~ 20.8 ~

Einige Meter entfernt, im Halbschatten einer kahlen Tanne an dessen verwitterte Rinde gelehnt, stand Jeongguk in einem gelinde gesagt desaströsen Zustand und schien mich eindringlich zu fixieren.

Sein Gesicht war eingefallen und aschfahl, hellrotes, frisches Blut klebte an seinem Mundwinkel, die Augen huschten rastlos über die kleine Lichtung, seine Pupillen waren pechschwarz und riesig; geschockt glitt mein Blick über seinen bebenden Körper, seine Hände waren über und über mit Blut bedeckt, dicke Krusten hatten sich auf seinem Handrücken gebildet, der schwere Mantel, der nur noch halb über seinen Schultern hing, war schmutzig und offen, wodurch seine nackte Brust entblößt wurde, welche ebenfalls mit blutigem Schorf übersät war.

Geduckt stand er im Zwielicht und es machte beinahe den Anschein, als würde er mit sich selbst reden. Ruckartig erhob ich mich und wollte auf den Jüngeren zulaufen, meine Tränen waren auf Schlag versiegt, derart überrascht war ich von seinem plötzlichen Auftauchen.

Doch irgendwas stimmte nicht. Mein Herz, welches, als ich ihn zuerst erblickt hatte, einen großen Sprung getan hatte, hörte nun nicht mehr auf, aufgeregt in meiner Brust zu klopfen und meine Sorge um ihn nur noch weiter ansteigen zu lassen.

Ich war im Begriff auf den Jüngeren zuzulaufen, doch bei jeder weiteren Bewegung zuckte der Körper des Schwarzhaarigen heftig zusammen, beinahe als stünde er unter Strom.

„J-Jeongguk.", krächzte ich und wischte mir einige Male hastig über die bereits trocknenden Tränenbahnen an meinen geröteten Wangen.

Vorsichtig streckte ich meinen Arm nach ihm aus, doch er wich schlagartig zurück, als wolle ich ihm irgendein Leid zufügen.

Ein schmerzhaftes Ziehen durchfuhr meine Brust bei seinem verängstigten Anblick. In einem derartigen Zustand hatte ich ihn noch nicht erlebt.

Immer noch am ganzen Körper zitternd, lehnte er an der Tanne und starrte mich durchdringend an, als müsste er sich zurückhalten, nicht über mich herzufallen.

„Ggukie, ich bins.", flüsterte ich, während ich mich ihm vorsichtig näherte, genauestens darauf achtend, so wenig Geräusche wie möglich zu erzeugen.

„Tae, nein bitte nicht."; ertönte dann plötzlich die kratzige Stimme des Jüngeren. „Das kann nicht sein, nein nein.", wiederholte er danach leise, mehr zu sich selbst.

Was war ihm bloß zugestoßen? Blechern schüttelte ihn ein schlimmer Husten.

Geschickt pirschte ich mich näher an ihn heran, mein kraftloser Körper schrie mit jeder Faser danach, den Jüngeren endlich in den Arm nehmen zu können.

Immer weiter schien Jeongguk indes buchstäblich in sich zusammenzufallen, als hätte man die Luft aus seinen erschlaffenden Gliedmaßen abgelassen.

Mit letzter Kraft versuchte er sich mit den Fingernägeln seiner blutbeschmierten Hände in die abbröckelnde Rinde des Baumes hinter ihm zu krallen, währenddessen ruhte weiterhin sein Blick, der eine Mischung aus Verzweiflung und Angst ausstrahlte, fest auf mir.

Rastlos versuchten seine Augen jedoch gleichzeitig, die meinigen zu meiden, völlig geistesabwesend wirkte es, als würde er unverständlich leise nuscheln und mit sich selbst etwas zuflüstern, erst als der Boden unter meinen Füßen leise knackte, durchzuckte es ihn abermals und er wich völlig panisch einige Meter zurück.

Ohne den stützenden Baum war es ihm hingegen kaum möglich, sich länger auf den Beinen zu halten, geschockt musste ich mitansehen, wie sein Körper die letzte Spannung zu verlieren schien.

Überstürzt eilte ich zu ihm, um seinem kraftlosen Körper den harten Sturz auf den kalten, feuchten Waldboden zu ersparen; Jeongguk jedoch war im Begriff, sich noch weiter von mir wegzulehnen, als er begriff, was ich vorhatte; in der letzten Sekunde gelang es mir noch, einen Arm schützend um seinen Oberkörper zu legen, sodass ich den beinahe leblosen Leib des Jüngeren fest an mich drücken konnte, wie eine Gliederpuppe baumelten seine Extremitäten kraftlos an den Seiten seines Oberkörpers herab.

„Jeongguk.", schluchzte ich, ihn weiterhin stark an mich pressend. Seine blutüberströmte Brust war unfassbar kalt, rasch fuhr ich mit meinen warmen Händen unmittelbar über seine eisige Haut, ehe ich sie gänzlich in seinem Mantel verschwinden ließ, um ihn komplett umschlingen zu können.

Sein lebloser Körper war schwer wie Blei, lediglich der pochende Herzschlag, gleich eines flatternden Vogels in seinem Brustkorb gab mir die Sicherheit, dass der Jüngere noch atmete.

Beruhigend ließ ich meine Fingerkuppen über seine eiskalte Haut fahren, nicht einen Moment stockte ich aufgrund der unzähligen Narben, die sich knubbelig auf seinem ausgekühlten Rücken erhoben, immer weiter glitt ich, um so viel Körperwärme zu transferieren wie nur irgend möglich.

Unaufhörlich drehte sich das Gedankenkarussel in meinem dröhnenden Schädel, doch hielt es an keiner der sich mir bietenden Entscheidungen.

Was sollte ich nur tun?

Mich beschlich das Gefühl, der Sache hier alleine nicht mehr gewachsen zu sein, es war schlicht so viel Blut, das an Jeongguks ausgemergeltem Körper klebte, von dem ich nichtmal ansatzweise unterscheiden konnte, ob es von ihm oder einer dritten Person zu stammen vermochte.

Tonlos liefen mir weitere Tränen die brennenden Wangen hinab und tropften auf Jeongguks nackte Haut. Ich war einfach nicht mehr in der Lage, mich zusammenzureißen, ich war am Ende.

„Hey, Ggukie. Alles wird gut.", flüsterte ich noch beruhigend in seinen zerzausten Haarschopf, in welchem ebenfalls harte Stippen getrockneten Blutes klebten. Mir wurde schlecht.

Der Körper des Jüngeren bebte unter jeder meiner Berührungen, da stöhnte er plötzlich auf, ehe er seinen Kopf schmerzhaft verdrehte, um ihn in den Nacken legen zu können und mir direkt in die Augen zu sehen: „H-hast du keine Angst?", hauchte er, seine Augenlider flackerten beunruhigend, sein Körper zog mich unaufhaltsam immer tiefer, ehe er mich schließlich gänzlich in die Knie zwang, doch ich dachte nicht eine Sekunde daran, meinen Griff zu lösen.

Seine Atmung erfolgte stoßweise und flach, mit jedem Mal, das er die Luft zwischen den Zähnen hervorblies, verteilten sich neue, feine Blutspritzer auf seinen aufgeplatzten Lippen.

Vorsichtig bettete ich den zitternden Leib Jeongguks auf meinen Oberschenkeln und zog ihn so gänzlich auf meinen Schoß, sodass es mir endlich möglich war, unmittelbar in sein Gesicht zu sehen.

Aus der Nähe betrachtet sah es tatsächlich noch schlimmer aus: seine Augenlider waren mittlerweile fast gänzlich zugeschwollen, aus der Wunde an seiner Wange quoll abermals in dicken Tropfen frisches, rotes Blut welches im Licht der Sonnenstrahlen, die vereinzelt durch die kahlen Baumwipfel drangen, matt zu schimmern begannen, seine Unterlippe war aufgeplatzt und unnatürlich aufgedunsen, von dem verkrusteten alten Blut, welche seine restliche Haut in unregelmäßigen Flecken bedeckte, mal ganz zu schweigen.

Mein Herz pochte schmerzhaft in meiner Brust, als sich die ersten Schuldgefühle leise wispernd in der letzten Ecke meines Gewissens bemerkbar machten. Doch sie hatten Recht.

Noch immer hatte der Schwarzhaarige kaum ein weiteres, klares Wort verloren. Behutsam strich ich über seine blutbefleckte Wange und hauchte sanft gegen seinen Lippenbogen: „Jetzt kannst du dich beruhigen, ich bin ja endlich da." Mir war klar, dass es im Moment nichts ändern würde. Was konnte ich schon ausrichten? Doch ich konnte es zumindest versuchen.

„Tae?", krächzte da der Jüngere plötzlich, in seiner Stimme schwang deutliche Verwunderung, sowie ein klar vernehmbares Nachhallen, als wäre seine Luftröhre mit dünnem Wellblech ausgekleidet. Bei jedem Atemzug schien sich seine Brust schwerer zu heben und zu senken.

„Ja! Ich bins, Taehyung.", murmelte ich beruhigend leise. Scheinbar schien Jeongguk vollkommen desorientiert zu sein. Vielleicht lag das an dem Blutverlust oder eventuell auch an der Tatsache, dass er langsam aber sicher erstickte.

Das reichte nun endgültig.

Entschlossen fischte ich mit einer Hand mein Handy aus der weiten Manteltasche und wählte mit flinken Fingern die Nummer des Notrufs. Und wenn ich die Krankenhausrechnung von meinem gesparten Geld hätte bezahlen müssen, damit seine Eltern nichts davon mitbekamen; ich würde nicht weiter tatenlos zusehen, wie der Jüngere gerade zugrunde ging, um mich vermeintlich zu beschützen.

Da legte sich auf einmal seine schier riesige Hand auf mein kleines Mobiltelefon „Bitte.", atemlos schnappte Jeongguk nach Luft. „Bitte nicht.", presste er angestrengt zwischen den Zähnen hervor.

Resignierend ließ ich das Telefon sinken, um Jeongguks Blick standzuhalten. „Es muss sein.", flüsterte ich leise, dabei lief mir vereinzelt eine weitere Träne die Wange hinunter, tonlos landete sie auf dem blutigen Schorf der seinigen.

„Nein, Tae.", rasselnd wurde sein Körper von einem schlimmen Husten geschüttelt, der weitere Blutspritzer im direkten Umgebungsradius des Jüngeren verteilte und somit auch auf mein Gesicht niedergingen, aber das war tatsächlich das Letzte, worum ich mich gerade kümmerte.

„Du darfst nicht weinen.", brachte er mühsam mit belegter Stimme über die Lippen, ehe er mit letzter Kraft den Arm erhob und seine eisige Hand an meine Wange schmiegte.

Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke und es fühlte sich, wenn auch nur einen kurzen Moment lang, genauso an wie früher: Die Vertrautheit, die Nähe, die... Liebe?

Augenblicklich erschlaffte der Arm Jeongguks jedoch abermals und landete mit einem dumpfen Knall auf dem feuchten Waldboden.

Voller Entsetzen konnte ich noch sehen, wie sich der gänzlich weiße Teil seines Glaskörper seiner Augen in den Vordergrund drängte, ehe seine Lider sich komplett schlossen.

„Jeongguk?", hauchte ich. Panik erfasste mich. „Ggukie!", rief ich erneut mit mehr Nachdruck und schüttelte seinen geschundenen Körper leicht. Keine Reaktion.

Verzweifelt griff ich erneut nach meinem Mobiltelefon, die Nummer des Notrufs war noch eingewählt, und dieses Mal konnte mich keiner mehr von meinem Vorhaben abhalten: „Hallo?? Hier ist Kim Taehyung und ich möchte einen Notfall melden, mein Freund ist schwer verletzt."

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