~ 18.7 ~
Rastlos schlug ich meine schweren Augenlider auf, ehe ich mich mit einem überstürzten Ruck aufsetzte und wankend erhob.
Automatisch tastete ich meinen Körper nach neuen Verletzungen ab, währenddessen glitt mein Blick unaufhörlich suchend über die Umgebung, um nach Taehyung Ausschau zu halten.
Wie hatte ich nur so versagen können, schalt ich mich wiederholt.
Hastig suchte ich in den Innentaschen meines Mantels mein schwarzes Notizbuch, doch ich konnte es einfach nicht finden.
Verzweifelt fuhr ich mir durch die zerzausten Haare, da erst drang eine nicht unwichtige Bemerkung an mein Bewusstsein; irritiert im Kreis drehend, blickte ich mich um und sah: nichts.
Unmittelbar darauf spürte ich bereits, wie mein Herz schneller Blut durch meine Adern zu pumpen begann, während meine Atmung weiterhin pfeifend ging.
Um mich herum befand sich buchstäblich nichts außer freier, beinahe stechend weißer Fläche.
Als würde ich in einem Fotostudio hinter einer gänzlich leeren Leinwand stehen, nur dass jede Wand dieses Raumes eine Leinwand war.
Das war selbst für mein Gehirn ungewöhnlich.
Vorsichtig trat ich einige Schritte nach vorn, der, ebenfalls schneeweiße, Boden schien sämtliche Geräusche zu absorbieren, hilfesuchend tastete ich mit meinen Händen nach vorn, nach oben und hinter mich, doch ich traf tatsächlich auf keinerlei Widerstand, abgesehen von dem Boden unter meinen Füßen.
Panisch riss ich meine Augen auf, sodass mir fast die Augäpfel aus den Höhlen quollen.
Es war, als wäre ich erblindet.
Mich ergriff nackte Furcht.
Gleichermaßen wütend wie verzweifelt stieß ich einen frustrierten Seufzer aus und stockte noch in der Bewegung, sobald ich bemerkte, dass auch dieser Ton, der wutentbrannt meiner Kehle entfleuchte, von meiner skurrilen Umgebung geschluckt wurde.
Schneller und schneller begannen meine Gedanken zu rasen, in meinem Kopf kreisten ununterbrochen genau die Fragen, derer ich mich bereits so oft hatte stellen müssen; Wo war ich? Wie war ich hierhin gelangt? Und wie kam ich hier wieder weg?
Der Umstand, der mich hingegen zurzeit wirklich beunruhigte und dafür sorgte, dass alle weiteren Gedanken auf der Strecke zu dem Verarbeitungszentrum meines Gehirns jämmerlich verdursteten, war dieser; Wo war Taehyung?
Gleich einem glühenden Schüreisen, welches tief in meine Eingeweide gerammt wurde und das umliegende Gewebe quälend langsam verglühen ließ , traf mich mein Gewissen schmerzhaft bei der bloßen Annahme, was ich alles mit ihm angestellt hätte haben können.
Ich spürte einige Tränen in mir aufsteigen, doch ich weinte sie nicht. Wie bei einem verstopften Hahn hatten sie keine Möglichkeit meinen Tränendrüsen zu entweichen, stattdessen baute sich erneut ein unangenehmer Druck in meinem Schädel auf.
Immer weiter schwoll dieser an, mit schmerzverzerrtem Gesicht drückte ich meine Fäuste verzweifelt gegen die Schläfen, in der Hoffnung, meinem Kopf wenigstens etwas des Drucks zu nehmen, jedoch vergeblich.
Gequält kniff ich die Augen zusammen, das weiß der Wände und des Bodens um mich herum, schien immer greller zu werden, als würde ich unmittelbar in die gleißenden Scheinwerfer eines herannahenden Zuges starren.
Mit einem lauten Knall, ob dieser tatsächlich durch diesen obskuren Raum hallte oder lediglich meiner Einbildung entsprang sei mal dahingestellt, entlud sich der Druck, der auf meiner Schädeldecke lastete, ruckartig; zaghaft schlug ich meine Augenlider erneut auf und glaubte im selben Moment nun vollkommen den Verstand verloren zu haben; das gleißende, blendende weiß, was mich bis vor wenigen Sekunden noch zur Gänze umhüllt und mich bereits an meiner Wahrnehmung hatte zweifeln lassen, war einem beinahe pulsierenden schwarz gewichen, wie dichter Nebel umhüllte mich die überraschende Abwesenheit von Licht und raubte mir klammheimlich auch die letzten Sinneswahrnehmungen.
Stumm, taub und nun auch noch zur Gänze erblindet versuchte ich, orientierungslos irgendetwas in meiner Umgebung zu fassen zu bekommen, da blendete mich plötzlich ein winziger, schräg einfallender Lichtschein, der ohne Vorwarnung weit über meinem Schopfe aufgetaucht war.
Irritiert, jedoch auch etwas erleichtert fixierte ich die schmale, unregelmäßige Öffnung, die sich schätzungsweise einige Meter über meinem Kopf gebildet hatte und versuchte krampfhaft, etwas durch sie hindurch zu erkennen, doch alles, was ich sah, waren viele ineinander verwaschene Farben, als würde ich durch Milchglas blicken.
Etwas näher versuchte ich an das Loch, dessen Ränder beinahe gespenstisch wabernd mit der Finsternis, die es umgab, verschwammen, heranzugelangen. Angestrengt versuchten meine Augen multiple Male, die sich außerhalb der Öffnung befindliche Umgebung, erkennen zu können.
Mit letzter Kraft reckte ich mich dem Loch entgegen, da erblickte ich etwas Glitzerndes; meinen Kopf schmerzhaft in den Nacken gelegt, stockte mir der Atem bei dem Erhaschen eines Blickes auf die Quelle dieses Funkelns: das silbrige Schimmern, welches meine zusammengekniffenen Augen durch die winzige Öffnung wahrnahmen, war der glänzende Schopf des Älteren.
Ehe mein Gehirn die Informationen, welche unbarmherzig in Sekundenschnelle auf mich niedergingen, auch nur ansatzweise hatte verarbeiten können, klärte sich meine Sicht auf Schlag gänzlich:
Es war, als würde ich durch einen Türspion lugen, verschwommen erkannte ich das schmerzverzerrte Gesicht Taehyungs, seine Wangen gerötet, unaufhörlich Tränen über diese herablaufend, mein Herz wurde schwer.
Meine derzeitigen Umstände rückten automatisch gänzlich in den Hintergrund, zu sehr schmerzte mich die Verzweiflung in den Augen des Älteren.
Plötzlich riss dieser entsetzt die Augen auf; angestrengt versuchte ich, noch mehr als diesen kleinen Ausschnitt erkennen zu können, da vernahm ich dumpf und hohl die brüchige Stimme des Silberhaarigen.
„Ggukie, was machst du da?", hallte kaum hörbar und mit seltsam blechernem Klang die Stimme des Silberhaarigen durch die allumfassende Finsternis.
Ich verstand nicht.
Wie am Grunde eines tiefen Sees fühlte ich mich, als ich so hilflos in das Gesicht des Älteren blicken musste, ohne auch nur irgendwas ausrichten zu können.
Ich versuchte, ihm etwas zuzurufen, doch mein Hals fühlte sich mit einem Mal wie zugeschnürt, meine Glieder wurden bleischwer.
„Ggukie, bist du sicher, dass-" Die Stimme des Älteren brach gänzlich, eine Mischung aus Angst und Verzweiflung spiegelte sich in seinen kaffeebraunen Augen.
Was ich jedoch als Nächstes sah, hätte ich mir einerseits in meinen kühnsten Albträumen nicht ausmalen können und doch war es andererseits gleichzeitig das, wovor ich mich insgeheim immer gefürchtet hatte:
Hilflos musste ich gänzlich gelähmt zuschauen, wie fremde Hände den Älteren grob an die Rinde des Baumes hinter ihm drückten.
Wehrlos musste ich sehen, wie diese Hände begannen, mit fordernden Bewegungen über Taehyungs zitternden Körper zu streichen, seine Miene währenddessen füllte sich mit immer mehr Furcht.
Kraftlos versuchte er, die Hände wegzuschieben, doch ich sah, dass er weder körperlich, noch psychisch in der Lage war, sich richtig zu wehren.
Eine unglaubliche Übelkeit packte mich, ein Zittern fuhr durch meine erstarrten Glieder.
Jetzt wehr dich endlich, war der Gedanke, der mein sämtliches Denken eingenommen zu haben schien.
Ich hätte mich umbringen sollen, als ich noch die Möglichkeit dazu hatte. Niemals hätte ich zulassen dürfen, dass mir Taehyung so nah kommt.
Rastlos war ich dazu verdammt, der Situation beizuwohnen und den fremden Händen hilflos dabei zusehen zu müssen, wie sie immer grober über den mittlerweile bebenden Körper des Älteren fuhren; nur, dass diese fremden Hände nicht fremd waren. Sondern meine eigenen.
So oft hatte ich mir schon vorgestellt, wie es wäre, zu sehen was mein Körper tat, wenn ich verloren ging; es war das erste Mal, dass ich tatsächlich als blinder Passagier diesem Zustand beiwohnen konnte, jedoch würde ich diese Situation für mich unbedingt nicht als Erfolg verbuchen.
Ich musste die Kontrolle zurückerlangen.
Bei dem Anblick des immer weiter vor mir zurückweichenden Kleineren zerriss es mir fast das Herz.
Mit aller Kraft versuchte ich, mich irgendwie zu stoppen, doch die Erfahrung, welche leise wispernd in einem winzigen Teil meine Gehirns saß und mir schmerzlich all die Erinnerungen ins Gedächtnis rief, in denen ich mich nicht hatte zurückhalten können, überschwemmte mein Denken; Erinnerungen an Situationen, in denen ich nicht weniger zu dem Monster geworden war, was andere vielleicht in meinen Erzeugern sehen würden.
„Jeongguk.", murmelte Taehyung inzwischen immer leiser.
Es waren diese Tage gewesen, an denen die Stimmen wieder ohrenbetäubend gewesen waren.
An denen sie, wild durcheinander schreiend und flüsternd, mich mit ihren ketzerischen Äußerungen schier in den Wahnsinn getrieben hatten.
Das Ziehen im Brustkorb, der dröhnende Kopf und dann. Stille. Ich versank in einem Tümpel aus Dunkelheit und Schmerz.
Das Erste, was ich erblickte, wenn ich nach solchen Tagen erwachte, waren meist schmutzige Decken von noch schmutzigeren Appartements oder billigen Motels.
Ich zog mich an und verließ diesen Ort. Ich blickte nicht zurück, weder in dem Moment auf die Personen, die ich zurückließ, noch auf die Erinnerung, die gleich einer Narbe zwar verblasste, aber nie gänzlich verschwand.
Die Erinnerung daran, dass ich mich nicht erinnerte.
Dass ich mir nur ausmalen konnte, was hinter diesen schäbigen, schmutzigen Gardinen geschehen war.
Und doch hatte ich es immer wieder zugelassen.
Hatte mich extra in entsprechenden Vierteln aufgehalten, wenn die Stimmen mir nächtelang wieder keine Ruhe gelassen hatten, sodass ich, tiefe, blutunterlaufene Augenringe im Gesicht, losgezogen war, um sie zu besänftigen.
Um weiterleben zu können.
Doch das hier hingegen war kein x-beliebiger Typ, den ich in einer heruntergekommenen Schwulenbar aufgegabelt hatte.
Dies war keine Prostituierte, die ich am Straßenrand in mein Auto gelockt und mit ihr in eine billige Absteige gefahren war.
Dies hier war der Mann, dieser perfekte, herzensgute, liebevolle, einfühlsame Mann, die mir alles bedeutete.
Für den ich, ohne mit der Wimper zu zucken, mein Leben geben würde.
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