~ 18.5 ~
Sanft kitzelte mich etwas im Gesicht, weshalb ich verschlafen meine geschwollenen Augenlider öffnete und mit dem Handrücken erschöpft über sie rieb, um überhaupt erkennen zu können, was mich dort so zaghaft geweckt hatte.
„Taehyung?", drang zurückhaltend ein brüchiges Flüstern an meine Ohren. „Alles in Ordnung bei dir?"
Beim Klang der Stimme, dieser Stimme, riss ich sofort meine noch müden Augen weit auf, ehe ich auch schon in die mandelförmigen, besorgten Jeongguks blickte.
Mit einem Schlag war alles wieder da.
Die Szene, in der ich den Jüngeren vor wenigen Stunden noch vorgefunden hatte, wurde von meinem Hirn repetitiv hintereinander abgespielt wie eine kaputte Schallplatte.
Erschrocken zog der Jüngere die Hand, mit der er scheinbar meine zerkratzte Wange gestreichelt hatte, zurück.
Die Wunde in seinem Gesicht war erneut aufgerissen, dicke Blutstropfen quollen unregelmäßig aus der vernarbten Kruste hervor.
Auch seine Lippen zierte ein gerader Schnitt, beinahe senkrecht durchteilte er seine Unterlippe, hellrot schimmerte die Platzwunde im Licht der untergehenden Sonne.
Betreten senkte Jeongguk den Blick, als er meinen erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkte.
Ich hingegen fiel ihm lediglich überstürzt um den Hals, den Hoodie, in den ich mich noch bis vor Kurzem gekuschelt hatte, dabei achtlos auf den Boden rutschen lassend, wodurch wir zusammen im kühlen Gras landeten; Jeongguk, der offenbar meine Sporttasche mit einer Hand umklammert hielt, entglitt diese ebenfalls, ehe ich auch schon, den Jüngeren fest umschlungen hatte, während erneut heiße Tränen die bereits getrockneten Bahnen an meinen Wangen hinabliefen.
Als würde mein Leben davon abhängen, drückte ich mich an ihn und vergrub meinen hochroten Kopf schluchzend in seiner Halsbeuge.
Jeongguk erwiderte zögerlich meine überrumpelnde Umarmung, leise flüsternd strich er mir beruhigend über den mittlerweile ausgekühlten Rücken, seine Atmung ging flach und rasselnd.
„Du lebst.", brachte ich mühsam unter multiplen Schluchzern hervor.
Ich weiß nicht, was ich bis zu diesem Zeitpunkt angenommen hatte, jedoch war ich in diesem Moment einfach nur froh, als ich den Jüngeren in einem Stück vor mir sah.
„Aber natürlich lebe ich.", brummte dieser beruhigend. „Was sollte ich auch sonst tun?" Ein schlimmer Husten schüttelte ihn.
Abrupt löste ich die Umarmung, ehe mein gehetzter Blick über seinen geschundenen Körper fuhr.
Aufgebracht fuhr ich ihm durch die Haare, strich vorsichtig über sein irritiertes Gesicht, tastete seine Arme ab, danach seinen Torso, bis der Jüngere schließlich scharf die Luft einzog.
„Was war das?", rief ich aufgebracht, seinen Blick mit dem meinigen fest fokussiert, während ich ihn bestimmt gegen die morsche Rinde der Weide drückte und mit einer schnellen Bewegung, bevor der Jüngere es auch nur ansatzweise hätte unterbinden können, das dunkle Shirt nach oben zog.
Entsetzt stöhnte ich auf, als mir sofort die, schmerzhaft wirkenden, Blutergüsse ins Auge sprangen, die sich, fast gänzlich schwarz verfärbt, und, von unregelmäßigen dunkelroten Punkten durchzogen, großflächig über seiner zarten Haut ausbreiteten.
Erneut senkte Jeongguk den Blick und schien abwesend auf seine Hände zu starren, sein Brustkorb senkte sich unregelmäßig, bei jedem seiner Atemzüge vernahm man ein leises Nachhallen.
„Jeongguk!", wiederholte ich diesmal jedoch etwas einfühlsamer. „Bitte rede mit mir." Vorsichtig legte ich eine Hand unter sein Kinn, bevor ich es sanft nach oben schob und ihm tief in die Augen sah.
In ihnen lagen wie so oft bereits unglaublicher Schmerz und Verzweiflung, doch die dominierende Emotion, die mir entgegensprang, sobald ich in diese wunderschönen, dunkelbraunen Augen blickte, war Angst.
Mittlerweile konnte ich zu gut verstehen, wie diese Mischung zustande kam.
„Warum lässt du das über dich ergehen?", flüsterte ich leise, währenddessen wandte er erneut den Blick ab, unruhig fuhr er über die Umgebung, als würde er nach Antworten in der uns umringenden Natur suchen.
„Warum hast du denn nie etwas gesagt? Warum hast du", sacht, um ihn nicht weiter zu ängstigen, legte ich meine beiden Hände langsam an seine erhitzten Wangen. „mir nichts gesagt?"
„Tae, du darfst nicht weinen.", hauchte dieser lediglich auf meine Fragen. Ohne mich direkt anzusehen, hob er den Kopf und strich mir vorsichtig einige Tränen aus dem Gesicht. „nicht.", flehte er beinahe. Rau und gepresst drang seine Stimme an mein Ohr.
Verzweiflung machte sich in mir breit.
Hörte Jeongguk mir überhaupt zu?
„Jeongguk, warum wehrst du dich nicht gegen sie?", entgegnete ich nun wieder etwas bestimmter.
Stille.
Sanft nahm ich die Hände, die er auf seinem Schoß gefaltet hatte, in meine und drückte sie fest. „Pass auf, es wird alles gut, ich regel das schon. Ich gehe mit dir zur Polizei und dann musst du nichts-"
Scharf schnitt der Jüngere mir das Wort ab „Keine Polizei." Vehement schüttelte er fast mechanisch den Kopf. „Nein, nein. Keine Polizei.", wiederholte er, als hätte man bei einem alten Kasettenrecorder die Replay-Taste gedrückt.
„Aber-"
„Nein." Seine Stimme klang dumpf und hohl. „Keine" Zum Nachdruck hob er einmal kurz seine Hände in meinen an, bevor er sie wieder kraftlos hinabsinken ließ. „Polizei."
Warum reagierte der Jüngere so?
Es wirkte beinahe, als wäre er in einer Art Trance, genau wie damals am Bahnhof in Seoul. Starr hatte er seinen Blick in die Ferne gerichtet, als fixierte er dort einen festen Punkt.
„Jeongguk!", rief ich mittlerweile noch lauter. „Hey, schau mich an." Ruckartig fuhr sein Kopf in meine Richtung, doch sein Blick, obwohl er nun auf mir lag, war leer.
Panik und das ungute Gefühl, dass irgendwas hier ganz und gar nicht zu stimmen schien, stieg in mir auf.
Ich konnte nicht mehr so ruhig sitzenbleiben, aufgebracht sprang ich auf die Beine und lief verzweifelt hin und her.
Das, mittlerweile vertrocknete, Gras unter meinen Füßen quietschte leise unter meinen Sohlen, da fuhr ich den Jüngeren weiter an: „Jetzt rede verdammt nochmal mit mir, Jeongguk, ich will dir doch nur helfen!" Wütend baute ich mich vor dem Schwarzhaarigen auf, der immer noch an die feuchte Rinde gelehnt, träge in die Ferne starrte.
„Jeongguk!", schrie ich abermals seinen Namen. Keine Reaktion.
Wut, Verzweiflung und noch mehr heiße Tränen stiegen in mir auf.
Was war mit dem Jüngeren bloß los?
„Bitte bitte, lass mich dir doch helfen. Du machst mir Angst.", schluchzte ich.
Ohne den Blick von der Entfernung zu lösen, erhob sich der Jüngere daraufhin plötzlich und schritt vorsichtig auf mich zu „Du musst mir nicht helfen.", hallte seine Stimme über die Lichtung. „Mir geht es gut."
Wutentbrannt riss ich die Augen auf „Gut?", flüsterte ich. „GUT!?" Mit einem Mal brach sämtliche Wut, vermischt mit schierer Verzweiflung und gepaart mit der unbändigen Angst aus mir heraus, als ich in das geschundene Gesicht des Jüngeren blickte. „Sieht so jemand aus, dem es gut geht? Mit all den Verletzungen.", ich streifte kurz mit meinen Fingerkuppen seine weiche Gesichtshaut. „mit all den verblassten Narben?", fuhr ich sacht über seine Brust, unter dessen Berührung Jeongguk heftig zusammenzuckte. „Du kannst immer noch kaum Atmen, verdammt! Es geht dir nicht gut, aber ich werde dir helfen, zusammen werden wir-"
„Nein." Bestimmt und klar war seine Stimme, als er diese Worte formulierte, sein Körper hingegen krümmte sich immer noch leicht nach vorn, stützend fasste er sich mit der Hand an die rechte Seite seiner Brust, als würde er sicherstellen wollen, dass nichts plötzlich aus seinem Rippenkäfig sprang.
„Jeongguk, ich-" verzweifelt lief ich immer schneller auf der Stelle, es brannte mir unter den Fingernägeln, etwas zu unternehmen, irgendwas, um dem Jüngeren zu helfen.
So langsam bereitete mir auch sein physischer Zustand vermehrt größere Sorgen.
„Nein, ich brauche keine Hilfe von dir.", entgegnete er monoton.
Eine, alles um sich herum einnehmende, Kälte erfasste mein Herz, mir wurde heiß und kalt, als ich wieder in die Augen des Jeongguks zu blicken schien, dem ich damals in Seoul schon einmal begegnet war.
Aufgebracht raufte ich mir die Haare, meine Gedanken rasten. Was sollte ich nur tun?
„Bitte.", flehte ich, mich unmittelbar vor ihm aufbauend.
„Nein."
Meine letzte Deckung fiel, wutentbrannt und gleichzeitig völlig am Ende meiner emotionalen Kapazitäten schlug ich mit meinen Fäusten kraftlos immer wieder gegen seine Brust, in der Hoffnung, er würde wieder zu sich kommen.
Stumm und starr registrierte dieser mein Tun, tat jedoch nichts, um es zu unterbinden.
Auf ein Neues begannen heiße, dicke Tränen meine Wangen hinabzuströmen, währenddessen hämmerte ich unaufhörlich weiter gegen den Oberkörper des Jüngeren.
Ohne Vorbereitung ergriff dieser daraufhin plötzlich meine beiden Handgelenke, dabei vernahm ich, wie ein heftiges Zittern von seinem gesamten Körper Besitz zu ergriffen haben schien, trotz seiner eingeschränkten Atmung richtete er sich kerzengerade auf, während er mich mit einem Ausdruck musterte, den ich zuvor noch nie gesehen hatte, mit dem er mir erst einmal begegnet war, und zwar als er mich damals im Wald an diesen verdammten Baum gepresst hatte; der Blick eines wildgewordenen Tieres.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top