~ 6 ~
Taehyung PoV
»Und es ist wirklich in Ordnung für dich, wenn ich dich jetzt alleine lasse?« Unschlüssig sah mich die kleine Schwarzhaarige an, während sie die Augenbrauen hochgezogen hatte und sich nervös die Unterlippe kaputt biss.
Ich grinste »Natürlich, Yeji. In Seoul habe ich einen Laden geschmissen, der war viermal so groß wie der hier«, entgegnete ich, den Stolz, der in meiner Stimme mitschwang, nicht unterdrückend.
»Typisch, Angeber«, erwiderte Yeji nur knapp, bevor sie sich dann endgültig ihren dicken, braunen Wintermantel überstreifte. »Wenn irgendwas ist, rufst du mich sofort an, verstanden?«
»Jaja, und jetzt geh schon zu deinem Date«, gab ich lachend zurück und wackelte übertrieben mit meinen Augenbrauen.
Erneut verdrehte sie genervt die Augen, begab sich dann aber Richtung Tür. Eine kühle Brise huschte durch das kleine Café, als sie die schwere Holztür aufzog und hinter sich zufallen ließ.
Der Sommer war mittlerweile endgültig vorbei, die Tage wurden kürzer, die Blätter an den Bäumen und Sträuchern begannen sich in verschiedenen Braunnuancen zu färben; der Herbst stand bereits an der Türschwelle. Verträumt blickte ich durch die gläserne Front nach draußen und betrachtete, wie der Wind mit dem ersten gefallenen Laub auf dem Bürgersteig spielte.
Insgeheim war ich froh, heute alleine im Café zu sein. Meist war hier nicht für mehr als eine Person Arbeit und trotzdem hatte ich in den vier Wochen, die ich hier bereits angestellt war, noch keine einzige Einzelschicht übernehmen dürfen.
Und dabei war ich, ganz bescheiden gesagt, nach der kurzen Zeit schon mit eine der besten Kräfte, im Hinblick darauf, dass meine restlichen Kollegen alle noch jüngere Schüler waren, die ihr Taschengeld aufbessern wollten und ich für meinen Teil schon in um einiges größeren Etablissements erfolgreich gearbeitet hatte.
Darüber hinaus war gerade Yeji mehr eine Belastung als eine Hilfe für mich. Ständig brachte sie Bestellungen durcheinander - was mich bei den wenigen Gästen wirklich manchmal an ihren geistigen Kapazitäten zweifeln ließ - schmiss Sachen kaputt und am schlimmsten von allem kaute sie mir während unserer Schicht immer ein halbes Ohr ab und jammerte mich mit ihrem Privatleben voll.
Ich ließ mich zurück an die Theke sinken, die ich kurz zuvor mit einem nassen Lappen poliert hatte. Heute konnte ich mich also auf eine ruhige Schicht freuen, bevor ich dann später noch zu meinem neuen hagwon ging.
Die letzten Wochen waren anstrengend, aber ereignislos gewesen und obwohl ich noch durchgängig jede Nacht von Jeongguk träumte - nähere Details seien an dieser Stelle mal ausgeblendet - schaffte ich es übertag doch, mich gut abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen. Nicht zuletzt wegen Jimin, er war tatsächlich gar nicht so übel, wie ich anfangs angenommen hatte und auch Hobi taute langsam auf.
Ich fuhr mir mit der Hand unwirsch durch meine silbergefärbten Haare. Auch wenn Jimin mir trotzdem ständig auf die Nerven mit diesem ganzen Jeongguk-Thema ging; im Nachhinein glaubte ich mit meinen Erzählungen ihm gegenüber am Anfang doch etwas zu dick aufgetragen zu haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte ich mich in die ganze Geschichte einfach zu sehr reingesteigert und die Realität etwas aus den Augen verloren, aber mittlerweile sah ich wieder klar und konnte diesen Idioten nur zu gut aus meinen Gedanken verdrängen und mich auf die wirklich wichtigen Dinge, meinen Abschluss und den anstehenden suneung, konzentrieren.
Die Tür des Cafés wurde aufgeschwungen und zusammen mit einem eisig kalten Windhauch betraten meine zuvor geäußerten Lügen den Raum und verpassten mir eine ordentliche Backpfeife.
Im Türrahmen stand, wie könnte es anders sein, Jeon Jeongguk in voller Pracht, sein langer, dunkler Mantel umspielte seine hochgewachsene Gestalt, während er sich mit der Hand durch die, vom Wind zerzausten, Haare fuhr. Wie gerne hätte ich von dem Anblick gerade ein Foto geschossen.
Schon bei dem Gedanken merkte ich, wie mir die altbekannte Röte ins Gesicht stieg, doch ich schüttelte nur genervt den Kopf, die lästig verwirrenden Gedanken abschüttelnd, und verzog mich hinter die Theke.
Warum musste mich das Universum derart bestrafen?
Kaum betrat dieser Kerl den Raum, schien mein Gehirn nur noch aus Brei zu bestehen. Und das beruhte allem Anschein nach nicht auf Gegenseitigkeit, denn gemeldet hatte er sich bei mir nach der einen Nacht nicht mehr und dank der Informationen, die ich von Hobi bekommen hatte, war mein Selbstbewusstsein auch insoweit geschwunden, dass ich mich nicht dazu hatte durchringen können, ihn mal zuhause aufzusuchen.
Darüber hinaus hegte er ja offenkundig auch kein Interesse daran, unsere Bekanntschaft zu vertiefen, also sollte mir das nur Recht sein. Ich wollte ihm lediglich seine blöde Jacke wiedergeben und jeder von uns könnte seines Weges gehen.
Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, an welchen Tisch er nun gegangen war. Bedienen musste ich ihn auch noch, stöhnte ich innerlich auf und schob meine Unterlippe leicht vor.
Sollte ich ihn wohl zur Rede stellen? Andererseits – was gab es da groß zu bereden, er war mir ja nichts schuldig, eher im Gegenteil.
Frustriert atmete ich aus, bevor ich mich zu einem Tisch begab, an dem ein Gast scheinbar zahlen wollte und im Begriff dabei war, zu gehen. Flink schnappte ich mir mein Portemonnaie zum Abkassieren und ging schnellen Schrittes zu besagtem Tisch, da sah ich aus den Augenwinkeln Jeongguk, wie er sich ein paar Tische entfernt auf eine Eckbank gesetzt hatte und mich mit seinem Blick zu fixieren schien. Dieser Mistkerl!
Sein Starren ignorierend, setzte ich ein Lächeln auf und widmete mich dem Gast, der kurz darauf aufstand und das Café verließ.
Ohne Jeongguk auch nur eine Blickes zu würdigen, drehte ich mich um und hetzte wieder zur Theke. Du wirst ihn trotzdem früher oder später bedienen müssen, hallte eine Stimme in meinem Kopf und ich musste ihr schweren Herzens Recht geben.
Ich gab mir einen Ruck und bewegte mich zu seinem Tisch. Wenn ich es schnell hinter mich brachte, ging er vielleicht auch schnell wieder und ich konnte noch das mit seiner Jacke klären.
Unsicher richtete mich meinen Blick auf ihn und hatte das Gefühl, meine Beine würden nachgeben, als er diesen fest erwiderte.
Schwer schluckend kam ich direkt vor ihm zum Stehen und unterdrückte das unterschwellige Gefühl, mit meinen Fingern durch seine perfekten Haare zu fahren. Das mit dem Zusammenreißen funktioniert ja grandios, spottete ich.
Doch anstatt, dass einer von uns nun das Wort ergriff, um die aufkommende peinliche Stille zu durchbrechen, starrten wir uns einfach weiter an.
Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich hatte mich gerade dazu durchgerungen, zu meinem Satz anzusetzen, da erschien plötzlich eine zierliche Frau in meinem Blickfeld und begab sich ohne zu überlegen an Jeongguks Tisch. Die hatte aber Nerven.
Darauf vorbereitet eine der bereits angekündigten Körbe des Jeon Jeongguk zu erleben, löste sich dieser widererwartend von meinem Blick und begrüßte die Frau.
Er. Begrüßte. Sie.
Mein Gehirn begann zu rattern und ich realisierte, wie lächerlich ich mich gerade verhielt. Rot anlaufend trat ich ein paar Schritte zurück, um nun beide ansehen zu können und stammelte meine einstudierte Grußformel auf und fragte nach den Bestellungen.
Wie hübsch sie war, schoss es mir durch den Kopf. Ihre hohen Wangenknochen wurden von glattem tiefschwarzen Haar umspielt, ihre Porzellanhaut stand in einem deutlichen Kontrast zu ihren kirschroten, fast pinken, vollen Lippen.
Ich verspürte einen leichten Stich in meinem Brustkorb, den ich jedoch unmittelbar darauf aus meinen Gedanken schob.
»Haha Süßer, Lass mich doch erstmal ankommen«, säuselte eine hohe Stimme. Sie lächelte mich aufgesetzt an, während sie noch näher an Jeongguk heranrückte, welcher eine düstere Miene aufgesetzt hatte.
»Wir nehmen zwei Kaffee – schwarz.« Ich bekam eine Gänsehaut, als mich Jeongguks raue dunkle Stimme derart unvorbereitet traf.
Ich richtete meinen Blick unsicher wieder auf ihn, sein Gesichtsausdruck war unergründlich.
Benommen nickend war ich gerade im Begriff zu gehen, da packte mich plötzlich jemand und hielt mich am Handgelenk fest.
Wie vom Blitz getroffen zuckte ich zusammen, all die Empfindungen, diese Intensität, die ich in den letzten Wochen so krampfhaft verdrängt hatte, waren auf einen Schlag wieder da und ich hasste mich dafür.
Ich zwang mich, mich nochmal umzudrehen.
Jeongguks Augen durchbohrten mich förmlich, sein Mund machte indessen keinerlei Anstalten noch weitere Worte formen zu wollen.
Unsicher stand ich nun dort, starrte gequält auf seine perfekten Lippen und wünschte mir nichts sehnlicher, als mich einfach in Luft auflösen zu können.
Er räusperte sich, bevor er fast quälend langsam Luft aus seinen Lungen entweichen ließ und hinzufügte: »Und würdest du mir auch noch ein paar maejakgwa¹ bringen?« Seine Stimme brachte mich fast um den Verstand, von unserer Berührung mal ganz zu schweigen.
Wieder nickte ich nur stumm und wartete die schmerzvoll langen Sekunden ab, bis er mein Handgelenk endlich freigab und ich mit wackligen Schritten zurückging. Was war nur schon wieder in mich gefahren?
Grimmig begann ich die Kekse lieblos auf einem Teller anzurichten und Kaffee zu kochen, unterdessen ich krampfhaft versuchte, nicht zu Jeongguk und seiner Begleitung hinüber zu schielen, was sich als schwieriger als gedacht herausstellte, da dieses Mädchen ständig laut aufquiekte, überschwänglich lachte und sich Jeongguk buchstäblich an den Hals warf.
Unwillkürlich ballte ich meine freie Hand zu einer Faust, als würde ich einen unsichtbaren Stressball zerquetschen wollen. Von wegen Einzelgänger.
Mit dem süßen Gebäck und dem heißen Tassen bewaffnet, trat ich meinen Weg zurück zu ihrem Tisch an. Mechanisch setzte ich einen Fuß war den anderen, meine Lippen zu einem steifen Lächeln eingefroren.
Mich vor Jeongguks erneut aufdringlichen Blick windend, platzierte ich die Sachen harsch auf dem dunklen Holz.
Ich wandte mich bereits zum Gehen, da erhob Jeongguk seine Stimme: »Danke, Taehyung.«
Augenblicklich stellten sich sämtliche Härchen meines Körpers auf. Quälte er mich wissentlich? Zu hören, wie seine dunkle, kratzige Stimme meinen Namen aussprach, gab mir den letzten Rest.
»Du kennst den da?« Seine Freundin verzog beinahe angewidert ihr Gesicht.
Nicht, dass mir dieses Mädchen nicht sowieso schon grundunsympathisch war, aber das gab meinem Urteil über sie nochmal den letzten Feinschliff. Was wollte Jeongguk bloß mit so einer?
»Ich wüsste nicht, was es dich anginge«, entgegnete dieser schlicht. Verwirrt starrte ich ihn an.
»Na du starrst ihn die ganze Zeit schon so gruselig an, man möchte fast meinen, du seist irgend so eine Schwuchtel. Dabei sitze ich vor dir.« Als wollte sie ihre Aussage damit untermauern, beugte sie sich mit ihrem Oberkörper extra nah an ihn heran und gewährte ihm eine großzügige Aussicht in ihren tiefen Ausschnitt.
Jeongguk hingegen warf ihr nur einen kalten Blick zu, bevor er langsam mit einem beinahe gefährlich dunklem Unterton in der Stimme erwiderte: »Also bei euch beiden muss ich nicht lange überlegen, für wen ich mich entscheiden würde; Ich konnte mit Mädchen sowieso nie sonderlich viel anfangen.«
Die Reaktionen von uns noch übrigen Parteien am Tisch dürfte ähnlich ausgefallen sein. Mein Gesicht entgleiste mir vollkommen.
Fassungslos über seine soeben geäußerten Worte starrte ich Jeongguk an, derweil begann mein Herz wie verrückt in meiner Brust zu klopfen.
Das Mädchen rückte ruckartig von ihm ab, als hätte er spontan eine ansteckende Krankheit entwickelt. »D-das kann nicht dein Ernst sein«, murmelte sie leise, die fein säuberlich gezupften Augenbrauen zu einem Stirnrunzeln verzogen, welches den verachtenden Ausdruck in ihren Augen zu unterstreichen schien.
Jeongguk verzog weiterhin keine Miene. »Ich wiederhole mich nur ungern. Ich wüsste nicht, was dich das anginge.«
Angewidert sah sie zwischen mir und Jeongguk hin und her, erhob sich ohne ein weiteres Wort von der Bank und verließ mit schnellen Schritten das Lokal.
Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihr zu und es wirbelten einige Blätter von draußen in den spärlich beleuchteten Eingangsbereich.
Meinen fassungslosen Blick beibehaltend, versuchte ich mich wieder zu fangen, meine Gedanken jedoch kreisten und kreisten, schlugen Haken, verliefen sich in Sackgassen und stolperten über sich selbst.
Was hatte Jeongguk da eben gesagt? Wer war das Mädchen gewesen, wenn nicht seine Freundin? Warum hatte er sie einfach gehen lassen? Stand Jeongguk.. tatsächlich auf Männer?
»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, drang seine wohlklingende Stimme durch mein Gedankenchaos, brachte es jedoch keineswegs zum Schweigen, eher im Gegenteil.
Mehrmals klappte ich den Mund auf, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber wieder.
Ich beobachtete wie der Hauch eines verschmitzten Lächelns über sein Gesicht huschte, bevor es wieder ausdruckslos versteinerte. »Du bist süß, wenn du verlegen bist«, raunte er todernst und blickte mir direkt in die Augen.
Bei dem Jungen konnte man wirklich nicht ausmachen, ob er mit dir nichts zu tun haben, mit dir flirten oder dich umlegen und nachts im Wald verscharren wollte.
Ich spürte, wie meine Ohren heiß wurden und konnte nun mit Sicherheit behaupten, dass nun auch der letzte Zentimeter Haut in meinem Gesicht dunkelrot verfärbt war.
Meine Männlichkeit schwenkte verzweifelt die weiße Flagge, in der Hoffnung zu überleben, da ich die Zähne aber weiterhin nicht auseinander bekam, konnte sie sich das aber wohl auch abschminken.
»Ähm... w-was ist mit deinem Mantel? Den ich noch zuhause habe?«, platzte es aus mir heraus.
Gut, Tae. Es waren Worte, sie hatten einen inhaltlichen Zusammenhang und waren nicht völlig dämlich.
Pfeilschnell richtete sich Jeongguk auf und ehe ich es mich versehen konnte, hatte er sich unmittelbar vor mir aufgebaut, eine Hand auf meiner Hüfte und eine direkt auf meiner Wange platziert, unsere Körper dadurch eng aneinandergepresst.
»Nun Tae, ich bestehe darauf, dass du ihn behältst, da er mir an dir so ausgesprochen gut gefallen hat«, flüsterte er in mein Ohr, seine Lippen streiften es sanft, wodurch ein warmer Schauer durch meinen Körper fuhr.
Seine Berührungen brannten wie Feuer auf meiner Haut, alles kribbelte, sein Geruch war überwältigend.
Erstarrt konnte ich nichts erwidern, jedoch spürte ich die Blicke der restlichen Gäste, die sich wie kleine Dolche in meinen Rücken bohrten.
So abrupt wie Jeongguk aufgestanden war, löste er sich nun auch wieder von mir, warf sich in einer fließenden, eleganten Bewegung seinen Mantel über die Schultern und wandte sich, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, von mir ab.
Erst das Knallen der Eingangstür erweckte mich zu neuem Leben, wodurch ich Jeongguk im letzten Moment fluchtartig an der gläsernen Fensterfront vorbeihuschen sah.
Mit wackligen Beinen ging ich zurück unter den neugierigen Blicken aller Anwesenden.
Was war soeben geschehen?
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¹ 매작과 (rev. Romanisierung Maejakgwa) ist ein süßes Gebäck bestehend aus Mehl und geriebenem Ingwer. Diese werden zu einem Teig vermischt, dünn ausgerollt und in Form geknotet, bevor sie in Öl gebraten und mit Honig beschmiert werden. Sie sind knusprig und pikant, und schmecken nach Ingwer und Zimt
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