~ 9 ~
Taehyung PoV
Müde reckte ich meine erschöpften Glieder, bevor ich mich geschafft auf mein Bett schmiss.
Als wäre der Tag nicht schon aufwühlend genug gewesen, war ich bis gerade auch noch im Krankenhaus bei meinem Vater gewesen und wir hatten darauf gewartet, dass er endlich aufwachte.
Gestresst massierte ich mir die Schläfen. Das war definitiv zu viel zu Verarbeiten für einen Tag.
Nachdem ich mit meiner Mutter mitgefahren war, hatte ich keinen Gedanken mehr an Jeongguk oder den Kuss verschwenden können.
Umso unvorbereiteter prasselten die Emotionen, sobald ich wieder alleine in meinem Bett lag, auf mich ein und drängten sich schmerzhaft in den Vordergrund.
Was hatte ich mir dabei eigentlich gedacht, Jeongguk wollte jetzt bestimmt nichts mehr mit mir zu tun haben.
Und mit Mina würde ich auch endgültig Schluss machen müssen. Die Frage außenvorgelassen, ob ich nun tatsächlich schwul, bi oder was auch immer war, hatte ich sie damit quasi effektiv betrogen und obwohl sie mir nie sonderlich am Herzen gelegen hatte, spürte ich mein schlechtes Gewissen sich bemerkbar machen.
Das schrille Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken.
Seufzend drückte ich mich genervt vom Bett ab, um es von meinem Schreibtisch zu nehmen. Auf Mina und ihre Launen hatte ich gerade wirklich keine Lust.
Ohne das Display auch nur eines Blickes zu würdigen, nahm ich den Anruf entgegen und plapperte sofort drauf los: »Mina, ich hatte einen langen und anstrengenden Tag und habe gerade wirklich keine Lust auf deine-«
»Taehyung?«, unterbrach mich fragend eine tiefe Stimme. Seine tiefe Stimme.
Eigentlich war seine Stimme, im Gegensatz zu meiner nicht wirklich tief, aber ich hatte das Gefühl, dass es nicht die Stimmlage war, die seine Stimme so tiefen klingen ließ. Eher hatte sie etwas Dunkles, Rohes.
Ich hingegen fiepste ständig herum, was mit meiner natürlichen Stimmfarbe umso lächerlicher klingen musste.
Entsetzt riss ich die Augen auf. »Jeongguk? Oh ähm aish, tut mir Leid, ich dachte, du ich-«, begann ich wild zu stammeln.
Am anderen Ende der Leitung hörte ich den Jüngeren rau lachen. Mein Herz wurde schwer.
»Mina also?«, ertönte seine kratzige Stimme dann erneut.
Obwohl wir nur telefonierten, konnte ich es nicht verhindern, dass mein Gesicht puterrot anlief. »Ja, also nein, also ähm wir sind nicht, also nicht mehr, öhm also bald-« Mein Gehirn schien gänzlich seine Tätigkeit eingestellt zu haben.
»Hey, Tae. Alles ist gut, du bist mir keine Rechenschaft schuldig«, fiel der Schwarzhaarige mir ins Wort.
Ich schluckte schwer und spürte ein winziges Stechen in meiner Brust. Es war ihm scheinbar egal.
»Ich wollte mich nur erkundigen, wie es deinem Vater geht«, fuhr Jeongguk fort.
Meine Mundwinkel sanken weiter. »Ach dem geht es soweit gut«, entgegnete ich lustlos.
»Du klingst aber nicht begeistert.«
»Nein nein, so ist es nicht«, entgegnete ich schnell. »Ich bin nur unglaublich erschöpft, wir waren den ganzen Abend noch bei ihm und als wir gerade nachhause gekommen sind, bestand meine Mutter noch darauf, dass ich das ganze Geschirr von heute Mittag spüle«, erwiderte ich entnervt.
Jeongguks, beziehungsweise mein, Gefühlsausbruch hatte uns den Saustall, den wir in der Küche veranstaltet hatten, völlig vergessen lassen.
»Oh«, murmelte der Jüngere nur in den Hörer.
»Jeongguk?«
»Ja?«
»Danke für heute.«
Einen Moment lang herrschte Stille zwischen uns, bevor der Jüngere irritiert ansetzte: »Wofür? Du siehst doch, ich habe dir mehr Umstände bereitet als alles andere. Und mit deiner Mutter hattest du jetzt bestimmt auch Streit nur wegen mir.« Betreten schwieg er.
»Was redest du denn da?« Energisch schüttelte ich den Kopf, wohl wissend, dass mein Gegenüber das durch den Hörer nicht sah. »Den ganzen Tag bis meine Mutter nachhause gekommen ist, habe ich kein einziges Mal über meinen Vater oder die OP nachgedacht. Alleine wäre ich vermutlich halb umgekommen vor Sorge. Und wegen meiner Mutter brauchst du dir gar keine Gedanken machen, ich weiß nicht, weshalb sie so abweisend reagiert hat, aber normalerweise ist sie nicht so. Wahrscheinlich war es einfach nur der Stress«, versuchte ich Jeongguk aufzubauen
»Jeongguk, du tust so vieles für mich und das auch nur ohne eine winzige Gegenleistung zu verlangen. Ich möchte einfach sicher sein, dass du weißt, dass ich dir dafür sehr dankbar bin und egal, was heute zwischen uns passiert ist, ich möchte nicht, dass das irgendwas zwischen uns än-«
»Taehyung, ich fand es heute sehr schön. Ehrlich gesagt war es für mich einer der schönsten Tage seit langer Zeit.« Seine Stimme war weich, aber dennoch schwang eine gewisse Ernsthaftigkeit in ihr.
Baff schwieg ich einige Sekunden, während sich in meinem Körper ein wohliges Kribbeln ausbreitete.
Ihm hatte es auch gefallen.
»D-dann ist ja alles gut«, stammelte ich.
Erneut herrschte Stille.
Fieberhaft überlegte ich, was ich dem noch hinzufügen könnte, ich wollte nicht, dass unser Gespräch an dieser Stelle schon endete. »Und wegen der Nachhilfe ...du, ich habe wirklich keine Ahnung, was da in mich gefahren ist, aber als ich den wütenden Blick meiner Mutter gesehen habe, hat mein Gehirn irgendwie ausgesetzt und ich meine; wahrscheinlich täte mir Nachhilfe wahrscheinlich echt ganz gut, durch den Umzug habe ich doch noch mehr Stoff aufzuholen, als ich anfangs dachte«, plapperte ich wild drauf los.
»Ich kann dir Nachhilfe geben«, warf Jeongguk plötzlich ein. »Zumindest könnte ich dir etwas beim Lernen helfen, wenn du möchtest«, fügte er leiser hinzu.
Perplex starrte ich das Handy in meiner Hand an. Hatte er das gerade wirklich vorgeschlagen?
Ich wusste nicht so Recht, was ich davon halten sollte. Aber solange ich Jeongguk nah sein konnte, reichte mir das als Grund. Wenn ich mich dadurch gleichzeitig auch noch schulisch verbessern konnte, war das tatsächlich gar keine schlechte Idee.
Ob ich mich jedoch wirklich konzentrieren konnte, wenn Jeongguk in einem seiner hellen Stoffhemden vor mir saß und konzentriert in meine Lernunterlagen schaute, während er sich lässig durch die Haare fuhr? Ich musste ein Seufzen unterdrücken.
»Das würdest du tun? Das wäre wirklich klasse«, nuschelte ich, während ich angestrengt versuchte, die Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben.
»Aber erst in ein paar Wochen. Ich habe momentan viel um die Ohren und werde erstmal wahrscheinlich selbst total eingespannt sein«, murmelte er, als sei er sich jetzt doch unsicher, ob er mir das wirklich hätte anbieten sollen.
Stumm nickte ich, doch scheinbar schien Jeongguk meine Geste trotzdem verstanden zu haben, denn er fuhr unbeirrt fort: »Gut und wir treffen uns niemals bei mir zuhause.« Seine Stimme nahm beinahe unheimlich tiefe Tonlage an, als er diesen Satz aussprach.
»Einverstanden«, murmelte ich beinahe mehr zu mir selbst, als zu ihm.
Insgeheim wusste ich aber, dass ich auf ungefähr jede seiner Bedingungen eingegangen wäre, solange ich ihm dadurch nur nah sein konnte.
__
Einige Wochen verstrichen, in denen sich der Kontakt zu Jeongguk mehr als nur in Grenzen hielt.
Wie Kaugummi zogen sich die Tage, lustlos trottete ich zur Schule, zu meinem hagwon und zur Arbeit, doch meine Gedanken lagen ganz woanders.
Mit Mina hatte ich auch noch nicht gesprochen, unsere langweiligen Telefonate abends mal abgesehen. Mehrfach hatte ich sie bereits gefragt, ob ich sie nicht mal besuchen kommen könnte.
Ich wollte diese Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich bringen, um den Kopf frei zu haben und darüber nachdenken zu können, was ich wirklich wollte.
Selbst Jimin war mittlerweile aufgefallen, dass irgendwas mit mir nicht stimmte, in der Schule fragte er mir in einer Tour Löcher in den Bauch und stellte die wildesten Theorien auf, weshalb meine Stimmung momentan so im Keller war.
Doch ich wollte mit ihm nicht darüber sprechen. Auch wenn ich bereits wusste, dass Jimin ebenfalls schwul war, wollte ich meine Gefühlswelt nicht vor einer dritten Person ausbreiten.
Vielleicht hatte ich aber auch einfach Angst vor den Schlussfolgerungen, die ein Dritter hätte ziehen können.
Vielleicht fürchtete ich mich vor der Tatsache, dass Jimin wahrscheinlich meine Vermutungen nur bestätigen und mir sagen würde, dass ich mich lächerlich verhielt, dass Jeongguk nichts von mir wollte und ich mich überhaupt viel zu sehr in die Sache hineinsteigerte.
Dabei wusste ich selbst noch überhaupt nicht, welche Art von Beziehung mir mit Jeongguk vorschwebte.
Konnte ich es mir wirklich vorstellen, mit ihm zusammen zu sein? Einem Jungen? Wie würden meine Eltern reagieren, wie würden meine Freunde, generell mein restliches Umfeld darauf reagieren?
Südkorea war nämlich nicht gerade für ihre Toleranz gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gegenüber bekannt, so traurig das sein mochte.
Gestresst raufte ich mir die Haare, während ich über meinen Hausaufgaben am Schreibtisch sitzend verzweifelte. Ich konnte mich auf nichts mehr richtig konzentrieren, immer wieder spukte mir Jeongguks Gesicht, der vergangene Kuss und unser letztes Gespräch im Kopf herum.
Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wie ich ihm das nächste Mal, wenn wir uns sahen, unter die Augen treten sollte.
Jedoch wusste ich generell auch noch nicht, wann wir uns überhaupt das nächste Mal sahen. Seit des mehr oder weniger seltsamen Telefonats, dass wir noch an dem Abend geführt haben, an dem wir uns das letzte Mal getroffen hatten, herrschte mehr oder weniger Funkstille.
Gerne hätte ich mich bei ihm gemeldet, aber er hatte gesagt, dass er erstmal sehr beschäftigt sein würde und ich wollte ihn keinesfalls nerven oder aufdringlich wirken.
Trotzdem brachte mich der Kontaktabbruch beinahe um den Verstand. Wann war ich bitte so abhängig von anderen Menschen geworden?
Früher wär ich dankbar dafür gewesen, wenn ich ein paar Wochen lang mal Ruhe vor jedem gehabt hätte und jetzt zerbrach ich mir den Kopf über hypothetische Szenarien, die wahrscheinlich eh niemals in der Realität passieren würden.
Ich war bereits kurz davor aufzugeben und das Lernen für den restlichen Tag gänzlich einzustellen, da brummte mein Handy.
Schnell hob ich es auf, seit Tagen wartete ich schon auf eine Antwort von Yoongi.
Seit meines Umzugs in dieses Kaff litt unsere Freundschaft sehr unter der Entfernung und in letzter Zeit wirkte er bei unseren eh schon seltenen Gesprächen noch abwesender und ausgelaugter, als sonst. Ich hoffte wirklich, dass er sich nicht wieder überarbeitete.
Als ich jedoch einen anderen Namen auf dem Display aufploppen sah, fiel ich beinahe rückwärts von meinem Schreibtischstuhl. Mit zitternden Fingern öffnete ich Jeongguks Nachricht.
›Hast du die Tage Zeit?‹ Mehr nicht. Kein ›Hallo‹, kein ›Wie geht es dir, Tae?‹.
Perplex starrte ich auf den Bildschirm vor mir und bevor ich mich weiter hätte aufregen können, hatte ich bereits eine Antwort eingetippt und abgeschickt.
›Klar, wann immer du kannst.‹
Wow, Tae. Du wirkst ja mal überhaupt nicht verzweifelt.
Kurz darauf vibrierte erneut mein Handy und zeigte mir seine Antwort an. ›Morgen bei dir, 12 Uhr.‹
Schrieb ich hier gerade mit einem Freund oder kaufte ich im Park Drogen von einem Unbekannten?
Anhand der Nachrichten kann man es zumindest nicht zweifelsfrei erkennen, sagte ich zu mir selbst, bevor mein Handy erneut einen Ton von sich gab.
›Ich hoffe, du hast gut gelernt, damit ich dich nicht tadeln muss.‹ Automatisch schoss mir das Blut ins Gesicht.
Dieser Junge war wirklich unverbesserlich.
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