~ 17.3 ~
»Wo gehen wir denn jetzt hin?«, fragte ich den Jüngeren, als wir das noble Hotel verließen und durch das gehobene Viertel schlenderten.
Hier wollte ich in keinem Fall bleiben, die Gegend wirkte für meinen Teil um einiges zu versnobt.
Obwohl es bereits lange nach Mitternacht war, fühlte ich mich in keinster Weise müde oder ausgelaugt.
Möglicherweise wurde dies durch die Tatsache begünstigt, dass ich die letzte Woche nur im Bett verbracht hatte, doch diesen Gedanken schob ich sogleich beiseite.
Ich wollte gerade nicht an die Probleme denken, die uns noch bevorstanden, ich hatte Jeongguk immerhin mein Wort gegeben.
Dieser wiederum schmunzelte mich nur dreckig von der Seite an. »Taehyung, warst du schonmal in einer Bar?« Sein Blick spiegelte ernstes Interesse wieder.
Perplex starrte ich ihn an, während wir die breite, wie leergefegte Fußgängerzone entlang schlenderten, gesäumt von großen, momentan fast kahlen Bäumen, und den protzigen Hotels, welche sich zu unserer Linken erstreckten. »Sollte ich das nicht eher dich fragen?«, lachte ich trocken. »Ich bin immerhin derjenige von uns beiden, der schon legal Alkohol konsumieren und Bars besuchen darf.«
Demonstrativ baute ich mich etwas vor ihm auf, jedoch fühlte sich diese Geste bei seinem dominanten Auftreten an wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sein Charisma konnte ich schlicht nicht übertrumpfen und wenn ich meine Brust noch so schwoll.
Dennoch versetzte es meiner Männlichkeit einen weiteren winzigen Stich, dass der Jüngere sich traute, mir solche Fragen zu stellen.
Sah ich etwa so unschuldig aus?
Ich bin immerhin der Ältere von uns beiden, dachte ich, während ich beleidigt mein Gesicht verzog.
»Ja ich war schon in einer Bar. Sogar schon oft!«, erwiderte ich etwas trotzig mit hervor geschobener Unterlippe.
»Du bist süß, wenn du bockig bist«, hauchte der Jüngere daraufhin, den Blick starr nach vorn gerichtet, doch bevor ich empört darauf reagieren konnte, setzte er unbeirrt fort. »Ich kenne da nämlich eine Gute; das Essen ist köstlich und die Atmosphäre ist einmalig und nicht so«, er machte eine ausschweifende Handbewegung, »abgehoben wie hier.«
Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen, als mir klar wurde, dass Jeongguk, obwohl er in einer so reichen und einflussreichen Familie aufgewachsen ist, trotzdem ein sehr bodenständiger Mensch geworden war.
Allmählich füllten sich die Straßen um uns herum wieder, wir begegneten den ersten Straßenkünstlern und Buden, die unterschiedlichsten Krims Krams verkauften, da realisierte ich, in welche Richtung wir gerade gingen. »Gehen wir zurück nach Hongdae?«, fragte ich mich zu ihm gewandt leuchtenden Augen.
Blitzschnell fuhr er mir mit seiner freien Hand einmal durch mein bereits zerzaustes Haar. »Genau das tun wir«, schmunzelte er. »Warst du schonmal dort?«, harkte er neugierig nach.
Ich konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. »Das war früher meine Gegend«, erwiderte ich stolz. »Im Yeontral Park vortrinken und dann rein ins Getümmel der Studentenmeile.«
»So einer warst du also«, neckte er mich. »Hast dich an unschuldigen Studentinnen vergriffen.« Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch und ließ mich bemerken, wie prollig mein letzter Satz hatte klingen müssen, vor allem unter der Prämisse, dass ich immer noch ein Schüler war.
Mir schoss das Blut ins Gesicht. »Nein, nein«, erwiderte ich schnell. »Meistens haben wir uns mit einer Flasche Soju und unserer Musikbox irgendwo auf den Bordstein gesetzt und getrunken«, fügte ich hinzu, schämte mich aber unmittelbar danach auch bereits für diese getätigte Aussage.
Schüchtern hielt ich mir eine Hand vors Gesicht. »Als hättest du in deiner Jugend nicht so peinliches Zeug gemacht!«, rief ich aus, bevor ich jedoch stockte. Er hatte ja nie wirklich Freunde gehabt, schoss es mir durch den Kopf.
Was für ein dummer Kommentar, Klasse Tae.
Jeongguk hingegen verzog keine Miene. »Ob du es glaubst oder nicht, ich bin schon immer so cool gewesen wie jetzt«, grinste er mich an, woraufhin ich kichernd seine Hand drückte und den Blick abwandte.
Tatsächlich glaubte ich ihm das, aber das musste er ja nicht unbedingt wissen.
Immer mehr Menschen kamen uns entgegen, bis wir uns schließlich wieder inmitten des Trubels befanden, durch den wir uns noch vor wenigen Stunden bereits einmal gekämpft hatten.
Wie diese Bar wohl aussehen mochte, die Jeongguk mir zeigen wollte, sinnierte ich, während wir gemütlich die schmale Gasse hinabliefen, und ich abermals meinen Blick nicht von den vielen, bunten Lichtern um uns herum abwenden konnte.
Jeongguk beschleunigte seinen Schritt. »Komm wir sind gleich da«, rief er aufgeregt, ehe er mich an der Hand in eine unscheinbare Abzweigung des verwinkelten Viertels zog.
Die Massen lichteten sich, sobald wir dort eingebogen waren, jedoch wirkten die Leute, die uns nun entgegenkamen, dafür immer zwielichtiger. Dunkel gekleidete Gestalten, mit Mundschutz und Kapuzen bis tief in ihre Gesichter gezogen, huschten an uns vorbei, die ausgelassene Partystimmung, die die Studentenmeile sonst beherrschte, ebbte immer mehr ab.
Unsicher zupfte ich am Ärmel von Jeongguks übergroßer Jacke herum. »Jeongguk, bist du dir sicher, dass-«
»Mach dir keine Sorgen!«, wurde ich auch schon jäh von dem Jüngeren unterbrochen. Er zog mich noch schneller mit sich, doch das unbehagliche Gefühl, welches sich unaufhaltsam in meiner Magengrube auszubreiten schien, blieb.
Uns begegneten immer weniger Menschen, die Häuser und Läden waren zum Großteil abgesperrt und verbarrikadiert, schlampig gespraytes Graffiti befand sich an den meisten Hauswänden, einige Straßenlaternen standen scheinbar unmittelbar davor, ihren Dienst zu quittieren und flackerten in unregelmäßigen Abständen beinahe unheimlich auf.
Ängstlich umklammerte ich Jeongguks Hand etwas fester, während ich mich näher an den Jüngeren presste. Dieser spürte offenbar meine sich ändernde Haltung, behutsam fuhr er mit seinem Daumen über meinen Handrücken und ließ diesen beruhigend kreisen. Ich entspannte mich etwas.
»Da sind wir auch schon.« Jeongguk wandte sich zu mir um und schenkte mir ein strahlendes Lächeln – eines der Sorte, welches ich in der Zeit, in der wir uns jetzt kannten, vielleicht zwei bis dreimal gesehen hatte.
Mit gerunzelter Stirn blickte ich den Schwarzhaarigen irritiert an. »Wir sind wo genau?« Um sicherzugehen, dass meiner Aufmerksamkeit auch nichts entgangen war, ließ ich meinen Blick erneut schweifen.
Wir standen vor einem heruntergekommenen, schmutzigen Gebäude, über und über mit Graffiti besprüht; daneben ein abgewrackter, geschlossener Stand, der tagsüber scheinbar, nach den verdreckten, kaum lesbaren Schildern zufolge, frittiertes Huhn verkaufte, und einigen verbogenen Straßenschildern, alles beschienen von einer mit unzähligen Stickern beklebten, schiefen Straßenlaterne, die schummeriges Licht spendete. Sollte das eine Art Scherz sein?
Einen kurzen Moment lang flackerte die Sorge in mir auf, dass ich mich damals im Café doch getäuscht hatte, und er nicht nur manchmal so wirkte, als wolle er mich im Wald verscharren, sondern es gerade tatsächlich aktiv in die Tat umzusetzen versuchte.
»Jetzt guck nicht so schockiert! Ich habe schon viel zu viel auf mich genommen für dich, als dass ich dich jetzt umlegen würde«, lachte er spöttisch, woraufhin mein Gesicht eine dunkelrote Färbung annahm, da er meine Gedanken erneut auf den Punkt ausformuliert hatte.
»Was wollen wir denn dann hier?«, stimmte ich in sein Lachen ein, um meine Verunsicherung so gut es eben ging zu überspielen.
Jeongguk suchte meinen Blick, seine Augen funkelten verdächtig. »Spaß haben.« Verschwörerisch grinste er mich an.
Ehe ich etwas hätte einwenden können, hatte mich der Jüngere auch schon am Arm gepackt und zog mich auf das schäbige Gebäude zu. Wir bogen zwischen dem Hühnerstand und dem Haus in eine schmale Gasse ein und kamen vor einer wackligen, rostigen Feuerleiter zum Stehen. Der weiße Lack hatte definitiv schon bessere Tage gesehen, unregelmäßig war er aufgeplatzt und von großen Rostlöchern durchzogen.
Ohne meine Reaktion abzuwarten, setzte Jeongguk einen Fuß auf die windschiefe Leiter.
»Wa-«, wollte ich ihn auf meine akuten Bedenken bezüglich der Tauglichkeit dieser Treppe in Kenntnis setzen, da drehte er sich zu mir und brachte mich mit einem Blick zum Verstummen.
Unsere Gesichter waren keinen Zentimeter mehr voneinander entfernt, unmittelbar bekam ich eine Gänsehaut, als ich die Nähe des anderen so unvermittelt an meiner Haut spürte.
»Vertraust du mir?«, hauchte Jeongguk und ich musste ein Seufzen unterdrücken, als sein heißer Atem mein Gesicht streifte.
Gebannt starrte ich den Jüngeren an. »Ich ähm ... schätze ja«, brachte ich über die Lippen, immer noch wie hypnotisiert von seinen Augen.
»Das reicht mir.« Er verzog seinen Mund zu einem schelmischen Grinsen, ehe er sich blitzschnell nach vorn beugte und ich auch schon den Boden unter meinen Füßen verlor.
Lautstark protestierte ich, als Jeongguk, mit mir buchstäblich in seinen Armen, die Sprossen der wackligen, alten Leiter erklomm.
»Lass mich runter«, wollte ich mit fester Stimme rufen, doch was meiner Kehle hingegen entfleuchte, dürfte nicht mehr als ein heiseres Fiepen gewesen sein. Ängstlich krallte ich mich in sein dunkles Hemd und presste meinen Körper so gut es eben möglich war, an seine warme Brust.
Mein Herz begann zu rasen.
Immer höher stiegen wir, während die alte Feuerleiter verdächtig knarzte und knackte unter jedem seiner schweren Schritte, die er auf den löchrigen, metallenen Stufen tat. Je höher wir kamen, in desto weitere Ferne rückte das neonbeleuchtete Chaos und die hitzige Atmosphäre zu unseren Füßen.
Jeongguks Blick streifte während des Aufstiegs mehrmals über mein angsterfülltes Gesicht, bis er schließlich am Ende der wackligen Treppe zum Stehen kam, sein freches Grinsen immer noch auf den Lippen.
»Wir sind da«, verkündigte er freudig, bevor er mich behutsam wieder absetzte. Da das flaue Gefühl in meiner Magengegend weiterhin nicht bereit war, zu verschwinden, entschied ich mich dafür, ihm später gebührend den Kopf dafür abzureißen
»Jeongguk«, entfuhr es mir als ein leises Knurren.
»Immer noch anwesend«, erwiderte dieser nur spöttisch. Augenblicklich verengten sich meine Augen zu schmalen Schlitzen, doch ehe ich noch etwas erwidern konnte, setzte er erneut an: »Darf ich präsentieren: Das ist meine absolute Lieblingsbar und, ohne dick auftragen zu wollen, die beste Bar Seouls.« Mit einer ausladenden Handbewegung deutete er auf eine schäbige, dunkle Eichenholztür, die, nur halb in den Angeln hängend, mit dutzenden Stickern und Graffiti übersät war. Schräg vor dieser, ebenfalls auf der vergitterten Treppe, auf der wir uns befanden, stehend, erblickte ich ein altes, rostiges Ölfass mit allerhand bunten Kritzeleien auf dem abblätternden Lack.
An dem Fass war ein zerknicktes Stück Pappkarton befestigt, auf dem, in kaum zu entziffernder Schrift, mit einem dicken schwarzen Edding einige Highlights der Getränkekarte aufgeführt worden waren.
»Herzlich Willkommen in der Bar 다¹«, las ich mit zusammengekniffenen Augen, leicht beschönigend, die Worte, festgehalten auf der durchgeweichten Pappe, vor. Ich hob lediglich eine Augenbraue, woraufhin das Grinsen des Jüngeren nur noch breiter wurde.
»Jetzt warte es doch erstmal ab«, seufzte er gespielt genervt. »Beurteile ein Buch niemals nach seinem Einband.« Er zwinkerte mir noch einmal kurz verschmitzt zu, ehe der die knarzende Tür aufstieß, mich an der Hand fasste, welches mein Körper erneut mit einem rapiden Anstieg meiner Herzfrequenz quittierte, und mich hineinzog, in die beste Bar Seouls.
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¹BAR 다 ist eine den meisten Touristen verborgene, kleine Bar über den Dächern Hongdaes in Seoul nahe der Hongik-Universität.
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