~ 17.6 ~
„Ggukiiie.", jammerte ich mit geröteten Wangen, sobald mir dieser mit einer flinken Bewegung die grüne Glasflasche aus der Hand nahm, die sich noch kurz davor wie angegossen an meine weichen Lippen geschmiegt hatte.
„Meinst du nicht, dass du langsam genug hattest?", erwiderte er amüsiert, mir mit der anderen Hand für den Bruchteil einer Sekunde sanft über die hitzige Wange streichend „Du weißt, was das letzte Mal war."
Wir waren mittlerweile von der Hauswand abgerückt, gedankenlos ließen wir die Beine von der Kante der abgerissenen Feuertreppe herabbaumeln, während wir den Blick abermals auf die niemals schlafende Stadt zu unseren Füßen gerichtet hatten.
„Na wenn das so ist" ich lehnte mich anzüglich grinsend näher an den Jüngeren heran „sollten wir vielleicht erstrecht so viel trinken."
Meine Stimmung war in den letzten Stunden, die ich lachend und trinkend mit Jeongguk über den Dächern der Stadt verbracht hatte, rapide gestiegen.
Immer mehr vergas ich die Sorgen, die in meinem Kopf unaufhörliche Kreise drehten, während ich gleichzeitig immer weniger die Finger von dem Jüngeren lassen konnte.
Zu meiner Verteidigung sah dieser derzeit aber auch wieder unverschämt gut aus; seine unwiderstehlich gut duftenden, schwarzen Haare schimmerten im Licht der Sterne, seine strahlende Haut wirkte indes fast makellos, die große, rote Kruste auf seiner Wange tat dem tatsächlich keinen Abbruch; immer, wenn er lachte oder grinste, warf der einfallende Mondschein unregelmäßige Schatten auf sein perfektes Gesicht, die dunkelbraunen Augen, welche immer wieder über mich hinwegglitten und mich auf fast regelmäßiger Basis in ihren Bann zogen, brachten mich beinahe gänzlich um den Verstand, ganz zu schweigen von seinem locker sitzenden, schwarzen Hemd, welches er am Kragen gelockert hatte, wodurch es mir mehr als schwer fiel, den Blick von der glänzenden Haut und den durchscheinenden Adern abzuwenden; in Gedanken spürte bereits ich das Kribbeln unter meinen Fingerkuppen, welches ich verspüren würde, wenn ich jetzt über sein ausgeprägtes Schlüsselbein streichen würde, und weiter herunter zu seiner durchtrainierten Brust wandern-
„Taehyung!", wedelte der Jüngere belustigt mit einer Hand unmittelbar vor meinem Gesicht herum.
Überrascht zuckte ich zusammen „Was?", entfuhr es mir perplex.
Erneut konnte ich mich für mein Maß an Zurückhaltung und Selbstbeherrschung nur beglückwünschen.
„Ob du noch was Kleines essen möchtest, habe ich dich gefragt. Wir sind jetzt schon so lange unterwegs und haben schon einiges getrunken, vielleicht wäre es besser, wenn-" Der Jüngere konnte seinen Satz nicht zu Ende führen, da versuchte ich bereits, mich umständlich zu erheben.
Den tiefen Abgrund, an dem wir gerade saßen, schien ich völlig vergessen zu haben.
Ächzend richtete ich mich auf, bemerkte jedoch sofort, dass der Boden doch mehr schwankte, als noch zu dem Zeitpunkt, an dem ich das letzte Mal auf ihm gestanden hatte.
Meine Knie wurden weich, bevor ich hingegen auch nur in irgendeine Richtung hätte wegsacken können, hatte Jeongguk sich mit einer eleganten Bewegung erhoben und seinen starken Arm um meine Hüfte gelegt.
Erstaunt sog ich etwas der kalten Nachtluft ein, sobald ich die Körperwärme, die der andere ausstrahlte, so nah an mir vernahm.
„Du solltest wirklich nichts mehr trinken.", hauchte er mir ins Ohr, was dafür sorgte, dass sich sämtliche Härchen meines Körpers aufstellten.
Gerade war er mir so nah; ich spürte seinen Herzschlag, atmete seinen unvergleichlichen Duft ein, während ich mit großen Augen in sein makelloses Gesicht schaute. Immer mehr wuchs dieses zurückgedrängte Verlangen, erneut meine Lippen auf seine zu drücken und mich einfach in ihnen zu verlieren.
Doch ich musste mich zusammennehmen.
Sicher war das einfach nur der Alkohol, der mir mal wieder die Sinne vernebelte. Nach ein bis zwei Konterbier würde das schon wieder werden.
Einige Momente hielt ich den intensiven Blickkontakt aufrecht, ehe ich Anstalten machte, mich zu lösen.
Das war doch nicht zum Aushalten; ich hatte das Gefühl, gerade strahlte er noch eine unwiderstehlichere Aura als sonst aus.
Dringlich dürstete es mir nach mehr Alkohol, um das zu überleben.
Mit einer schnellen Bewegung ergriff ich erneut die Sojuflasche, bevor ich sie unter den geschockten Augen des Jüngeren mit einem Mal fast gänzlich leerte. Abermals entriss dieser mir daraufhin die nun leere Flasche.
„Taehyung!", rief Jeongguk entsetzt, doch ich hatte mich bereits von ihm losgerissen und war zum Fenster gehechtet.
Mit zittrigen Fingern drückte ich den verwitterten Rahmen nach oben, welches leise knirschend dem Druck, den ich auf ihn ausübte, nachgab „Sei kein Spielverderber.", nuschelte ich nur, mich erschöpft an der Hauswand abstützend.
Auffordernd streckte ich ihm meine Hand entgegen, die der Jüngere in Windeseile ergriff, mich jedoch trotzdem eines ernsten Blickes bedachte.
„Tae, wird das?", entgegnete er, sich unmittelbar vor mir aufbauend.
Kichernd fuhr ich mit meiner freien Hand langsam und spielerisch über seine schier glühende Brust und den weichen Hemdstoff „Spaß haben.", lallte ich und ehe der Jüngere es sich versah, war ich auch schon durch den schmalen Spalt geschlüpft, ohne die Hand des Schwarzhaarigen auch nur für eine Sekunde loszulassen, weshalb dieser nun wohl oder übel gezwungen war, mir ins Innere der Bar zu folgen.
Seufzend setzte er einen Fuß auf den vergilbten Rahmen und sprang mir mit einer eleganten Bewegung hinterher.
Die Luft wirkte nach unserem langen Aufenthalt über den Dächern der Stadt nur umso stickiger, aber das beachtete ich nicht weiter.
Mittlerweile hatte sich die Bar etwas gefüllt, sowohl an der Theke, als auch an den dunklen Holztischen im Innenraum hatten sich vereinzelte Menschentrauben gebildet, die ausgelassen lachten und tranken.
Das Licht war gedimmt worden, sodass nur noch die unzähligen Kerzen und einige bunte Lichterketten, die sich geschmeidig um die roten Holzbalken schlängelten, für eine schummrige Beleuchtung sorgten.
Überschwänglich stürmte ich, den Jüngeren hinter mir herziehend, zurück an den Tresen „Suung.", trällerte ich und beugte mich weit über die, im Kerzenschein glänzende, Theke.
Überrascht erschien das leicht gehetzte Gesicht des Mannes hinter dieser, ehe ein amüsiertes Grinsen seine Lippen umspielte „Taehyung?", wandte er sich an mich, die Stimme wegen des angestiegenen Lärmpegels erhoben „Was kann ich für dich tun?"
„Was glaubst du?", kicherte ich, während ich dem scheinbar schockerstarrten Jeongguk die klebrige, leere Alkoholflasche aus der Hand nahm und dem Wirt überschwänglich entgegenstreckte.
Sung entfuhr ein Lachen, doch es war Jeongguk statt meiner, an den er sich als Nächstes wandte: „Glaubst du, dein kleiner Freund verträgt wirklich noch mehr?", hallte seine tiefe Stimme durch die kleine Bar.
Der Jüngere warf dem Barkeeper einen vielsagenden Blick zu, welcher daraufhin nur verständnisvoll nickte, ehe er belustigt dabei zusah, wie der Schwarzhaarige versuchte, mich von der Bar wegzuzerren.
Bei der Erwähnung seines Spitznamens verschluckte sich Sung kurzerhand an seinem Wasser, welches er zwischen zwei Bestellungen schnell heruntergeschüttet hatte „Ggukieee.", jammerte ich erneut.
Warum ließ der Jüngere mich denn nicht noch etwas Soju trinken, wo er mir doch mittlerweile so gut schmeckte?
„Tae, du hattest wirklich genug.", entgegnete Jeongguk nur bestimmt und strich mir unmittelbar darauf sanft einige Haare aus der Stirn. Meine Haut begann unter seinen Berührungen zu kribbeln, als hätte ich eine kleine Ameisenkolonie unter dieser, die bei jedem Kontakt mit dem Jüngeren aufgescheucht wild aufgescheucht wurde.
Dankbar schmiegte ich flink meine gesamte Wange an seine Hand und schloss wohlig seufzend die Augenlider. Seine Finger waren so schön kühl, eine willkommene Abkühlung für meine erhitzte Haut.
Sobald ich meine Augen wieder öffnete, fiel mein Blick zunächst auf Ji-Woo, die, hinter der Theke stehend, immer wieder verträumt zu uns beiden hinübersah und vermehrt aufgeregt auf den Arm ihres Mannes einzuhämmern schien.
Automatisch wanderte mein Augenpaar zu meinem Gegenüber; er hatte seine Lider geschlossen, jedoch bemerkte ich, wie sie unruhig flatterten, das Gesicht schmerzhaft verzerrt.
Geschockt weitete ich die Augen. Was stimmte mit Jeongguk schon wieder nicht?
Wir wollten doch nur den heutigen Abend mal alles vergessen und einfach Spaß haben.
Mein Herz begann zu schmerzen bei dem Anblick des leidenden Jüngeren.
Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, berührte ich sanft sein Gesicht, welches der Jüngere mit einem gequälten Seufzer unwirsch registrierte.
„Hey, Ggukie, nicht traurig sein.", beugte ich mich vor und hauchte ihm in sein Ohr „Ich bin doch bei dir.", fügte ich noch etwas leiser hinzu.
Jeongguk hingegen öffnete seine Augen nur einen winzigen Spalt, in ihnen spiegelte sich die pure Verzweiflung „Das ist es ja..", murmelte dieser nur.
Mir ist bis heute unklar, ob mein schmerzendes Herz, welches unruhig in meiner Brust pochte, die, zum größten Teil von mir geleerte, Flasche Soju oder die späte Stunde mich zu folgender Handlung verleiteten; ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und versetze dem Schwarzhaarigen, mich dabei leicht wankend auf die Zehenspitzen stellend, einen federleichten Kuss auf seine Stirn, ehe ich ihn, unter seinem geschockten Blick, auf die Tanzfläche zerrte, und meine Arme eng um seine Hüfte schlang.
Es war mir egal, dass abgesehen von uns niemand tanzte, es war mir egal, dass die Musik, die zurzeit in dieser winzigen Absteige gespielt wurde, alles andere als eine ruhige Melodie hatte und mit Abstand am wenigsten interessierte es mich, dass uns nach meiner Aktion sämtliche Gäste dieses Etablissements mit einer Mischung aus Verwunderung und Belustigung anstarrten.
Vorsichtig legte ich meinen Kopf in die warme Halsbeuge Jeongguks und begann mich völlig ohne Taktgefühl unbeholfen zu wiegen.
Für einen Moment stand der Jüngere lediglich da, erstarrt wie eine Salzsäule, doch nachdem ich begann seinen Hals mit hauchzarten Küssen zu übersähen, löste sich die Erstarrung abrupt und er stieg in mein unbeholfenes Schunkeln mit ein.
„Tae..", flüsterte er beinahe schüchtern klingend; ein Adjektiv, welches ich bisweilen noch nie für eine Beschreibung Jeongguks auch nur in Betracht gezogen hätte, woraufhin ich mich nur noch enger an diesen kuschelte.
Mit einem resignierenden Seufzen legte der Jüngere nun auch endlich seine starken Arme um mich, welches ich nur mit einem überraschten Kichern quittieren konnte.
Eng umschlungen wiegten wir uns nun langsam und außerhalb jedes Taktes auf der Tanzfläche hin und her, die funkelnden Lichterketten spiegelten sich verzerrt im glänzenden Parkettboden und die hämmernde Musik im Hintergrund wurde mehr und mehr zu einem leisen Rauschen in meinen Ohren.
Und wenn die Fläche überfüllt gewesen wäre mit drängelnden Leuten, aufgetakelten Damen mit zu viel Make Up im Gesicht und zu wenig Kleidern am Leib, mehr als angeheiterten Kerlen, die beim schleimigen Angraben besagter Damen auch ihren letzten Funken Würde verloren oder der Art Mensch, die tanzte, als würde niemand hinschauen und sich dabei fühlte, als wäre sie der geborene Tänzer, obwohl es bei dem spastischen Zappeln, was diese aufs Parkett legte, es in der Tat besser wäre, sie würde ihr Talent nur zum Besten geben, wenn niemand hinschaute: in diesem einen Moment, der so kurz andauerte und sich doch wie eine kleine Ewigkeit anfühlte, da war ich vollkommen glücklich; Keine kranken Exfreundinnen, homophoben Eltern, immer erdrückenderer Schulstress oder überfürsorglichen besten Freunde konnten an dieser Tatsache etwas verändern.
Es war, als würde die Welt nur für uns einen Moment stillstehen.
Ich weiß nicht mehr wie lange wir so tanzten, die Körper miteinander verschmolzen, meinen Kopf an seine Brust geschmiegt, und die restliche Umgebung um uns herum ausblendeten, doch als sich Jeongguk schließlich behutsam von mir löste, welches ich lediglich einem murrenden Seufzen bedachte, meine Augen blinzelnd einen Spalt öffnete und sein Blick dem meinigen begegnete, da traf mich die Erkenntnis wie eine Abrissbirne: ich liebte diesen Mann.
Es war nicht länger nur ein einfacher Flirt oder reines Interesse an seinen körperlichen Attributen, ist es vermutlich nie gewesen; ich liebte diesen Mann mit Haut und Haar, ich war ihm seit dem allerersten Moment, an dem ich ihn, vom Mondlicht beschienen, auf der schicksalshaften Lichtung zum ersten Mal erblickt hatte, verfallen.
Ich verknallte mich nach der ersten, winzigen Berührung, die wir tauschten; der Augenblick, an dem seine schlanken Finger mein Handgelenk fest umschlossen und mein Körper sich angefühlt hatte, als stünde er unter Strom.
Ich verliebte mich nach unseren ersten Gesprächen, bei denen ich es geschafft hatte, einen Blick hinter die Fassade zu erhaschen und schockiert hatte feststellen müssen, dass dahinter so viel mehr steckte als bloße Emotionslosigkeit und Ablehnung; so viel Schmerz, so viel unausgesprochenes Leid, so viel Kummer; zu viel für einen einzigen Menschen.
Und ich liebte ihn genau in diesem Augenblick; nicht länger als ein Wimpernschlag, den ich damit verbrachte, in seine dunkelbraunen, schmerzerfüllten Augen zu sehen und mich von dieser Gewissheit vollkommen erfüllen zu lassen.
Die Gewissheit, dass dieser Mann, der im spärlichen Schein der unzähligen bunten Lichter, die uns umgaben, stand und, seine Lippen zu einem sanften Lächeln verzogen, in seinen Augen die Dämonen mühsam zurückgedrängt, ab diesem Moment mein Leben war.
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