatte. Wenigstens war er so ehrlich gewesen, ihr zu sagen, dass er ihr gerne beim Arrangieren zur Seite stehen würde, aber er würde auch den Wunsch ihrer Mutter ehren, wenn sie es ablehnte. Zauberer aus ihrer Kultur sahen die ganze Sache zum Glück entspannter als die Muggel, zumindest die meisten.

„Ich konnte meine ja schlecht um ein Mädchen zum Heiraten bitten." Blake fuhr besorgt zu ihr herum. „Hat Malcolm dich nochmal blöd angesprochen?"

„Nicht seit dem Hogsmeade-Wochenende letzten Monat." antwortete Paige und schluckte schwer. Sie hatte mit niemandem darüber gesprochen. „Aber manchmal sieht er mich auf eine Art an, die mir Angst macht."

„Du bist doch mit Sirius Black und seinen Freunden befreundet, oder nicht?" fragte sie. „Sie sind gut, was Streiche angeht und vielleicht helfen sie dir, ihn ein wenig in die Schranken zu weisen."

Paige wich nachdenklich ihrem Blick aus. „Ich weiß nicht." murmelte sie. „Ich will am liebsten gar nichts mehr mit ihm zu tun haben."

Blake sah durch den Türspalt und legte plötzlich ihren Finger auf die Lippen, um Paige zu symbolisieren, dass sie leise sein sollte. Sie stellte sich ein wenig näher an Blake heran, um auch einen Blick auf den Gang zu erhaschen und wurde in ihren sanften Vanillegeruch eingehüllt. Ihre honiggoldenen Augen schimmerten spitzbübisch, als Filch an ihnen vorbeischlurfte. Paige konnte sie nur anstarren und merkte gar nicht, dass sie dabei die Luft anhielt.

Ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust, vermutlich da sie befürchtete, er würde sie entdecken, doch er ging einfach weiter. Dennoch schoss das Adrenalin weiter durch ihren Körper, immer noch fürchtend, dass sie entdeckt worden würden. Erst nach einigen Augenblicken, in denen Blake stumm abwartete, ob die Luft wirklich rein war, öffnete sie die Tür und die seltsame Anspannung fiel von Paige ab, sobald sie von dem Mädchen zurücktrat.

Gerade als sie schon hinausschlüpfen wollte, zuckte sie beim Klang einer neuen Stimme zusammen.

„Manchmal habe ich das Gefühl, diese neue grausame Katze sieht uns."

War das... Sirius?

„Das war mein Fuß."

„Tut mir leid, dass ihr immer größer werdet und wir nicht mehr alle drunter passen."

„Krone, du bist der Größte von uns. Schieb nicht uns die Schuld zu." Nun war Paige sich zu hundert Prozent sicher, dass es sich um die Rumtreiber handelte. Sie erkannte Remus' unverkennbare Stimme sofort und niemand gab sich Spitznamen wie Krone... oder Moony.

Moony... Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht, aber... machte es nicht Sinn, wenn—?

Nein. Sie würde aufhören, darüber nachzudenken.

Laut ihren Stimmen müssten sie auf ihrer Höhe sein, aber Paige konnte niemanden im gesamten Gang sehen. Als Blake ebenfalls nachsehen wollte, stolperte sie über einen Eimer, der scheppernd umfiel. Aus Reflex zog Paige sie zur Seite, doch dabei fielen nur noch weitere Besen auf den Eimer.

„Was war das, Tatze?" hörte sie James fragen und sie schloss die Augen, während sie mit einer verlegenen Geste Blake losließ, die sie gegen eines der Regale gedrückt hatte.

„Nicht so wild, Paige." wisperte sie grinsend, als sie zu ihr aufsah, und Paige schnaubte leise, musste ihr Lächeln aber erwidern.

„Vielleicht will jemand Zeit für sich." schlug Sirius vor.

„Vielleicht machen Dumbledore und McGonagall rum." meinte James und Paige verzog angeekelt das Gesicht.

„Keine Chance." meinte Sirius und Paige konnte sein Grinsen förmlich sehen. „Dafür hat er mir letztens viel zu nett zugezwinkert."

„Ich dachte, Gonnie wäre dir versprochen?"

„Leute, wir haben eine Karte für genau solche Fälle gemacht." unterbrach Remus die beiden und Paige hörte Pergament rascheln. Es fühlte sich an, als würden Minuten vergehen, bis einer von ihnen sich räusperte.

„Moony?"

Erneut hörte sie Pergament knistern und wieder schwiegen die vier, bis Peter sich zu Wort meldete. „Was ist denn los?"

„Wir sollten langsam weiter. McGonagall ist auf dem Weg hierher." sagte James und als Paige Schritte hörte, bewegte sie sich wieder näher auf die Tür zu, um in den Gang zu spähen. Nichts.

Wie—? Merlin, sie hatten wirklich mehr Geheimnisse als sie dachte...

❂ ❂ ❂

       OKAY PAIGE, wo liegt dein Problem?"

Paige sah überrascht auf, als sie Sirius' harsche Stimme hörte. Er hatte sich gerade in der Bibliothek neben sie gesetzt und strich sich seine lockigen Haare zur Seite.

„Wovon sprichst du?" fragte sie verwundert und Sirius hob eine Augenbraue.

„Ich habe dir gesagt, dass du das mit Remus ernst nehmen sollst." fuhr er knapp fort und Paige wandte mit einem schlechten Gewissen den Blick ab. „Wer ist Blake Castor? Ich habe gehört, du... verbringst Zeit mit ihm."

„Blake..." begann Paige verwirrt, nun wieder selbstbewusster. „Blake ist ein Mädchen."

Sirius schien überrascht, fing sich aber schnell wieder. „Und?" fragte er. Es gibt Menschen, die nicht auf das andere Geschlecht stehen. Und das ist okay, keine Frage—"

Sirius." unterbrach sie ihn. „Danke für deinen Versuch mich aufzuklären, aber worum geht es hier?"

„Warum weichst du Remus aus?" fragte er und Paiges Herz begann automatisch schneller zu schlagen. Sie hatte ihn heute nur in Zaubertränke gesehen, aber er hatte ihren Blick gemieden und Paige wusste nicht, woran es gelegen hatte.

„Ich hatte das nicht geplant." sagte Paige hastig. „Ich wusste nur nicht, wie... Ich weiß auch nicht. Vermutlich bin ich gar nicht gut genug mit meinen ständigen Zweifeln. Ich mach' alles kaputt, was in meine Hände kommt, weil ich alles überdenke."

„Jetzt fang du nicht auch noch damit an." meinte Sirius genervt und obwohl sie nicht wusste, was er damit meinte, fragte sie nicht nach. Sie wollte wirklich mit Remus reden. Aber vor allem wollte sie wissen, warum sie das Gefühl hatte, so richtig mit ihren Vermutungen zu liegen.

„Wollen wir nicht den Aufsatz für Verwandlung hinter uns bringen?" fragte sie, um das Thema zu wechseln, doch Sirius wandte seinen Blick nicht ab. Dass er sie aus seinen grauen Augen so stechend musterte, machte sie Stück für Stück unruhig. „Okay." rief sie impulsiv aus und atmete laut durch, um sich zu beruhigen. „Wo ist er?"

❂ ❂ ❂

       MEHR ODER WENIGER freiwillig machte Paige sich auf den Weg zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum. Was sollte sie nur sagen? Diesmal war sie es gewesen, die sich in der letzten Zeit schrecklich verhalten hatte... und das ohne eine wirklich Begründung.

Eine große Anzahl von Gryffindors kam ihr lachend entgegen und sie wich den jüngeren Schülern schnell nach rechts aus. Während sie der Gruppe hinterher sah, lief sie jedoch jemandem anderen in den Weg und traute ihren Augen kaum, als sie Remus vor sich stehen sah, vor dem sie gerade noch rechtzeitig stehen blieb. Er sah sie unentschlossen an und wich schließlich ihrem Blick aus. „Sorry." sagte er und wollte an ihr vorbeigehen, als Paige schon zur Seite trat und ihm erneut den Weg versperrte.

Sie lachte unbeholfen und erst, als sie es schaffte, an ihm vorbeizukommen, drehte sie sich wieder um. Wohin wollte sie denn? Sie war auf dem Weg zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum, um mit ihm zu reden — und nun ging sie fast an ihm vorbei!

„Warte." sagte sie mit fester Stimme und nun sah Remus ihr das erste Mal in die Augen. Paige schluckte und begann an ihrer Bluse herumzuspielen.

„Ich habe mir gedacht, dass du früher oder später reden willst." meinte er und wenn sie sich nicht täuschte, klang seine Stimme müde und niedergeschlagen. „Es ist schon okay. Ich habe nur nicht verstanden, warum du so plötzlich— naja..."

„So plötzlich was?" fragte sie verwirrt und Remus zuckte mit den Schultern. „Hat Sirius dir das etwa auch mit Blake erzählt? Sie ist nur eine Freundin."

Sie?" wiederholte Remus. „Oh."

„Ich habe gestern zum zweiten Mal richtig mit ihr geredet." Paige zog die Augenbrauen zusammen. „Wie kommt ihr überhaupt darauf?"

Wir haben dich mithilfe einer Karte gestalkt, antwortete Remus gedanklich, bevor er überlegte, wie er darauf reagieren sollte. „Nicht so wichtig."

Frustriert atmete sie aus. „Das ist das Problem." brach es aus ihr heraus. „Diese ganzen Ausreden und ausweichenden Antworten."

„Jeder hat seine Geheimnisse." meinte er langsam, aber geduldig. „Du kannst nicht von mir erwarten, dir mein ganzes Leben anzuvertrauen, nachdem ich dich erst ein paar Monate kenne."

„Das würde ich nie verlangen." erwiderte sie ruhig und trat etwas näher an ihn heran. „Aber in meinem Kopf spielen sich die verrücktesten Theorien ab. Ich—" Sie griff vorsichtig nach seiner Hand und Remus beobachtete jede ihrer Bewegungen, als sie seinen Ärmel etwas hochschob. Der Kratzer, den sie Anfang des Monats gesehen hatte, war geheilt. „Du warst verletzt." fuhr sie fort und Remus atmete tief durch. „Nach den Ferien. Nach dem Vollmond."

„Von was für Theorien sprichst du?" fragte er so ruhig, das es Paige nur noch mehr aufwühlte.

„Es ist nur ein dummer Gedanke."

„Dafür scheint er dich ganz schön zu beschäftigen."

Paige schwieg. „Ich bin ein schlechter Mensch." meinte sie leise. „Ich predige immer von Toleranz und Offenheit, aber dann führe ich mich selbst so ignorant auf. Ich weiß nicht, was los ist, aber diese Theorie ist so plausibel, dass sie mir Angst macht."

„Welche Theorie?" fragte er vorsichtig weiter.

„Es ist verrückt." widersprach sie hastig weiter und wich seinem Blick aus, als sie seinen Arm wieder fallen ließ.

„Paige..." sprach er auf sie ein und da er so einfühlsam klang, platzten die nächsten Worte völlig überfordert aus ihr heraus.

„Bist du ein Werwolf?" Hastig atmend sah sie ihn an und stellte hilflos fest, dass Remus keine Reaktion zeigte und sie stumm ansah. Wahrscheinlich dachte er, sie wäre verrückt. „Es... Es macht Sinn. Aber ich bilde mir das nur ein, weil ich mich in letzter Zeit mit dem Thema beschäftigt habe, also vergiss es lieber. Ich überreagiere einfach nur und—"

Davor hast du Angst?" fragte er schließlich und sie konnte nicht deuten, was sich in seinen grünen Augen abspielte.

„Nein, eigentlich nicht. Also nicht nur eigentlich. Ich meine, ich mag dich doch und du bist so... so gut." begann sie stammelnd. „Es war nur... Ich... Ich war in Panik. Remus, du hast keine Ahnung, was in mir vorgeht. Ich bin völlig durcheinander und überfordert und ich denke zu viel nach und—"

„Ich hätte wissen sollen, dass du nicht darauf reinfällst." unterbrach er sie resigniert und Paige sah ihn verzweifelt an. „Du solltest Angst haben."

„Warte..." begann sie, unsicher, was seine Worte zu bedeuten hatte. „Ich liege doch falsch, oder?"

Remus schwieg und sah sie wortlos an.

Verwirrt versuchte Paige in seinen Augen eine Antwort zu finden. „Es stimmt?" fragte sie langsam.
„Aber ich..." Ihr blieben die Worte im Hals stecken, als sie sah, dass Remus mit dem Kopf schüttelte.

Nein." unterbrach er sie bestimmt. „Ich kann das nicht zulassen. Ich... Ich sollte jetzt gehen. Es ist besser so."

Wie gelähmt sah Paige dabei zu, wie er sich umdrehte und hastig von ihr entfernte.

„Du kannst nicht einfach gehen." sagte sie mit leerer Stimme, doch er reagierte nicht und ließ sie mitten im Korridor stehen.

„Miss Arora, wie treffend, Sie zu sehen!" hörte sie da plötzlich Professor McGonagalls Stimme hinter sich und drehte sich mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck zu ihrer Lehrerin um. „Ich wollte mich noch bei Ihnen bedanken, dass Sie Black so zuverlässig in Verwandlung helfen."

„Das mache ich gerne, Professor." antwortete Paige hastig, während ihr ihr Herz bis zum Hals schlug. „Obwohl ich ehrlich gesagt nicht denke, dass er Nachhilfe braucht."

„Der Meinung bin ich auch." sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns. „Aber seine Faulheit verschlechtert seine Noten."

Paige hörte kaum zu und nickte nur. „Professor, ich will wirklich nicht unhöflich sein." fiel sie ihr beinahe ins Wort. „Aber ich habe wirklich Mist gebaut und muss Remus hinterher."

„Lupin?" fragte Professor McGonagall mit einem Anflug von Überraschung und Paige zuckte mit den Schultern.

„Irgendwie schon." entgegnete sie und ihre Lehrerin sah sie auffordernd an.

„Worauf warten Sie dann noch? Gehen Sie ihm schon hinterher."

Perplex erwiderte Paige ihren Blick und lächelte schließlich zaghaft, bevor sie sich auf den Weg machte und wie von einem Dementor verfolgt um die nächste Ecke hechtete. So weit konnte er doch noch nicht sein, oder?

Als sie an der dritten Ecke abbog, blieb sie mit einem frustrierten Laut stehen. Sie fand ihn nicht.

Sie hätte ihn nicht so überrumpeln dürfen. Sie hätte mehr sagen sollen und in erster Linie nicht die letzten Tage mit ihren Zweifeln erdrücken, die er selbst ohne Worte gespürt hatte. Was hatte sie ihm nur für ein schlechtes Gefühl gegeben?

Und plötzlich, als sie tief durchatmend darüber nachdachte, was sie hätte anders machen können, wurde ihr das Geheimnis bewusst, das sie gerade erfahren hatte: Remus war tatsächlich ein Werwolf.

Und sie hatte somit genau das getan, was sie nie gewollt hatte: Die Fehler ihrer Mutter wiederholt. Zumindest die, mit denen es angefangen hatte.

· · · note ! · · ·
Morgen kommt endlich raus, was es mit ihren Eltern auf sich hat und ich hoffe sehr, dass ihr Paiges Reaktion dann nachvollziehen könnt.
Danke an alle, die täglich dabei sind und die Kapitel lesen 😊

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