~ 17 ~

Taehyung PoV

Nach einer kleinen Ewigkeit machte der Jüngere auf einmal Anstalten, sich von mir lösen zu wollen. Dieses Mal jedoch war ich derjenige von uns beiden, der gequält murrte, als der Jüngere begann, sich mir zu entziehen.

»Nur noch ein kleines bisschen«, nuschelte ich in seine warme, pulsierende Halsbeuge.

Ich wollte einfach noch ein bisschen die uns umgebene Stille genießen, seinen Herzschlag im Takt zu meinem schlagend, und unsere Probleme, die wir scheinbar nicht schafften, vernünftig zu kommunizieren, für einen Moment aus meinen Gedanken verbannen.

Wohlig musste ich grinsen, sobald ich das leise Brummen, erzeugt durch sein kehliges Lachen, durch seinen Körper fuhr und mir eine Gänsehaut bescherte.

Nie wieder wollte ich mich von ihm lösen müssen.

»Tae, wir werden gerade buchstäblich zugeschneit«, erwiderte Jeongguk sanft. Verwirrt hob ich meinen Kopf und vermisste unmittelbar die Körperwärme des anderen auf meiner nun auskühlenden Wange.
Verwundert sah ich mich um.

In der Tat hatte sich der Schneefall noch um einiges verdichtet, mittlerweile war sogar eine dünne Schicht des weißen Puders deutlich auf dem kühlen Waldboden zu erkennen.

Wie konnte mir das entgangen sein, anscheinend machte mich Jeongguks Anwesenheit nicht nur schüchtern und tollpatschig, sondern auch noch schlichtweg einfach völlig blöd.

Mit geröteten Wangen hob ich den Blick und sah den Jüngeren entschuldigend an. Auch in seinen Haaren hatten sich einige der kalten Kristalle verfangen und das schwarze, enge Hemd, welches er trug, wies bereits dunkle Flecken des geschmolzenen Schnees auf.

Warum hatte er denn nichts gesagt?

Flink wollte ich mich seines Mantels entledigen, doch der Jüngere war schneller; elegant erhob er sich und umfasste meine Schultern so, dass ich nicht mehr ohne weiteres aus seiner Jacke herausschlüpfen konnte.

»Versuch es gar nicht erst«, lächelte er mich verschmitzt an. »Das ist jetzt offiziell deine.«

»Aber du frierst doch«, meckerte ich, während ich mich versuchte, aus seinem eisernen Griff zu befreien, und deutete auf sein durchnässtes Hemd.

Sein Lächeln wurde breiter. »Dann muss ich dich wohl oder übel jetzt woanders hin entführen.« Ein Funkeln leuchtete in seinen Augen auf, als er mir herausfordernd seine große Hand entgegenstreckte.

Ich fragte nicht, woher der plötzliche Sinneswandel kam. Um ehrlich zu sein wollte ich es auch gar nicht so genau wissen, warum der Jüngere bis vor wenigen Stunden noch felsenfest davon überzeugt gewesen war, mich nie wieder sehen zu können.

Er hatte mir ja bereits von den Problemen mit seiner Psyche erzählt, aber ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen, was das Ganze mit mir zu tun haben sollte.

Natürlich brannten mir einige, dringliche Fragen unter den Fingernägeln und ein kleiner Teil meines Gehirns verfluchte mich just in dem Moment, in dem ich zögerlich seine Hand ergriff, ihn angrinste und mich fröhlich mitziehen ließ, dafür, diese quälenden Fragen nicht gestellt zu haben; denn mittlerweile hatte ich ja schon oft genug am eigenen Leib erfahren, wie schnell Jeongguks Stimmung umschlagen konnte und dann würde ich mich in absolut der gleichen Situation befinden ohne auch nur eine nützliche Information mehr.

So schob ich trotz alledem leichtfertig meine restlichen Zweifel, die Verwirrung, die dutzenden Fragen und die Verzweiflung, die mich in den letzten Wochen beherrscht hatte, achtlos zur Seite und genoss das Kribbeln, welches von meinem Körper Besitz ergriff, als sich die schlanken Finger Jeongguks mit meinen verbanden und ich ihm, mal wieder ohne einen blassen Schimmer, wo es hingehen sollte, blind folgte.

»Eigentlich müsste ich dich dafür auf ein Neues bestrafen«, entgegnete der Jüngere verschmitzt, während er mich, seinen Schritt immer weiter beschleunigend, zwischen den großen, kahlen Tannen herzog.

»Was hab ich jetzt schon wieder verbrochen?«, rief ich empört aus, mir einige dicke Flocken aus dem silbernen Haar fischend.

Sein Gesicht nach vorn gerichtet, erwiderte er über seine Schulter nur spöttisch. »Na du machst es schon wieder. Du lässt dich von einem Fremden quer durch einen dunklen Wald schleifen, ohne auch nur zu fragen, wo ihr hingeht.«

Trocken lachte ich auf. »DU bist also ein Fremder?«, entgegnete ich schnippisch, ehe wir auch schon das Ende des Waldstücks erreichten.

»Genau genommen hattest du das letzte Mal gesagt, dass du auch mir das nicht mehr so einfach durchgehen lassen würdest.« Abrupt hielt der Jüngere an und drehte sich blitzschnell zu mir um, in seinen Augen sprang mir die pure Angriffslust entgegen.

Erschrocken stolperte ich einige Schritte zurück, bis ich schließlich die kalte, feuchte Rinde eines nahegelegenen Baumes an meinem Rücken spürte.

Ohne meine Hand loszulassen, folgte mir der Schwarzhaarige; immer näher kam er an mich heran, bis unsere Körper sich berührten und ich mich perplex weiter an die sich mittlerweile leicht abblätternde Rinde hinter mir presste.

»Und doch stehen wir jetzt hier«, raunte Jeongguk mir ins Ohr. »Was gedenkst du nun zu tun?« Sein Gesicht kam dem meinen verdächtig nahe, winzige Stromstöße durchfuhren meine Wange, als sein Atem diese zart streifte. Mein Herzschlag verdoppelte sich beinahe wie auf Kommando.

Als hätte ich diese Situation mit meinen vorherigen Gedanken zu seinen Stimmungsschwankungen heraufbeschworen, dachte ich stumm.

Zitternd blies ich mit geröteten Wangen etwas Luft zwischen meinen Zähnen hervor. »Ggukie, hör auf«, nuschelte ich unsicher.

Zwar war ich dem Jüngeren gerne so nahe und unter anderen Umständen müssten wir, wenn es nach mir ginge, hier auch nicht aufhören, doch ich wollte das offensichtliche Durcheinander seiner Gefühlswelt momentan nicht noch mehr ins Chaos stürzen.

Was ist eigentlich aus meinem Plan geworden, nur mit Jeongguk befreundet zu bleiben?, verspottete ich mich selbst innerlich.

»Sonst was?«, wisperte der Jüngere, sich bei den Worten sacht weiter nach vorne lehnend, sodass ich meine Hände, wie aus Reflex, auf seine schier glühende Brust legte.

Wie konnte er nur so warm sein, obwohl es uns buchstäblich auf die Köpfe schneite?

Da ließ mich ein schrilles Piepen wie aus dem Nichts heftig zusammenfahren. Mit zittrigen Fingern fischte ich mein Telefon aus der Hosentasche, welches unaufhörlich erbarmungslos bimmelte.

Jeongguk trat erstaunt einige Schritte zurück, während ich den Anruf entgegennahm.

»Endlich erreicht man dich auch mal!«, wurde ich von einer kratzigen Stimme durch den Hörer angebrüllt, ehe ich mich zu Jeongguk umdrehte, der wie bestellt und nicht abgeholt am Rande des Wäldchens stand und seine Schuhe zu mustern schien.

»Hallo? Wer ist da?«, fragte ich nur völlig überrumpelt.

»Wer da ist? WER DA IST? HIER IST DEIN BESTER FREUND, DU VOLLIDIOT«, keifte Yoongi fast durch mein Handy.

Abwehrend hob ich eine freie Hand. »Wow, Yoongi komm mal runter, was ist denn in dich gefahren?« Jeongguk, der meine veränderte Haltung bemerkt zu haben schien, trat skeptisch wieder einige Schritte näher heran.

»Was in mich gefahren ist, fragst du«, knurrte mein bester Freund nur bedrohlich. »Vielleicht die Tatsache, dass du mir heute nachmittag aus dem Zug noch geschrieben hast, dass du dich nur kurz mit diesem Mistkerl triffst und du danach geschlagene sechs Stunden nicht erreichbar warst?! Weißt du was ich mir für Sorgen gemacht habe, ich dachte es wäre sonst was passiert.« Durch die schlechte Verbindung hörte ich raschelnd, wie Yoongi am anderen Ende der Leitung einmal tief Luft zu holen schien.

Geschockt betrachtete ich Jeongguks Silhouette im einfallenden Mondschein. Sechs Stunden?

Fassungslos schaute ich auf meine Armbanduhr. Tatsächlich zeigten ihre Zeiger mir bereits eine Uhrzeit nach Mitternacht an.

»Ähm, es tut mir Leid Yoongi, du also ich, also wir haben die Zeit verge-«, stammelte ich, wurde jedoch vom Älteren jäh unterbrochen. Ich spürte, wie mir unmittelbar das Blut in die Ohren schoss.

»Wer ist wir?«, fragte er und seine Stimme wurde gestochen scharf.

Betreten scharrte ich mit meinem Fuß auf dem, sich unter mir befindlichen, Waldboden. »Na, Jeongguk und ich ...«, nuschelte ich kaum hörbar. Mir war bewusst, wie die ganze Sache für Yoongi aussehen musste; ich konnte ja selbst nicht von der Hand weisen, wie sehr ich die Realität gerade beiseite schob und mich meinen Problemen nicht stellen wollte.

»Tae«, stöhnte der Ältere daraufhin nur langgezogen. »Das kann nicht dein Ernst sein, oder?«

Immer schuldbewusster zog ich meine Schultern ein. »Doch schon, aber es ist ganz anders, als du denkst«, flüsterte ich.

Irgendwie war es mir unangenehm, vor Jeongguk darüber zu sprechen. Der Jüngere war mit Sicherheit auch nicht dumm und verstand, dass gerade über ihn geredet wurde, zumindest konnte ich beobachten, wie seine Miene immer ernster wurde. Abermals trat er etwas näher an mich heran.

»Wie kannst du nur immer noch auf ihn hereinfallen?«, gab mein bester Freund gequält von sich; schnell versuchte ich mit meiner Hand das Mikrofon etwas abzuschirmen aus Angst, Jeongguk könne hören, was Yoongi hier gerade zum Besten gab. Irritiert zog dieser lediglich eine Augenbraue in die Höhe.

»Du, Yoongi, ich kann jetzt auch nicht weiter mit dir reden-«, versuchte ich den Älteren abzuwürgen.

»Warte. Du bist immer noch bei ihm? Tae, sag mir nicht du hast mit ihm ...« Er brauchte seinen Satz nicht beenden, damit ich verstand, worauf er hinauswollte.

Energisch schüttelte ich den Kopf. »Gott, Yoongi!«, schrie ich fast und spürte auch schon die altbekannte Röte in mein Gesicht steigen. »Wo denkst du hin?«, erwiderte ich nun etwas leiser.

Da Jeongguks Miene sich immer weiter zu verdüstern schien, wollte ich das Telefonat nur so schnell wie möglich zu einem Ende bringen.

Ich hörte wie mein Gegenüber am anderen Ende der Leitung erleichtert aufseufzte, bevor er jedoch erneut etwas erwidern konnte, nuschelte ich schnell: »Ja, gut, dass wir das geklärt haben, bis dann«, in den Hörer und beendete hastig den Anruf, ehe ich auch unmittelbar darauf den Ton an diesem kleinen, elektronischen Gerät abstellte.

Nervös schielte ich zu dem Jüngeren hinauf, der mich mit einem mehr als skeptischen Blick zu mustern schien.

»Das war nur Yoongi«, entgegnete ich schnell, »den ... hast du ja offenbar schon kennengelernt«, fügte ich etwas leiser hinzu, meine Wangen immer noch gerötet.

Anstatt einer Antwort, gab der Jüngere nur ein kurzes Schnauben von sich. Schnell griff ich erneut nach seiner Hand und zog ihn etwas näher an mich heran. »Hey!«, flüsterte ich. »Vergiss einfach, was passiert ist, ja?« Ich hoffte, seine Stimmung würde nicht direkt wieder kippen. »Du wolltest mich entführen?«, fragte ich lieb, mein unschuldigstes Lächeln aufgesetzt.

Einen Moment lang stand Jeongguk vor mir wie versteinert, jedoch erwiderte er kurz darauf bereits mein Lächeln und drückte leicht meine Hand. »Ja«, sagte er. »Ja, das wollte ich.« Unsere Finger miteinander verschränkt zog er mich hinaus aus dem Wald, direkt hinein in Seouls buntes Nachtleben.

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