#102 Trotzdem mein Bruder
Während Angeviniens Home Fleet sich auf den Weg zum Großen Kanal des Storeledar machte und die Flotte, die Angevinien in den Golf von Choresmia entsandte nun vor dem Erreichen desselben zurückgepfiffen wurde und nun im Südlichen Ozean vor Sindhurat tatenlos herumschipperte, trafen sich in Allobroga unter größter Diskretion der Vertreter von Angevinien und der Vertreter von Sore um zu verhandeln.
Lord Simon, der Angevinien vertrat und Elasan ab Dianam, der Sore vertrat, hatten eigentlich nicht viel zu verhandeln.
Die Angelegenheit mit Roman war geklärt, die Angelegenheit mit Terastans Vermögen auch, man war sich auch einig, dass man beidseitig keine Interessen gegeneinander hatte und an stabilen, guten Beziehungen interessiert war.
Aber beide Seiten hatten ein pikantes Problem.
Für Sore hieß dieses Problem Terastan und für Angevinien lautete der Name Marla.
Oder anders gesagt: Elasan hatte die delikate Aufgabe, Simon klarzumachen, dass Sore kein Interesse an einer Rückkehr Terastans hatte und Simon wiederum war damit beauftragt zu sondieren, ob Sore nicht Marla und den engsten Kreis der Marlaisten in einer entlegenen Ecke - am besten im hintersten Friqiya - des Imperion internieren und so verschwinden lassen könnte.
Eigentlich keine schwere Aufgabe hätte man annehmen können, Sore interniert Marla und im Gegenzug behält Angevinien Terastan.
Ja - wenn beide Seiten von den Wünschen und Absichten der jeweils anderen Seite gewusst hätten.
Doch genau das war eben nicht der Fall.
"Alsoooo, dann bliebe da noch Terastan..." wandte sich Simur dem nächsten Punkt zu.
"Ja Terastan" bestätigte Elasan mit denkbar unbegeisterter Stimme und seufzte.
"Ich sehe schon, er erfreut sich auf Eurer Seite ähnlicher Beliebtheit wie auf unserer" scherzte Simur.
"Lord Simon, darf ich offen sprechen?" raffte sich nun Elasan auf, alles auf eine Karte zu setzen und auf den Punkt zu kommen.
"Ich bitte Euch darum Iaune¹ Elasan" ermutigte ihn Simur sofort.
"Nun, in Sore ist niemand an der Rückkehr von Terastan ab Apollam interessiert, wenn Ihr versteht was ich damit sagen möchte..." erklärte Elasan ihm.
Kurz war Stille, dann verstand Simur was Elasan ihm sagen wollte und ein vergnügtes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit als er entgegnete: "Verstehe. Nun, das trifft sich gut, denn auch Angevinien möchte einige Personen die es zwar nicht mehr in Sindhurat sehen will trotzdem ganz ungern in Angevinien sehen..."
Kurz war Elasan irritiert, dann verstand er und grinste ebenfalls: "Ihr sprecht von Marla..."
"Richtig" kam es von Simur, "mich dünkt wir können uns da gegenseitig helfen..."
"Ihr lasst Terastan erstmal eine Strafe absitzen..." spann Elasan den Faden fort welchen Simur nun wieder aufgriff: "...und Ihr gewährt Marla Asyl mit der Auflage sich in einem entlegenen Eck des Imperions aufzuhalten..."
"Das könnte wirklich funktionieren oder?" überlegte Elasan laut und zu seiner Freude stimmte Simur ihm zu: "Das wird funktionieren!"
"Dann lasst uns anstoßen mit einem edlen Catalauner" war Elasan nun sehr enthusiastisch, "ich bitte den knuffligen Jungen uns eine Flasche und Gläser zu bringen!"
"Den Andrin?" erwiderte Simur und auch ihm war die Erleichterung deutlich anzumerken.
"Wer?" erwiderte Elasan.
"Der Getränkeboy, sein Name ist Andrin" erklärte ihm Simur, "der, den Ihr knufflig findet..."
"Ah, ja, so..." begriff Elasan nun während er nach besagtem Andrin klingelte.
Der stürmte auch gleich herein, verbeugte sich tief und fragte:
"Què puc fer pels senyors?²
"Le català si us plau!³" befahl ihm Elasan
"Molto bé!⁴" sprach der nun und verschwand wieder.
"Ihr sprecht Gallobrogisch?" staunte Simur.
"Wie Ihr seht" bestätigte Elasan, "wie Ihr an Andrin seht, lohnen die allobrogischen Jungs diese Mühe allemal.. "
"Demnach seid Ihr noch ungebunden Iaune¹ Elasan?" startete Simur nun den Small-Talk.
"So wie Ihr Lord Simon" erwiderte der.
"Der Andrin wäre also Euer Typ - oder nur was für eine Nacht?" Simur grinste und zwinkerte Elasan zu.
"Ich weiß nicht einmal ob in dem Vorstellungsvermögen der Jungs hier in Allobroga die Möglichkeit es mit einem anderen Mann zu machen überhaupt vorkommt. Mal ganz zu schweigen von dem was ein Divinoble ist und ihnen bieten könnte" gestand der nun mit entwaffnender Ehrlichkeit.
"Aber Ihr könntet euch vorstellen es herauszufinden" schmunzelte Simur.
"Oh, vorstellen kann ich mir viel" griente Elasan nur.
Dann kam Andrin mit der Flasche Catalauner und zwei Gläsern herein, stellte diese auf einem Tisch ab und fragte höflich: "Vols que obri i aboqui?⁵"
"Amb molto de gust!⁶" gab ihm Elasan nun zu verstehen, worauf er geschickt die Flasche öffnete und zwei Gläser mit dem sprudelnden edlen Tropfen füllte.
Elasan griff sich nun eines und reichte ein weiteres an Simur weiter, dann hob er sein Glas und sprach: "Auf die Lösung unserer Probleme!"
Simur erhob sein Glas ebenfalls, stieß mit Elasan an und erwiderte: "Auf Frieden und gute Beziehungen!"
Nach jeweils zwei weiteren Gläsern und einiger Plauderei sowie immer mehr ausziehenden Blicken von Elasan in Richtung Andrin, kamen dann aber beide auf die naheliegende Idee, dass es sinnvoll wäre, ihre Entsenderländer über den gefundenen Kompromiss zu informieren.
*****
Immernoch etwas staksig eilte Isador die Treppe hinab in Trevastans Arbeitszimmer.
Dessen Versprechen er würde ihn noch bis zum Ende der Woche in sich nachspüren, war nur allzu zutreffend.
Schwungvoll riß er die Tür auf und etwas außer Atem meinte er: "Du hast wieder vergessen die Leitung vom Domus Aureus nach unten umzustellen. Du sollst zurückrufen, Nachricht von Elasan liegt vor!"
Etwas unschlüssig blieb Isador in der Tür stehen worauf Trevastan lächelte und meinte: "Komm' rein und setz' dich doch..."
"Haha, sehr witzig" maulte der Jüngere sofort, "sitzen ist ja genau das was ich jetzt brauche..."
"Dann komm halt rein und steh rum'" witzelte Trevastan worauf Isador zwar hineinkam, aber spitz anmerkte: "Das findet auch nur witzig wer noch nie genommen wurde..."
"Hey, wessen Pheromone haben förmlich danach geschrien?" verteidigte sich der Ältere nun und hob abwehrend seine Hände.
Darauf wusste Isador nichts zu entgegnen und schob seine Unterlippe zu einem Schmollmund vor.
"So mein Schmollbärchen, dann melde ich mich jetzt mal im Domus Aureus" sprach Trevastan nun, bevor er mit zunehmendem Sarkasmus fortfuhr: "Vielleicht erfahren wir wann wir meinen allseits geschätzten Bruder wieder bei uns begrüßen können..."
"Ihr verhandelt echt dessen Rückkehr?" Skeptisch zog Isador einr Augenbraue hoch.
Schief grinsend meinte Trevastan darauf nur: "Das habe ich nie behauptet..."
Worauf er die Kurzwahltaste drückte welche eine besonders gesicherte Verbindung ins Domus Aureus herstellte.
"Trevastan ab Apollam" schnarrte er denn auch kurz darauf als dort das Gespräch angenommen wurde.
"Haben Sie bereits als gesicherte e-eps geschickt" meinte er kurz darauf, "dann schaue ich da mal.... Ja nichts zu danken..."
"Ja dann gucken wir mal" murmelte er vor sich hin, "ah schau, da ham' wir se ja.."
Er klickte auf irgendwas, dann befahl er: "Satli, Nachricht vorlesen!"
Kurz darauf erklang die auch Isador längst schon bekannte, etwas monotone synthetische Stimme: "Verlese. Nachricht von: Ständige Vertretung Sores in Allobroga. An: Divinimperator, Regierung, Rat und Senat von: Sore.
Haben Einigung erzielt bezüglich Terastan. Angevinien stimmt Strafhaft unbestimmter Länge in Angevinien zu. Verlangte Gegenleistung: Internierung Marla und Anhänger in Sore. Entlegenes Gebiet dafür seitens Angevinien erbeten. Habe Zustimmung signalisiert. Erbitte Erlaubnis für feste Zusage dringlich. Elasan."
Kurz herrschte Stille. Dann erkundigte sich ein verdutzter Isador: "Verstehe ich das gerade richtig: Sore lässt Terastan durch Trevor wegsperren und bietet als Gegenleistung an dafür Marla bei sich ein wenig in die Wüste zu schicken?"
"So verstehe ich das auch" bestätigte Trevastan ihm trocken.
"Hast du davon gewusst?" fragte Isador sofort.
"Gewusst - wovon?" wich sein Virion dieser Frage aus.
"Davon, dass Sore vor hat Terastan an Angevinien abzuschieben wie man einen aggressiven, bissigen Hund ins Tierasyl bringt?" insistierte Isador.
"Wir reden hier von meinem Bruder" wich Trevastan einer Antwort erneut aus.
"Das ist mir durchaus bewusst, beantwortet aber meine Frage nicht, mein Hengst" ließ sich der Jüngere nicht davon abbringen eine Antwort zu verlangen.
Doch der Ältere wollte diese Antwort nicht geben: "Hättest du ihn denn gerne wieder hier bei uns?"
"Das war nicht meine Frage" konterte Isador hartnäckig.
"Niemand in Sore wollte ihn wieder zurück!" Ausweichen hatte Trevastan echt drauf.
"Auch die da Fuoras oder Hernan nicht?" konterte Isador besserwisserisch denn dass sein Virion ständig seinen Fragen auswich begann ihn ein wenig zu ärgern.
Das schien Trevastan nun auch aufzugehen und ein wenig widerwillig brach es aus ihm heraus: "Verdammt ja. Ich wollte ihn auch nicht wieder hier haben. Ja, ich wusste davon und ja, ich war dafür! Jetzt zufrieden?"
"Na also, geht doch" stellte Isador spöttisch fest, "warum nicht gleich so..."
Zu seiner Überraschung traf er damit bei Trevastan einen wunden Punkt. "Warum" fuhr der ihn nun an, "weil er mein Bruder ist vielleicht? Weil ich nicht stolz darauf bin dafür zu sorgen, dass mein eigener Bruder in der Fremde weggesperrt wird wie ein bissiger Hund? Meinst du mir fällt das leicht?" Etwas leiser fügte er resigniert an: "Auch wenn ich weiß, dass ich das Richtige tue..."
Isador begegnete diesem Ausbruch seines Virions erst mit Schweigen. Dann aber gab er zögerlich zu bedenken: "Aber eine Lösung auf Dauer ist das auch nicht. Ich mein für Marla, da hat sich das in fünfzig, sechzig Jahren von alleine erledigt. Aber ändern deinen Bruder denn ein paar Jahrzehnte unter der Fuchtel von Trevor? Oder wird er dann nicht noch ärger und rachsüchtiger als er ohnehin schon ist?"
"Denkst du mir ist nicht klar, dass wir so nur Zeit gewinnen und das keine Lösung ist?" erwiderte Trevastan und Isador war sich sicher, dass da ein Hauch von Verzweiflung in seiner Stimme mitschwang.
Erstaunlich rasch war Isador nun um den großen Schreibtisch herumgeeilt, hatte seine Arme um Trevastan geschlungen und sich von hinten an diesen gepresst.
"Ich wusste nicht, dass dich das so mitnimmt" entschuldigte er sich, "sonst hätte ich nicht gefragt..."
"Es ist nicht einfach" seufzte Trevastan, "ich verbanne meinen eigenen Bruder – auch wenn er ein Arsch ist und es gute Gründe gibt das zu tun.... ...verbanne ich meinen eigenen Bruder!"
"Ich kann da nicht mitreden" erwiderte Isador, "ich habe keine Geschwister..."
"Manchmal wünschte ich, ich hätte auch keine" flüsterte Trevastan, "oder zumindest andere als ihn..."
"Es tut mir so leid..." wisperte Isador, "wirklich so leid..."
"Ich liebe dich Isador" sagte Trevastan daraufhin. Und dieser erwiderte völlig gelassen: "Ich weiß. Ich dich auch...."
*****
Auch Simur hatte natürlich nach Kingstown-of-the-North Bericht erstattet.
"Also ich und meine Regierung raten dringend dazu, dem Kompromiss zuzustimmen" schlug eine sichtlich zufriedene Hilda Slater vor, "aber da es ja nicht nur um Marla sondern auch um euren ehemaligen Gemahl geht, wollten wir das nicht ohne Euch entscheiden Sire."
"Das ehrt Sie" erwiderte Trevor, "aber um ehrlich zu sein, Wir haben unseren vormaligen Gemahl lieber hier unter Unserer Kontrolle als das er womöglich wieder in Sore herumagieren und -agitieren kann. Und was Marla angeht: Wir begrüßen, dass sie Sindhurat verlassen muss. Aber Wir würden sie nur ungern hier begrüßen, das sind wir uns wohl alle einig. Von daher erscheint Uns das eine echte Win-Win-Situation und Wir unterstützen Unsere Regierung darinne, diesem Kompromiss schnellstmöglich zuzustimmen."
"Schicken wir Marla in die Wüste!" gab sich die Slater scherzend kämpferisch und Trevor stimmte lachend zu: "Aber dieses Mal bitte endgültig. "
So stimmten am Ende beide Seiten dem gefundenen Kompromiss zu und setzten ihren jeweiligen Vertreter in Allobroga darüber in Kenntnis.
Nicht mehr ganz nüchtern waren Lord Simon und Iaune Elasan dann, als sie endlich das ausformuliere 'Übereinkommen über die Normalisierung der Beziehungen und über das Verfahren in Bezug auf Displaced Persons" unterzeichneten und im Namen der von ihnen vertretenen Staaten besiegelten.
Und das vor laufenden Fernsehkameras.
Sich ein weiteres Glas Catalauner von Andrins Tablett nehmend, hielt Elasan dieses empor und frohlockte: "Das ist geschafft! Frieden für unsere Zeit!"
Auch Simur nahm sich ein Glas, prostete Elasan und den Fernsehkameras zu und rief: "Peace for our time!"
Über den genauen Inhalt des Abkommens warte man aber Stillschweigen. Weder die Öffentlichkeit in Sore noch die in Angevinien erfuhr etwas über das Schicksal von Marla und Terastan.
Kaum aber, dass die Kameras und die Reporter entschwunden waren, nötigte Elasan den armen Andrin mit ihm anzustoßen auf den Frieden. Und ein Gläschen zu trinken. Und dann nochmal...
Vom Frieden konnte man im belagerten Tsarskiymesto und im bombardierten Tsarigrad allerdings nur träumen.
Doch die auf das einst so prächtige Tsarskiymesto niederhagelnden Bomben und Geschosse trafen auch den Zimniy Dvorets, die Hauptresidenz der silistrischen Zaren. Und brachten somit wenigstens einem den Frieden, denn Zar Nikolaj starb vor Aufregung an einem Herzschlag.
Doch sein Sohn, der Zarewitsch, der nun neuer Zar wart, verstand die Botschaft der doch in Silistrien so hochverehrten Götter nicht, verstand nicht was Czernobog ihm mit dem Tod seines Vaters sagen wollte und so fanden nur diejenigen in Silistrien ihren Frieden, die ihrem Zaren in das Reich Czernobogs folgten.
Und dank der Unvernunft ihrer Führung stand dem Czernoglowy noch eine reiche Ernte bevor...
¹Iaune ist das sorenische Äquivalent zu Lord
²Was kann ich für die Herren tun?"
³Den Catalauner bitte.
⁴Sehr wohl
⁵Möchtet Ihr dass ich öffne und einschenke?
⁶Gerne
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