~ 8 ~
Jeongguk PoV
Höllische Schmerzen durchzuckten abermals meinen Körper, als ich mich in das kühle glatte Leder der Sitze des Sportwagens meines Vaters sinken ließ.
Erneut überprüfte ich, ob alle Verbände richtig saßen und nichts durchblutete. Ich würde es nicht überleben, wenn meine Eltern herausfänden, dass auch nur irgendjemand ansatzweise was von meinem Verletzungen mitbekommen hatte.
Erschöpft war ich versucht, meinen glühenden Kopf an die kalte Fensterscheibe zu lehnen, die durch die stickige Luft im Auto immer noch von innen leicht beschlagen war, aber ich durfte nicht vergessen, mit wem ich hier im Wagen saß.
Und so riss ich mich mit letzter Kraft zusammen, konzentrierte mich darauf, dass meine Atmung in gleichmäßigen Stößen erfolgte und fixierte die winzigen Tropfen Kondenswasser, die sich unregelmäßige Wege an der beschlagenen Fensterscheibe hinabbahnten.
Meine Uni, die Seoul National University – kurz SNU – ist eine der führenden Universitäten dieses Landes, ausgezeichnet nicht nur durch den Korean Council for University Education, sondern auch von der Association to Advance Collegiate Schools of Business für ihre herausragende Wissensvermittlung im internationalen Managementbereich; selbst das Bildungsministerium Koreas ließ hier einiges an Subventionierungen einfließen.
Lediglich 10% aller Bewerber erhielten einen der begehrten Studienplätze, was sie landesweit zu einer der Universitäten mit dem strengsten und schwersten Auswahlverfahren macht.
Dementsprechend hoch waren auch die Studiengebühren, zwischen 3000000-6000000 ₩ zahlte man jährlich an die Institution, für eine Familie meines Ranges war das nicht der Rede wert, aber manch Andere verkauften teilweise ihr letztes Hab und Gut, um ihren Kindern die nur bestmögliche akademische Ausbildung zu ermöglichen.
Ein einfacher Uniabschluss war nämlich in Südkorea lange kein Garant für eine erfolgreiche Karriere, nicht zuletzt der schlechten Innenpolitik und der Überakademisierung geschuldet. Viele versuchten ihr Glück deshalb im Ausland.
Hätte man mich gefragt, wäre ich auch gerne ins Ausland gegangen, so weit wie möglich weg von diesem Land und meiner Familie, aber das würde wohl nie passieren.
Meine Familie legte zwar durchaus Wert auf eine internationale Ausrichtung meines Studiums, weshalb ich unter anderem nicht nur Business Administration, sondern auch International Studies und einige Fremdsprachenmodule belegte, jedoch würden sie mich nie ganz von der Leine lassen, auch wenn ich eventuell unter ihrer Aufsicht im Ausland agieren durfte.
Zum Glück fanden meine ersten Vorlesungen heute auf einem anderen Campusgelände nicht in Seoul, sondern in Suwon, etwa noch eine dreiviertel Autostunde weniger weit von unserem Dorf entfernt, statt.
Sobald mein Vater mich vor der Uni abgesetzt hatte, würde ich mich zur Bahn schleppen und auf direktem Wege zu Taehyung fahren.
Mein Herz begann zu klopfen, als ich an den kleinen Silberschopf dachte. Hoffentlich hatte er die Nacht einigermaßen gut überstanden, er hatte mir gestern noch erzählt, dass er diese wohl allein verbringen müsse, weil seine Mutter erstmal auf eine unbestimmte Zeit bei seinem Vater im Krankenhaus blieb.
Er solle sich nicht zu viele Gedanken machen, wurde ihm gesagt. Es würde schon alles werden.
Wie ich solch leere Versprechungen hasste.
Ich musste ihn gleich unbedingt auf andere Gedanken bringen. Zwar konnte ich seinen Schmerz, den er gerade empfand, nicht zwangsläufig nachvollziehen, aber das war nebensächlich.
Solange es ihm schlecht ging deswegen, hatte ich dies ernstzunehmen.
__
Nach quälenden Stunden der Autofahrt – eigentlich waren wir gerade mal etwas weniger als zwei unterwegs gewesen – fuhr der große schwarze Wagen meines Vater endlich auf dem Campus vor.
Hastig stieg ich aus, ich durfte ja offiziell nicht zu spät kommen, und verbeugte mich einmal tief vor der offenen Autotür, um meinem Vater meine Dankbarkeit zu heucheln.
Dieser funkelte mich mit seinen kalten Augen noch einmal kurz böse an, bevor er deutete, ich solle die Tür schließen und er kurz darauf abrupt beschleunigte und sein Auto zusammen mit ihm hinter der nächsten Kreuzung verschwand.
Wie auf Knopfdruck erschlafften meine schweren, schmerzenden Glieder.
Es war, als würde der Puppenspieler die Fäden seiner Figur locker lassen, wodurch dessen hölzerne Gliedmaßen leblos zu baumeln begannen.
Mit letzter Kraft setzte ich einen Fuß vor den anderen und schleifte mich zur Bahnstation; die Bahn zurück in unser Dorf fuhr bereits in einigen Minuten ab.
In wenigen Stunden würde ich schon bei Taehyung sein, versuchte ich vor Augen zu halten, um nicht mitten auf dem Gehweg zusammenzubrechen.
Kalte Schweißperlen auf meiner Stirn bildend, warf ich mich auf die harte, mit senfgelbem Samtstoff überzogene Bank, die längs im Abteil an der Wand befestigt war.
Verzweifelt umklammerte ich die metallenen Haltegriffe zu meinen Seiten und versuchte meine Atmung, sowie die pochenden Schmerzen meiner Wunden in den Griff zu bekommen.
Ich musste mich beruhigen, sonst würde ich nur wieder die Verbände durchbluten.
Meine Lippen schmerzhaft aufeinander gepresst, betrachtete ich den schmutzigen Holzboden des Abteils.
Einige Dielen hoben sich bereits aufgrund von Wasserschäden unregelmäßig, an vielen Stellen platzte die farbige Folie bereits von den losen Pressholzlatten.
Allmählich beruhigte sich mein Herzschlag und ich ließ mich erschöpft zurück in das gelbe Polster sinken.
Langsam ließ ich meinen Blick durch den Waggon schweifen. Von den mattroten Jalousien, welche aufgrund des einfallenden Lichts fast vollständig heruntergelassen waren über die weiteren Bänke, die weißen Halteringe, die von der Decke baumelten und bei jedem ein oder ausfahrenden Zug leicht hin- und her schwankten, bis hin zu den vereinzelten Werbedrucken, welche zwischen den schmutzigen Scheiben an dem pastellblauen Metall der Wand befestigt waren.
Wäre ich doch nur schon bei Taehyung.
Schnell zog ich mein Handy aus der Tasche und schaute nach, ob der Kleine mir bereits geschrieben hatte, bevor ich selbst fix eine Nachricht mit meiner voraussichtlichen Ankunftszeit eintippte.
Erleichtert schloss ich die Augen, als das monotone Rattern der metallenen Räder auf den alten Stahlschienen signalisierte, dass auch wir den Bahnhof endlich verließen.
Außer mir war gerade niemand in meinem Abteil; einen Moment lang genoss ich die allumfassende Stille.
Ich bemerkte, wie ich immer wieder einnickte, mein Kopf derweil auf meiner Brust ruhend, jedoch durfte ich mir das hier nicht erlauben, so müde ich war.
Ich versuchte mich stattdessen mit Gedanken an Taehyung abzulenken.
Zwar war mir bewusst, dass es falsch war und allein die Tatsache, gerade unterwegs auf dem Weg zu ihm zu sein, bewies, dass ich meinen Plan, mich von ihm fernzuhalten, nicht ganz in die Tat umsetzte, doch es reichte der bloße Gedanke an ihn, seinen Geruch und sein Gesicht, der mich etwas entspannen ließ.
Und meine Gedankenwelt war zum Glück das einzige, was wirklich nur mir gehörte und das könnte mir niemand nehmen.
Ich würde es noch früh genug beenden mit Taehyung, aber zunächst musste ich sicherstellen, dass es ihm gut ging.
Das zumindest versuchte ich mir einzureden, während ich meine schmerzenden Glieder streckte und meinen Hinterkopf an die kühle Scheibe hinter mir lehnte.
Warum musst du auch so schrecklich egoistisch sein?, schoss es mir abermals durch den Kopf.
Ich hatte schlicht kein Recht, Taehyung solch einer Gefahr auszusetzen und doch tat ich es immer und immer wieder.
Ich gefährdete nicht nur sein Leben, sondern ich erschwerte mir auch mein eigenes; die Hoffnung, die der Kleine in mir geweckt hatte, schwoll nämlich seit unserer ersten Begegnung immer mehr an.
Es gab Nächte, in denen ich wie üblich schweißgebadet erwachte und mich nicht rühren konnte, da malte ich mir ein Leben mit diesem Jungen aus.
Wie er morgens in meinen Armen aufwacht, wie wir gut gelaunt händchenhaltend durch die Fußgängerstraße schlendern, während Tae mir sein bezauberndes Lächeln schenkt, wie ich ihn von der Arbeit oder der Schule abhole, ihm einen Kuss gebend und ihn eng an mich ziehe, um allen Anwesenden zu signalisieren, dass er nur mir gehört, und wir abends aneinander gekuschelt einschlafen.
Hatte man mir jetzt etwa noch das letzte bisschen Verstand geraubt?
Wie konnte ich mir anmaßen über sowas überhaupt nachzudenken, wie konnte ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, ihn überhaupt mit diesen Händen zu berühren?
Mit Händen, die schon so viel Schlimmes, so viel Grausames getan hatten; Hände, die bereits für so viel Leid gesorgt hatten.
Ich würde ihn noch tiefer in diese Spirale des immerwährenden Schmerzes und der immerwährenden Gewalt hineinziehen, wenn ich nicht bald mein Hirn anschaltete.
Mein Herzschlag ging bereits unregelmäßig, so sehr hatte ich mich offensichtlich in Rage monologisiert, da drang ein vereinzeltes Geräusch an meine Ohren.
Tropf, Tropf, Tropf
Unvorbereitet traf mich die Welle an Empfindungen, die der bekannte Ton mit sich brachte.
Automatisch spannte ich meine Muskeln an und lies meinen Blick schweifen.
Ich war weiterhin allein in diesem Abteil. Vielleicht war hier irgendwo am Zug lediglich ein Rohr undicht.
Doch die dumpfen, schweren Schritte, die ich unmittelbar darauf vernahm, belehrten mich eines Besseren. Ich war starr vor Angst.
Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ich erneut die komplette Demontierung des Abteils, in dem ich mich gerade befand.
Alles war auf einen Schlag wieder da.
Die Angst, die Wut, der Hass, der Schmerz – die Angst. Hinterrücks schlich sie sich an, kroch durch mein Hosenbein, drang unter meine Haut, fuhr weiter durch meine Knochen und erfüllte schlussendlich mein Herz.
Die abgeplatzte Farbe an den Wänden, die rostigen Haltegriffe, der zerbarstene Boden – erneut war ich gefangen in meiner persönlichen Hölle.
Fieberhaft versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Ich probierte rational an die Sache ranzugehen, aber bekanntermaßen konnte man Panik selten mit Rationalität beikommen.
Meine Gedanken wanden und wehrten sich unter meinem Griff, wie ein Schwarm kleiner Fische, der auseinander stob, sobald ein größerer Fisch versuchte, sie zu fressen. Einige erwischte der Größere zwar, aber diese reichten bei weitem nicht, um gesättigt zu sein.
Gepresst Luft zwischen meinen Zähnen ausstoßend, gab ich diesen vergebenen Versuch auf und konzentrierte mich wie so oft bereits nur noch auf ein Gesicht. Es musste einfach klappen.
Die Abteiltür wurde mit einem langgezogenen Quietschen aufgeschoben und die mir bekannte Gestalt erfüllte den Raum mit ihrem Geruch, bevor die bereits demolierten Dielen unter seinen schweren Stiefeln nachgaben.
Die Sense war wie gewohnt blitzend sauber.
Näher und näher kam der Mann, mit einem hämischen Grinsen vor mir anhaltend, während ich nichts weiter tun konnte, als in die Leere zu starren und meine Gedanken zu beherrschen.
Die Gestalt hob ihren Arm und rammte mir die Klinge tief in die Eingeweide.
Harsch zog ich die Luft ein, blieb jedoch aufrecht sitzen, die Augen geschlossen, die Gedanken bei Taehyung und ich spürte – nichts.
Vorsichtig blinzelnd öffnete ich die Augen wieder.
Die Gestalt war verschwunden.
Reflexartig fuhr ich mit der Hand unter mein nassgeschwitztes Hemd. Bis auf die bereits verblasste Narbe, die sich unregelmäßig zwischen meinen Brustmuskeln erhob, konnte ich nichts weiter ertasten.
Es hatte wirklich funktioniert.
Taehyung hatte mich vor mir selbst gerettet.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top