#94 Ein schwerer Gang

In Midtown The Hall Street Station war der 'Golden Shire Speeder' pünktlich angekommen und so erreichten Marlur und Isador den eine Stunde später nach New Kingstown abfahrenden 12th Century Speeder der New Kingstown Central Railway problemlos.
Der elegant in zwei Grautönen lackierte Zug nahm den Weg entlang der Upper Lochs bis nach Cherrytown am Loch Cherry um dann den direkten Weg durch die Berge entlang des als Wirtschaftsbelebungsmaßnahme im Rahmen des 'New Deal' in den 1120er und 1130er Jahren gebauten Skrandon-Cutoff zu nehmen und brachte die beiden Uxvirs in achteinhalb Stunden zum Flughafen in New Gersuy welcher auch einer der beiden großen Flughäfen von New Kingstown war.
Von dort aus blieb auch Isador nichts anderes übrig als mit dem Flugzeug zu reisen, denn zwei Tage auf eine der dann dreitägige Überfahrten mit einem Transantautic-Liner zu warten, wollte selbst er nicht.

"Die vielen Bahngesellschaften mit dem unterschiedlichen Designs und Farben hat ja schon was für sich" meinte Marlur als sie im Parlor Car Platz genommen hatten, "in Sore gibt es ja nur die VFS¹..."
"Nun ja, allerdings nimmt auch in Angevinien und gerade im transantautischen Teil des Landes, der Flugverkehr immer mehr zu. Ich befürchte die ganz langen Strecken wird man zukünftig Fliegen. Denn die ganzen unterschiedlichsten Gesellschaften werden kaum den Wettbewerb untereinander und mit dem Flugverkehr gleichzeitig aufnehmen können. Was ich als jemand der echt nicht gerne fliegt sehr bedauern würde..." erläuterte ihm Isador.
"Das musst du verstehen, die Menschen leben nur so kurz, da haben sie keine Zeit für langsames Reisen" meinte Marlur.
"Na ja" entgegnete ihm Isador daraufhin sarkastisch, "ich habe nicht den Eindruck, dass die Divinoble ein Leben in Entschleunigung vorleben.
"Da hast du allerdings wiederum Recht. Geduldig ist sie nicht, die divine Elite" räumte Marlur daraufhin ein, "aber es gibt ja auch noch uns Uxvirs..."
"Hach ja, die entschleunigten, geduldigen undying Pets" spottete Isador nun, worauf Marlur tatsächlich kichern musste...

*****

"Soll ich es Hernan sagen" fragte An-Anadur in spöttischem Tone, "nein ehrlich, das mache ich wirklich mit dem allergrößten Vergnügen und wenn ich damit eine so schwere Bürde von euren allerhöchsten Schultern nehmen kann...
"An-Anadur, das ist nicht witzig" murrte Ieran ihn an, aber sein Uxvir kicherte nur und meinte hämisch: "Oh doch, das ist es. Sehr sogar!"
"Du verstehst das nicht" meinte Ieran sofort, "wir steuern auf eine schwere Krise zu wenn das Schule macht..."
"Wenn was Schule macht?" konterte An-Anadur sofort spitz, "wenn Schule macht, dass Uxvirs einen Ausweg aus Abhängigkeitsverhältnissen haben? Wenn Divinoble im Laufe der Jahrhunderte zukünftig mehr in eine Beziehung investieren müssen als ein paar Tropfen ihres Divinpotion?" Mit etwas Häme setzte er dann noch einen oben drauf: "Oder fürchtet ihr einfach den Wettbewerb wenn das Schule macht und mehr Divifilions² aus Mitleid ihre unterdrückten Matores zu Divinobles machen?"
"Du siehst einfach die Tragweite nicht, wenn Angevinien nun mit den Archpeers auch eine divinoble Oberschicht bekommt" mischte sich nun Trevastan ein.
"Was denn?" An-Anadurs scharfe Zunge machte auch vor dem Dividuxam nicht halt, "fürchtet Ihr etwa, dass man im 28. Jahrhundert Eure besondere Stellung nicht mehr damit alleine rechtfertigen kann, dass die Götter angeblich Sore für die Divinobles geschaffen haben? Ihr hattet 2711 Jahre Zeit. Wenn ihr Divinobles es da nicht geschaffen habt eure herausragende Stellung im Imperion zu legitimieren ohne auf imaginäre Freunde in einer anderen Welt zu verweisen, dann solltet ihr euch echt fragen, ob ihr sie überhaupt verdient!"
"Vorsicht An-Anadur, du rüttelst an den Pfeilern unserer Gesellschaft" mahnte nun Ieran worauf sein Uxvir erwiderte: "Sehr wohl per divii gratiam Divinimperator³, ich bin schon still."

Still war er dann auch, allerdings brachte die Stille weder den Divinimperator noch den Dividuxam einer Lösung ihrer Probleme näher.
Auch wenn es keiner von ihnen zugeben wollte, das Imperion Sorenam und vor allem das Selbstverständnis der Divinobles in selbigen, steuerten auf eine gewaltige Krise zu.
Eine Krise die es sich mit der Überheblichkeit seiner Politiker, der Arroganz seiner Eliten und der zutiefst reaktionären Haltung nicht weniger Divinobles durchaus selbst eingebrockt – und wie An-Anadur absolut treffend analysierte – auch durchaus verdient hatte.

"Wir werden verhandelt müssen" brach Trevastan die Stille.
"Verhandlungen sind gut" warf An-Anadur nassforsch ein, "aber mit wem und über was?"
"Mit Angevinien und den angevinischen Archpeers" erklärte Trevastan, "es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als die Archpeers von Angevinien als gleichwertige und gleichrangige Divinobles anzuerkennen und Terastan für seine Taten mit der Hälfte seines Vermögens büßen zu lassen, wenn wir erreichen wollen, dass Trevan ab Oceanam und Siman ab Chiberam – womöglich dann auch bald Roman und Marlan – davon absehen, weitere Uxvirs von sorenischen Divinobles zu Divinobles zu machen."
Aufgebracht griff An-Anadur ihn nun an: "Das ist eure Lösung? Anstatt dass ihr an der Situation hierzulande etwas ändert wollt ihr Trevor dazu bringen den hiesigen Uxvir einfach die Tür zum Fluchtweg vor der Nase zuzuschlagen?"
An-Anadur bebte vor Wut und als Ieran etwas sagen wollte, fuhr er ihn wütend an: "DU sagst jetzt besser nichts! Oder bei Libulan, ich bin schneller mit dem Flieger auf dem Weg nach Kingstown-of-the-North als du Anadurino sagen kannst!
Vielleicht hätten Isador und ich als Isadan und Anadan wirklich ein besseres und freieres Leben. Trevan würde uns im Kreise der Archpeers von Angevinien sicher herzlich willkommen heißen!"

Die Tirade von An-Anadur hatte Ieran wie auch Trevastan erblassen lassen.
"So denkst du über uns?" fragte Ieran dann doch und seine Stimme klang enttäuscht und verletzt.
"Wie soll ich denn über euch denken" erwiderte An-Anadur die Wut in seiner Stimme war einer großen Enttäuschung gewichen, "es ist eben nicht ausreichend, dass ihr mit mir und Isador nicht so seit. Solange ihr untätig zuschaut wie die Hernans und Terastans in Sore sich so verhalten, wie das zum Beispiel Hernan gegenüber Marlur oder Terastan gegenüber Trevor taten, fällt es schwer euch anders zu sehen."
"Du musst uns auch verstehen, irgendwie müssen wir den Laden doch auch zusammen halten" appellierte nun Trevastan an An-Anadurs Verständnis. Der aber hatte keines: "Nun, offensichtlich scheint das nicht der richtige Weg zu sein, wenn ich mir so anschaue wie es mit Terastan, Trevan, Siman, Roman und Marlur so läuft und gelaufen ist. Vielleicht ist es doch Zeit für mehr Veränderungen wagen..."
"Anadurino, Schatz, mir macht das doch auch keine Freude" versuchte es nun Ieran, aber dieser blaffte nur eingeschnappt: "Das will ich auch hoffen, das wäre ja noch schöner!"
"Ja was soll ich denn machen, deiner  Meinung nach? Einfach hinschmeißen?" wurde nun auch Ieran emotional.
"Wäre eine Lösung die ich begrüßen würde" entgegnete An-Anadur, "aber falls dir das zu drastisch ist, wie wäre es wenn der Divinimperator sich einmal öffentlich dazu äußert, dass die Grundrechte des Leix Basic⁴ von Sore auch für Uxvirs gelten?
Wie wäre es mit einer Regelung, dass ein Divinoble wenn er sich von seinem Uxvir trennt, ihm gegenüber weiterhin unterhaltspflichtig ist in dem Sinne, dass er ihm Rationen seines Divinpotion schuldet? Unser Staat hat unzählige Regelungen um den wirtschaftlich schwächeren Partner in Ehen zu schützen, um Unterhalt für diesen Partner und Kinder zu sichern und um Zwangsehen zu verhindern und den Konsum und die Abgabe von Drogen zu regulieren. Alle diese Regelungen greifen im Verhältnis Divinobles einerseits und Uxvirs andererseits überhaupt nicht – und weder unsere Regierung, noch der Rat, noch der Divinimperator oder irgendwer in Senat oder Convent scheint darinne ein Problem zu sehen oder das als Problem überhaupt auf dem Schirm zu haben!"
"Das ist nicht so einfach..." versuchte Trevastan lahm einen Einwand, aber An-Anadur unterbrach ihn rüde: "Doch ist es. Aber wenn man natürlich immer eine Politik der Placartion⁵ fährt um Gestalten wie Eurem Bruder oder Hernan nur ja nicht auf die Füße zu treten, dann muss man sich nicht wundern."
Etwas ruhiger fügte er dann hinzu: "Marlur macht das doch nicht weil er so geil darauf ist Divinoble zu werden. Der hat einfach nur kein Bock mehr darauf, dass sein Virion ihm seine Karriere verbietet als wäre er eine Hausfrau im 26. Jahrhundert!"
"Aber die Lösung kann doch nicht sein, dass jeder unglückliche Uxvir nach Angevinien geht und da zum Divinoble wird" konterte Trevastan.
"Wenn es in Sore keine Lösung gibt, wird das für viele aber genau die Lösung sein" hielt An-Anadur ihm vor.

"Trotzdem müssen wir mit Angevinien verhandeln" beharrte Trevastan, "was, wenn Trevor und Simur jeden der es sich leisten kann gegen viel Geld zum Divinoble machen?
Es gibt genügend Menschen die bereit wären dafür zig, wenn nicht Hunderte an Millionen oder gar Milliarden auszugeben – auch in Sore. Und was wenn Trevor das jedem anbietet, der ihm wichtige Schlüsseltechnologien oder neueste Waffen und so weiter aushändigt?
Gegen die Verlockung auf ein Leben von 800 statt achtzig Jahren dürfte kaum eine Maßnahme ankommen können!"

"Das verdankt ihr alles eurem Weggucken gegenüber Terastan. Der hat euch den Trevor erschaffen mit dem ihr es jetzt zu tun habt" stellte An-Anadur fest und konnte ein wenig Schadenfreude nicht unterdrücken, "ich will ja nicht sagen: 'Ich habe es euch gesagt' aber mich dünkt es, Terastans Tun hat nicht ihm den Endsieg sondern Sore den Endgegner geschaffen.
Und dennoch sitzt ihr hier und bemitleidet euch selbst weil ihr deswegen jetzt Hernan sagen müsst das Schluss mit lustig und seinesgleichen ist. Ich kann auch mit einem Divinimperator Trevan leben, aber falls ihr das nicht könnt, dann solltet ihr begreifen, dass es nicht fünf vor Zwölf sondern zwei vor Zwölf ist. Die Uhr tickt..."

****

Fünf vor Zwölf war es in New Gersuy als die P-3607 der PanAn⁶ abhob und sich auf den Weg über den Antautischen Ozean machte.
Die aus einem Zusammenschluss regionaler Luftfahrtgesellschaften hervorgegangene PanAn war inzwischen eine ernsthafte Konkurrenz für die Angevinian Lyftways und die Ecossia and Western geworden, auch, weil sie es geschafft hatte eine Verbindung von Tschinkyu über den Maximischen Ozean via Fairhaven nach Angels Port und von dort weiter über New Gersuy nach Kingstown-of-the-North zu schaffen.

Nicht nur im Zug konnte sich Isador erstklassigen Reisekomfort leisten, auch in der Luft konnte er das.
Von den drei komfortablen Schlafsesseln ganz vorne in der Maschine waren daher auch zwei für ihn und Marlur reserviert.
Als sie dann in der Luft waren und die sehr aufmerksamen Stewardessen ihnen einen ersten Sekt serviert hatten, richtete Isador seine Aufmerksamkeit auf den Passagier in dem dritten Luxussessel.

Etwas ungläubig stellte er fest, dass er diesen kannte. "Taehyung?" rief er, "Prinz Taehyung?"
Der so angerufene junge Mann wandte sich zu ihm und kaum, dass er Isador erkannte, zierte ein freudestrahlendes Lächeln sein Gesicht: "Oh, Isadon, das ist aber eine Überraschung!"
"Eine schöne hoffe ich" erwiderte augenzwinkernd.
"Oh, aber natürlich!" beeilte sich Taehyung zu versichern.
"Du fliegst auch nach Kingstown-of-the-North?" erkundigte  sich Isador, "wie kommt es?"
"Das tue ich" erwiderte Taehyung, "ich reise in diplomatischer Mission."
"Oh, das klingt spannend" meinte Isador, "was ist das denn für eine Mission?"
Das Lächeln verschwand aus Taehyungs Gesicht als hätte man es ausgeknipst: "Mein Vater.... Der Kaiser von Tihonguk schickt mich zu Hochkönig Trevan. Ich soll ihm... " Taehyungs Stimme wurde leiser als er fortfuhr: "...ich soll ihm meinen Bruder anbieten..."
"Prinz Taejo anbieten? Wofür?" Isador verstand nicht was Taehyung meinte.
"Als sein Prinzgemahl" sprach Taehyung und es war offensichtlich, dass ihm das unangenehm war.
"Oh, dein Vater möchte das Bündnis zwischen Kitaien und Angevinien in Trevors Bett festigen?" kicherte Isador.
"Ja" bestätigte Taehyung etwas einsilbig.
Das bemerkte auch Isador und einfühlsam fragte er nach: "Du scheinst nicht so glücklich damit zu sein?"
Taehyung nickte und fast dankbar sprudelte es aus ihm hervor: "Ich weiß nicht was ich davon halten soll. Mein Vater verschachert ihn wie ein Stück Vieh und trotzdem darf er Thronfolger bleiben..."
"Was stört dich daran?" hakte Isador nach.
"Na ja, er wird weggegeben um sich zu unterwerfen und trotzdem wird er herrschen. Für mich passt das nicht zusammen" erklärte Taehyung, "aber ich kann auch nichts sagen, denn eigentlich wollte mein Vater mich in Trevors Bett schicken und Taejo hat ihn davon abgebracht. Also, wie kann ich ihm da Vorwürfe machen und verlangen dass er deswegen auf den Thron verzichtet? Und trotzdem finde ich es falsch. Es gehört sich einfach nicht..."
"Ich verstehe dich" erwiderte Isador, "aber sie es mal so: Vielleicht ist ein Bruch der Traditionen dann doch besser als Trevors harter Schwanz in deinem Arsch..."
Jetzt wurde Taehyung sehr rot und dann nuschelte er: "Ich weiß und deswegen schäme ich mich ja so sehr, dass ich trotzdem ein Problem damit habe.
"Sieh es mal positiv: Der zukünftige Kaiser, dein Bruder, liebt dich, was ich beim aktuellen Kaiser, deinem Vater, bezweifle" meinte Isador, "dein Bruder wird nichts von dir Verlangen was dir widerstrebt. Also sei nicht neidisch..."

¹Via Ferratam Statis = Staatsbahn
²Söhne von Divinobles
³von der Götter Gnaden Hochkaiser
⁴Uxvirs
⁵Beschwichtigung
⁶Pan-Angevinian Lyft Line

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