~ 21.4 ~
[Hinweis: Dieses Kapitel enthält zum Teil Inhalte, auf die manche Leser sensibel reagieren könnten]
Freudestrahlend saß Jeongguk auf dem Rücksitz ihres monströsen, tiefschwarzen SUV, mit funkelnden Augen blickte er aus dem in eine Richtung getönten, kugelsicheren Autofenster und ließ die blühende Landschaft sowie die unzähligen in hellen, unaufdringlichen Tönen gestrichenen Flachdächer, die die schmale Straße, die sie gemächlich entlangfuhren, säumten, entspannt an sich vorbeiziehen.
Obwohl der Sommer noch nicht gänzlich über Busan eingekehrt war, waren die beinahe fingerdicken Fensterscheiben einen winzigen Spalt geöffnet, wodurch eine warme, salzige Brise das geräumige Auto durchströmte und dem Jungen automatisch ein Gefühl von Heimat vermittelte.
Zusammen mit dem dominierenden Geruch des Meeres, welches sich sanft an die Hafenstadt im Süden schmiegte, stieg Jeongguk noch ein weiterer Duft in die Nase, der den kleinen Jungen dazu veranlasste, sogleich sein Gesicht zu verziehen und sich angewidert die Nase zuzuhalten: Sie fuhren durch das inoffizielle Herz der Metropole, der Jagalchi Fischmarkt, eines der größten Ballungsgebiete, wenn es um Meeresfrüchte, getrocknet wie lebendig, ging, ganz Südkoreas.
Dicht and dicht drängten sich die Buden mit ihren bunten Markisen und boten ihre Spezialitäten den bummelnden Einheimischen an, unmittelbar an der Küste erstreckten sich unzählige günstige bis hochpreisige Restaurants, die die Früchte des Meeres frisch gefangen und sofort, je nach Belieben heiß wie kalt zubereitet a la carte und in ausgefallenen, auswahlbietenden Buffets, verkauften, im überdachten Bereich des Marktes tummelten sich die Straßenkünstler und Live-Action-Köche, die unter den staunenden Blicken der Touristen den just gefangenen Fisch mit beeindruckenden Tricks und Kniffen, gekonnt filetierten und weiterverarbeiteten, ehe sie das akkurat am Spieß gebratene Meeresgetier den kleinen Kindern, die sich schüchtern hinter den Beinen ihrer lachenden Eltern, versteckten, hinhielten und ihre Augen so zum Leuchten brachten.
Jeongguk war noch nie auf einem dieser Märkte gewesen, die die pulsierende Ader der Hafenstadt darstellten, und das Lebensgefühl der Leute, die hier in Küstennähe wohnten punktgenau portraitierten, doch das störte den Jungen nicht sonderlich.
Er war es ja nicht anders gewohnt.
Er durfte in die Schule und war danach zuhause.
Abgesehen von den seltenen Ausflügen, die er meist allein mit seinem Vater unternahm, hatte er noch nicht viel von Busan gesehen.
In der Regel beschwerte er sich nicht.
Vor einigen Wochen jedoch war er tatsächlich auf eine Geburtstagsfeier eines Klassenkameraden eingeladen worden.
Er, Jeon Jeongguk.
Normalerweise mieden seine Mitschüler ihn, warum genau, hatte der Junge nie herausfinden können, doch nun hatte ihn wirklich jemand zu sich nachhause eingeladen, sie wollten ihn tatsächlich dabei haben.
Überglücklich war er nach der Schule in das schwarze Auto gestiegen, obwohl ihre Wohnung nicht weit entfernt der Schule lag, durfte Jeongguk nicht alleine nachhause gehen, und hatte sobald er zuhause angekommen war, überschwänglich seinen Eltern von der Einladung berichtet.
Während der Ausdruck seiner Mutter versteinert war, hatte sein Vater sich nicht so beherrschen können, und ihm eine schallende Backpfeife verpasst.
Was ihm einfallen würde, hatte er gebrüllt. Die Jeons würden sich mit derartigem Pack nicht abgeben.
Nicht zum ersten Mal hatte er solche Worte aus dem Munde seines Vaters kommen hören.
Doch er durfte es niemandem verraten.
Musste schweigen.
Musste gehorsam sein, sonst..
In schmerzlicher Erinnerung an das letzte Mal fasste sich Jeongguk mit verzogenem Gesicht an den Bauch.
So gern würde er doch nur einmal auf so eine Feier, hatte der Junge mutig mit feuerroter Wange dem Vater tapfer die Stirn geboten.
Die Kinder in der Schule würden sich schon über ihn lustig machen, dass er nichts alleine machen durfte.
Daraufhin wurde sein Papa ruhig.
Ungewöhnlich ruhig.
So ruhig, dass Jeongguk eine Gänsehaut bekommen und ihm ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen war.
Mit pochender Wange hatte er im weitläufigen Wohnzimmer der Familie gestanden und sich gewünscht, still geblieben zu sein.
Doch nun war es zu spät.
Quälend langsam war der hochgewachsene Mann an das Kind heran getreten, welches bereits begonnen hatte, am ganzen Körper zu zittern, krampfhaft hatte es die ersten aufsteigenden Tränen, um seine Lage nicht noch weiter zu verschlimmern, unterdrückt, da hatten die toten Augen des Mannes Jeongguk fixiert, ehe er mit fast tonloser Stimme zu sprechen begonnen hatte: „Na wenn das so ist, wirst du wohl auf diese kleine Feier gehen müssen." Er hatte sich noch etwas weiter heruntergebeugt, sodass ihn kein Zentimeter mehr vom Gesicht seines Sohnes getrennt hatte: „Sagst du dort auch nur ein falsches Wort, bist du tot." Abrupt hatte er von dem Jungen abgelassen und mit schnellen Schritten das luxuriös eingerichtete Wohnzimmer verlassen.
Ein Ruckeln fuhr durch das Auto, als es über eine der vielen Bodenschwellen der unbefestigten Straße direkt vorbei an den unzähligen Ständen, an denen ein nicht abreißender Menschenstrom entlangführte, brauste und riss Jeongguk so aus seinen Gedanken.
Fröhlich ließ er die Beine von dem edlen Polster herunterbaumeln, obwohl es mittlerweile bereits recht warm und die Luftfeuchtigkeit in Busan ohnehin schon immer sehr hoch war, trug er eine lange helle Jeanshose und ein geringeltes Langarmshirt.
Gerade im Sommer schwitzte Jeongguk fürchterlich in den Sachen, aber es war ihm nicht erlaubt, Kürzere zu tragen.
Er fragte nicht mehr, warum.
Es hätte nichts geändert.
‚Nicht zu viel reden, nicht zu wenig reden, stets lächeln, nichts sagen, was eine Bestrafung herbeiführen würde und in keinem Fall das Oberteil ausziehen.'
Gleich einem Mantra sagte sich Jeongguk diese Anweisungen seines Vaters immer und immer wieder in seinem Geiste auf, um sicherzugehen, dass er auch nichts vor lauter Aufregung vergaß.
Trotz des Drucks, unter dem der zerbrechliche Junge stand, freute er sich auf die Feier.
Das unbefestigte, holprige Kopfsteinpflaster wich einer breiten geteerten Landstraße, den Fischmarkt mit seinem hitzigen Trubel und den vielen Menschen ließen sie allmählich hinter sich, immer weiter drangen sie in eines der gehobeneren Viertel Busans vor – natürlich nicht so gehoben wie das, in welchem die Jeons residierten, jedoch auch keines, in dem sich der penetrante Geruch nach abgestandenem Fisch und dem Smog, welches die vielen Fabriken am Rande des Hafens ausstießen, unmittelbar in der frisch gewaschenen Wäsche, die du in deinem beschaulichen Gartenstück auf die Leine zum Trocknen aufgehängt hattest, festsetzte und du am Ende des Tages selbst rochst, als seist du ein Hafenarbeiter.
Die Stirn des Vaters hatte sich in tiefe Falten gelegt. Gleich zackigen Furchen in weichem Ackerboden zogen sie sich durch das gezeichnete Gesicht des Mannes mittleren Alters.
Bereits die ganze Fahrt über hatte er kein Wort von sich gegeben, seine Frau wusste, dass sie in einem solchen Falle auch besserdaran tat, zu schweigen.
Der helle, staubige Schotter knirschte leise unter den massiven Reifen des großen SUVs, als die Familie schließlich in die Auffahrt ihres Ziels einrollten.
Innerlich vollkommen aufgewühlt, jedoch äußerlich beherrscht, wartete Jeongguk artig und versicherte sich mit einem fragenden Blick bei seinem Vater, ob er auch bereits aussteigen dürfe.
Vorsichtig umfassten seine zierlichen Finger den silberglänzenden Türgriff, ehe er auch schon die schwere Autotür mit einem Ruck aufstieß und grinsend auf den hellen Kies sprang, sodass eine schwache Wolke aus Staub von den Sohlen des Jungen ausging.
Sofort zuckte dieser zusammen und verbeugte sich leicht vor dem Familienoberhaupt, was dieser lediglich mit einem verächtlichen Schnauben abtat, bevor er auch schon mit seiner Frau gemeinsam die ausgetretenen Stufen zur Haustür des behaglichen Anwesens hinaufschritt. Eilig lief der Junge seinen Eltern hinterher.
Nachdem eine warm lächelnde Frau Jeongguk und seiner Familie die Tür geöffnet und den Jungen bereits in den Garten zu den anderen Kindern geschickt hatte, wurde noch das übliche aufgesetzte Geplänkel abgehalten, ehe die Eltern mit ausdruckslosen Gesichtern wieder in ihr Auto stiegen und den Highway hinabbrausten.
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