~ 18.2 ~
Immer weiter beschleunigte ich meinen Schritt, obwohl die Lust, mich gleich mit meinen Eltern auseinandersetzen zu müssen, noch weiter zu sinken schien.
Auf der anderen Seite hätte ich es dann zumindest schonmal hinter mich gebracht, könnte danach in Ruhe duschen gehen und mir einen Schlachtplan überlegen, wie ich die Sache mit Jeongguk nun am besten handhabte.
Vielleicht können wir uns ja heute nochmal sehen, flüsterte eine kleine, verlockende Stimme tief in mir und beinahe war ich versucht, dieser nachzugeben.
Ich sollte mich ja eh melden, sobald ich zuhause angekommen war, da könnte ich ja dann im selben Zug gleich unauffällig erfragen, was er für den restlichen Tag noch geplant hatte.
Nervös kramte ich mein Handy aus den weiten Jackentaschen Jeongguks Mantels hervor, um kurz meine Nachrichten zu checken, ehe ich meine kühlen Hände, trotz der scheinenden Sonne konnte man seinen Atem als wabernde Dunstwolke vor der eigenen Nase erblicken, rasch in die kuschelige Bauchtasche meines Kapuzenpullovers steckte.
Fröstelnd zog ich meinen Kopf ein und entspannte mich sofort, als mir Jeongguks vertrauter Geruch, der von diesem ausstrahlte, in die Nase zog, währenddessen bog ich bereits in unsere Einfahrt ein.
Ein letztes Mal fuhr ich mir aufgeregt durch das silberne Haar, ehe ich meinen Schlüssel vorsichtig in das Schloss steckte und den Hauseingang leise entriegelte.
Um bloß keine unnötigen Geräusche von mir zu geben, drückte ich die schwere Tür behutsam auf, streifte ordentlich meine Schuhe im Flur ab, doch bevor ich still und heimlich in mein Zimmer huschen konnte, durchschnitt bereits die wütende Stimme meiner Mutter die Luft „Taehyung! Wie schön, dass der Herr mal wieder entschieden hat, uns mit seiner Anwesenheit zu beehren."
Mein Blick wanderte Richtung Wohnzimmer, da standen meine Eltern auch schon, direkt neben dem hellen Esszimmertisch, die Arme meiner Mutter verschränkt, die Blicke, die sie mir zuwarf, schienen mich förmlich zu durchbohren; die Aufmerksamkeit meines Vaters hingegen lag gänzlich auf seiner Frau.
Seufzend entledigte ich mich provokant langsam meines schweren Mantels, ehe ich meine Hände noch tiefer als zuvor in Jeongguks Pulli vergrub und gelassen meiner Exekution entgegenschlenderte.
Obwohl ich bis vor wenigen Minuten noch aufgebracht diesem unheilvollen Aufeinandertreffen entgegengefiebert hatte, verpuffte meine Sorge, sobald ich die Gesichter der Beiden vor mir sah, in Nichts.
Was sollten sie mir bitteschön anhaben?
Jegliche Worte, die mich noch hätten wirklich verletzen können, waren bereits gefallen; das Verhältnis zwischen mir und meiner Mutter hatte seinen absoluten Nullpunkt erreicht, schlimmer konnte es nicht mehr werden - das hatte ich bis zu diesem Augenblick zumindest angenommen.
Meine Laune war mittlerweile an einem gefährlichen Punkt angelangt; einerseits war es mir egal, was nun mit mir geschah, weshalb ich dem Ganzen recht gelassen gegenüberstand, andererseits bedeutete dies auch, dass ich mit der Einstellung, nichts mehr verlieren zu können, in das kommende Gespräch ging, welches doch leicht dazu führen konnte, laxer daherzureden, als man es sonst eigentlich tat; doch Hochmut kam ja bekanntermaßen vor dem Fall.
Insgeheim hoffte ich, dass meine Mutter den Pullover, den ich gerade am Leib trug, erkannte oder eher gesagt; dass sie ihn nicht erkannte.
Ich hatte es satt, mir Tag ein Tag aus ihren homophoben Mist unter dem Deckmantel der schlichten Besorgnis um ihr einziges Kind anzuhören.
Mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen blieb ich unmittelbar vor den Beiden stehen, währenddessen konnte ich die Ader am Halse meiner Mutter betrachten, wie sie bereits verdächtig zu pochen begann.
„Ja bitte?", gab ich lediglich freundlich zurück, lässig auf meinen Fußballen auf- und ab wippend.
Der Blick meiner Mutter wurde daraufhin, sofern das überhaupt im Bereich des Möglichen lag, noch ein Stück feindseliger; sie öffnete den Mund und ich machte mich bereit, jeden Moment einen Hörsturz zu erleiden, doch ihre Stimme ähnelte eher einem gepressten Knurren „Das ist alles, was du zu sagen hast?" Ihre Augen verengten sich bedrohlich. „nachdem du dich jetzt fast vierundzwanzig Stunden am Stück mit deinem kleinen Freund vergnügt hast, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie es deinem Vater und mir dabei geht", brüllte sie plötzlich los, ehe ihre Stimme zum Ende des Satzes hin wieder senkte, bis sie die letzten Worte beinahe flüsterte. „kommst du wirklich hier reinspaziert mit diesen Worten?"
Mein Vater blieb stumm.
Ich musste mich zusammennehmen, bei der Aussprache der Phrase ‚wie es deinem Vater und mir dabei geht' nicht laut loszulachen, deshalb zog ich lediglich amüsiert eine Augenbraue in die Höhe „Wie es euch dabei geht?", ich erlaubte mir ein kurzes Auflachen. „wie es euch dabei geht?!", wiederholte ich daraufhin nochmal eindringlicher, meine Stimme schien vor Ironie nur so zu triefen. „Nein, Mutter.", presste ich ihren Namen besonders abschätzig hervor. „Wärst du so freundlich, mir zu erläutern, wie es euch dabei geht, dass euer volljähriger Sohn, eine Nacht mit seinem Freund verbringt, nachdem er euch sogar darüber in Kenntnis gesetzt hat?" Kokett lächelte ich ihr in die wutverzerrte Fratze.
„Wir sind doch nur um deine Sicherheit besorgt.", rief meine Mutter daraufhin vorwurfsvoll, während sie mit ihren Händen wild zu gestikulieren begann, doch ihr Gesicht strafte sie lügen.
„Um meine Sicherheit? Dass ich nicht lache." Auf ein Neues spürte ich, wie eine unbändige Wut in mir zu Brodeln begann, sobald ich das Gefühl hatte, sie würde gleich wieder damit beginnen, Jeongguk zu beleidigen.
Die Augen verdrehend, verschränkte sie abermals ihre Arme vor der Brust „Ja, es geht mir lediglich um deine Sicherheit." Abschätzig runzelte sie die Stirn. „Deine Sicherheit, die ich nicht gewährleistet sehe, solange du mit diesem Jungen zusammen bist."
Noch immer hatte mein Vater sich mit keinem Wort geäußert.
Nun war ich es, der sie mit feindseligen Blicken attackierte „Dieser Junge hat auch einen Namen!", schrie ich aufgebracht. „Dieser Junge hat in den letzten Monaten öfter meine Sicherheit gewährleistet als ihr, so nebenbei bemerkt.", entgegnete ich wieder etwas gefasster.
Sie hatte doch keine Ahnung, wovon sie hier redete. Während Jeongguk mir sogar durch meine überraschende Panikattacke geholfen hatte, wussten meine Eltern doch nicht einmal, dass ich überhaupt sowas in der Art erlitten hatte.
Selbst als ich wochenlang lethargisch im Bett gelegen hatte, war auch nicht einer von ihnen auf die Idee gekommen, mal zu fragen, was los sei.
Aber klar, ihnen ging es bloß um meine Sicherheit.
„Wegen ihm gerätst du doch überhaupt erst in Schwierigkeiten.", unterbrach die schrille Stimme meiner Mutter meinen inneren Monolog. „Erst dein Knöchel und dann auch noch das traurige Ende deiner Beziehung.", erwiderte sie, ihrer Stimme war eine gespielt traurige Konnotation zu entnehmen.
Ich traute meinen Ohren kaum „Fang jetzt nicht damit an.", knurrte ich bedrohlich. „Das mit Mina kannst du dir erstens ganz alleine auf die Fahnen schreiben." Aufgebracht verengte ich die Augen. „und zweitens war das Beziehungsaus das Beste, was mir seit Langem passiert ist.", lachte ich bitter. „Bist du ideologisch wirklich so verblendet, dass du lieber eine offensichtlich grauenhafte Person an der Seite deines Sohnes sehen möchtest als eine des gleichen Geschlechts?" Provokant hielt ich ihrem bohrenden Blick stand.
Sie hingegen schien meine Bemerkungen mit einer ausladenden Handbewegung wie lästiges Ungeziefer wegwischen zu wollen „So ein Unsinn. Mina war ein nettes Mädchen, ganz im Gegensatz zu ihm, der dich nur verwirrt und auf Abwege führt."
Langsam platzte mir wirklich der Kragen „Hörst du dir eigentlich selbst zu bei dem, was du da von dir gibst? Auf Abwege führen? Jeongguk-" Absichtlich zog ich die Aussprache seines Namens genüßlich in die Länge. „ist der, wegen dem ich endlich klarsehe. Doch mit einer Sache hast du Recht", ich holte einmal tief Luft. „Jeongguk ist nicht ‚nett' und er ist auch kein Mädchen wie Mina. Dafür ist er trotzdem das Beste, was mir je passiert ist." Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich seinen Namen über die Lippen brachte.
Nie wieder würde ich mich kleinmachen oder nachgeben.
Nie wieder würde ich dabei zusehen, wie dem Jüngeren Unrecht getan wurde.
„Was redest du da für einen Unsinn; ich als deine Mutter werde das auf jeden Fall nicht weiter zulas-"
Scharf schnitt ich ihr das Wort ab „Was willst du denn bitte dagegen unternehmen? Wollt ihr mich etwa in Ketten legen, weil euch meine Partnerwahl nicht passt oder was? Na willkommen im Mittelalter, meine Damen und Herren.", machte ich eine übertriebene Verbeugung vor ihr.
Ihre Stimme war kalt wie Eis „Das werden wir ja noch sehen. Er ist schlicht kein guter Umgang für dich", donnerte sie.
„Werden wir.", rief ich. „Du kennst ihn gar nicht, wie kannst du dir anmaßen, so etwas zu sagen?" Meine Wut stand kurz davor, komplett überzukochen.
„Aber ich kenne dich.", brüllte sie daraufhin mit weit aufgerissenen Augen, sodass ich erschrocken einen Schritt zurückstolperte. „Dich erkenne ich kaum wieder seit du ihm begegnet bist. Du bist unzuverlässig und unkonzentriert. Du vernachlässigst Sachen, wie deine Schule oder deine Fotographie, wirkst oft gereizt oder durch den Wind. Sieh doch ein, dass er dir nicht gut tut.", flüsterte sie nun fast flehend.
Wäre ich nicht so unglaublich enttäuscht und sauer zugleich gewesen, hätte ich es beinahe amüsant finden können, wie die Leute, die sich selbst immer weiter von mir entfernten, meinten behaupten zu können, sie würden mich besser kennen, als ich mich selbst kannte.
Dass ich nicht in der Lage wäre, meine eigenen, für mich validen Entscheidungen zu treffen.
Vielleicht mag das ja mal so gewesen sein.
Vielleicht hat der alte Taehyung zu viel über sich ergehen lassen, sei es aus Langeweile oder schlichtem Desinteresse.
Aber diese Zeiten waren vorbei, von nun an würde ich beginnen, zu Allererst auch für mich einzustehen.
Ich trat näher an sie heran, ehe ich angriffslustig hauchte „So ist das nunmal, wenn man verliebt ist und einem die andere Person wichtig ist."
„Verliebt?!", die Stimme meiner Mutter überschlug sich. „Soll ich mal eine Runde lachen, was verstehst du denn bitte schon von Liebe, du bist ja fast noch ein Kind." Belustigt starrte sie abfällig auf mich.
„Ich weiß, wie es ist, wenn man sich um die Person sorgt und diese Sorge dein gesamtes Denken lahmlegt. Ich weiß, wie es ist, wenn es sich anfühlt, als würde sich dein Magen umdrehen und dein Herz aus der Brust springen, nur weil die Person dich berührt. Ich weiß, wie es ist, wenn es der Person schlecht geht und du ihren Kummer einfach nicht ertragen kannst und wirklich alles dafür tun würdest, nur um sie wieder lächeln zu sehen. Allem Anschein nach verstehe mehr von aufrichtiger Liebe als ihr, denn sonst würdet ihr mich nicht so behandeln, wie ihr es gerade tut, wenn ihr mich wirklich lieben würdet." Zitternd sog ich etwas Luft ein, während sich eine einzelne Träne auf meine bereits gerötete Wange verirrte.
Die ganze zurückgedrängte Wut, der Schmerz, die Enttäuschung und der Kummer brachen mit einem Mal erneut aus mir heraus, als ich diese Worte aussprach.
Bedeutungsvoll hallten sie in unserem weitläufigen Wohnbereich nach und für einen kurzen Moment sah ich in den Augen meiner Mutter so etwas wie Verständnis aufblitzen.
Mein Herz machte einen Satz, beinahe hätte sie mich davon überzeugt, dass meine Aussagen sie tatsächlich zum Umdenken hatten bewegen können, jedoch erlosch dieser Funke so schnell wie er aufgeblitzt war, ehe sich ihr Blick auch schon wieder kalt und unbarmherzig in den meinigen bohrte, sie ihn bewusst festhielt und sie süffisant zischte „Vielleicht ist da ja was dran."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top