~ 22.3 ~

Sanft fuhr ein schwacher Windhauch über meine Wange, zart schmiegte er sich an die weiche Haut meiner linken Gesichtshälfte, drang in meine zerschlissenen Kleider und ließ eine angenehme Gänsehaut zurück.

Endlich keine Schmerzen mehr.

Der Druck, der auf meiner Brust gelastet hatte, als hätte ein Nachtmahr sich dort zur Ruhe gebettet und im Schlaf jegliches Glück aus meinen ohnehin schon kargen Träumen gefressen, während er mir im Austausch auch die nächtlichen Stunden zur Hölle gemacht hatte, war schlussendlich und ein für alle Male verschwunden.

Es war vorbei.

Endlich hatte ich loslassen können.

Ein leises Summen drang in mein Bewusstsein vor, sacht umgab es mich und umschloss mich beinahe wie ein weicher Wollmantel, den man an Tagen hervorholte, an denen der Wind noch zu beißend war, um das Haus gänzlich ohne Jacke zu verlassen, jedoch die Sonne bereits zu wärmend, um die dicken Wintersachen überzuziehen.

Indes war ich weiterhin zu nicht mehr im Stande, als lediglich die warme Brise zu genießen sowie die nunmehr gänzlich von mir abfallende Last, den Jüngeren nicht länger weiteren Gefahren auszusetzen.

Wohlig stieß mein Körper ein tonloses Brummen aus, als ich die wärmenden Sonnenstrahlen auf meinen geschlossenen Augenlidern spürte, stumm kitzelten sie die zarte Haut, die meine Augäpfel schützte, die ich mich wohl nie wieder zu Öffnen bemühen versuchen musste.

Das Summen gewann währenddessen stetig an Intensität, klanglos vermischte es sich mit dem Zirpen der Vögel, welches sich ebenfalls weiter in den Vordergrund drängte.

Da kehrte plötzlich das vertraute Ziehen in meinem Brustkorb schlagartig zurück, als hätte jemand ein Gummiband bis kurz vorm Zerreißen in die Länge gespannt, um es daraufhin schmerzlich in seine Ursprungsform zurückschnellen zu lassen, peitschte es gegen meinen Rippenkäfig und raubte mir unmittelbar den Atem.

War es etwa doch noch nicht vorbei?

Immer lauter schwoll das mittlerweile mehr als unangenehme Zwitschern der gefiederten Tiere an, es war mir fast, als würden sie mich aus ihrer erhöhten Position von den kahlen Baumkronen aus herab, verspotten, währenddessen verwandelte sich das angenehme Summen, welches mich kurz zuvor noch in solch einer trügerischen Sicherheit gewogen hatte, in ein schrilles Quieken, hell und in einer Tonlage, zu dessen Bestimmung mein Gehör definitiv nicht den passenden Frequenzbereich abdeckte, malträtierten sie mein Hirn schlimmer als jegliche Halluzinationen und Wahnvorstellungen es zuvor je vermocht hatten.

Allem Anschein nach schien der Tod noch einiges mehr als das Leben für mich in der Hinterhand bereit gehalten zu haben.

Allein bei dem Gedanken begann mein Herz unruhig in meiner Brust zu pochen.
Moment.

Mein Herz?

Schlagartig schärften sich meine Sinne, ich fühlte den feuchten, knackenden Untergrund unter meinen Handflächen, ich vernahm glasklar die hellen Vogelgesänge, spürte schmerzhaft das anhaltende Brennen meiner Lungenflügel – hatte es je aufgehört?

Nichtmal Sterben gelang mir auf Anhieb.

Hätte die Bitterkeit dieser Tatsache nicht überwogen, hätte sich der Umstand durchaus einer düsteren Komik nicht entziehen können.

Wie war es mir gelungen, den Tod ungewollt erneut ausgestochen zu haben?

Ein zartes Wimmern gesellte sich unauffällig zu den restlichen Geräuschen, die meinen Geist dominierten, je mehr ich mich auf die Schluchzer konzentrierte, desto deutlicher klärte sich die Stimme in meinem Kopf.

Unvermittelt riss ich meine Augenlider weit auf, als ich den rauen Klang des Leidklagenden erkannte.

Mit einem Mal war alles wieder da: Die Lichtung im Wald, meine überstürzte Flucht aus dem Hotel, Taehyung – Taehyung.

»Tae?«, krächzte ich verzweifelt in die grellen Punkte, die beinahe mein gesamtes Blickfeld einzunehmen schienen, und mir die Sicht raubten.

Blind begann ich mit meinen, noch von einem anhaltenden Taubheitsgefühl gepeinigten, Händen den feuchten Waldboden abzutasten in der stillen Hoffnung, den Älteren lokalisieren zu können.

Mein Herz pochte wie wild in meiner brennenden Brust, zwar entzog sich mir, wie ich noch immer am Leben sein konnte, jedoch blieb meinem Bewusstsein auch keine Zeit, diese unliebsame Tatsache zu verarbeiten, da die unkontrollierten Schluchzer des Silberhaarigen sich mit jeder Sekunde, die verstrich, wie winzige Nadeln in meine Haut bohrten und sie am ganzen Körper kribbeln ließen, als würde jemand mit groben Schmirgelpapier die äußerste Hautschicht abzutragen versuchen.

Sobald meine Fingerspitzen zwischen dem vertrockneten Laub und dem klammen, schwammigen Moos auf erhöhten Widerstand trafen, bemühte ich mich abermalig um die Klärung meines Sichtfelds.

Mit aller Kraft riss ich meine Augen so weit wie möglich auf, als könne dies mein peripheres Sehen in irgendeiner Form erhöhen oder die wandernden Lichtspiele, die so penetrant meine foveale Fixation beeinträchtigen, eindämmen.

Kontinuierlich blinzelte ich krampfhaft, ehe schließlich das gerötete Gesicht des Älteren unmittelbar vor dem meinigen erschien.

Schmerzhaft zischte ich leise auf, als der Schorf aus Blut und getrockneter Tränenflüssigkeit, der sich um mein Augenlid gebildet hatte, mit einem schwachen, beinahe knisternden Geräusch, langsam zu bröckeln begann.

»G-gukie? Oh Gott«, murmelte Taehyung mit bebender Stimme, als sich unsere Blicke schließlich trafen, weshalb mich eine weitere Welle aus den unterschiedlichsten Emotionen zu übermannen drohte. »Nicht bewegen, der Krankenwagen müsste gleich da sein.« Beruhigend ließ der Ältere seinen Daumen auf meiner Wange kreisen, wodurch er das frische Blut, welches weiterhin in dicken Tropfen aus der verkrusteten Wunde meiner Wange quoll, gleichmäßig auf meiner Haut verteilte.

Mit einem Schlag wurde mir unsagbar kalt, meine Gliedmaßen fühlten sich an, als hätte man mir eine Infusion mit Eiswasser gelegt; die Kälte bereitete sich rasant in meinem gesamten Körper aus, klanglos kroch sie bis in den letzten Winkel und hinterließ eine unbändige Panik gleich einem beißenden Belag, den man nach dem Genuss von alkoholischen Getränken auf der Zunge verspürte.

Verzweifelt versuchte ich den letzten Rest Geistesaktivität, welcher mir in diesem Zustand noch innewohnte, zusammenzuklauben, ehe ich mit heiserer Stimme eindringlich zu sprechen begann: »Taehyung.« Intensiv fixierte ich seine, noch immer geröteten Augen, die jedoch zu keinem Zeitpunkt auch nur einen Funken ihres Strahlens verloren hatten. »Wenn du mich in ein Krankenhaus bringst-« Mit Nachdruck zwang ich meinen kraftlosen Arm dazu, meine Hand in die seinige zu bugsieren. Instinktiv fanden sich unsere Finger und verschlossen sich miteinander. »dann bin ich tot.«

Furcht flackerte im Blick des Älteren auf, für eine Sekunde begann ich bereits zu glauben, mein Gegenüber hätte den Ernst der Situation auch nur in Ansätzen begriffen, da verzogen sich seine spröden Lippen zu einem traurigen Lächeln. »Vertrau mir einfach, ich regle das schon.« Behutsam umfasste er mein geschundenes Gesicht, seine Hände brannten wie glühende Kohlen auf meiner ausgekühlten Haut.

Energisch schüttelte ich hingegen nur den Kopf, als wollte ich mich seiner Berührung erneut entziehen. »Taehyung.« Rasselnd holte ich einmal tief Luft. »Du. Verstehst. Das. Nicht.« Angestrengt betonte ich jedes Wort mit so viel Bestimmtheit, wie ich in meinem Zustand meiner Stimme Nachdruck zu verleihen im Stande war.

»Dann. Erklär. Es. Mir.« Ich sah neue Tränen sich in den Augenwinkeln des Älteren bilden, welche mich herausfordernd anfunkelten. »Ich werde dich hier nicht sterben lassen«, flüsterte er anschließend kaum vernehmbar.

Er wandte den Blick ab, währenddessen verstärkte er den Druck um meine Hand.

Unangenehm wand ich den Kopf zu allen Richtungen, indes versuchte ich verzweifelt, die Kontrolle über meinen Körper zurückzugewinnen. »Tae, dafür ist jetzt keine Zeit«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich bereits die dröhnenden Sirenen zu hören schien, welche unser Schicksal, würden wir uns nun nicht unmittelbar aus dem Staub machen, endgültig zu besiegeln drohten.

Die Organisation würde alles herausfinden, sie würden Taehyung ohne zu Zögern Blei in den Schädel jagen, die Dinge, die sie darauffolgend mit mir anstellen würden, wagte ich mir überhaupt nicht auszumalen.

Verzweiflung stieg in mir auf und tat ihr Bestes daran, mir die Luft gänzlich abzuschnüren, jedoch stand ihr gegenüber noch immer mein, sich mit Blut und Luft gefüllter Pleuraspalt, welcher es nur noch zu einer Frage der Zeit werden ließ, bis meine Lunge gänzlich kollabierte.

»Taehyung, bitte.« Flehend sah ich in seine kaffeebraunen Augen, in denen der Schmerz, der eigentlich Teil meiner Welt gewesen war, entgegensprang. »Lauf verdammt nochmal weg.«

Immer sprach der Ältere davon, mir etwas abnehmen zu wollen, dabei bemerkte er gar nicht, wie er dies schon längst getan hatte.

Gleich einem Parasit hatte ich mich an seiner Existenz festgesaugt, die ersten negativen Auswirkungen davon müssten selbst ihm mittlerweile nicht mehr entgehen können.

Ich hatte bereits die ersten Schatten auf seine strahlende Person geworfen, meine Dunkelheit war drauf und dran, sein Licht zu verschlingen. »Du musst mir vertrauen, nur dieses eine Mal.« Ich spürte, wie sich in meinen eigenen Augen Tränenflüssigkeit sammelte. »Bitte.«

»Immer redest du von Vertrauen«, murmelte der Ältere plötzlich leise. »Immer sagst du mir, es würde alles wieder gut werden.« Seine Stimme bebte. »Sieht das hier für dich in irgendeiner Weise danach aus?«, schrie er plötzlich, Tränen benetzten seine gerötete Gesichtshaut, als er eine ausschweifende Handbewegung machte. »Du stirbst, verdammt! Ist dir das wirklich vollkommen egal?«, fügte er in etwas gedämpfterer Tonlage hinzu. »Mir nämlich nicht.«, hauchte er, sein Blick indes angsterfüllt, ehe er ihn erneut gänzlich zu Boden richtete.

Besorgt legte sich meine Stirn in tiefe Falten, meine Hand wanderte zitternd unter sein Kinn, bevor er sein Gesicht widerstrebend wieder mir zuwandte.

»Tae, bitte. Ich schwöre dir hoch und heilig, dass ich dir alles in Ruhe erklären werde.« Mit Bestimmtheit drückte ich unsere ineinander verschränkten Finger. »Keine Geheimnisse mehr«, flüsterte ich schwach lächelnd, zugleich füllte sich mein Herz mit Schuld. »Wenn wir jetzt nicht gehen, werde ich mit absoluter Sicherheit sterben. Vielleicht nicht in dem Rettungswagen und vielleicht nicht in dem Krankenbett. Aber sobald ich einen Fuß aus dem Krankenhaus setzen würde, wäre ich tot.« Flach sog ich einige Male beschleunigt etwas Luft durch die Nase ein, simultan einen Hustenreiz unterdrückend, meine Atemnot wuchs von Sekunde zu Sekunde.

Wenn ich den sturen Jungen schon nicht dazu bringen konnte, alleine das Weite zu suchen, dann musste ich zumindest dafür sorgen, dass er mir folgen würde.

Taehyung entgegen bedachte mich lediglich eines skeptischen Blickes. »Keine Geheimnisse mehr?«
Unbarmherzig drang das markdurchdringende schrille Dröhnen des Martinshorns an meine Ohren und ließ meinen Körper automatisch noch mehr Adrenalin ausstoßen. »Du erzählst mir alles?«, rückversicherte sich der Ältere abermals.

Fest hielt ich seinem prüfenden Blick stand und flüsterte mit einem gehetzten Lächeln auf den Lippen. »Alles.«

Einen flüchtigen Moment lang, sahen wir uns lediglich in die Augen, kribbelnd spürte ich die Vertrautheit und die Geborgenheit, die ich in den letzten Wochen so schmerzlich hatte missen müssen, wie sie sich in meinem gepeinigten Körper ausbreitete und dem bohrenden Schmerz in meiner Brust für einen Augenblick den Fokus stahl, ehe sich in die Miene meines Gegenübers eine resignierende Note mischte.

Wortlos schlangen sich zwei starke Arme um meine Mitte, ächzend wurde ich in die Höhe gehievt, meine tauben Beine brannten unmittelbar, nachdem sie ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen versuchten.

»Ich weiß nicht, ob ich-«, schnaufte ich unsicher, meine Brust hob und senkte sich immer schneller, indes versuchte ich verzweifelt, den erneut aufkommenden Schwindel zu unterdrücken, da schnitt mir Taehyung bereits seufzend das Wort ab.

»Komm«, hauchte er gegen meine aufgeplatzten Lippen, ehe er den Griff um meine Taille zu lockern begann. »Vertraust du mir?« Federleicht strich er mir mit seinen Fingerkuppen, die verstohlen aus dem übergroßen Mantelärmel lugten, über meine pochende Wange, fast war mir, als sähe ich ein herausforderndes Funkeln in seinen wunderschönen Augen aufblitzen, bevor er sich behutsam von mir löste, den Rücken zuwandte und deutete, meine Arme um seinen Hals zu legen.

Skeptisch versuchte ich für einige Sekunden das Gleichgewicht zu halten, währenddessen schätze ich die Chancen ein, die mir blieben, wenn ich nun einfach loslaufen würde, doch der brennende Schmerz über meinen Rippen sowie die pfeifenden Geräusche, die ich bei jedem weiteren Atemzug ausstieß, erinnerten mich schmerzlich an die bittere Realität.

Plötzlich vernahm ich entferntes Stimmengewirr, welches sich unweigerlich unserem derzeitigen Standort zu nähern schien, weshalb ich die Zähne zusammenbiss und meine Arme fest um Taehyungs Nacken schlang, ehe dieser mich auch schon mit einer Leichtigkeit, die ich dem Kleineren nicht zugetraut hatte, in die Höhe hob.

Schnell schloss ich meine schmerzenden Beine so gut es ging um seine Körpermitte, um meinen Brustkorb, der nun mitsamt der pochenden Erhebung unter meiner Haut an seinen erhitzten Rücken gepresst wurde, zu entlasten und stieß sogleich ein tonloses Keuchen aus, welches der Ältere nur mit einem abfälligen Schnauben quittierte.

Immer näher drangen die fremden Stimmen durch das dichte Gehölz an mein Ohr, offenbar war auch Taehyung das sich nähernde Rettungsteam nicht entgangen, weshalb er sich zügig in Bewegung setzte und mit schweren, großen Schritten einen Weg durch das Unterholz bahnte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top