#2 Über den Wolken
Als der langweilige Unterricht endlich vorbei ist, freute sich Trevor das Schulgelände schnell verlassen zu können und seinen Augen den weiteren Anblick von Dummor und anderen Dumpfbacke ersparen zu können.
Mit Verve pfefferte er seine Tasche auf den Beifahrersitz seines Armolinnen 300 ML Coupé.
Der silberne Flitzer mit den Flügeltüren war sein ganzer Stolz - und natürlich auch etwas, dass sich in ganz Nordensland, aber auch in Angevinien und Megyarien nur wenige Menschen leisten konnten.
So war es auch nicht ganz verwunderlich, dass es eine gewisse Arroganz war, mit der Trevor sein Gefährt auf den Motorsnellveg aus Keizerstad hinaus zum Luftwaffenstützpunkt in Sosnem steuerte.
Immerhin waren sowohl sein Auto als auch die mehrspurige Schnellstraße ein Symbol für den Anspruch von Nordens Reike im Jahr 1155 nordischer Zeitrechnung, die fortschrittlichste und modernste der großen Nationen zu sein.
Am Luftwaffenstützpunkt angekommen begab er sich direkt zu seinem Ausbilder. Selbstverständlich war auch hier die militaristische Komponente seiner Ausbildung nur schwerlich zu übersehen. Aber Trevor liebte es zu fliegen. War er hoch über den Wolken schienen alle Probleme und Sorgen klein und unbedeutend zu werden und weit unter ihm zurückzubleiben. Oder war es vielleicht ein Gefühl der Freiheit welches er hoch in den Lüften verspürte, auch und gerade weil es Freiheit auf dem Boden seines Vaterlandes so einfach nicht gab?
Um hoch über dir Wolken zu kommen, war man bei Nordens Luchtvapen genau richtig.
Denn anders als die Nachbarländer hatte man den Strahlantrieb erfunden und damit Flugzeuge, die schneller steigen, schneller fliegen und höher fliegen konnte als die Flugzeuge aller anderen Nationen.
Wobei keiner so genau wusste ob Sore überhaupt Flugzeuge hatte und wenn ja, wie die aussahen. Als Ostarien vor 35 Jahren kläglich unterging hatte es auf jeden Fall keine Berichte über eine sorenische Luftwaffe gegeben.
Heute stand die Pl 555 auf seinem Stundenplan. Es war nicht sein erstes Strahlflugzeug dass er fliegen würde, denn Trevor hatte schon sehr viele Flugstunden auf dem Jagdflieger Knivsmeden 262 hinter sich.
Aber die Kn 262 war ein eher kleines Flugzeug mit nur zwei Strahltriebewerken, die Plog 555 hingegen ein schwerer Langstreckenbomber mit gleich acht solcher Triebwerke.
Entwickelt vor allem um auch die angevinischen Gebiete jenseits des Antautischen Ozeans und natürlich die Regionen Sores südlich der Meere in Sore zu erreichen.
Doch diese Hintergründe waren Trevor völlig egal, als er aufgeregt im Cockpit Platz nahm und den großen Vogel zum ersten Mal auf die Rollbahn steuerte.
Erst beim Start merkte er die ungeheure Kraft welche den Flieger innewohnte, doch er konnte mit den auf seinen Körper einwirkenden Kräften gut umgehen, nicht zuletzt weil er regelmäßig zum Krafttraining ging. Das allerdings nicht nur um Fit für das Fliegen zu sein sondern auch, weil er ein wenig eitel war und auf das Erscheinungsbild seines Körpers sehr viel Wert legte.
Bei schönstem Wetter flog Trevor eine große Runde von der Hauptstadt bis nach Rauriken und wieder zurück. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit von über 900km/h brauchte er dafür gerade einmal 75 Minuten bevor er den Bomber wieder gekonnt auf dem Stützpunkt in Sosnem landete.
So hatte sein Ausbilder Overstplatsvanger¹ Gemur Mjolnaren in der Nachbesprechung wenig zu sagen außer ihm anzukündigen, dass man in der nächsten Stunde das Augenmerk auf das Verhalten in kritischen Situationen legen werde. Mit anderen Worten, den Luftkampf trainieren würde.
Dank der beheizten Druckkabine des Bombers musste er sich dann auch nicht groß umziehen sondern begab sich gleich in seiner graublauen Fliegerjacke zurück zu seinem Wagen.
Das Fliegen hatte ihn wie immer in eine gute und leicht euphorische Stimmung versetzt, außerdem freute er sich sehr darauf nun endlich Isador zu sehen. So war es nicht verwunderlich, dass er es sehr eilig hatte zum Haus der Familie fav Turnet zu gelangen.
Nachdem er sehr schwungvoll die Stufen zur Haustür empor gesprungen war, klingelte er alles andere als zurückhaltend.
Isadors Mutter öffnete ihm und begrüßte ihn ehrerbietig.
"Mefru² fav Turnet" grüßt er zurück nur um dann sofort zu seinem Hauptanliegen zu kommen: "Ist Isador da? Ich würde ihn gerne zum Abendessen entführen."
"Kommen Sie herein, Isador ist am Fernpauser³ und sendet seinem Vater ein Lichtbild" erwiderte seine Mutter.
"Wäre dafür ein Fernbildgerät⁴ nicht besser geeignet?" erkundigte er sich während er das Haus betrat. "Sicherlich" antwortet sie ihm, "aber so etwas können wir uns einfach nicht leisten."
Isador hatte wohl bereits seine Stimme vernommen oder die Türklingel gehört, denn er kam ihm schon im Flur entgegen.
"Bist du bereit?" wollte Trevor wissen und Isador nickte nur und deutete auf die Tasche in seiner Hand: "Kann losgehen!"
Instinktiv zieht Trevor ihn in seine Arme, dann wurde ihm klar, dass das vielleicht etwas übertrieben war und so ließ er ihn wieder los und rettete sich in einen kumpelhaften Handschlag.
"Mein Auto steht draußen, komm" forderte er Isador auf ihm zu folgen.
Dieser war nur allzu bereit seinem besten Freund, den er verehrte und bewunderte und zu dem er aufsah im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, zu folgen. Er war einfach gerne mit ihm zusammen, denn Trevor gab ihm ein Gefühl von Sicherheit und Anerkennung wie es ihm sonst keiner gab.
Ob Isador auch so gedacht hätte, wenn ihm da schon klar gewesen wäre, wohin seine Schwärmerei für den Älteren sie beide, ihre Familien und das ganze Land noch führen würde? Dass ist schwer zu sagen, denn so oft sich Isador diese Frage schon gestellt hat, so oft ist er auch zu dem Ergebnis gekommen, dass er die Antwort einfach nicht weiß.
Nichtsahnend aber war er so einfach nur sehr glücklich neben Trevor in dessen atemberaubenden Sportwagen zu sitzen und dessen Aufmerksamkeit so wie die der Passanten auf dem Weg zu Trevors Zuhause genießen.
Letzteres war natürlich nirgendwo anders als im Storledarhuvdkontor⁵.
Natürlich nicht in dem Teil der Regierungszwecken und der Repräsentation diente, sondern in dem sich daran anschließenden Wohnräumen, die aber eher einem Stadtpalais entsprachen als nur eine Wohnung zu sein.
Da die Wachen aber Trevors Wagen längst kannten, konnte der ohne Probleme direkt in die Tiefgarage fahren, von wo aus beide unerkannt direkt in die Räumlichkeiten von Trevor gelangte.
Dort angelangt pfefferte der als erstes einmal seine Sachen in eine Ecke, anders als Isador der seine vorsichtig auf einen Stuhl ablegte.
"Was willst du essen" fragte Trevor ihn auch schon während er zum Hörer des Hausfernsprechers griff.
"Mach dir bitte nicht soviele Umstände" erwiderte der nur bescheiden, was Trevor zum lachen brachte und zu der Anmerkung: "Die Umstände mache ich ja dem Personal und nicht mir, mein Kleiner!" "Ja trotzdem" nuschelte der daraufhin verlegen. "Weißt du was, ich frage einfach mal nach, was da wäre" beschloß Trevor daraufhin und wählte eine Nummer.
Es dauerte kurz, dann hatte er wohl jemanden in der Leitung: "Ja Trevor hier, hallo Adora, sag mir mal bitte was du uns zum Essen jetzt noch anbieten könntest?" Kurz hörte er zu, dann bestätigte er: "Ja für zwei, ich und Isador..."
Nachdem er wieder gelauscht hatte wandte er sich an Trevor und fragte ihn, während er mit einer Hand den Hörer zuhielt: "Kartoffelpuffer mit Kompott, wäre das in Ordnung?"
Isador war sofort Feuer und Flamme: "Oh ja, ich liebe Süßes!"
Deshalb bist du auch so süß! schoss es Trevor durch den Kopf, nur um Sekunden später über seinen eigenen Gedanken zu erschrecken: Ich bin ein Mann, ich darf Isador nicht süss finden!
Er fasste sich aber schnell wieder und erklärte Adora, die immer noch am Fernsprecher auf seine Antwort wartete: "Wir nehmen die Puffer, auf mein Zimmer bitte!"
Noch immer stand Isador unschlüssig herum während sich Trevor nach dem Anruf bei Adora längst auf das Sofa gepfläzt hatte.
"Setz dich doch!" forderte er nun seinen Freund auf doch neben ihm Platz zu nehmen.
Isador schien nur auf diese Aufforderung gewartet zu haben, denn sehr schnell war er auf dem freien Platz neben Trevor und lehnte sich mit seiner Schulter ganz vorsichtig an dessen Seite.
Der hatte damit aber so garkein Problem und schob seinerseits ganz unauffällig seinen Arm um dessen Schultern bevor er ihn fragte: "Möchtest du Fernsehen?"
"Ja gerne" erwiderte der und wollte schon eifrig aufspringen um das klobige Gerät gegenüber im Raum einzuschalten. Er wurde jedoch von Trevor zurückgehalten, der eine kleinen Kasten mit Tasten und einem Kabel dran vom Tischchen neben dem Sofa nahm und mit diesem und den ironischen Worten "Simsalabim" den Fernsehapparat einschaltete.
"Oha, mit Fernbedienung" staunte Isador und seine Stimme schlug in Bewunderung um, als die Flimmerkiste nun die ersten Bilder zeigte: "Du hast einen mit Farbe?"
"Wie du siehst" lachte Trevor und freute sich insgeheim über das Staunen und die Bewunderung seines Freundes.
Den Bildschirm füllte indes eine leicht flatternde Nationalflagge von Nordens Reike, der schwarze Adler mit den gekreuzten goldenen Schwerter auf blutrotem Grund.
Dazu erklang die Hymne von Nordenland:
"Eine heilige Flamme
Erhebt sich aus der Heimat Boden
Und ein begeistertes Nordreich
Grüßt Euch oh Storledar!
Alle deine Kinder die Euch lieben
Und Eure Jahre verehren
Rufen 'Hier!'
Bei Eurem höchsten Aufruf
Storledar, wir kommen!
Vor Euch, den Retter des Vaterlandes
Wir schwören Ihnen, wir Eure Jungs!
Zu dienen und Euch zu folgen.
Storledar, wir kommen!
Ihr habt uns Hoffnung gegeben
Das Vaterland wird wieder erstrahlen
In alter Größe und Macht.
Storledar, wir kommen!
Ihr habt endlos gekämpft
Für das Wohl unseres Volkes
Wir sprechen mit größter Hochachtung
Vom Helden von Reissel!
Indem Ihr uns Euer Leben gebt
Euer Genie und Euren Glauben
Rettet Ihr unsere Heimat
Auch noch zweites Mal.
Storledar, Storledar
Hier sind wir alle
Wir sind da!"
Noch bevor die Hymne endete, merkte Trevor mit spöttischer Stimme an: "Oh die Abend'nachrichten', die beste Gelegenheit das Gesicht meines Alten einmal täglich voll und in Farbe zu sehen."
Man sah Isador deutlich an, dass er nicht wusste wie er auf diese Aussage adäquat reagieren sollte und so sagte er einfach nichts in der Hoffnung, dass sein bester und einziger Freund auch keine Äußerung von ihm dazu erwartet hatte.
Wie von diesem vorhergesagt erschien auch schon dessen Vater auf dem Bildschirm und eine triumphierende Stimme verkündete:
"Heute eröffnete unser geliebter Großer Anführer den Nordtak-Helve-Kanal. Einmal mehr beweist dieses Meisterwerk der Ingenieurkunst die Überlegenheit des Volkes von Nordenland in zivilisatorischer, kultureller und technischer Hinsicht!
Der 360km lange Kanal verbindet..."
"Überlegenheit in zivilisatorischer Hinsicht" ätzte Trevor da auch schon,"Überlegenheit in der maximalen Ausbeutung von Zwangsarbeitern trifft es wohl eher!"
"So etwas darfst du nicht einmal denken" wisperte Isador erschrocken.
Der Ältere schwieg kurz, dann wendete er sich zu dem Jüngeren, fasste dessen Gesicht liebevoll mit seinen Händen nur im sich dann vorzubeugen und seine Lippe verlangend auf die des Kleineren zu pressen. Zu seiner großen Überraschung erwiderte dieser den Kuss und kurz versanken beide in diesem wunderbaren, kribbelnden Gefühl welches von ihnen Besitz ergriff. Dann riss sich Trevor los und raunte süffisant: "...und sowas darf ich nicht einmal machen. Und, was will mein Alter jetzt machen? Mich in ein Lager stecken, mich hinrichten?" Er lächte höhnisch. Der Gedanke aber, dass diese Intimität mit Isador auch etwas sein könnte, dass man diesem und nicht nur ihm ankreiden könnte, der kam ihm nicht.
Der schaute ihn noch immer ganz versonnen an und fragte: "Was ist das, hier mit uns beiden?"
Gerade als Trevor etwas antworten wollte, klopfte es an der Tür und herein trat Adora mit den Kartoffelpuffern.
"Danke Adora, dass du dir noch die Mühe gemacht hast" bedankte sich Trevor höflich bei ihr bevor sie den Raum wieder verließ, ihre Mimik zeigte dabei deutlich, dass so eine Dankeschön an sie in diesem Hause eher selten war.
"Was denkst du was es ist?" nahm Trevor die Unterhaltung wieder auf, kaum, dass die Tür hinter Adora ins Schloss gefallen war.
"Ich weiß es nicht" erwiderte Isador, "wenn du in meiner Nähe bist fühle ich mich aufgeregt und beruhigt zugleich und dann möchte ich dich so gerne berühren..." Er verstummte kurz bevor er fortfährt: "Und wenn du nicht da bist, dann habe ich dieses Gefühl von Leere und ich muss andauernd an dich denken..."
Aus dem Gesicht von Trevor ist nun jede Belustigung, jede Ironie verschwunden als er Isador in die Augen schaut und ganz ernst sagte: "Du bist verliebt, mein Kleiner!"
"Verliebt in wen?" fragte der verwirrt.
"Was denkst du?" kam es daraufhin sehr liebevoll von Trevor.
Und dann verstand Isador es und mit weit aufgerissenen Augen stammelte er: "In dich! Aber das ist...
"Verboten? Sorenische Dekadenz?" fiel ihm Trevor ins Wort, "ja das ist es. Aber es ist auch wunderschön, denn ich fühle dasselbe für dich!"
"Deswegen hast du mich geküsst vorhin und..." überrollte die jähe Erkenntnis nun Isador.
"Ja" bestätigte der Größere schlicht mit trauriger Stimme.
"Und was machen wir jetzt?" wollte der Kleinere wissen und obwohl Trevor klar war, dass der die Frage weit gefasst meinte, antwortete er hoffnungsvoll: "Noch einmal küssen?"
¹Oberstleutnant
²Höfliche Anrede, wie Madame in Frankreich.
³entspricht einem Faxgerät
⁴Gerät zur Fernübertragung von Bildern durch Übermittlung elektrischer Signale.
⁵Hauptquarier des Großführers, Reichskanzleramt
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