05. Remus und ich
KAPITEL FÜNF
Remus und ich
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„ICH SAGE NUR, dass er irgendwie heiß ist", erklärte Paige sich am folgenden Wochenende ihrem besten Freund, der schlicht die Augenbrauen hob und grinste.
„Aha", sagte er wenig begeistert. „So, wie du Malcolm heiß fandest?"
„Ach komm, der ist auch heiß." meinte Paige, während sie die Seite ihres Buches umblätterte. „Hast du seine Muskeln gesehen?"
„Ich habe ihn nicht ausgezogen." Harper sah sie so ernst an, dass Paige über seinen Gesichtsausdruck lachen musste.
„Auch wenn du auf Mädchen stehst, kannst du doch sagen, dass ein Junge hübsch ist, bei Merlin", rief sie aus und nun verdrehte Harper leicht die Augen.
„Oh Paige, siehst du den da drüben?" begann er sie nachzumachen. „Ich..." Er wedelte sich Luft zu. „... kann nicht mehr."
Paige verdrehte die Augen, grinste aber amüsiert, während sie interessiert ihr Kinn auf ihrer Hand abstützte. „Welches Mädchen auf Hogwarts ist denn gerade toll... in den Augen der Jungs?" fragte sie und Harper seufzte.
„Naja..." begann er. „Marlene McKinnon aus der Siebten wahrscheinlich." meinte er und Paige nickte. „Und sie ist echt hübsch, hat aber auch mit ziemlich vielen was am Laufen."
„Da ist ja nichts dabei." meinte Paige. „Bei Sirius Black würde sich auch keiner beschweren, wenn der mal drei in einer Woche hätte." Innerlich begann sie sich wieder über dieses Thema aufzuregen, da es bei Mädchen von den meisten als etwas völlig betrachtet wurde, wenn sie viele Liebeleien am Laufen hatte — ein Junge sammelte immer nur „Erfahrungen". Harper merkte, dass sie kurz davor war, einen Vortrag über ihre Ansichten zu halten und lenkte deswegen vom Thema ab, da er mit ihr sowieso übereinstimmte, was das anging.
„Mary aus Gryffindor ist ganz süß..." begann er — endlich. „Wir sitzen in Alte Runen nebeneinander."
Paiges Augen leuchteten begeistert. „Also gibt es doch jemanden!" rief sie begeistert aus. Harper schüttelte mit dem Kopf, lächelte aber in sich hinein, als Paige in Gedanken auf das Stück Pergament vor ihr sah.
„Lass uns doch lieber über Lupin reden."
Paige legte grinsend den Kopf schief. „Er hat echt einen coolen Humor. Er ist lustig." Sie schwieg kurz. „Und... interessant."
„Interessant?", wiederholte Harper. „Er ist mir auf jeden Fall sympathischer als Malcolm."
Paige atmete tief durch. „Ja...", begann sie. „Ich meine, das ist auch was anderes. Weißt du, Remus und ich haben wirklich Gemeinsamkeiten und—"
„Remus und ich", wiederholte Harper begeistert und grinste breit. „Ja ja, red weiter."
Sie lachte leicht. „Ich meine, das ist was ganz anderes. Ich wusste bei Malcolm, dass das nichts für die Ewigkeit ist. So viele Themen hatten wir nicht. Aber er war der erste Mensch, der mir gesagt hat, dass ich hübsch bin und der nur Augen für mich hatte, also warum hätte ich ihn abweisen sollen? Ich fand ihn ja auch gut aussehend—"
„Jaa", entgegnete Harper belustigt. „Das haben wir mitbekommen. Und keiner macht dir Vorwürfe."
„Nein", schmollte Paige spielerisch. „Und das war echt eine coole Zeit. Ich bin sogar freiwillig wirklich mal rausgekommen, die Feiern waren cool, seine Freunde waren nett..."
„Aber Remus scheint etwas klüger", warf Harper trocken an. Paige hätte fast über diesen simplen Kommentar gelacht.
„Ja, und er ist auch total der Gentleman, er ist voll lieb... Aber ich kann ihn gar nicht einschätzen. Wir saßen jetzt zum zweiten Mal in Wahrsagen zusammen und irgendwie rede ich den größten Blödsinn, wenn ich bei ihm bin. So kenne ich mich gar nicht." Sie verengte die Augen. „Ich will ihn kennenlernen."
„Dann... ähm, tu das", schlug Harper vor.
„Aber er ist so ruhig", sagte sie. „Und ich weiß gar nicht, wie er darauf reagieren würde. Gerade wegen Sirius und so. Von selbst kommt da auch glaube ich nichts von ihm... Sonst bin ich doch auch nicht so, ich rede gerne und da werde ich immer so nervös."
„Kleiner Tipp", warf Harper ein und sein Blick fiel auf etwas hinter ihr, weshalb sie sich neugierig umdrehte. „Willst du dir da hinten vielleicht zufällig ein Buch für deine Arithmantik-Hausaufgaben holen?"
Paige grinste schief, als ihr Blick auf die vier Jungs fiel, die in der Bibliothek hinter besagtem Regal saßen. Harper war der beste beste Freund der Welt, das stand fest. „Gut, dass du mich dran erinnerst", entgegnete sie theatralisch. „Brauchst du auch irgendwas?"
„Ne, ich hab soweit alles", meinte er betont ernst und Paige sah ihn mit einem verschwörerischen Grinsen an, bevor sie sich auf den Weg zu dem Regal machte, in dem das Buch stehen sollte, das sie brauchte. An ihrem Ziel angekommen fiel ihr Blick auf die Rumtreiber, die an dem Tisch vor dem Regal saßen. Etwas bedenklich war das Ganze schon... es standen doch keine Prüfungen an — was genau machten alle vier hier?
Paige ahnte Übles.
Sirius und James sahen bereits zu ihr und als sie den Blick der beiden erwiderte, setzte James ein breites Grinsen auf, was Paige dazu brachte, die Augenbrauen zusammenzuziehen. Gruselig.
Ohne es kontrollieren zu können wanderten ihre Augen zu Remus und sie hoffte, dass er wenigstens einmal zu ihr aufsehen würde. Als er merkte, dass etwas James' und Sirius' Aufmerksamkeit erregt hatte, hob er tatsächlich den Blick und sie wurde augenblicklich nervös. Und das nur, weil er sie ansah.
„Hey", grüßte er sie und winkte etwas unbeholfen, was Paige erwiderte, weil... Ja, warum eigentlich, es sah total bescheuert aus.
„Ich, ähm, brauche nur das Buch da oben", sagte sie und deutete auf das Regal. Vielleicht hätte sie das alles vorher besser durchdenken sollen.
James Potter grinste sie an. „Aber natürlich doch, bleib nur da, ich mach das schon", sagte er sehr charmant und stand auf, um sich neben sie zu stellen. „Welches darf es denn sein, meine Liebe?"
Es frustrierte Paige ein wenig, dass Remus einfach wieder auf seinem Pergament vor sich hinschrieb, ohne ihr weiter Beachtung zu schenken. Sie sah von ihm zu James und deutete auf das blaue Buch ganz oben. „Die Magie der Zahlen."
„Natürlich."
Paige wusste zwar nicht, inwiefern Natürlich hier als Antwort passte, aber sie lächelte etwas unbeholfen, als James den Arm ausstreckte, um ihr das Buch vom Regel schweben zu lassen und ihr hinzuhalten. „Danke", sagte sie. „Ich hätte das schon hinbekommen, dafür ist das Regal ja verzaubert, aber... ja."
Sie sah ein letztes Mal zu Remus, der immer noch auf sein Pergament fokussiert war, bevor sie zum Gehen ansetzte. Kaum dass sie ein paar Meter gegangen war, hörte sie Schritte hinter sich und spürte, wie James sie am Arm packte. Als sie sich zu ihm umdrehte, sahen seine braunen Augen amüsiert hinter seiner runden Brille zu ihr und Paiges Blick blieb an seinen zerzausten Haaren hängen, bevor sie mit einem Seufzen abwartete, was er zu sagen hatte.
„Was?" fragte sie.
Er war ihr von den selbsternannten Rumtreibern immer der unsympathischste gewesen. Er war arrogant, überheblich und hatte ein Talent dafür, die falschen Worte zu finden (einmal hatte er versucht, sich mit Sirius aus etwas herauszureden, aber nicht um zwei Ecken gedacht und die ganze Situation nur noch schlimmer gemacht — sie waren alle schlecht in Ausreden). Doch während der letzte Punkt etwas war, das Paige nur zu gut nachvollziehen konnte, hasste sie es, wie er sich selbst brüstete.
Wenn man nicht gerade zu dem Kreis der Auserwählten gehörte, die er sympathisch fand, hatte man nicht viel zu lachen.
„Ich hatte ein wenig mehr Freude über meine Anwesenheit erwartet." meinte er stolz und während Paige sich betont lässig mit dem Arm auf dem Regalbrett neben ihr abstützte, drehte sie sich kurz nach hinten, um zu Harper zu schauen. Er machte ein Handzeichen, um zu fragen, ob er etwas unternehmen sollte, doch Paige schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Freude", flötete Paige gespielt begeistert, als sie sich zurück zu ihm drehte, und sah ihn auffordernd an. „Also, was gibt's?"
„Darf ich mich vielleicht zu dir setzen?" fragte er und warf Sirius über ihre Schulter hinweg einen triumphierenden Blick zu.
„Äh... wieso?" antwortete Paige irritiert und sah wieder zu den Rumtreibern. Remus sah ein wenig gelangweilt aus, erwiderte aber ihren Blick mit einem entschuldigenden Lächeln.
„Bei Remus hättest du bestimmt direkt Ja gesagt, nicht wahr?" fragte James weiter und Paige verzog irritiert das Gesicht.
„Bei Remus habe ich Ja gesagt." korrigierte sie ihn amüsiert und James musterte sie aufmerksam, als hätte er nicht mit dieser selbstbewussten Antwort gerechnet.
„Das trifft sich ja gut", verkündete er. Oh Merlin, was ging denn nur in seinem Kopf vor? „Dann will ich dich nicht länger aufhalten — geh nur."
Er verzog keine Miene und grinste sie weiter an, als sie keine Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzen. „Okay...", begann sie schließlich. „Dann diskutiere ich mal weiter wichtige Themen mit meinem besten Freund."
„Zum Beispiel?" fragte James herausfordernd, als würde er nicht glauben, dass ihre Gesprächsthemen tatsächlich wichtig sein konnten.
„Zum Beispiel..." begann Paige lieblich. „...wer der heißeste von euch ist. Und für dich sieht's nicht gut aus." Mit einer schnellen Bewegung schnappte sie sich das Buch aus dem Regal, das sie wollte.
„Aber für Remus schon?"
Paige verdrehte die Augen und warf James einen letzten vorwurfsvollen Blick zu, lächelte aber leicht in sich hinein, als sie zurück zu Harper ging.
Und James war sich sicher, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
❂ ❂ ❂
„Sag mal, Black, hecken du und Potter was aus?" fragte Paige und ließ ein Buch vor Sirius auf den Tisch fallen. Er zuckte etwas überrascht zusammen, wie sie mit einem zufriedenen Lächeln feststellte, sie sich jedoch nichts von dieser Gefühlsregung anmerken ließ.
„Ja." sagte er ohne zu zögern mit einem unschuldigen Lächeln und Paige blinzelte, überrascht von seiner Offenheit.
„Äh... okay." Sie setzte sich verdattert neben ihm und versuchte den Blick auf seinem Gesicht zu deuten. Statt sich zu erklären, schwieg er amüsiert. „Darf ich vielleicht erfahren, wieso?"
„Möglicherweise wollte ich einfach nur wissen, ob... sie dich genauso schlimm finden."
Paige hob eine Augenbraue, betont unbeeindruckt von dem, was er gesagt hatte. „Nur, weil du Pausen beim Sprechen machst, macht das die Sache nicht dramatischer. Und cool erst recht nicht."
„Jetzt weißt du, wie ich mich fühle, wenn ich dir zuhören muss". hielt Sirius dagegen und während Paige die Augen verdrehte, versuchte sie zu ignorieren, dass es ihr etwas ausmachte, wenn er sie als uncool darstellte. Sie war sich schon davor darüber bewusst gewesen, vielen Dank.
Sie biss die Zähe zusammen und beschloss, das Thema zu wechseln. Sie wusste nicht, wie es so schnell passiert war, dass die beiden es kaum beinander aushielten, aber sie hoffte, dass es für ihn nicht so ernst war, wie es manchmal klang. Es war nicht so, dass sie ihn überhaupt nicht leiden konnte — und eigentlich wollte sie auch gerne, dass er sie mochte oder zumindest nicht nicht mochte. Für sie waren die kleinen Schlagabtausche tatsächlich recht unterhaltsam, aber sie war sich unsicher, ob er ihr wenigstens etwas Amüsantes abgewann oder sie total nervig fand.
„Wie läuft's denn mit Rochester?", fragte sie daher, um Normalität in das Gespräch zu bringen und locker zu wirken.
Sirius zuckte mit den Schultern. „Joa...", entgegnete er nicht sehr aufschlussreich. „Hab ein bisschen mit ihr geredet."
Paige nickte und wollte zum eigentlichen Thema Hausaufgaben kommen, als er weitererzählte.
„Ich weiß echt nicht, wie James so lange auf ein Mädchen stehen kann. Ich wache nach einer Woche auf, schaue in den Spiegel und denke mir: Eigentlich bin ich viel zu attraktiv für sie."
Was ein Arschloch.
„Aber ich geh trotzdem mal mit ihr was machen. Sie langweilt mich zwar, weil sie mir immer nur in allem zustimmt und mir irgendwie gefallen will, aber ich will ja eh nichts Festes."
Ohne es kontrollieren zu können, schnaubte Paige.
„Was?", fragte Sirius.
„Okay, du willst jemanden hören, der dir nicht in allem zustimmt?", fragte sie. „Du hörst dich an wie ein Arschloch."
Sie sah, dass Sirius ein wenig unzufrieden dreinschaute.
„Und obwohl du wahrscheinlich sagst, dass die Leute zu dir ehrlich sein sollen, passt es dir nicht, wenn sie es doch tun, weil du nicht mit Kritik umgehen kannst. Weil jeder und du selbst dir sagen, wie toll du doch bist."
Als hätte sie etwas Urkomisches gesagt, lachte er leicht auf. „Du hast recht, mir sagt natürlich nie jemand, was ich so alles falsch mache." Er lehnte sich nach vorne. „Die Sache ist die, ich spreche nur aus, was andere sonst nur denken. Du kannst mir nicht sagen, dass es nur mir so geht, dass ich Interesse an jemandem verliere, sobald ich merke, dass ich die Person haben könnte — wir wollen immer, was wir nicht haben können. Und wenn du mir sagst, dass das einen zum Arschloch macht, dann sage ich dir, dass das schlicht und ergreifend menschlich ist."
„Du weißt aber, dass du Menschen mit so etwas verletzen kannst", entgegnete Paige beharrlich.
„Ich verletze lieber andere als selbst verletzt zu werden."
Paige sah ihm in die Augen. Sie hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, aber ihr blieb jedes Wort im Hals stecken. Hinter dieser Aussage steckte sehr viel als man annehmen könnte, das merkte sie. Und die Realisation, dass ihr diese Tatsache einen ganz neuen Blick auf Sirius Blacks Charakter ermöglichte, traf sie unerwartet. Sein Selbstbewusstsein war eine Mauer. Je öfter er betonte, wie perfekt er war, desto mehr glaubte er es.
„Ich finde nur...", begann Paige bedächtig, „Dass man ehrlich sein sollte."
„Glaub mir, ich bin der größte Vertreter davon, dass alle einfach offen darüber reden sollten, was sie wollen und denken", entgegnete Sirius sofort. „Vor allem bei euch Mädchen habe ich so oft das Gefühl, dass ihr nie etwas sagt, wenn euch etwas unangenehm ist. Selbst wenn man fragt. Wieso sagt jemand, dass etwas okay ist, wenn es das doch offensichtlich nicht ist? Total dumm." Er hielt kurz inne und zuckte mit den Schultern. „Glaub mir, wenn einer sagt, worauf er aus ist, dann ich."
Sie sah ihn länger an, bevor sie leicht lächelte. Vielleicht hatte sie ihn falsch eingeschätzt. Auch Sirius grinste.
„Übrigens, Arora, wird dir für deine grenzenlose Hilfe eine besondere Ehre zuteil: Du bist auf meine Geburtstagsparty eingeladen."
„Reizend", antwortete Paige wenig begeistert und ihre Augen funkelten frech. „Wie alt wirst du? Zwölf?"
Sirius sah sie gelangweilt an. „Vielleicht solltest du dich mal ein wenig schick dafür machen."
„Denkst du, das könnte ich nicht?" fragte sie empört zurück und kniff die Augen zusammen. „Wie auch immer", sagte sie schließlich so ruhig wie möglich. „Ich gehe eigentlich nicht so viel auf Partys."
„War ja klar." meinte Sirius schlicht und Paige atmete tief durch, um die Frustration loszuwerden, die sich in ihr anstaute.
„Wann hast du überhaupt Geburtstag?" fragte sie nach einer Weile und Sirius sah sie an, als hätte sie gefragt, in welchem Haus er wäre.
„Am 3. November." antwortete Sirius, als wäre es eine allbekannte Tatsache, und Paige lächelte zufrieden vor sich hin, als sie erfuhr, dass sie älter als er und bereits volljährig war. „Wir feiern zwei Tage später am Freitag im Gryffindor-Gemeinschaftsraum."
„Schön." sagte Paige knapp und Sirius begann zu grinsen.
„Du willst kommen..." stellte er zufrieden fest, was sie erneut dazu brachte, die Augen zu verdrehen.
„Nichts in einer Millionen Jahre würde mich dazu bringen." schnaubte sie, um zu unterstreichen, wie absurd diese Vorstellung war. Sie war nicht oft auf einer Party gewesen — früher ein paar Mal, als sie noch mit Malcolm zusammen gewesen war.
„Stirbt in deinem Buch wieder ein nerviger Typ, der so ist wie ich und du kannst deswegen nicht?" fragte er nach und zum ersten Mal an diesem Nachmittag zuckten Paiges Mundwinkel bei seinen Worten, als sie sich daran zurückerinnerte, was sie vor einer Woche zu ihm gesagt hatte.
„Sollst du nicht Hausaufgaben machen?" fragte sie zurück, um vom Thema abzulenken und Sirius ließ seinen Blick kurz auf ihr ruhen, bevor er grinste.
„Hab ich schon."
„Wieso sind wir dann hier?" rief Paige aus und erwiderte seinen Blick ungläubig. „Du bist doch nur bei mir, damit Professor McGonagall zufrieden ist und jemand dich zum Hausaufgaben machen zwingt."
„Ich durfte abschreiben." sagte Sirius und zuckte mit den Schultern.
„Bei wem?" In dem Moment, in dem sie die Frage stellte und ihr Gegenüber zu grinsen begann, verstand sie, bei wem.
„Remus..." meinte sie mit einem erkennenden Gesichtsausdruck, bevor sie sprachlos den Kopf schüttelte.
„Er muss wohl tief in deinem Ansehen gesunken sein." meinte Sirius dramatisch, weshalb Paige die Stirn runzelte.
„Äh... nein? Ich lasse meine Freunde sogar oft bei mir abschreiben..." entgegnete sie und ließ es als verwirrte Frage klingen. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass Sirius und James das gleiche Grinsen aufsetzten, wenn sie mit ihr über Remus sprachen. Schließlich hatte sie zweimal mit ihm geredet. Die beiden waren ja schlimmer wie die Zweitklässler, die tot umfielen, wenn ein Junge sie nur ansah.
„Peter sollte dich eigentlich auch ansprechen, aber er hat sich nicht getraut." Sirius wechselte so beiläufig das Thema, das Paige ein paar Sekunden lang irritiert dreinblickte. „Weil du so angsteinflößend bist."
„Ich war die ganze Zeit so nett wie möglich." verteidigte sie sich, da sie es satt hatte, von ihm als langweilige, spießige Streberin abgestempelt zu werden.
„Natürlich..." begann Sirius übertrieben und bevor er fortfahren konnte, um wieder alles ins Dramatische zu ziehen, schnitt Paige ihm das Wort ab.
„Also... Peter hat Angst vor mir, James findet mich höchstwahrscheinlich total cool, du findest mich spießig und Remus..." Sie ließ den Satz im Raum stehen, während Sirius vor sich hin grinste.
„Wir können ihn ja gleich mal fragen." meinte er beschwingt und Paiges Blick wurde eisern wie der einer Statue.
„Wag es ja nicht." stieß sie aus, denn sie wollte sich ausnahmsweise nicht vor einem Jungen blamieren, den sie interessant fand. Hilflos klammerte sie sich an seinen Arm, als er Anstalten machte, aufzustehen. „Ich gehe zu McGonagall und sag ihr, dass du meine Hausaufgaben klaust." meinte sie, während sie sich weiterhin an Sirius festhielt, der unbeirrt durch die Bibliothek lief. Dass sie die Blicke einiger Schüler auf sich ruhen spürte, ignorierte sie geflissentlich.
„Ich dachte, wir nennen sie Professor McGonagall." merkte Sirius altklug an und während Paige an seinem Arm zerrte, kniff sie die Augen zusammen.
„Ich übergebe dich Filch. Ich sperre dich mit der Maulenden Myrthe im Mädchenklo ein." begann sie ihre, wenn auch größtenteils scherzhaft gemeinten, Drohungen. „Ich hetze die Slytherins auf dich. Ich schreibe deinen Eltern, dass ihr Sohn sich wie immer schrecklich benimmt. Ich-"
In diesem Moment blieb Sirius stehen und wich von ihr zurück, als hätte er sich an ihr verbrannt. Seine grauen Augen funkelten sie so ernst an, dass Paige erschrocken die Luft wegblieb. „Ich" begann Sirius mit tiefer, fester Stimme, „habe keine Eltern."
Die Art, wie er das letzte Wort aussprach, gab Paige das Gefühl, er sprach über etwas Widerwärtiges... etwas Verachtenswertes. Sie wusste, dass Sirius gegen seine Familie rebellierte und die Blacks sehr bekannt für ihre reinblütige, berüchtigte Vergangenheit, aber sie waren seine... Familie. Paige wünschte, sie hätte Eltern, die sich um sie kümmerten.
„Jeder hat Eltern." sagte sie, vielleicht sogar an sich selbst gerichtet, wenn sie daran dachte, wie sehr es ihr jedes Mal davor graute, ihren eigenen Vater besuchen zu müssen — sie erzählte Sirius etwas von Familie, von Zusammenhalt und war selbst, im Gegensatz zu den Ansichten, die sie von ihrer indischen Familie gelehrt worden war, nicht besser. „Familie hält immer zusammen. Du solltest dankbar, sie zu haben."
„Du könntest eine von ihnen sein."
Es war wahr, Paige kam aus einer traditionsbewussten, indischen Zaubererfamilie, die viel Wert auf Kultur legte, aber ihr war nie die Art von Rassismus begegnet, die sie bei vielen britischen Familien beobachtet hatte. Und selbst wenn, Paige hatte ihre eigenen Meinungen. Es störte sie zum Beispiel, dass viele Frauen in ihrer Familie wie selbstverständlich die Rolle einer Hausfrau angenommen hatten, nachdem sie geheiratet hatten — oder dass die meisten ihrer Ehen arrangiert waren. So etwas wollte Paige nicht — Paige wollte etwas aus sich machen, etwas erreichen, das sie sich selbst verdient hatte und über ihr Leben bestimmen.
Tatsächlich hatte sie das Gefühl gehabt, es war für ihre Familie angenehmer gewesen, dass ihr Onkel mütterlicherseits einen indischen Muggel geheiratet hatte als ihr anderer Onkel, der sich erst vor kurzem mit einer reinblütigen Britin verlobt hatte (wobei Paige das Problem daran nicht im Geringsten verstand, was sie auf dem letzten Familientreffen auch deutlich gemacht hatte — ihr Onkel hatte über ihre kleine Rede betroffen geschwiegen, aber nichts weiter dazu gesagt).
„Du weißt doch überhaupt nichts von mir, Black." sagte Paige kalt, bemüht all die Gedanken zu verdrängen, die in ihr aufkamen, als sie an ihre Eltern dachte.
„Und du nichts von mir." entgegnete Sirius ebenso kühl und in diesem Moment wurde Paige klar, wie gut er diesen neutralen Gesichtsausdruck beherrschte. „Also halt dich fern von mir — und am besten auch von meinen Freunden."
„Ich lasse mir nichts verbieten. Und ganz sicher nicht von dir."
❂ ❂ ❂
„Und dann sagt der Vogel mir, ich solle mich von ihm und seinen Freunden fernhalten." schloss Paige ihre Erzählung aufgebracht und beobachtete, wie Sayria, Silias und Aliana einen kurzen Blick austauschten. Harper war noch bei Pflege magischer Geschöpfe, ein Fach, das Paige glücklicherweise nie gewählt hatte. „Mal davon abgesehen, dass die Aussage absolut unlogisch war, da Professor McGonagall möchte, dass ich ihm in Verwandlung helfe... oder ihm zum Hausaufgaben machen zwinge. Was auch immer das ist."
„Der steht bestimmt auf dich." warf Silias ein und Paige warf ihm einen befremdlichen Blick zu.
„Willst du mir sagen, dass du so mit einem Mädchen redest, wenn du was von ihr willst?" setzte sie entgegen und sah, dass er sein übliches „Guter Einwand"-Gesicht machte.
„Ich würd' mir Lupin sofort schnappen." meinte Sayria plötzlich und korrigierte sich schnell, als alle Blicke auf ihr lagen. „Also, wenn Sirius mir sagen würde: Ey jo..." Sie begann ihn zu imitieren. „Halt dich von mir und meinen Freunden fern. Dann würde ich mir die Freunde doch gerade krallen."
Aliana begann zu lachen. „Oder ihr hattet einfach einen falschen Start und solltet ein wenig mehr miteinander reden... vielleicht wäre das mal eine Idee."
„Ich hab genug mit dem Depp geredet." murmelte Paige schmollend und drückte ein Kissen auf dem Sofa der Ravenclaws näher an sich heran. „Aber ich hasse es, wenn jemand denkt, ich wäre total spießig und überheblich. Und ich wollte auch wirklich nichts Falsches sagen... aber ich tue mich immer so schwer mit allen Menschen, die neu sind. Ich weiß nicht wie sie ticken, was ich sagen darf und was nicht... Kommunikation ist so kompliziert."
„Außer bei Remus", murmelte Harper grinsend, aber niemand außer Paige hörte ihn.
„Da hast du recht." gab Aliana zu. „Und du bist generell jemand, der sehr schwer Zuneigung zeigt."
Paige verdrehte die Augen und warf ein Kissen auf sie. „Ihr stinkenden Trolle wisst doch, dass ich euch lieb habe."
„Bedingungslose Liebe..." kommentierte Silias ihre Worte und als Sayria zu lachen begann, stimmten sie alle mit ein. „Aber ich wette mit euch, eigentlich ist Paige die liebesbedürftigste von uns allen."
Paige hob lachend die Hände. „Was?" fragte sie unschuldig und Silias imitierte sie mit hoher Stimme, was sie nur noch mehr zum Grinsen brachte.
„Große Liebe und so wär schon schön irgendwann..." gab sie kleinlaut zu und Aliana klatschte in die Hände.
„Und dann immer die Liebesromane verschmähen!"
„Die lese ich heimlich!" rief Paige energisch und fing das Kissen gerade so auf, das Silias auf sie geworfen hatte.
Sayria schüttelte den Kopf. „Also wirklich, Paige." meinte sie grinsend.
„Wieso dreht es sich hier eigentlich nur um mich?" versuchte sie verzweifelt das Thema zu wechseln. „Sayria, gibt es keine schnuckeligen Kerle in der Dritten?"
„Oder Damen." warf Silias ein und zuckte bei Alianas Blick mit den Schultern. „Hier wird niemand diskriminiert."
Sayria lachte unsicher und tat so, als fände sie es seltsam, was er von sich gegeben hatte. „Das sind doch alles Idioten in meinem Jahrgang. Wieso bin ich wohl so verzweifelt und gebe mich mit jemandem wie Silias ab?"
Silias fasste sich ans Herz. „Ich kämpfe für die Frauen und das ist mein Dank. Ihr seid alle so fies... bis auf Aliana natürlich."
„Aww." stieß die Angesprochene aus, als Silias seinen Kopf auf ihrer Schulter ablegte und tätschelte ihn liebevoll am Arm.
„Zu viel Liebe." meinte Paige belustigt und Silias zeigte mit dem Finger auf sie.
„Ich kenne dich, Paige Arora!" meinte er mit dramatischer Geste. „Du tust immer so hart, aber eigentlich... eigentlich willst du mit uns kuscheln."
„Jaja." entgegnete Paige mit einem Schmunzeln. „Träum weiter."
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