~ 3 ~
Taehyung PoV:
Blinzelnd sah ich durch den Sucher, meine Hände leicht zitternd, doch ich erblickte: nichts.
Beziehungsweise nichts, was ich nicht erwartete hätte.
Unberührt erstreckte sich die kleine Lichtung vor mir, das Sonnenlicht brach sich an den gesplitterten Fenstern des Vehikels, die abgeplatzte Lackierung schimmerte in einem dunklen blau und war von großen Rostflecken durchzogen.
Augenblicklich fiel die letzte Angst, die ich eventuell noch gehegt hatte, von mir; ohne weiter darüber nachzudenken trat ich ein Stück näher heran.
Unbedingt wollte ich das Innere des Abteils erkunden, die Aura, die diesen Ort umgab, war unbeschreiblich.
Sanft strich ich mit meinen Fingern über den Türrahmen, während ich verträumt die Außenwand weiter betrachtete, da vernahm ich plötzlich ein Rascheln im Innenraum und bevor mein Gehirn die Ereignisse weiter hätte verarbeiten können, wurde ich grob am Handgelenk gefasst und von jemandem einige Meter weggezerrt.
Es war, als würde mein ganzer Körper unter Strom stehen.
Unfähig mich in irgendeiner Form zu bewegen, starrte ich perplex auf mein Handgelenk, hob dann jedoch abrupt meinen Kopf und sah unmittelbar in die Augen der Gestalt, die weiterhin mein Handgelenk fest umklammert hielt.
Diese Augen, schoss es mir durch den Kopf.
»Dürfte ich freundlicherweise erfahren, was das hier werden soll? Dies ist ein Privatgrundstück«, hörte ich den Mann aus meinen Albträumen mit engelsgleicher Stimme sagen.
Sie wirkte, ähnlich wie seine restliche Präsenz, vollkommen hypnotisierend auf mich, sie war so klar und hell und dennoch wohnte ihr etwas Tieferes, Dunkles inne, etwas Undefinierbares.
Wie ein hypnotisiertes Kaninchen starrte ich ihn weiter an. Von meinem Handgelenk gingen weiterhin kontrollierte Stromstöße aus, fuhren durch meinen ganzen Körper und brachten mich leicht zum Erzittern.
Die Gestalt mir gegenüber schien dies jedoch scheinbar völlig unbeeindruckt zu lassen, er intensivierte unseren Augenkontakt nur noch und sein Gesicht kam dem meinigen immer näher. Oh Gott, was hatte der denn jetzt vor?
»Bist du stumm oder einfach nur blöd?«, erklang erneut seine schöne Stimme und hallte über die Lichtung. Ich konnte meinen Blick beim besten Willen nicht von diesen Augen lösen.
»Ich ähm also, ich war, nun ja, ähm ich habe gar kein Schild gesehen und da dachte ich-«, stammelte ich.
»Dies ist kein Ort für Kinder«, unterbrach er mich jäh. »Das sage ich dir jetzt nur einmal, also hör gut zu: Halte dich von diesem Ort fern.« Obwohl der Mann ohnehin schon einige Zentimeter größer war als ich, schien es als würde er mich nach seiner Ansage noch um ein Vielfaches überragen, in seinen Augen blitzte etwas Bedrohliches auf.
Ich fand die letzten jämmerlichen Überreste meines Egos, kratzte sie zusammen und erwiderte: »Kind? Ich bin kein Kind!« Schmollend schob ich meine Unterlippe vor und versuchte seinen Griff zu lösen, den er daraufhin aber nur weiter verstärkte.
Wow Tae, deine Aussage hast du ja mit deiner Aktion gerade glanzvoll untermauert.
Die Person hingegen schenkte mir ein kehliges Lachen »Soso, kein Kind mehr also?« Er zog mich näher an sich heran, sodass meine Hände locker auf seiner Brust lagen. »Und warum zitterst du dann wie ein kleines Kind?«
Mein Herz überschlug sich und ich spürte wie mir das Blut ins Gesicht schoss.
In was für eine Situation war ich da gerade nur reingeraten und warum schaffte ich es nicht mich zu wehren?
Verzweifelt stemmte ich meine Hände gegen seine Brust; ich sah, wie sich seine Augen überrascht weiteten und er mich unerwarteterweise wirklich los lies.
Einige Schritte stolperte ich zurück, fing mich dann aber rasch wieder. Die Augen des Unbekannten wanderten zwischen seinen Händen und mir hin und her, der Ausdruck auf seinem Gesicht blieb unverändert.
Was war das bloß für ein komischer Kerl? Unwirsch rieb ich mir mein schmerzendes Handgelenk, bevor ich zum Sprechen ansetzte. Als ich den Mund öffnete, kam jedoch kein Ton heraus.
Erneut erklang das kalte Lachen des Mannes. »Geht das schon wieder los? Nach der letzten Nacht hatte ich mir ja schon gedacht, dass du ein ganz schöner Schisser bist, aber das hier toppt wirklich alles.«
Langsam aber sicher verflog meine Panik, nur um gleich darauf durch unbändige Wut ersetzt zu werden. Zugegebenermaßen noch etwas wacklig auf den Beinen stapfte ich wieder zu ihm, bohrte meinen Zeigefinger in seine Brust und musste schwer schlucken, als mich diese Berührung erneut leicht außer Fassung brachte.
Schnell zog ich meinen Finger zurück. »Jetzt hör mir mal genau zu! Ich weiß nicht, wer du bist oder was du dir hier einbildest, aber du kannst was erleben, wenn du nicht langsam anfängst, mir etwas mehr Respekt entgegenzubringen.« Meine Stimme zitterte nur leicht, während ich diese Worte über die Lippen brachte.
Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille.
»Du willst mir drohen? Du willst mir Respekt einflößen? Und wie bitteschön, wenn ich das fragen darf?« Er baute sich vor mir auf - diesmal jedoch penibel darauf achtend mich nicht weiter zu berühren - und grinste spöttisch auf mich hinab. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut und bekam eine Gänsehaut.
Abwägend, wie ich aus der Situation nun fliehen könnte, rümpfte ich kurz die Nase, bevor es mir endgültig zu bunt wurde. Ich wollte keine Erklärung mehr, wer er war oder warum er sich in der Nacht so seltsam benommen hatte. Ich wollte dem Typen eine verpassen!
Scheinbar hatte ich meine Gedanken wieder einmal zu laut gedacht, da hielt er meine sich seinem Gesicht nähernde Faust in der Bewegung auf, drehte sich einmal elegant und stand plötzlich direkt hinter mir, meinen Arm schmerzhaft verdreht zwischen ihn und meinen eigenen Rücken gepresst.
Schmerzerfüllt zog ich scharf die Luft ein.
»Na na na, das war aber ungezogen.« Ich konnte sein dämliches Grinsen förmlich hören.
Schon wieder brachte mich der massive Körperkontakt völlig aus dem Gleichgewicht, mein Herz rastete aus. Wütend riss ich mich los und hielt mir den schmerzenden Arm, bevor ich zielstrebig davon stapfte.
»Ey, Kleiner?«
»Was??«, fuhr ich ihn an, ohne mich umzudrehen. Wenn der Typ schon so eine Wirkung auf mich hatte, musste ich es ja nicht noch provozieren, indem ich ihn das ausnutzen ließ.
»Du gehst in die falsche Richtung«, entgegnete er mit amüsiertem Unterton.
Ich fluchte und drehte mich schließlich doch nochmal zu ihm um. »Sagt wer? Dies ist ein freies Land und ich kann gehen, wohin ich will und gerade«, ich deutete auf die Richtung, die ich willkürlich gewählt hatte, »möchte ich dort entlang gehen.«
Ich hatte keine Lust mehr, mir das herablassende Getue dieses Typen anzuhören, wer auch immer er war, ich wollte ihn garantiert nicht näher kennenlernen.
Unbeirrt setzte ich einen Fuß vor den anderen, ignorierte zu seiner Verwunderung alles weitere, was der Typ mir noch weiter zuzurufen schien und ließ die Lichtung hinter mir.
Als ich hinter mir ein gedämpftes Fluchen hörte, schlich sich ein zufriedenes Grinsen auf mein Gesicht und ich stolzierte umso fröhlicher weiter bis sich der Boden, zu meiner Verwunderung, nicht mehr unter meinen Füßen befand.
Ich konnte gerade noch geschockt die Augen aufreißen, da spürte ich auch schon wieder ein mir allzu vertrautes Kribbeln am linken Oberarm und ich wurde zurückgerissen.
Ein weiteres Mal fand ich mich an die Brust dieses arroganten Typen gepresst wieder, den Kopf in seiner Halsbeuge, meinen Arm hielt er fest umklammert, während der andere auf meiner Hüfte ruhte. Mein Puls raste.
»Du scheinst tatsächlich wirklich schwerer von Begriff zu sein, als ich dachte«, meinte er lediglich monoton. »Wenn du dich richtig bei mir entschuldigen willst, ist aber noch einiges mehr nötig.« Seine Stimme wurde einige Tonlagen tiefer, während er das über die Lippen brachte.
Wie oft musste ich mich heute eigentlich noch von den übergriffigen Aktionen dieses Typen befreien? »Kannst du deine Finger mal bei dir behalten?«, schrie ich ihn förmlich an. Ich spürte, wie mein Gesicht rot wurde.
Sein Blick wurde kalt. »Ach, hätte ich dich lieber fallenlassen sollen?«, gab er spottend zurück und deutete auf den zugegebenermaßen steilen Abhang unmittelbar vor unseren Füßen. Wie hatte der mir gerade entgangen sein können?
Doch anstatt ihn noch einer Antwort zu würdigen, machte ich auf dem Absatz kehrt und lief los.
Letztes Mal hatte er mich immerhin auch nicht einholen können. Ich sprintete los, quer über die Lichtung an dem Waggon vorbei in die Richtung, in der ich hoffte, gleich auf die alten Schienen zu stoßen.
Und tatsächlich sah ich sie schon von Weitem. Davon angespornt legte ich noch einen Zahn zu und sprintete den kleinen Hügel hinauf, da hörte ich erneut sein Lachen – näher, als mir lieb war.
Sobald ich den Kopf zur Seite drehte, blickte ich auch schon wieder in seine unverschämt attraktive Visage. Völlig ohne Anstrengungen joggte er gerade scheinbar neben mir her und schien sich einen Spaß daraus zu machen, mich zu beobachten.
»Der einzige Grund, warum du mir letztes Mal entkommen bist, war der, weil ich es so wollte. Ich habe dich in der Hand.«
Wutentbrannt versuchte ich meine Geschwindigkeit zu erhöhen, doch ich war schon so gut wie an meinem Limit angelangt. »Was willst du von mir, huh?«, schrie ich ihn gegen den mir ins Gesicht peitschenden Wind an, meine Haare fielen mir immer wieder über die Augen.
»Lass mich dir den Weg zeigen. Bei deiner Dummheit muss man sich ja sonst sorgen, dass du nie wieder aus diesem Wäldchen herausfindest«, erwiderte er scheinbar ohne jegliche Anstrengung in der Stimme, als würden wir uns gerade nicht ein erbittertes Wettrennen liefern.
Meine Kräfte verließen mich und ich seufzte resignierend, währenddessen verlangsamte ich bereits meine Schritte. Solange er mich dann zufrieden lässt, dachte ich mir. Augenblicklich setzen die Seitenstiche ein, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
Schweigend liefen wir nun nebeneinander her. An Absurdität gab es nur wenige Dinge, die diese Situation noch hätten toppen können. Die Spannung in der Luft war greifbar.
Unauffällig ließ ich meinen Kopf zur Seite fahren, um den Kerl näher zu betrachten.
Er trug einen langen schwarzen Wollmantel, in seine dunkle Stoffhose hatte er ein helles, oben aufgeknöpftes, Hemd locker reingesteckt. Ein ebenfalls dunkler Schal hing lässig, am Kragen seines Mantels entlanglaufend, herunter. Die schwarzen Lederschuhe wirkten nicht die optimalen Wanderstiefel, generell passte sein Outfit nicht wirklich zu den Umständen, in denen ich ihn gefunden hatte, sämtliche seiner Sachen sahen hochwertig und gepflegt aus.
»Mund zu, Kleiner, es zieht. Ich weiß, dass ich gut aussehe«, hörte ich ihn plötzlich sagen.
Erschrocken zog ich meinen Kopf ein und zuckte leicht zusammen »Ich bin nicht klein«, grummelte ich nur, da ich mir fest vorgenommen hatte, mich von seinen Aussagen nicht nochmal provozieren zu lassen. Bloß mit stolzen 1,79m musste ich es mir nicht gefallen lassen, als klein betitelt zu werden.
Schweigend setzen wir unseren Weg fort, doch nach einiger Zeit spürte ich seine Blicke wie winzige Nadelstiche am ganzen Körper. Mich machte der Typ blöd von der Seite an, aber selbst starrte er mich auch unablässig an oder was?
»Mir ist ebenfalls bewusst, dass ich gut aussehe«, erwiderte ich tonlos und hob meinen Kopf, um ihn triumphierend anzulächeln, sah jedoch, wie ein scheinbar angestrengter Ausdruck von seinem Gesicht wich und die glasigen Augen, die mich zu fixieren schienen, sich klärten, bevor er mich verwundert anblinzelte.
»Bild dir ja nichts darauf ein«, erwiderte er nur.
Nicht wissend, was ich darauf noch antworten sollte, schwieg ich.
Es dauerte trotzdem nicht lange, da schielte ich wieder zu ihm herüber. Ich konnte nicht genau in Worte fassen, was mich an seiner Gestalt so faszinierte, aber irgendwas tat es offenbar, sonst würde ich mich nicht seit unserer Begegnung wie ein pubertierender Teenie aufführen.
Es entwich mir ein leises Seufzen, weshalb sich der Blick des Unbekannten erneut unbarmherzig in meinen bohrte.
Sofort schoss mir die Röte ins Gesicht und untermauerte nochmal schmerzhaft meinen zuvor formulierten Gedanken.
Um diese ohrenbetäubende Stille zu unterbrechen, räusperte ich mich nur schnell und versuchte ein freundliches Gesicht aufzusetzen, aber ohne mich selbst im Spiegel zu sehen, wusste ich, dass mir das gerade weniger als überzeugend gelang.
Trotzdem setze ich an und fragte zögerlich: »W-wie heißt du eigentlich?« und bemerkte selbst, wie meine tiefe Stimme dezent zitterte. Jetzt reiß dich endlich zusammen!, befahl ich mir innerlich.
Doch anstatt einer wie erwartet spöttischen Antwort erwiderte er schlicht: »Jeongguk. Jeon Jeongguk.«
Baff starrte ich ihn an. Die Stille legte sich wieder über uns, bevor ich erneut das Wort ergriff: »Willst mich gar nicht nach meinem Namen fragen?«, fragte ich in die Stille hinein und merkte, wie ich unbewusst wieder die Unterlippe leicht nach vorn schob.
»Nur, wenn du aufhörst wie ein kleines Kind zu schmollen.« Er lachte heiser.
In meinem Bauch zog sich etwas zusammen und ich spürte meine unterdrückte Wut wieder aufkochen.
Aufgebracht lief ich ein paar Schritte vor ihn, drehte mich zu ihm um und hüpfte rückwärts zwischen den morschen Holzpaneelen der Schienen hin und her. Rückblickend weder eine meiner cleversten noch meiner erwachsensten Reaktionen. »Pff«, entkam es mir. Was um alles in der Welt tust du da, Taehyung?
Der Unbekannte zog seine Augenbrauen zusammen und rief ernst: »Komm da weg, bei deiner Dummheit passiert dir nur wieder was.«
Während er das sagte, konnte er sich jedoch ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Er beschleunigte seinen Schritt, was mich nur mehr anspornte, mich auch schneller zu bewegen.
Unbedacht hüpfte ich zwischen den Balken hin und her und fing an zu lachen. Für Außenstehende mag das vielleicht nicht unbedingt eine nachvollziehbare Reaktion auf die geschehenen Ereignisse zu sein, jedoch sollte dem außenstehenden Publikum bewusst sein, dass ich das absolut genauso sah. Anders zu handeln kam mir trotzdem nicht in den Sinn.
Als ich sah, wie Jeongguk die Augen verdrehte, begann ich zu kichern. Ich wäre mir selbst gerade sicherlich auch peinlich gewesen, wenn ich nicht so damit beschäftigt gewesen wäre, zu lachen und zu hüpfen gleichzeitig.
Da kam mir eine Idee. »Ich will ein Foto von dir machen!«, verkündete ich stolz, begann an meiner Kamera herumzufummeln, während ich ihn unentwegt ansah.
Sekundenschnell verdüsterte sich der Ausdruck auf seinem Gesicht, aber bevor er etwas erwidern konnte, hatte ich auch schon abgedrückt.
Sofort wollte ich mein Werk betrachten; meinen Kopf senkend, um durch die Fotogalerie zu suchen, blieb mein Fuß an einem der Holzbretter hängen und geriet ins Straucheln.
Panisch mit den Armen wedelnd, versuchte ich mein Gleichgewicht wiederzufinden und trat mit dem noch freien Fuß einmal fest auf.
Zu meinem Bedauern knackte das Holz einmal stark und ich fiel ruckartig nach vorn.
Na klasse! Der Holzscheit, auf den ich getreten war, hatte scheinbar nachgegeben und meinen Fuß zwischen dem gesplitterten Holz eingeklemmt.
Nun war mein, ohnehin schon mehr als uneleganter, Fall nicht mehr zu stoppen.
Anstatt mich noch irgendwie zu bemühen, kniff ich nur fest die Augen zusammen und betete, dass ich nicht allzu dämlich aussah, bei dem, was gerade geschah – Gebete, die wohl niemals erhört wurden, denn das Letzte, was ich noch wahrnahm, bevor ich entsetzt die Augen aufschlug, war ein schmerzhaftes Stöhnen, sowie feste Hände an meiner Taille, die meinen Sturz dämpften.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top